Fahrstuhl für Orpheus in die Unterwelt
Auch Orpheus und Eurydike sind im Hier und Jetzt angekommen. Orpheus ist ein Komponist und Geiger, der seine Ehefrau mit seiner Fiedelei aus der Fassung bringt. Sie haben ihre Geliebten in einem mehrstöckigen Gebäude im ersten Stock, in der Eurydike ihren Mann mit dem Schäfer und Honigverkäufer Aristeus betrügt. Am gleichen Stock eine Wohnung weiter betrügt Orpheus seine Frau ebenfalls mit einer Nymphe. Man ist reichlich voneinander genervt und wirft sich vor dem Fahrstuhl die gegenseitigen Fehltritte vor. Eurydike beschließt, sich ganz Aristeus und seinem veritablen Schäferhund Zerberus (Bongo im realen Leben) hinzugeben. Bisher hat eine Person dem Treiben zugesehen, die sich im Zuschauerraum aber lautstark zu Wort meldet. Es ist die öffentliche Meinung, in Person einer strengen Mittvierzigerin mit blonder Turmfrisur und grünem Kleid. Im Erdgeschoss bedient Eurydike in einem Friseursalon im Turbo-Gang ihre Kunden, die ihre Launen herhalten müssen. Da wird in Windeseile shampooniert, sodass die Kunden schon mal die Flucht ergreifen. Orpheus geht so lange zu seinen Orchesterkollegen in den Orchestergraben. An einer kleinen Kunstgrünfläche, die als Ersatz für das Getreidefeld herhalten muss, gibt sich Aristeus nach einer kurzen Umziehaktion als Pluto zu erkennen. Eurydike wird von einer Schlange gebissen, die Orpheus vorher aus dem Geigenkasten geholt und im Kunstgrün versteckt hat. Sie fällt tot um. Pluto schreibt noch einen Abschiedszettel, den er an die Friseursalontür hängt. Diesen Zettel liest nun Orpheus und freut sich diebisch, dass seine Frau nicht mehr lebt. Dies verkündet er gleich per Telefon und führt einen Freudentanz auf. Jetzt wird es der öffentlichen Meinung aber zu viel und sie schreitet ein. Angesichts seiner Stellung als Komponist und Musiker könne er sich ein solches Verhalten nicht leisten. Zeternd fährt sie mit ihm im Aufzug, der auch prompt auf dem Weg nach oben stecken bleibt. Zwei Monteure versuchen, die Panne zu beheben. Widerwillig folgt ihr Orpheus in den Olymp, zu dem sie der Fahrstuhl bringt.
Im Zwischenspiel sieht man die Szenen der Beziehung zwischen Orpheus und Eurydike, als sie sich als Kinder begegnet sind, als Teenager, dann als junge Erwachsene. Dabei wird klar, wie sehr Orpheus sich immer mehr seiner Geige und der Musik widmet und selbst die Gartenarbeit mit dem Rasenmäher seiner Frau überlässt. Man hat sich also über die Jahre gänzlich entfremdet.
Der nun folgende Götterolymp ist ein richtiges Altenheim. In Rollstühlen und an Gehhilfen hält sich die müde Götterschaft auf den Beinen. Manche liegen auf Tragen. Selbst der Götterherr Jupiter muss an den Tropf und liegt teilweise geschwächt am Boden. Die Immobilie Olymp steht zum baldigen Verkauf und es kommen immer wieder Interessenten vorbei, die von einer Immobilienmaklerin, der öffentlichen Meinung, durch das Olymp geführt werden. An dem Fahrstuhl hängt ein Schild: Attraktive Immobilie in Kürze frei. Am Dach steht eine Sat-Schüssel und die Düsenflugzeuge kreisen über dem Olymp. Als Interessenten steht da der Dalai Lama, Mohammed und Gott in der Warteschlange. Selbst der Götterbote Merkur kommt nur auf Tempo, weil ihn ein Pfleger mit schnell dem Rollstuhl durch die Gegend fährt. Merkur bringt die Botschaft, dass Pluto Eurydike in die Unterwelt entführt hat. Sogleich erhält der taufrische Pluto eine Vorladung von Jupiter. Pluto leugnet aber und es kommt zum Tumult bei den Göttern. In einer Powerpoint-Präsentation halten sie Jupiter die eigenen Verfehlungen vor. Jetzt kommt zu allem Unglück Jupiters auch noch die öffentliche Meinung in Begleitung von Orpheus aus dem Aufzug. Die öffentliche Meinung vor allem fordert Aufklärung und dass die Eheleute wieder zusammengeführt werden. Jupiter beschließt, mit seiner gesamten Gefolgschaft in die Unterwelt aufzubrechen und die Sache aufzuklären.
Kaum in der Unterwelt angekommen, klettert Eurydike aus dem schwarzen Sarg. Als Aufpasser hat Pluto Styx organisiert, der als Führer-Imitation auf die Bühne kommt. Er ist der Prinz von Arkadien, war ein großer Herrscher und ist jetzt schwer abhängig vom Wasser des Flusses Lete, des Flusses des Vergessens. In der Hölle tummeln sich in einem BMW auch Stalin, Gaddafi und Osama bin Laden. Über diesen Regieeinfall kann man nun geteilter Meinung sein. Jedenfalls scheint in der Hölle deutlich mehr los zu sein, als im Olymp. Eurydike wird in einer Toilette gefangen gehalten. Auf der Wand steht “fuck jupi", dennoch gelingt Jupiter herauszubekommen, dass hinter der Toilettentür Eurydike sitzt. Er beschließt, sich als Fliege zu verwandeln und durchs Schlüsselloch zu krabbeln. Das folgende Fliegenduett ist wirklich ein großer Wurf. Die in einer großen Projektion spielende Eurydike flirtet mit der Fliege, die immer frecher wird. Jupiter lässt sich als Fliege mal am Flügel kraulen, mal setzt er sich keck vor das Dekolleté. Dabei wird er an Seilen über die Projektionsfläche gezogen, was wirklich gut gelingt. Schließlich wird die Fliege von Eurydike gefangen. Summend verspricht er, sie aus dem Versteck zu entführen. Jetzt kommt der betrunkene Styx in die Toilette und Eurydike kann entkommen. Der herbeigeeilte Pluto kann nur noch ihre Flucht feststellen.
Im nun folgenden Höllen-Cancan zeigt die Unterwelt, was in ihr steckt. Die Götter sind alle in Violett angerückt. Eurydike ist als Bacchantin verkleidet und hofft während des Menuetts der Götter zu entkommen. Wer jetzt hier mit einem echten Cancan und fliegenden Röcken rechnet, wird enttäuscht. Die tanzenden alten Götter bringen das einfach nicht mehr hin. Jupiter ist von Eurydike ebenfalls angetan und flirtet heftig mit ihr, bis die Göttergattin Juno kommt und ihn abbringt. Die Party nimmt so richtig Fahrt auf, als die Diktatoren tablettweise Koks in die feiernden Götter blasen. Man sieht Marilyn Monroe, eine tanzenden Michael Jackson, Lady Di, Jackie Kennedy und Amy Winehouse und viele andere mehr. Immer wieder versucht, Jupiter seiner Frau zu entkommen und Eurydike zur Flucht zu verhelfen. Juno und die öffentliche Meinung fordern aber, Eurydike ihrem Mann zurückzugeben. Jupiter stellt aber die Bedingung, dass er 15 Schritte in Richtung Ausgang gehen müsse, ohne sich umzudrehen. Durch einen Blitzschlag, ausgelöst durch eine Digitalkamera von Jupiter, dreht sich aber Orpheus um und seine Frau muss als Bacchantin bei den Göttern bleiben. Orpheus muss allein in die Oberwelt zurück, was ihm nicht unangenehm erscheint. Die öffentliche Meinung ist im Schlussbild gefesselt an einer Dancing-Pole.
Man mag Laura Scozzi, oder man mag sie nicht. Die Inszenierung ist eine Zusammenarbeit mit Stadttheater Bern, der Opéra National de Bordeaux und der Opéra Municipale de la ville de Marseille. Sehr temporeich und reichlich entstaubt kommt diese Operette von Jacques Offenbach daher. Wer mit dem Operettenstaub einer Anneliese Rothenberger rechnet, wird hier mit einer frivolen Spielvariante konfrontiert, die wesentlich näher an den Wurzeln der Operette ist. In der etwas hibbeligen Friseuse Eurydike kann man auch das Alter-Ego von Laura Scozzi sehen. Sehr temporeich spielt sie sich durch die vier Bilder. Wenn dann noch ein charmanter Pluto (Tilman Lichdi) dabei ist und ein etwas tappiger Götterherrscher Pluto (Martin Berner) kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen. Gerade die Szene mit den Diktatoren ist sicher nicht ohne, muss man aber eher als britischen Humor à la Monty Python sehen. Operette ist, wenn man trotzdem lacht.
Quelle: Staatstheater Nürnberg
Kritik Nürnberger Zeitung: Opernhaus: Offenbachs “Orpheus in der Unterwelt”
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