Wer das Libretto von Cole Porters ‚Kiss me, Kate!‘ liest, fragt sich, ob das wirklich ausreichend Stoff ist, den Zuschauer fast drei Stunden zu unterhalten. Die Inszenierung von Thomas Enzinger geht dabei locker mit dem 20. Jahrhundert um. Man befindet sich in einer Zeit, wo Gamaschen der 20er Jahre neben den Handys der späten 90er Jahre existieren dürfen. Die Kostüme von Toto wildern dagegen wirklich in der Shakespearezeit. Ein knallrotes Suspensorium des schwarz/rot gekleideten Hauptdarsteller ist schon eine gewagte Nummer. Für die Damen der Schöpfung gibt es Männer in Netzhemden und Strumpfhosen und es geht reichlich kokett auf der Bühne zu. Das täuscht vielleicht etwas, um den etwas verqueren Ansatz des Shakespearestückes hinweg, dass es für eine Frau nur eine ordentliche Tracht Prügel braucht, damit sie zahm wird. Die Vorlage könnte man heute keinesfalls so lassen, das wäre politisch nicht mehr korrekt. Aber gut, daran scheint man sich in den 50er Jahren, als dieses Stück im Stück entstanden ist, noch nicht gestört zu haben.
Zu Beginn des ersten Aktes sieht man Shakespeare übergroß auf einem Vorhang aufgedruckt. Fred Graham und seine Ex-Frau Lilli Vanessi sollen die Hauptrollen im Shakespearestück „Der Widerspenstigen Zähmung" in Baltimore spielen. In zwei gegenüberliegenden Bühnengarderoben hat man reichlich Zeit, sich vor der Vorstellung anzugiften. Dabei wirft Lilli mit Spicker auf ein Konterfei ihres Ex-Mannes als Cyrano. Außerdem telefoniert sie demonstrativ mit ihrem neuen Liebhaber, einem General Harrison Howell per Handy. Dabei hätten die Handys doch längst ausgeschaltet gehört. Man schwelgt aber dennoch in der Erinnerung längst vergangener Zeit mit dem Titel „Wunderbar“. Aber auch Fred ist in der Klemme. Ein Ensemblemitglied hat im Namen von Fred einen Schuldschein beim Kartenspiel über 10000 Dollar unterschrieben. Das ruft nun zwei Ganoven auf den Plan in Form von Heißmann und Rassau, dem Komiker-Duo aus Fürth. Fred streitet zunächst ab, einen solchen Schuldschein gezeichnet zu haben. Fred bandelt mit einer ehemaligen Bardame namens Lois Lane aus dem Ensemble an. Ihr will er auch einen Blumenstrauß zuschicken, der vor der Premiere aber fälschlicherweise bei Lilli landet. Den Brief konfisziert Lilli sogleich, da sie sich in dem Moment wirklich über den Strauß von Fred freut. Aber die Zündschnur für eine Explosion während der Vorstellung ist gelegt. Auch wenn sie nach dem Blumenstrauß verspricht, nie mehr Drecksack zu ihrem Ex-Mann zu sagen, ist klar, dass das Versprechen nicht lange halten wird. Auf der Bühne des Stücks im Stück steht eine große Statue von Shakespeare. Fred tauscht den Kopf der Statue aus und setzt seinen eigenen Kopf auf. Nun beginnen Sequenzen aus dem Shakespearestück. Mit einem Schlagzeug macht man Slapstickgeräusche, wenn sich Fred wieder mal an den Schritt langt, oder der alte Vater von Kate mit knarrenden Geräuschen auftritt. Nun kommt es auf offener Bühne zur echten Auseinandersetzung der Hauptdarsteller. Mit einer Motorsäge geht Lilli auf eine Puppe los und sagt, dass sie so mit jedem Mann verfahren würde (Nur kein Mann). Auch fällt wieder das Wort Drecksack, als sie den Brief aufmacht, der natürlich nicht für sie gedacht war. Auf offener Bühne ohrfeigt Lilli ihren Ex-Mann Fred und beißt ihm ins Ohr. Wenig später rächt sich dieser mit einer ordentlichen Tracht Prügel für Lilli, sodass diese für den Rest des Stücks nur noch unter Schmerzen sitzen kann. Sie weigert sich nun weiterzuspielen. Da kommt Fred der rettende Einfall und er hetzt die beiden Ganoven auf Lilli, damit sie den Abend fertig spielt. Fortan begleiten die Gangster mit Pistolen die Auftritte von Lilli. Auch wenn die Gangster immer wieder um sich ballern und selbst einen mechanischen Vogel von der Decke abschießen, es bleibt schwierig. Die Premiere steht immer kurz vor dem Scheitern, trotz Flitter im Finale des ersten Akts.
Zu Beginn des zweiten Aktes sieht man nun die Sänger des Stücks vor einer Backsteinwand. Darauf ist ein Graffiti ‚Kiss me, Kate!‘. Es steht ein Kühlschrank auf der Bühne, aus dem man scheinbar kalte Getränke holen kann. Fred muss schließlich eine Szene streichen, bei der Lilli auf einem Esel sitzen soll. Es wird weitergespielt, allerdings stirbt plötzlich der Auftraggeber, der die Schulden für den Schuldschein haben will. Die Gangster lassen von Lilli ab, vorher machen sie aber noch ein Selfie mit einem Selfie-Stick. Es erscheint ihr Liebhaber, der General, der sie nun retten und heiraten will. Vor einem Transparent der National Rifle Association posiert man nun die Liebe zur Waffe. Aber auch der General ist in Sachen Liebe kein unbeschriebenes Blatt und hatte ebenfalls eine Affäre mit Lois Lane hatte, genauer gesagt er hatte zwei Affären. Sie bekam damals Juwelen von dem General. Er bittet Lois, sich für die ersten drei Monate der Ehe mit Lilli bedeckt zu halten, danach hätte er aber schon wieder Bedarf. Es kommt, was kommen muss, Lilli packt während der Aufführung die Koffer und verlässt Fred noch in der Vorstellung. Nun treten die Gangster vor die Bühne und singen ihr ‚Schlag nach bei Shakespeare‘. Dabei treten sie dreimal auf und geben eigene Variationen des Liedtextes mit Regionalbezug zum Besten. Beim entscheidenden Auftritt von Lilli zum Ende der Premiere, scheint alles vorbei zu sein. Da tritt plötzlich Lilli auf und spielt am Boden liegend das Stück zu Ende.
Dieses Musical ist also das erfolgreichste Musical von Cole Porter gewesen. Und tatsächlich sind ein paar Nummern Evergreens geworden. Dennoch hat das Stück von der Handlung her etwas Patina angesetzt und der Stoff vom prügelnden Ex-Ehemann will nicht mehr so recht in die heutige Zeit passen. Die Handlung ist zugegebenermaßen eindimensional und was dieses Stück immer wieder auf den Spielplan ruft, sind die Evergreens von Cole Porter. Etwas weniger Big-Band-Sound als erwartet, aber mit viel Ohrwurmpotenzial kommt dieses Stück daher. Christian Alexander Müller als Fred und Sophie Berner als Lilli lassen es auf der Bühne gehörig knistern. Dabei ist beim Stück im Stück nicht immer klar, auf welcher Ebene sie sich bewegen, aber das ist gerade das Reizvolle.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg