In den Staatsarchiven von Gerolstein
Hach Gerolstein, was hat man Dir nur alles angetan. Eigentlich ist der Stoff in Nürnberg hinreichend belastet, so dass es bei einer Aufführung in den Nuller-Jahren zu einem handfesten Rechtsstreit gekommen ist, nach einer misslungenen Premiere. Auch die Aufführung 2013 im Fürther Stadttheater, wo Gerolstein als Tourismus-Zentrale dargestellt wurde, war nicht bei jedem willkommen. Jetzt verlegt Andreas Kriegenburg die Soldatenmannschaft von Gerolstein 2023 in ein verstaubtes Staatsarchiv, wo die kleinen grauen Mäuse von Gerolstein mit Rohrpost und Telefonkabeln die Verwaltung von Gerolstein organisieren. Dabei geht eigentlich die Kritik am Militarismus dahin, was in den ersten Minuten etwas unbeholfen und peinlich wirkt, dann im Laufe des dreistündigen Abends über die drei Akte hinweg doch sehr quirlig und unterhaltsam ist.
Im ersten Akt steht man in den riesigen Staatsarchiven von Gerolstein. Bis obenhin scheinen sich die brauen Fächer mit den Aktenbergen von Gerolstein zu türmen. Es gibt eine Rohrpost und eine Telefonanlage. In der Mitte ist eine Säule aus vielen Fächern angelegt. Es folgt eine etwas längliche Ansprache von Nepomuk, der seine Angestellten auf eine Woche voller Staub und Akten einschwört. Als einer Mischung aus anarchischer Archiv-Minions folgt der Chor der vielleicht etwas zu lang geratenen Ansprache von Nepomuk, der mehrfach den Faden verliert und sich in einem Retro-Mikrofon heillos verheddert. In dem Moment denkt man, das schleppt sich, als dann aber die Musik einsetzt, ist der etwas längliche Einstieg schnell vergessen. Gesungen und gesprochen wird in Nürnberg in Deutsch und das ausnehmend schnell, die Operette hat ein ziemliches Tempo, sodass man schnell sein muss im Mitlesen. Es gibt einen Buzzer, der immer wieder gedrückt wird und den Applaus unterbricht. Dass man etwas die Gendersprache mit den Soldat:innen auf die Schippe nimmt, nehme zumindest ich belustigt zur Kenntnis. Schwierig in der Orientierung der Hauptdarsteller macht es allerdings, dass die Darsteller:innen (der musste jetzt sein), alle gleichförmige, schwarze Perücken tragen und in ihren grauen Uniformen gleich aussehen. So tauchen Fritz und Wanda in diesem Gewusel schnell unter. Als der Chor verschwunden ist, muss man die Gelenkigkeit von Martin Platz bewundern, der sich in einem Ausziehschub zwängt. In der Schublade singen Wanda und Fritz dann ein Liebesduett. In die Wanda ist aber auch der böse Bass General Bumm verliebt. Es folgt der Auftritt der Großherzogin, die sich darüber echauffiert, dass ihre Angestellten in den Archiv-Gewölben nur schwarzen Kaffee trinken, sie verordnet ihnen Milch und Zucker. Die Großherzogin ist eine Mischung aus Yoko Ono und Greta Garbo in einem weißen Hosenanzug. In einem Flachmann sorgt sie für einen gewissen Alkoholpegel und sie scheint nicht mehr nüchtern zu sein. Während sie jetzt ebenfalls ein Auge auf Fritz geworfen hat, lässt sie den Schönling Prinz Paul im limonenfarbenene Anzug abblitzen. Der bekommt über einen Artikel in der holländischen Klatschpresse einen veritablen Wutanfall, die ihn wegen der gescheiterten Annäherung an die Großherzogin hochnimmt. Was käme denn schon aus Holland: Tulpen, Käse und ABBA! Es folgt eine kurze Choreinlage mit Super Trouper und nach seiner Arie zerfetzt Prinz Paul das Klatschblatt. Die Großherzogin lässt ihn mehrfach warten, worüber sich das Klatschblatt lustig macht. Es wird ein großer Schlachtplan ausgerollt und General Bumm erklärt seine Strategie im Krieg, die Fritz gar nicht gut findet. Im Nu befördert die Großherzogin Fritz vom Soldaten zum General. Einmal kurz stellt sich Fritz vor das Orchester und man hört ‚my heart will go on‘ mit einem Titanic-Zitat. Mit seinem Schlachtplan soll das Heer in den Krieg ziehen, der eigentlich nur zur Unterhaltung der Großherzogin angezettelt wurde. Nicht nur dass die Großherzogin eine Nähe zum Alkohol hat, sie fällt auch mit vielen Pillen gegen Ende des ersten Aktes in Ohnmacht. Wie auch sonst das Konfetti, werden auch die Pillen von einer männlichen Reinigungskraft mit Wischmop weggewischt. Fritz bekommt den Säbel des Vaters der Großherzogin und muss in die Schlacht.
Im zweiten Akt bekommt man aber dann wirklich die Kurve. Sie beginnt mit einer Tanzeinlage des Verschwörertrios (Paul, Bumm, Puck), die ganz virtuos ist. Fritz kehrt mit seiner Kampfstrategie siegreich aus dem Krieg zurück. Fritz bringt den Säbel zurück und die Großherzogin schlägt vor, den direkt ins Germanische Nationalmuseum bringen zu lassen. Die Großherzogin tauscht jetzt ihren weißen Anzug auf der Bühne gegen die rote Galarobe ein, die sie auch auf dem Portrait auf der Bühne trägt. Es kommt zu einem Annäherungsversuch der Großherzogin an Fritz, aber dadurch, dass sie ihre Zuneigung nicht direkt aussprechen kann, muss sie Fritz auch noch adeln. Aber Fritz ist immer noch fest mit Wanda liiert, daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass er mal kurz unter dem Reifrock der Großherzogin verschwindet. Es hilft aber alles nichts, Fritz ist seiner Wanda treu, für die er auch aus den Schubkästen einen Brautschleier hervorzieht. Fritz besteht auf die Hochzeit mit seiner Wanda. Die Großherzogin ist verzweifelt und greift zu einer großen Packung Pralinen und versucht einen neuen Partner im Orchester zu finden. Inzwischen bahnt sich ein Komplott von Paul und Puck an, die Fritz als Emporkömmling einen Denkzettel verpassen wollen.
Im dritten Akt beschließt die Großherzogin das Komplott gegen Fritz aus der Loge heraus zu beobachten. Erst wenn das Glockenspiel ertönt, soll die Falle für Fritz zuschlagen. Fritz und Wanda begeben sich in ein aufgestelltes Gitterbett und wollen sich zur Nachtruhe betten. Baron Grog im orangefarbenen Anzug spricht fließend holländisch und verrollt sich aber aus dem Schlafgemacht. Wanda ist scheinbar Britin und bekommt einen veritablen Wutanfall beim Annäherungsversuch von Fritz. Es folgt ein spontaner Kriegseinsatz von Fritz, der die Hochzeitsnacht verhindert. Es folgt ein wunderbarer Cancan mit Aktenordnern vom Chor aufgeführt. Diese Passage, war auch mir neu, da sie in einigen Ausführungen der Operette fehlt. Die Großherzogin versucht sich erst noch an Baron Grog, entschließt sich aber dann doch, Paul zu heiraten. Fritz gerät in einen Hinterhalt und wird übel hergerichtet von einem vermeintlichen Nebenbuhler. Die Großherzogin hat das Interesse an Fritz verloren, degradiert ihn und Fritz kann endlich seine Wanda heiraten.
Was im ersten Akt noch etwas schlingert, gewinnt dann nach der Pause deutlich an Fahrt. Das Thema Gerolstein ist eigentlich in Nürnberg verbrannt, weshalb es kein Problem war, noch Karten für die Premiere zu bekommen. Ich finde, man unterschätzt Offenbach immer etwas. Die Operette mit ihren tollen Musiknummer war in Paris ein großer Erfolg. In der Aufführung passiert so viel, dass ich gerne ein zweite Mal reingehe, um mir das Aktendrama von Gerolstein ein weiteres Mal anzusehen. Lutz de Veer dirigiert musikalisch mit viel Tempo und ansprechend durch die Operette. Nicht immer gelingt jeder Gag, daher kann man geteilter Meinung über die Inszenierung sein, die mit ihrer Verlegung in die Bürowelt etwas von der Militärkritik verliert. Der Einbau von ein paar Kunstpausen, damit das Publikum Zeit zum Klatschen hätte, wären auch gut. Manchmal wird der Applaus einfach weggebuzzert, was ich etwas schade fand.
Quelle: YouTube | Staatstheater-Nürnberg
Kritik in der Süddeutschen Zeitung
Kritik des BR
Kritik der NMZ
Kritik in den Nürnberger Nachrichten
1 Kommentar
Kommentar von: Nebelkrähe Besucher

Klasse beschrieben, Kopf Kino vom feinsten