Der etwas andere Tristan
Mit der derzeitigen Premiere in Bayreuth von Tristan und Isolde, war die Presse nicht besonders gnädig. Das lag zum einen am etwas getragenen Dirigat von Seymon Bychkow und zum anderen an der Inszenierung. Diese stellt Tristan als depressiv dar, was natürlich weniger gut ankommt. Dabei ist gerade diese Interpretation das, was mir den Tristan bisher gut erklärt. Richard Wagner schrieb diese Oper über die Liebe in nur einem Jahr und neun Monaten. Dies geschah angeblich nach einer unglücklichen Liebesaffäre mit Mathilde Wesendonck. Viele Wagner-Fans halten den Tristan für den Gipfel seines Schaffens, was ich nicht teilen konnte. Kein Regisseur konnte mir eine schlüssige Erklärung für die Musik geben, bis auf Thorleifur Örn Arnarsson. Der Ansatz mit der depressiven Verstimmung von Tristan war für mich der Schlüssel zum Werk. Ich hatte die Oper bisher als Liebesoper verstanden, aber diese Liebe wird als unendliche Qual dargestellt und ist als Interpretation nicht griffig. Eine Isolde, die sich an einem mental gefangenen Tristan aufreibt, passt schon eher zu dem, was ich in der Musik bisher gehört habe. Dabei war das Krankheitsbild Depression zu Wagners Zeiten noch nicht definiert.
Isolde sitzt zu Beginn in einem übermächtigen Brautkleid. Mit einer großen Feder schreibt sie Worte auf das weiße Kleid aus der Tristan Partitur. Anfangs ist auch beim Auftritt von Kurwenal, der Platz weit links ungünstig. Die Inszenierung selbst bildet über die Szenerie einen Zusammenhang mit Schiffseilen und einem Schiffsrumpf, der sich zum Ende immer mehr auflöst. Das goldene Licht der Natrium-Dampflampen soll das Nachtlicht symbolisieren, nämlich die Nacht, in die Tristan und Isolde im Laufe der Oper absteigen. Der Einsatz des Lichts ist leider nicht ganz blendefrei für das Publikum. Tristan soll Isolde für König Marke werben und die irische Tochter nach Cornwall zu bringen. Es gab aber eine Vorgeschichte der Oper, in der Tristan den ehemaligen Verlobten von Isolde erschlagen hat. Verwundet wurde er damals von Isolde gepflegt, obwohl sie ihn eigentlich umbringen wollte. Sie hatte sich sogar verliebt in den ehemaligen Feind. Nun treffen sie erneut aufeinander in diesem ersten Akt. Für diese Werbungaktion, die Isolde als Schmach empfindet, will sie sich mit einem Todestrank rächen. Dabei hat die Dienerin den Todestrank gegen einen Liebestrank getauscht, den man in dieser Inszenierung nicht sieht. Stattdessen wird der Todestrank zum zentralen Element. Ganz nach einem depressiven Muster nimmt Tristan diesen am Ende des zweiten Aktes, wo es eigentlich niemand vermutet. In der Musik ist der Liebestrank dennoch auskomponiert und am Ende des Liebestranks sehen die beiden in ein Loch in der Bühne in einen Abgrund. Isoldes Hochzeitshaube bietet ein paarmal den Anlass für ein ungewolltes Stolpern von Tristan. Zum Ende des ersten Akts sehen Tristan und Isolde in den Abgrund, in dem Dinge aus der Tagwelt aufgehäuft sind.
Im zweiten Aufzug hat man die konsequente Fortsetzung des Bühnenbilds. Man befindet sich am anderen Ende des Lochs in einem großen Schiffsbug. Dieser ist gefüllt mit glorreichen Errungenschaften der Tagwelt und der Welteroberung, wie ausgestopfte Tiere, griechische Büsten, Globen, Weltempfänger. Tristan zerpflügt eine Tageszeitung. Diese Szenerie wirkt wie eine Rumpelkammer des Ruhms, dem Tristan abschwört. Auch verdunkelt er die Lichter. Die Verabredung im Park ist also eine Verabredung in der Rumpelkammer des Tagwerks. Auch das Brautkleid hat es in einer Kiste in die Szene geschafft. Brangäne löscht das rote Neonlicht, es beginnt die Nacht der Liebe mit einer Ohrfeige von Isolde für Tristan. Scheinbar möchte sie ihn damit aus seiner Depression reißen, damit er mit ihr die Nacht der Liebe erleben kann. Während sie anfangs noch umeinander herum singen, nähern sie sich zum Duett immer mehr an, bis sie endlich zum Duett kommen. Der Schiffsrumpf leuchtet dabei in gelbem Licht. Tristan und Isolde wünschen sich dort die Vereinigung im Tod, bis sie von Melot unterbrochen werden. Der ist bestürzt von Tristans Treuebruch, denn Tristan sollte Isolde ja für König Marke werben. Er hat einen finsteren, schwarzen König Marke im Gefolge, der einer Game of Thrones-Folge entsprungen sein könnte. Tristan zerschlägt einen Spiegel und es kommt hauptsächlich zum musikalischen Kampf. Auch das ist wieder schwierig, weil hier die Musik anderes vermittelt, als das was auf der Bühne passiert. Stattdessen nimmt Tristan nun den Todestrank und stürzt zu Boden. Auch das ist typisch Depression, der Tod tritt dann ein, wenn man es am wenigsten erwartet.
Im letzten Aufzug ist es schwer Tristan liegen im Gerümpel des Tagwerks zu entdecken. Der Schiffsbug hat sich aufgelöst und mit den Seilen des ersten Akts vereinigt. Auf einer Ansammlung von Gegenständen liegt schwer verwundet Tristan. Andreas Schager schafft es in den nun folgenden 50 Minuten die Gefühlsausbrüche von Tristan gut zu vermitteln und die Wahnvorstellungen, dass immer wieder ein Schiff kommt. Dabei wird der Publikumsraum in gleißendes Licht getaucht. Als Isolde dann wirklich endlich kommt, ist er schon nicht mehr richtig bei Bewusstsein und stirbt. Wieder sieht man das Brautkleid und die weiße Hochzeitshaube. Als Tristan gestorben ist, trinkt Isolde nun den Todestrank und folgt Tristan. Es kommt ein zweites Schiff mit König Marke. Nach einem wundervollen Liebestod von Isolde stehen die Angehörigen erschüttert vor den Toten.
Am Ende war das Publikum in Bayreuth begeistert von der Aufführung. Allein der Dirigent bekam einige Buh-Rufe ab, vermutlich weil einige das Dirigat als zu langsam empfunden haben. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es tatsächlich etwas länger gedauert hat, was ich selbst als nicht störend empfunden habe. Die Sänger waren wie immer hervorragend, wenn auch die Damen etwas textverständlicher hätten sein können. Tristan und Isolde sind einfach Kraftpartien, die ihres gleich suchen. Sowohl Andreas Schager, als auch Camilla Nylund wurden diesen beiden Partien gerecht.
In der Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson habe ich endlich mal Tristan verstanden. Es mag im Ansatz ja Regietheater sein. Tristan hat in der Inszenierung eine Form von Depression. Das hat mir noch nie jemals in Zusammenhang mit Tristan gesagt. Für mich erklärt das aber die Musik ziemlich gut, oder zumindest das was ich in der Musik höre. Die Streicher produzieren immer wieder einen Klangteppich unter den Motiven. Dieses ganze Verdrehte im zweiten Akt macht plötzlich Sinn für mich. Tristan ist in seiner eigenen Welt gefangen und gibt sich die Schuld für den Tod der Mutter und des Vaters. Isolde versucht ihn auch musikalisch immer aus dieser autistischen Haltung zu befreien. In der Inszenierung gelingt ihr der zweite Akt nur, weil sie ihm vorher eine schallende Ohrfeige gibt. Das holt ihn für den Liebesakt zurück in die Welt von Isolde. Während er im dritten Akt wieder ganz in die Depression versinkt. Unter dem Aspekt hatte ich das noch nie betrachtet, aber die Oper war für mich immer irgendwie bedrückend. Ich konnte die Begeisterung über den Tristan nie wirklich teilen, weil ich die Musik nicht deuten konnte. Ich hatte am Vortag einen 50-minütigen Vortrag, was sich der Regisseur dabei gedacht hat. Und so hat mir den Tristan noch nie jemand erklärt, aber ich erkenne in den Klangmustern und Wiederholungen durchaus den Ansatz, was diese Deutung gut erklärt. Am besten fand und finde ich immer noch das Ende mit Isoldes Liebestod. Da lösen sich diese Verdrehungen und Disharmonien, mit den man fast vier Stunden traktiert wird endlich auf. Besser spät als nie.
Eine Fortsetzung zum Thema Herrentoilette und Sieglinde gibt es auch. Auf Nachfrage wurde mir bescheinigt, dass die Toilettenfrau Sieglinde jetzt wirklich ihre verdiente Rente genießt. Auch ihre Bonbons wurden durch die schnöden Böhme Frucht Karamellen ersetzt. Ob die nur Tagwerk sind und wirklich gegen einen Hustenanfall bei Brünnhildes Erweckung helfen, da habe ich meine Zweifel.
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