Dear Evan Hansen und die Folgen eines Briefes an sich selbst
Lang war die Premiere von „Dear Evan Hansen“ in Deutschland erwartet worden. Gemeinsam mit dem Musical Frühling in Gmunden fand im Stadttheater Fürth die deutsche Erstaufführung statt. Wer jetzt Parallelen zu „Next to Normal“ entdeckt, ist sicher nicht falsch aufgestellt. Auch dieses Musical behandelt eine Thematik, die man eigentlich im Musical nicht vermutet. Hier ist es eine Angststörung der Hauptperson Evan Hansen, einem Highschool-Absolventen, der unter einer Angststörung leidet, die ihn zum Außenseiter macht. Seine Mutter arbeitet als Krankenschwester und lässt sich zur Rechtsanwaltsgehilfin ausbilden in Abendkursen. Dass ihr einziger Sohn da zu kurz kommt und sich komplett hinter seinen Laptop verkriecht, ist nur verständlich. So muss er sich immer wieder selbst Pizza bestellen, was er nicht tut. Er nimmt Tabletten gegen die Störung und sein Psychologe empfiehlt ihm, einen Brief an sich selbst zu schreiben, in der erklärt, warum der Tag wunderbar war. Evan ist ein Meister im Geschichtenerzählen. In seinem Brief erfindet er eine Begegnung mit einer Jazzsängerin, die er sich endlich traut anzusprechen. Seine Mutter fragt ihn immer wieder nach diesem Brief, den er seinem Psychologen senden soll. In der Schule scheint es auch nicht gut zu laufen. Der Sohn eines befreundeten Paares der Mutter ist nur so halb sein Freund. Evans Mutter empfiehlt, die Mitschüler auf dem Gipsarm von Evan unterschreiben zu lassen. So richtig findet Evan aber niemanden in der Klasse. Aus Erbarmen unterschreibt Connor Murphy als einziger, so als Beweis, dass er doch einen Freund hat. Der Brief wird noch wichtig, er den Brief in der Schule ausdruckt, gerät der in die Hände Connor Murphy, der ein schwieriger Charakter ist und die Herkunftsfamilie terrorisiert. Connor Murphy ist drogenabhängig in derselben Klasse wie Evan. Die Jazzsängerin ist nur die Schwester von Connor Murphy und der ist außer sich über den Inhalt des Briefs. Er nimmt den Brief an sich und drei Tage später ist Connor Murphy tot. Das Einzige, was er hat, ist der Brief von Evan an sich selbst. Die Eltern von Connor Murphy halten ihn für den Beweis, dass Evan und Connor Freunde waren und wollen jetzt mehr Details über die Beziehung zwischen den beiden „Freunden“ wissen. Evan ist sehr verlegen deswegen und fabuliert eine Freundschaftsbeziehung, die es so nie gegeben hat. Der Mitschüler Jared Kleinmann legt daraufhin ein Fake-Account an und erfindet einen Mailverkehr zwischen dem toten Connor und Evan. Als Connor nach der ersten Betroffenheit der Mitschüler nach drei Tagen fast in Vergessenheit geraten ist, beschließt Alana Beck Gedenkbuttons zu verkaufen. Alana ist auch eine Außenseiterin in der Klasse und macht sich mit der Geschichte dann wichtig. Sie ist in sozialen Netzwerken bewandert und es beginnt eine Internet-Blase um Connor Murphy, die Evan zusehends überfordert. Evans Mutter bekommt erst Wind von der Geschichte, als sie eine Rede von Evan auf Facebook hört, wo er über die angebliche Freundschaftsbeziehung spricht. In einer rasanten Achterbahnfahrt befeuert Alana nun das soziale Netzwerk. Sie stachelt Evan an, immer mehr Details über die Freundschaft mit Connor preiszugeben, die Evan zusehends erfindet. Am Ende gibt es einen Turm von Fakenews, wo auch der Sturz vom Baum auf eine Apfelplantage eingebaut wird in die Geschichte. Mit den positiven News über ihren Bruder gewinnt er aber das Vertrauen von Zoe Murphy. Evan bekommt Einblicke in die Familie und am Ende des ersten Akts bedankt sich Zoe bei Evan, dass sie endlich mit ihrem Bruder versöhnt sein. Sie habe über Evan Seiten ihres Bruders kennengelernt, die ihr verborgen waren. Dass das alles nur ein Lügengebäude ist, das im zweiten Akt dann enttarnt wird, ist klar. Man sammelt Geld für eine stillgelegte Apfelplantage in der Connor gerne gewesen ist. Für den Kritiker in der NN wurde vor allem im zweiten Akt zu viel der moralische Zeigefinger gehoben. Zoe lädt Evans Mutter zu den Murphys ein. Larry Murphy bietet der Mutter einen Job an, die außer sich ist. Zudem kommt heraus, wo ihr Sohn die Abende immer war. Sie fühlt sich gedemütigt, spricht aber über Evans traumatisches Erlebnis als Siebenjähriger, als sein Vater zu einer neuen Familie gezogen ist. Alana bekommt nun den Brief in die Hand und befeuert die Socialmediabubble weiter. Darauf gehen Drohanrufe bei den Murphys ein. Evan klärt schließlich alles selbst auf, was zum Bruch mit Zoe führt. Letztlich haben die Lügen um Connor die Familie Murphy aber wieder zusammengebracht. Richtig geplatzt ist die Bubble dann aber nicht, eine echte Aufarbeitung findet nicht statt und scheint auch nicht gewünscht am Ende.
Die acht Musiker zaubern einen etwas amerikanischen Musical-Sound ins Stadttheater. Ein großes Highlight ist das fernsteuerbare Kinderzimmerbett mit Regal, das immer wieder für Evans Zimmer eingefahren wird. Zudem bat man, die Mobiltelefone auszuschalten, da sie auf der Bühne selbst mit verschieden Handys und der Videoeinblendung von Calls arbeiten und die anderen Handys da potentiell stören würden. Letztlich hat man auch etwas schweißnasse Hände, wie sich Evan immer weiter in das Fakenews-Gestrüpp geschubst wird. Ihm ist es peinlich, nein zu sagen. Auch von Jared kommt immer wieder die Aufforderung zu allem „Ja“ zu sagen. Letztlich ist Evan ein Spielball der anderen Personen, die ihn immer wieder dazu drängen, neue Details über die Freundschaft mit Connor zu erfinden. Sie fordern Beweise und erzeugen damit so ein Lügengerüst, das am Ende ‚too big to fail‘ ist. Die Lügen haben zwar keine kurzen Beine, aber sie führen dazu, dass die Familie Murphy wieder miteinander redet und zu sich findet. Daher scheint das Platzen am Ende der Geschichte als nahezu unmöglich. Vielleicht haben sie ja erkannt, dass sie einen nicht unwesentlichen Anteil an der Geschichte beigetragen hat. Mir hat das Stück sehr gut gefallen, denn Denis Riffel spielt einen überzeugenden Evan in seiner verzweifelten Angststörung, aber auch Zoe gibt alles. Dass die Rolle von Heidi Hansen vielleicht etwas rührselig und tragisch angelegt ist, mag man als Kitsch empfinden. Aber auch Vanessa Heinz als die Socialmediabeauftragte ist großartig. Ich hatte äußerst unterhaltsame 3h im Stadttheater, die nie langweilig wurden. Die Musik ist amerikanischer Mainstream-Rock, der aber gut hörbar ist und zum Stück einen wesentlichen Beitrag bringt. Ob es so einen durchschlagenden Erfolg haben wird, wie ‚Next to Normal‘ bleibt abzuwarten.
Quelle: YouTube | Stadttheater Fürth
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