Krieg und Frieden - ein Neuanfang
Vieles ist neu am Staatstheater Nürnberg, so auch der Einstieg in die diesjährige Saison mit der Oper Krieg und Frieden von Sergei Prokofjew. Aus der Romanvorlage von Tolstoi mit fast 2000 Seiten komponierte Prokofjew in späten Jahren eine Oper mit 72 Rollen und vier Stunden Dauer. Diese ausufernde Besetzungsliste ist natürlich von fast keinem Haus zu stemmen, sodass man sich hier auf eine Kürzung auf 3 h einließ und eine Reduktion der Hauptrollen auf 50 Partien, die von 24 Solisten gesungen werden. Es handelt sich um ein Spätwerk des Komponisten, das auf den Wunsch der KPdSU mehrfach umgearbeitet werden musste. Eine vollständige Aufführung gab es erst nach seinem Tod im Jahre 1959. Zudem strich man in Nürnberg viele patriotische Chöre, von denen aber vor allem im zweiten Akt noch genug übrig bleiben. Man hat etwas den schalen Eindruck einer Propagandaoper, die das russische Volk und die Heldentaten der Armee preist. Die Oper startet zudem erst auf Seite 736 des Werks und müsste eigentlich: Frieden und Krieg heißen. Sie beginnt im Frieden und endet im Krieg. Im Wesentlichen beschränkt man sich in Nürnberg auf die drei Hauptpersonen: Natascha Rostowa, eine 15-jährige Tochter des niederen Adels, Fürst Andrei Bolkonski, ein 31-jähriger Witwer und Pierre Besuchow, ein reicher Russe, der den Sinn des Lebens sucht. Die Rahmenhandlung wird mit Texteinblendungen kommentiert, damit man die einzelnen Szenen einordnen kann. Das Bühnenbild von Mathis Neidhardt besteht aus abgenutzten, schwarzen Wänden, die unglaublich wandlungsfähig sind und in den einzelnen Szenenbildern immer wieder neue Räume erschaffen. Regie führte dabei Jens-Daniel Herzog.
Die erste Szene spielt in einem angedeuteten Birkenhain, Andrei Bolkonski belauscht Natascha Rostowa und vermutet, dass es noch mehr zu entdecken gibt in dieser Welt. In einer zweiten Szene öffnet sich ein Ballsaal in St. Petersburg. Deckenlüster werden heruntergelassen, ein roter Teppich wird für den Zaren ausgerollt. Eine russische Folklore-Truppe tritt auf. Es ist eine der Schlüsselszenen der Oper, in der alle Figuren eingeführt werden. Es wird Walzer getanzt, der ein Motiv einführt, das man immer wieder erklingen hört. Auch die Rufe des Dolochow zum Tanz klingen düster. Dennoch wird Andrei von Pierre, seinem Freund aufgefordert mit Natascha zu tanzen. Der Vater von Natascha verzockt derweil das Familienvermögen am Spieltisch links in der Szene. Im nächsten Bild trifft die junge Natascha auf den alten Fürsten Bolkonski. Andreis Vater ist gänzlich gegen die Verlobung seines Sohnes mit Natascha. Warum dieser aber in Unterhosen auftreten muss, gehört sich eigentlich für den höheren Adel überhaupt nicht. Hinter seinem Schreibtisch wirkt er wie ein Funktionär. Andreis Schwester tröstet Natascha über die Zurückweisung des alten Bolkonski. Man verordnet dem Paar ein Jahr Pause, was für die junge Natascha eine unglaublich lange Zeit ist. Andrei soll sich von seinen Kriegswunden in der Schlacht von Austerlitz erholen. Auf einem roten Sofa feiern in einer weiteren Szene Helene Besuchow und ihr schöner Bruder Anatol. Auf dieser Feier kommen sich Natascha und Anatol näher, und obwohl dieser verheiratet ist, verspricht er Natascha die Ehe. Auf Monitoren flimmern schon erste Bilder von Napoleon über zwei Monitore. Im nächsten Bild sieht man eine Waffenkammer Dolochow in einer Landvilla. Anatol und Dolochow schmieden einen Plan zur Entführung von Natascha. Nebenbei erledigt eine Dame unter dem Zobelmantel an Anatol eine Dienstleistung. Mit einem Zobelmantel wollen sie Natascha aus dem Haus der Achrossimowa entführen. Der Plan scheitert aber durch Verrat. Pierre klärt Natascha auf, dass Anatol bereits verheiratet ist und eine Ehe unmöglich ist. Sie sieht sich daraufhin für Andrei unwürdig. Aber eine neue Chance tut sich auf, denn Pierre gesteht ihr seine Liebe. Nun sieht man auch eine Ahnengalerie mit bekannten Russen inklusive Raumfahrer. In der Mitte steht ein Klavier mit dem Bildnis des Komponisten. In einer weiteren Szene ist man in einer Garderobe mit vier Schminkspiegeln. Pierre stellt Anatol zur Rede und fordert ihn zur Abreise aus Moskau auf. Die Szene wird gestört durch die Nachricht, dass die Franzosen vor Moskau sind. Diese brechen dann gleich lautstark durch die Wand.
Im zweiten Akt sieht man die russische Armee Schanzen errichten. Durch Quader entsteht ein hohler Gang, durch den die Soldaten kriechen. Andrei steht oben auf der Schanze und überwacht die Bauarbeiten. Die russischen Soldaten wissen sich nicht anders zu helfen, als Napoleon zu verspotten. Sie spielen die Übergabe Moskaus an die Franzosen durch die Stadtoberen durch. Der Koch gibt vor, einen Tierhuf zuzubereiten. Sie verkleinern die Schanze immer weiter, bis nur noch die Napoleon-Imitation auf einem Sockel mit einer silbernen Bombe steht. Diese detoniert dann, wobei es viele Tote gibt. Es tritt der General Kutusow mit grüner Jacke auf, der die vielen Verwundeten sieht und schließlich den Rückzug befiehlt. Die Franzosen fallen in Moskau ein und finden eine weitgehend leere Stadt vor. Die Franzosen tragen die Wertgegenstände aus den Palästen zusammen, ein Teil der Besatzer macht sich einen Schabernack und verkleidet sich als Frauen. Die verbleibenden Russen zünden eher Vorräte und Häuser an, bevor man das alles den Franzosen überlässt. Pierre gehört ebenfalls zu den Brandstiftern und soll hingerichtet werden. Als er sich aber als Adliger zu erkennen gibt, begnadigt man ihn. Ihm Bühnenhintergrund sieht man Moskau nun brennen. Die Rückwand der Bühne klappt unter lautem Krachen um. Napoleon tritt auf und bewundert die Entschlossenheit der Bevölkerung, versteht ihre Taktik aber nicht. Auf der Bühne machen sich nun die Franzosen an den Moskauerinnen zu schaffen, bevor sie endgültig den Rückzug antreten. In einer Zwischenszene sieht man Andrei, dieser träumt von Sphinxen und ist im Fieberwahn. Natascha pflegt ihm im Krankenbett, ein letztes Mal bäumt er sich auf. Wieder erklingt der Walzer aus St. Petersburg. Für Andrei ist es aber zu spät, er stirbt an den Folgen der Kriegsverletzungen. Über die umgekippte Wand kriechen nun die Franzosen zurück nach Hause. Es schneit auf der Bühne und sie sind geschwächt von Hunger und der Kälte. Von allen Seiten sind sie jetzt umzingelt von der russischen Armee. Im Nachsatz von Krieg und Frieden finden sich Pierre und Natascha schließlich, was hier aber nicht mehr erzählt wird. Mit einem gewaltigen Schlusstableau und einem Loblied auf die russische Armee endet die Oper.
Sicher hat man mit diesem Werk ein interessantes monumentales Stück auf den Spielplan gesetzt. Die Musik ist dabei nicht so modern, wie man vielleicht vermuten könnte für ein Stück, das 1946 entstanden ist. Es ist durchkomponiert, aber bis auf den Walzer in St. Petersburg, bleibt einem wenig im Gedächtnis. Man muss dieses Stück vielleicht auch im Entstehungskontext nach dem Zweiten Weltkrieg und einer erneuten Besatzung durch eine fremde Macht sehen. Gesungen wird in russischer Sprache, was relativ gut gelingt. Auch wenn Zurab Zurabishvili für einen Pierre vielleicht etwas zu alt ist, hat er neben Jochen Kupfer als Andrei und Eleonore Marguerre als Natascha, doch sehr überzeugen können. Leider blieben an diesem 3. Oktober viele Plätze leer. Den meisten Applaus hat dagegen Joana Mallwitz für ihr engagiertes Dirigat bekommen. Ein zweiter Vorhang und die Bravo-Rufe einzelner Zuschauer waren ihr sicher.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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