Die Tote Stadt - eine Reise wert
Dresden hat diese Spielzeit noch zweimal die ‚Tote Stadt‘ von Erich Wolfgang Korngold auf dem Spielplan. Die Inszenierung von David Bösch kann man dazu eindeutig empfehlen, denn Patrick Bannwart schafft es im Bühnenbild, eine morbide Kirche des Gewesenen, zu realisieren. Wie ein braunes Gewölbe nimmt es die ganze Bühnenhöhe ein, an den Wänden steht immer wieder der Name Marie. Sie ist die verstorbene Frau des Hauptdarstellers Paul, deren Andenken Paul in dem Zimmer mit einem übergroßen Profilporträt und verblühten Rosen gedenkt. Das hohe Zimmer ist spärlich eingerichtet mit einer Stehlampe, einem Sessel und einer Matratze ganz rechts. Besucht wird Paul von seinem Freund Frank, der die Szenerie trostlos findet. Frank sitzt selbst in einem Rollstuhl. Er befragt die Dienerin Brigitta, wie es ihr hier geht. In dem Moment kommt Paul herein und fordert Brigitta auf, frische Rosen zu bringen. Er hätte eine Frau gefunden, die seiner verstorbenen Marie gleicht. Sie wäre auf dem Weg in sein Haus. Die gefundene Frau heißt aber Marietta, eine Tänzerin einer Tourneebühne. In der Rollenanlage erinnert sie an die großen Tänzerinnen im Berlin der 20er Jahre. Paul gibt Marietta noch den Schal und die Laute Maries, damit sie seiner toten Frau wirklich ähnlich ist. Marietta aber findet den Raum trostlos und stimmt ein Lied an (Glück das mir verblieb), was man heute als Zugnummer der Oper bezeichnen kann. Dabei müssen Paul und Marie in sehr hohen Lagen singen, was dem Tenor an diesem Abend sichtlich schwerfällt. Hatte er sich nicht noch kurz vorher mit einem Antiallergikum fit für die Aufführung machen lassen, weshalb man die Oper an diesem Abend 15 Minuten später stattfinden ließ. Man war sich während der ersten Szenen nie so recht sicher, ob der singende Paul wirklich angeschlagen ist oder ob er den verzweifelten Paul nur wirklich gut spielt. Jedenfalls lässt Marietta Paul in keiner Weise über ihren Beruf im Unklaren. Dies scheint in dieser Inszenierung Paul so aus der Fassung zu bringen, dass er sie bereits jetzt würgt. Es tritt ein Tänzer mit aufgemaltem Skelett auf. Es ist Gaston, ein Kollege. Marietta wirft etwas Flitter auf die Bühne und wird mit einer Champagnerflasche von Gaston weggetragen. Nun wird Paul von schlimmen Albträumen heimgesucht. In einer negativen Projektion erscheint übergroß mit wehendem Haar Marie und mahnt ihn zur Treue.
Wer jetzt glaubt, der Spuk wäre vorbei, hat sich im zweiten Bild getäuscht. Marie wiederholt noch mal das Treueversprechen. Am Ende löst sich das Bild in lauter Fledermäuse auf. Paul ist aber Marietta verfallen. Eine Prozession von Nonnen trägt Bilder von Marie über die Bühne. Als letzte Nonne tritt seine Haushälterin Brigitta auf. Paul hätte seine Frau verraten, sie werde aber für ihn beten. Im nächsten Moment kommt Frank auf die Bühne, der hätte Mariettas Zimmerschlüssel. Paul entreißt Frank den Schlüssel, worauf dieser die Freundschaft mit ihm beendet. Marietta wir nun vom Gaston abgesetzt. Sie trägt inzwischen ein rotes Kleid und Engelsflügel und erscheint im Gefolge einer bunten Theatertruppe mit einem Pierrot, einem Grafen, einem Dompteur und einem Zwillingsdouble Tänzerinnen. Auf die Bühne kommen auch Sofas gefahren mit Totenmasken als Gondolieres, nur dass ihre Gondeln Sofas sind. Am rechten Rand steht in einer Installation nun 'Love', es geht um die sinnliche Liebe. Nun muss Paul ansehen, wie der Pierrot seine Identität preisgibt und ihn nach der Arie (Mein Sehnen, mein Wähnen) küsst. Sie will die Nonnenerweckung aus „Robert le Diable“ tanzen und verbrennt dabei ein Bild, worauf wieder die Prozession von Nonnen hervorkommt, diesmal allerdings mit leeren Bilderrahmen. Paul kann das nicht länger ansehen und stürmt hervor und bezichtigt Marietta der Blasphemie. Die aber gibt an, mit Paul alleine fertig zu werden. Paul wird ins Bett gezogen und von Marietta heftig umworben. Es kommt trotz Pauls Zweifeln zu einer Liebesnacht, in der er wieder von vielen kleinen Marie-Doubles heimgesucht wird. Marietta will in Pauls Haus, um das Gespenst der Marie für immer zu bannen.
Im dritten Bild erscheint Marie im Morgenmantel. Sie deckt das Bild in der Wohnung auf und zerstört es mit der Aufforderung, dass die Toten die Lebenden in Ruhe lassen sollen. Es kommt zu einer weiteren Prozession Szene, die Paul und Marietta nur von der Ferne sehen. Am rechten Bühnenrand sieht man im Lichterschein die Prozession vorbeiziehen. Marie bezichtigt Paul nun der übermäßigen Frömmelei. Die Prozession erscheint als Projektion im Bühnenraum, wieder albtraumhaft mit Fratzen, die Paul quälen. Zu allem Überfluss breitet sich nun auf der gesamten Bühne 128 km blondes Hanfseil aus. Das ist das tote Haar seiner Frau Marie, das Paul wie eine Reliquie ehrt. Diese Strähne entdeckt nun Marietta und zieht Paul damit auf, dass Ihr Haar doch viel geschmeidiger als das der Toten wäre. Dies bringt nun Paul so in Rage, dass er die in seinen Augen unwürdige Marietta mit dem Zopf erwürgt.
Es fällt der Vorhang. Paul erwacht aus dem Traum. Somit ist klar, der zweite und er halbe dritte Akt waren nur ein Albtraum. Seine Dienerin ist wieder da, die roten Rosen und Marietta lebt auch wieder. Marietta kommt, um die Strauß Rosen mitzunehmen. Sie fordert sogar Paul auf, mit ihm mitzugehen, was dieser jedoch ablehnt. Frank sieht Paul als von Visionen befreit an und fordert ihn auf, mit auf die Reise zu gehen. Die Oper endet noch einmal mit Mariettas Lied. Man meint nun, alles wäre gut. Hier lässt die Regie aber Zweifel aufkommen, denn unter dem Teppich kauert sich Paul erneut um ein Stück Hanfseil, das das tote Haar von Marie darstellt.
Die Oper ist wirklich ein ganz großer Wurf, sowohl vom Stück her, als auch von der Regie. Dmitri Jurowski bringt einen, in den besten Spuren von Strauß und Puccini, aufspielenden Korngold. Man findet viele Verweise auf die spätere Filmmusik, die der Komponist aus Not in Amerika komponiert hat. Er musste in den 30er Jahren vor den Nationalsozialisten fliehen. Mit Motivtechnik werden immer wieder die Melodien der Hauptnummern angespielt. Die Regie schafft es, das Abrutschen in den Albtraum sehr gezielt zu visualisieren. Sehr beeindruckend ist, wie das Haar als Faden aufgegriffen wird. Paul verfängt sich in den Überbleibseln seiner Marie im dritten Akt. Klar, dass keine wirkliche Frau, schon gar keine Tänzerin a la Anita Berber, diesem Ideal gerecht werden kann. Manuela Uhl als Darstellerin, die den Rausch lebt, kann niemals dem Ideal einer Frau gerecht werden, die bis in den Tod treu war. Das Ganze wird durch muss scheitern, was es hier in beeindruckender Weise tut. Dass die Rolle des Paul ein Kraftakt ist, war mir schon immer klar. Nicht zuletzt der durchgeschwitzte Darsteller des Paul am Ende, lässt keinen Zweifel offen: Die gespielte Schwäche im ersten Akt war real.
Quelle: YouTube | Semperoper Dresden
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