Siegfried – Helden in Schlabberhosen
Im Nürnberger Opernhaus findet derzeit der Ring seine Fortsetzung. Peter Schmiedleitner nimmt den übergroßen Pathos dieses Werks dabei reichlich aufs Korn. Während im Orchestergraben die große Wagnermaschinerie ein Tosen hervorbringt, geht es auf der Bühne teilweise recht prollig zu. Die Endzeitstimmung der beiden ersten Teile findet ihre Fortsetzung. Man erkennt viele Teile der vorherigen Inszenierungen wieder und ist teils entrüstet, teils amüsiert, was der Regisseur mit dem Siegfried so anstellt. Eines ist sicher, es ist dabei alles andere als langweilig auf der Bühne.
So ist denn Siegfrieds Kinderstube bei Mime eine etwas unaufgeräumte Zweier-WG mit Backofen, Kühlschrank, Doppelstockbett und eigener Waschmaschine. Es gibt einen Laufsteg in die weite Welt im linken Bereich. Die Wohnung hat einen grünen Teppich. Im Backofen hat Mime eine Flasche Hochprozentiges versteckt, aus der er immer wieder mal einen Schluck nimmt, aus Kummer, weil er Nothung, das Schwert nicht schmieden kann. Derweil hält er den Haushalt aufrecht und wäscht mit der Waschmaschine die Wäsche von Siegfried. Mit Eiern und Cornflakes bereitet er ihm seinen Brei, damit der groß und stark wird und ihm den Ring und den Tarnhelm von Fafner, dem Wurm bringen kann. Siegfried hat eine rote Schlabberhose an, ein orangefarbenes T-Shirt und rote Hosenträger. Als er von der Jagd kommt, bringt er gleich eine ganze Bärenbande mit, was Mime sehr missfällt. Von den Beobachtungen der Natur angeregt, stellt Siegfried fest, dass Mime nie sein Vater sein kann und bricht noch einmal auf. In der Zwischenzeit taucht Wotan auf. Auch er kommt nicht so richtig als Gott daher, sondern hat eine rote Baseballkappe auf und einen Einkaufstrolley. Darin hat er die Zeitung und liest immer wieder darin. Bei der nun folgenden Rätselszene kommt immer wieder ein Scheinwerfer zum Einsatz, so dass ein weißer Stuhl, quasi wie in einer Quizshow Platz für den Befragten bietet. Als Erstes ist Wotan von Mime mit drei Fragen nach den Bewohnern der Welt dran. Es geht um nichts anderes, als um Wotans Kopf, wenn er die Fragen nicht beantwortet. Als diese richtig beantwortet sind, nimmt Mime auf dem Quizstuhl Platz und Wotan stellt die Fragen. Bei den ersten beiden Fragen ist Mime noch gut dabei. Bei der Beantwortung, wer der Schwert schmieden soll, das im Streit in der Walküre an Wotans Speer zu Bruch ging, scheitert er aber. Da hilft auch kein Publikumsjoker, Mime wird zwar nicht sofort, aber im Laufe der Handlung, seinen Kopf verlieren. Es kehrt Siegfried von der Jagd zurück und Mime hat sich nun ganz auf den Haushalt und das Hochprozentige verlegt. Während der Schmiedeszene, die nun folgt, randaliert Mime stockbetrunken in seiner eigenen Wohnung. In der Zwischenzeit stößt ein Ofen immer wieder richtiges Feuer im Rhythmus zur Musik aus. Siegfried steht bei der Schmiedeszene teilweise auf der Waschmaschine und fächelt mit einem Backblech dem Feuer frische Luft zu. Durch Einschmelzen von Nothung gelingt Siegfried schließlich, das Schwert neu zu schmieden. Mit einem Pyrotechnikeinsatz knallt es ziemlich, als Siegfried schließlich am Ende des Aktes auf die Deckenlampe und den Kühlschrank einschlägt.
Im zweiten Akt begegnen sich der Licht- und der Nachtalb. Wotan und Alberich streiten von der Neidhöhle um den Ring und um die Vorgeschichte, was im Rheingold alles so schief gelaufen sei. Die Szenerie ist eine zerbrochene Autobahn, an deren Rand eine Kinderblechrutsche steht. Beide wollen sie den Ring, der von Fafner bewacht wird. Wotan sagt aber, dass sein Plan schließlich aufgehen wird, denn Siegfried sei mit seinem Bruder Mime unterwegs zur Neidhöhle. Siegfried soll hier von Mime das Fürchten lernen, denn der Schlund des Drachenwurms wäre gar furchterregend. Die beiden Alben können sich aber nicht leiden. In der Diskussion pinkelt Alberich schließlich auf Wotan. Wotan rächt sich etwas später mit einer Spuckattacke. Die beiden gehen weg und machen nun Platz für Siegfried und Mime. Genauer gesagt gibt es einen doppelten Siegfried. Der Hornist aus dem Orchester kommt als Look-a-like von Siegfried auf die Bühne und provoziert den Drachen mit seinen Hornrufen vor der Höhle. Vorher unternimmt er noch eine Fahrt auf der Rutsche. Schließlich wacht Fafner auf, die gesamte Autobahn fängt nun sich an zu bewegen zu den Wagnertuben und wird von unten hinterleuchtet. Fafner kommt nun selbst auf die Bühne und es kommt zum Gerangel zwischen Siegfried und Fafner. Dabei darf der Held kopfüber singend nach dem Schwert greifen und schließlich den Drachen töten. Ein echter Held kann so etwas. In dem Blut des Drachen badet schließlich Siegfried und kann im Anschluss sogar den Waldvogel verstehen. Der kommt in schwarz, mit Luftballons als Flughilfe und auf Krücken daher. Dass die schwarzen Miniflügel für einen Flug in den Bühnenhimmel nicht reichen, ist klar. Da müssen schon die bunten Ballons nachhelfen. Siegfried holt sich also Ring und einen goldene Tarnweste aus dem Schatz des Drachenwurms. Das Drachenblut lässt ihn aber auch Mimes wahre Absichten verstehen. So fliegt Mime nun auf, dass es ihm nur um den Ring geht, er Siegfried nur missbraucht hat und eigentlich gar nicht mag. Als er schließlich Mordabsichten in Form eines Giftanschlags auf Siegfried äußert, rächt sich Siegfried und bringt Mime um. Die beiden liegen dann nun recht plakativ auf dem Autobahn-Ende vor der Neidhöhle. Unterdessen weißt der Waldvogel Siegfried den Weg zum Feuerfelsen von Brünnhilde.
Auf dem Weg zum Walkürenfelsen kommt man schließlich an eine Autobahntoilette vorbei. An der Wand steht das ausgestrichene Siegmund aus der Walküre. Das scheint der ideale Platz für eine Ehediskussion zwischen Erda und Wotan zu sein. Um für seine erste Frau, mit der er die Walküren gezeugt hat, Platz zu machen, muss er erst mal die Männer aus der Toilette rauswerfen. Dann wird eilig ein Picknick mit Klappstühlen improvisiert und Erda aus der Bühnenversenkung gerufen. Die kommt mit elegantem Abendkleid, aber mit blankem Busen zum tete-a-tete mit Wotan. Wotan ist ganz begeistert, dass alles so nach Plan läuft. Den Zahn zieht im Erda aber, als sie meint: Der Held, den du förderst, wird dein Ende einläuten. Die Weissagung von Erda ärgert ihn und er schickt sie zurück mit Augenbinde in die Versenkung. Siegfried in Begleitung des Waldvogels trifft nun auf Wotan. Vorher muss aber auch mal Siegfried kurz für kleine Jungs. Dann nimmt er aber den Kampf mit Wotan auf und bricht schließlich im Kampf dessen Stab. Für Siegfried ist Wotan nur ein lästiger Alter, der ihn vom Weg zum Walkürenfelsen abhalten will. Während des Feuerzaubers steht Siegfried allein vor der geschlossenen Bühne. Auf den weißen Bühnenrahmen werden Flammen projiziert und das Orchester dreht voll auf. Schließlich sieht man einen weißen Stoffhimmel, auf dem Brünnhilde schläft. Von der Walküre kennt man noch den Spruch: Wir rufen Dich, der auf dem Altar liegt, wo Brünnhilde schläft. Es regnet bunte Blüten vom Bühnenhimmel. So recht weiß Siegfried nicht, wie er Brünnhilde wecken soll. Er entschließt sich aber für die klassische Kuss-Variante, da rufen nicht zu helfen scheint. Auf der einen Seite, ist er von dem Anblick einer Frau ziemlich verwirrt und fürchtet sich nun fast. Das Aufstehen ist dabei für Brünnhilde nicht so leicht und braucht drei Anläufe, bis sie wach ist. Auf der anderen Seite ist Brünnhilde erwacht und fällt auf der Bühne gleich über Siegfried her. Schließlich besinnt sie sich ihres Verlustes und zögert etwas. In den Vorhängen des Gemachs wird teilweise Versteck gespielt. Als sie dann doch einwilligt, Siegfrieds Frau zu werden, holt Siegfried die Ledercouch aus dem Rheingold auf die Bühne. Sie machen es sich gemütlich, Nothung dient als Flaschenöffner für zwei Bierflaschen und Brünnhilde holt schnell noch Sekt und Chips. Um es noch heimlicher zu machen, holt Siegfried noch einen Flachbildschirm auf die Bühne. Es fährt zum Finale ein Hochzeitstisch mit Torte aus dem Bühnenboden. Am Rande steht ein Tod auf der Bühne, der im Finale besungen wird. Chips essend endet nun dieser Siegfried.
Wie man auch zu diesem Regieansatz stehen mag, das Orchester und die Sänger liefern einen großartigen musikalischen Rahmen. Markus Bosch dirigiert sehr einfühlsam und lässt den Sängern den Raum, mit ihren Textpassagen durchzudringen. Andererseits versteht er es auch wie im Feuerzauber, voll aufzudrehen, sich aber kurz darauf bei Brünnhildes Erwachen stark zurückzunehmen. Die Punkte gehen diesmal voll auf das Konto der Musik. Am Ende des ersten Aktes ist ein wahrer Aufschrei im Publikum zu hören, der von Begeisterung zeigt. Siegfried hatte das Schicksal, nicht nur gegen den Drachen und die ellenlange Partie, sondern auch mit den Birkenpollen kämpfen zu müssen. Aber selbst eine ausgeruhte Brünnhilde konnte ihn nicht aus der Fassung bringen. Das Rollendebüt für Vincent Wolfsteiner gelingt also trotz der Launen der Natur. In der Presse kam Rachel Tovey als Brünnhilde nicht so gut weg. Dies war in der zweiten Aufführung deutlich besser und weniger schrill scheinbar als in der Premiere. Allerdings habe ich selten so einen schönen Mime wie hier gehört. Die Rolle verlangt eher eine Art Sprechgesang, was hier Peter Galliard sehr melodisch anging. Die Launen der Regie ertrug das Publikum in der zweiten Vorführung aber mit Fassung. So gab es nur ein leises Buh gegen Ende des zweiten Akts. Die Frage ist nun, darf die Regie so etwas machen? Ich war nun auch in einer Bühnenorchesterprobe und habe die Intention des Regisseurs verstanden, gottverlasse Orte am Rande der Zivilisation zu inszenieren, an denen sich kein Gott und kein Mensch mehr aufhalten möchten. Daher auch die Idee mit der kaputten Autobahn und der Raststätte. Es regieren im Rheingold nicht mehr die edlen Götter, sondern eher die prolligen Helden in Schlabberhosen, die ihr Glück darin sehen, Chips essend auf einer Couch beim Fernsehen zu sitzen. Mit dem Siegfried wurde schließlich der Teil des Rings aufgenommen, den ich selbst am öftesten gesehen habe. Ich war in den 5 ¼ Stunden jedenfalls gut unterhalten, was hauptsächlich an der Musik lag, aber auch an den vielen Regieeinfällen.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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