Im Klavierauszug waren mir Teile des Wildschützes von Albert Lortzing schon geläufig, dennoch bietet die Musikhochschule Nürnberg eine Möglichkeit, dieses Werk komplett zu sehen. In einer Regie von Thomas Mittmann, macht man mit der Moderne wenig Experimente, sondern setzt ganz auf den Charme einer klassischen Inszenierung. Am Pult des Orchesters steht niemand anderes als Guido Rumstadt, der mit den 16 Musikern einen fast vergessen lässt, dass das Orchester relativ klein ist. Mit dem jungen Ensemble zusammen und eine textuelle Bearbeitung an der ein oder anderen Stelle verzaubert auch der vielleicht etwas angestaubte Stoff. Ein Graf, der seine eigene Schwester nicht erkennt, die zuerst als Student, dann als Frau zum Geburtstag auf dessen Schloss kommt. Ein Baron, der auf dem Schloss als Stallmeister arbeitet und seine eigene Schwester nicht erkennt. Ein trotteliger Schulmeister, der sich für schuldig hält, gewildert zu haben und den Grafen um Verzeihung bittet, aber eigentlich unschuldig ist. All die Handlung macht vielleicht nur Sinn, wenn man sich am Ende auf die Stimme der Natur beruft. Dazu tritt am Anfang und am Ende des Stücks ein Kinderchor auf. Hier wurde schon mit sehr viel Liebe zum Detail gearbeitet.
Im ersten Akt wird durch Fachwerk ein Dorfgasthof angedeutet. In der Mitte ist eine Tür, die auf und Abgänge der handelnden Personen ermöglicht. Gretchen und der deutlich ältere Schulmeister Baculus liegen bei ihrer Verlobung im Streit. Für die Hochzeit in acht Tagen war der Bräutigam wildern und hat angeblich einen Rehbock erschossen. Der Graf hat dies Mitbekommen und den Schulmeister daraufhin entlassen. Der Bock ist entkommen, sodass man ohne Hochzeitsmahl dasteht und nun auch noch ohne Anstellung. Baculus überleg nun, wie man mithilfe seiner angehenden Braut beim Grafen um Milde bitten kann. Der Graf würde auf junge Mädchen stehen, jedoch will er seine Braut nicht unbedingt vom Grafen verführt wissen. Es kommen nun zwei Studenten in die Wirtschaft, die eigentlich verkleidete Frauen sind. Einer der Studenten ist nun die verwitwete Schwester des Grafen, die von ihrem Bruder mit einem Baron Kronthal verheiratet werden soll, den sie nicht mal kennt. Der angebliche Student bietet sich nun als Frau des Schulmeisters auf das Schloss zu kommen. Aus den Zuschauerrängen tauchen nun der Graf und der Baron von Kronthal auf. Diese sind bei einer Jagdgesellschaft und kommen zufällig ins Gasthaus. Der Graf lädt nun alle zum Geburtstag ein. Damit ist Pause.
Im zweiten Akt wurden die Wände des Gasthofes gedreht und stellen nun ein weißes Schloss da. Die Gräfin mit ihrer langen, blauen Robe ist komplett der antiken Komödie verfallen und rezitiert auf einem Tisch einen antiken Stoff von Sophokles. Der Schulmeister kommt nun mit dem falschen Gretchen auf das Schloss und stört die Darbietung, die aber niemand versteht, da sie auf Altgriechisch ist. Der Schulmeister versucht nun bei der Gräfin um Milde zu bitten, die findet erst Interesse an seiner Sache, als er sich als Kenner der Antike ausgibt. Die Täuschung gelingt ihm zwar bei der Gräfin, der Graf erkennt ihn aber eindeutig als Schulmeister und Wilderer und möchte ihn nicht mehr sehen. Allerdings hab sein Stallmeister und der Graf inzwischen ein Auge auf das falsche Gretchen geworfen. Jetzt zieht ein Gewitter auf und der Schulmeister und Gretchen müssen im Schloss übernachten. Der Schulmeister wird vom Grafen dabei in einen hypnotischen Schlaf geschnippt. Der Graf und der Stallmeister spielen nun eine Partie Billard, wer von ihnen als Sieger hervorgeht, darf das falsche Gretchen haben. Plötzlich geht das Licht aus, es wird laut im Schloss und die Gräfin wacht auf. Im Schlafanzug bietet sie dem falschen Gretchen eine Übernachtungsmöglichkeit in ihrem Schlafgemach an. Der Stallmeister bietet für das falsche Gretchen jetzt 5000 Taler und der Schulmeister ist außer sich, dass er plötzlich so viel Geld hat. In einer aktualisierten Arie überlegt er, was er mit dem Geld machen könnte (Twitter kaufen, Real Madrid oder einen Tank voll Sprit). Der textuelle Ausflug in die Moderne ist wirklich lustig und der Schulmeister kann sein komödiantisches Talent voll ausspielen.
Es folgt eine kurze Umbauphase zum dritten Akt. Der Schulmeister bringt nun das richtige Gretchen zum Schloss, mit der Aussicht, Baronin zu werden, kann sie sich gut anfreunden. Der Stallmeister besteht aber darauf, das falsche Gretchen zu daten, was nach dem Schulmeister unmöglich sei, da dieses Gretchen ja eigentlich ein Mann ist. Auf der Geburtstagsfeier des Grafen klären sich aber nun alle Beziehungen. Das falsche Gretchen und der Stallmeister, der eigentlich der Baron Kronthal ist, heiraten. Der Schulmeister wird in den Schuldienst eingestellt, denn der Diener im Schloss enthüllt die peinliche Tatsache, dass der Schulmeister seinen eigenen Esel erschossen hat.
Eine komische Oper ist immer deutlich schwieriger auf die Bühne zu bringen als eine Tragödie. Hier in der Hochschule ist dies jedoch gut gelungen. Vor allem bei der 5000-Taler-Arie kommt man voll auf seine Kosten. Jedoch hätte ich auch dieser Aufführung mehr Besucher gewünscht, die Zurückhaltung ist immer noch groß. Sofia Savenko gibt aber eine wunderbare Baronin von Freimann in der Doppelrolle als Studentin. Die Herrenpartien in dem Stück sind etwas undankbar, vom Schulmeister einmal abgesehen. Die kommen als trottelige, hormongesteuerte Knallchargen daher, die nicht einmal ihre eigenen Schwestern erkennen. Sogar an den Kinderchor zu Beginn und am Ende wurde gedacht, worüber ich sehr überrascht war. Elena Eismont als Fan griechischer Antike schafft sowohl die Anmut in der blauen Robe zu sein als auch die Karikatur im Schlafanzug im zweiten Akt. Mit Guido Rumstadt am Pult hat man eine gute Wahl getroffen, sodass die Oper musikalisch eine Runde Sache wurde. Die Aufführung war sehr erfreulich.
Durch einen Zufall war ich in einer weiteren Aufführung in Bayreuth und habe dort einen Teil des Ringes sehen können. Es war Siegfried, der dritte Teil des Rings in einer Inszenierung von Valentin Schwarz. Diese Inszenierung war ja heftig umstritten in der Presse und Kritik. Mit einem erklärenden Einführungsvortrag und einer Kennerin der anderen Teile wurde dies aber ein durchaus unterhaltsamer Ritt durch die Handlung um das Neuschmieden des Schwerts Nothungs. Mit den Buhs vor allem am Ende des ersten Akts, will man natürlich die Regie treffen, nur die ist in der dritten Aufführung des Siegfried nicht mehr anwesend und der Entrüstungssturm trifft dann die Darsteller und Musiker, die das wahrlich nicht verdient haben. Wo lag nun eigentlich das Problem? Zunächst scheint Wagner in seinem Ring die Person des Jung-Hagen vergessen zu haben. Diese Person wurde hier neu eingefügt und ist das Rheinkind von Alberich in einem gelben T-Shirt. Dies erschließt sich einem natürlich erst mal nicht. Jung-Hagen ist eine stumme Person, die staunend immer die Handlungen von Siegfried beobachtet. In einer sogenannten ‚Coming-of-Age-Story‘ erlebt man ihn immer wieder beim Heranwachsen von Siegfried.
Im ersten Aufzug befindet man sich in einer Art Kindergeburtstag von Siegfried. Mit roten Buchstaben steht Happy Birthday über einem Kinderzimmer des Grauens. Man erlebt die emotionalen Erpressungsversuche von Mime, der das Rheingold-Kind und Siegfried betreut. Siegfried ist scheinbar wirklich ein Flaschenkind und hängt immer an Hochprozentigem. Dennoch spielt er auch mit Puppen in einer Art Puppenstube des Grauens, in der eine Puppe auch ein kleines Skelett ist. In der rechten Ecke steht ein Aquarium mit Wasser, in dem immer wieder mal Schwerter versenkt werden und auch sonst reichlich geplanscht werden darf. Etwas darüber ist eine Mikrowelle, die Mime dazu dient, den leckeren Brei hier in Form von Nudeln aus Pappbechern zuzubereiten. Siegfrieds Geschichte erzählt Mime aus einem Kasperletheater heraus. Mime hofft, dass Siegfried Fafner besiegen wird, der sich hier in der Inszenierung in einen alten Mann verwandelt hat, statt eines Drachens. Es kommt ein altersschwacher Wotan mit zwei Bodyguards zur Tür herein. Die Bodyguards scheinen sich während der nun folgenden Fragestunde zwischen Wotan und Mime zu langweilen und untersuchen die Wohnung Mimes. Es kommt zur Wette zwischen Wotan und Mime. Die drei Fragen nach den Geschlechtern, die in der Tiefe, auf der Erde und auf den Höhen wohnen, kann Wotan beantworten. Die Gegenfragen nach den Wälsungen, dem Schwert kann Mime noch beantworten. Er scheitert jedoch an der Frage, wer Nothung neu schmieden soll. Siegfried kommt nun aus dem Wald zurück in die Puppenstubenwelt von Mime. Es entsteht ein Verwirrspiel um das richtige Schwert, das schließlich aus einer Krücke Mimes gezogen wird. Man schließt einen durchsichtigen Vorhang und schließlich sieht man Siegmund beim Schmieden des Schwerts echten Funkenflug. Siegmund wird durch den Erfolg übermütig und zerstückelt mit dem neuen Schwert seine Puppen. Zudem steckt der aufgedrehte Siegfried den Kopf von Mime in die Mikrowelle und ins Aquarium. Mime erkennt, dass Siegfried der furchtlose Held ist, von dem Wotan gesprochen hat und überlegt einen Plan Siegfried das Fürchten zu lehren. Am Ende dieses Akts bricht die Unzufriedenheit des Publikums in einem wahren Buh-Orkan los.
Im zweiten Aufzug befindet man sich in der Penthouse-Wohnung von Fafner. Dieser ist ein alter Mann in einem Pflegebett, der von zwei 24 h-Krankenpflegerinnen betreut wird. Die Waldquelle ist eine Bar mit Eiswürfeln. Über einem Kaminfeuer sieht man ein Bild von Fasolt und Fafner hängen. Vor dem Kaminfeuer sind zwei Sessel für Alberich und Wotan. Wotan warnt Alberich vor seinem Bruder Mime, der es auf Fafners Ring abgesehen hat. Während die Handlung fortgeht, sitzen Wotan und Alberich in den Sesseln und beobachten, was passiert. Durch die Gardinen sieht man nun Siegfried und Mime in die Wohnung Fafners eindringen. Siegfried ist als Kind ständig hungrig und hat wieder eine Plastiktüte mit einer Nudelbox dabei. Siegfried vernimmt nun das Zwitschern eines Vogels, der durch eine der Krankenschwestern Fafners dargestellt wird. Mit schrägen Tönen wird er dem Waldvögelein aufdringlich, leider vermag er dessen Botschaft nicht zu entschlüsseln. Dazu muss er erst Fafner töten. Dies ist ein Leichtes, denn der alte Mann steht mit Rollator aus seinem Pflegebett auf und braucht von Siegfried nur umgeschubst zu werden. Nachdem Fafner besiegt ist, genehmigen sich Mime, Siegfried, Jung-Hagen und das Waldvögelein einen Schluck aus der Waldquelle mit vielen Eiswürfeln. Jetzt versteht Siegfried auch den Gesang des Vogels. Dieser Pflegevogel empfiehlt ihm, den Ring und den Tarnhelm aus dem Schatz Fafners zu nehmen. Zudem erkennt Siegfried nun die wahren Absichten Mimes, der ihn mit einem Giftpokal aus dem Weg räumen will. Erzürnt bringt Siegfried Mime um. Das Waldvögelein erstürmt eine abgeklebte Balustrade des Penthouses und weist Siegfried den Weg zum Walkürenfelsen, der gleich hinter Fafners Höhle zu liegen scheint. Die Buhs wurden jetzt schon weniger und die Wertschätzung der Sängerleistung schien zu überwiegen.
Im dritten Akt sieht man die Wohnung Fafners gedreht, links davon ist eine große Pyramide aufgebaut, die den Feuerfelsen darstellt. Noch in der Wohnung Fafners kommt es zur Konfrontation zwischen Erda und Wotan. Erda hat ebenfalls ein Kind dabei, das inzwischen größer geworden ist aus den vorherigen Teilen. Erda hat mehrstufig gefärbte lange Haare. Sie ist ungnädig, dass man sie geweckt hat und sagt Wotan den nahenden Untergang voraus. Jung-Hagen und Siegfried scheinen nun beste Freunde, als Siegfried auf Wotan trifft. Wotan will Siegfried vom Feuerfelsen abhalten. Mit seinem Schwert schlägt Siegfried Wotans Waffe, eine Pistole, aus der Hand und verschafft sich so nun Zugang zum Walkürenfelsen. Dieser ist über die Balustrade mit Fafners Wohnung verbunden. Auch bei mir hat es etwas gedauert, bis ich den bärtigen Herren im grauen Anzug als Grane Brünhildes Pferd erkannt hatte. Ich dachte mir nur: viel los heute am Feuerfelsen, Jung-Hagen, Grane, Siegfried, Brünhilde – wo es eigentlich nur zwei Personen sein sollten in dem Moment. Brünhilde steht mit einer Bandage und einer Sonnenbrille und wartet darauf, von Siegfried ausgewickelt zu werden. In einem Spiegel erkennt sie sich. Grane verwehrt nun Siegfried immer wieder den Zugang zum Feuerfelsen und stört die Zweisamkeit am Walkürenfelsen. Beim Anblick von Brünhilde lernt nun Siegfried das Fürchten und verlernt es aber gleich wieder. Sie fesselt den Helden mit der Bandage. Es kommt zu einem Schluss, in der Brünhilde und Siegfried zu gemeinsamen Tätern werden, wie angeblich Bonny und Clyde. Man sieht in einer Vorwegnahme des Staus am Parkplatz, die Scheinwerfer einer Limousine hinter dem Vorhang aufblitzen. Eines ist sicher: Brünhilde und Siegfried haben die Poleposition bei der kommenden Ausfahrt am Walkürenfelsen.
Wie man sieht, kann man trotz der Widrigkeiten der Inszenierung, Spaß an der Darbietung finden. Eine wenig gelungene Inszenierung im Auge einiger Betrachter lässt sich nicht Weg-Buhen. Auch hier gilt: Kinder, macht Neues! Wenn es dann mal nicht so der große Wurf ist, ist das für mich kein Drama. Die Musik bleibt großartig. Andreas Schager als Siegfried hat die Mörderpartie bis zum Ende kraftvoll durchgehalten, Tomasz Konieczny als Wotan hatte sich sichtlich von seiner Verletzung in der Walküre erholt. Alexandra Steiner als Waldvogel durfte ihr schauspielerisches Talent bei den Annäherungsversuchen Siegfrieds entfalten und nicht nur hervorragend singen. Die wahre Retterin der Aufführung war aber Sieglinde in der Herrentoilette des Festspielhauses mit ihren Eisbonbons, die mich vor einem Hustenanfall bei Brünhilds Erweckung bewahrt hat. Heil Dir Sonne, sag ich nur.
Man sagt ja, es wäre die beste Aufführung in 2022 gewesen: Der Lohengrin mit Thielemann im Dirigat, Klaus-Florian Vogt, Camilla Nylund und Georg Zeppenfeld in den Hauptrollen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, denn selten war man dem Walhalla so nah. Da mag auch das grüne Männlein am Ende als Erbe von Brabant nicht mehr den positiven Eindruck zu trüben. Thielemann hat einen sehr unaufgeregten Klangteppich für den Lohengrin erstellt, es gibt bezaubernde Pianissimi, aber auch mit Pausen und Phrasierungen, wo es nötig ist. Nie trumpft das Orchester derart auf, dass es den Sängern keinen Raum mehr lässt. Jedoch zeigt er auch im Vorspiel zum dritten Akt mit einem zügigen Tempo, dass er auch diese Lesart spielen kann. Im zweiten Akt darf Ortrud ihre Wotan-Rufe vorzüglich auskosten und wird nicht von einem Dirigenten zur Eile getrieben. Es sollte die letzte Aufführung des Lohengrins in der Inszenierung von Yuval Sharon sein. In dieser Ausstattung dominiert das Blau, erst im zweiten Akt mischt sich als Kontrast die Farbe Orange in den Vordergrund, um im dritten Akt im Brautgemach zu dominieren. Ganz der Farbsymbolik der Kontrastfarben treu, erscheint der Erbe von Brabant am Ende als grünes Männchen, was die Mischfarbe des Blaus von Lohengrin und des Orange von Elsa ist. In Zeiten der Energiekrise ist Brabant ein Land ohne Strom, das durch die Elektrifizierung durch einen Helden wie Lohengrin wartet. Der König Heinrich erscheint wie eine Motte im Trafowerk und beansprucht Gott für sich. Mir wurde die Kritik der Einheit von Kirche und Staat nie so bewusst, wie in dieser Inszenierung. Die Brabanter sind eine ziemlich unsympathische Horde von Motten, die neben ihrem König Heinrich, jede andere Meinung sofort unterdrücken. Die Gegenspieler von Lohengrin und Elsa - Telramund und Ortrud - sind eigentlich im Recht. Ortrud ist die letzte in ihrer Linie, die von Elsa aus der Thronfolge geschubst wird. So kehrt sich in der Inszenierung einiges um, die eigentlich Guten im Stück erscheinen plötzlich als Thronräuber, die den Thron in Brabant für sich beanspruchen. Das war eine interessante Lesart des Lohengrins, die zumindest bei der Premiere nicht sonderlich gut angekommen ist. Getrost des Spruchs von Wagner: „Kinder, schafft Neues!“ folgte dieses Regiekonzept. Vielleicht ist ein Held, der dem Land Energie und Strom verspricht, damals der Zeit einfach voraus gewesen und hat jetzt erst eine Dimension in der Energiekrise erfahren. Lohengrin durchlebt eine Wandlung vom reinen Helden und Erlöser Elsas im ersten Akt, über die weitgehende Abwesenheit im zweiten Akt, zum mordenden Scheusal im dritten Akt, der Telramund elektrisch hinrichtet. Auch Elsas Anklage im ersten Akt ist wie ein Hexenprozess aufgezogen, die Brabanter stapeln einen Scheiterhaufen auf und wollen Elsa brennen sehen. Ihre große erste Arie „Einsam in trüben Tagen“ ist wie eine Vision auf dem Scheiterhaufen einer Jeanne D’Arc.
Schön ist zum Beispiel schon der Beginn des ersten Akts, als es zum Vorspiel keine überflüssige Aktion auf der Bühne gibt. Das Vorspiel gehört ganz der Musik, keine sinnfreien Aktionen auf der Bühne in dem Moment. In der Optik eines stillgelegten Trafohäuschens bedient man sich etwas im Stile alter Stummfilme wie Metropolis. Auf einem Isolator hält König Heinrich Gericht. Elsa soll ihren Bruder ermordet haben und ist des Mordes angeklagt. Sie visioniert einen Retter herbei, der dann wirklich erscheint. Oben auf dem Trafohäuschen mit einer neumodischen Flugdrohne, statt eines Schwans kommt der Retter. Es findet ein Kampf zwischen Telramund und Lohengrin statt. Auch hier wird der Ring ausgemessen, wie es das Libretto fordert. Lohengrin tritt mit einem Blitz gegen ein riesiges Schwert von Telramund an. Der Kampf findet in Martial-Arts-Manier im Flug statt, was hervorragend zu den Insekten und Mottensymbolik passt. Gewinnen wird den Kampf Lohengrin, der Elsa heiraten will, aber ein Frageverbot aufstellt, dass Elsa nie nach seiner Herkunft erfahren soll. Damit sind die Eckpfeiler für das Unglück im dritten Akt schon gesetzt.
Der zweite Akt spielt zum großen Teil hinter einem Gaze-Vorhang. Man sieht eine dunkle Szenerie mit Schilf-Symbolik. Telramund und Ortrud planen eine Verschwörung, wie sie den seltsamen Helden vertreiben können. Ortrud umwickelt Telramund mit einem Seil, sodass er sich immer tiefer in die Verschwörung verwickelt. Aus einer Dachzinne des Schlosses sieht man dann Elsa. Sie lässt sich von Ortrud erweichen und lässt sie dann ein. Ortrud verspritzt ihr Gift und sät Zweifel an der Herkunft von Lohengrin. In den Wolken des Gemäldes meint man einen Schwan zu erkennen. Zum zweiten Teil dieses Aufzugs sieht man dann erstmals die Farbe Orange in Trägern, die den Eingang zur Kirche symbolisieren sollen. Elsa hat inzwischen kleine Drachenflügel, während Lohengrin inzwischen auch Mottenflügel gewachsen sind. Die Brautjungfern streuen blaue und weiße Blätter vor der Kirche. Ortrud gelingt es einen tiefen Graben zwischen Elsa und Lohengrin zu legen. Elsa ist erschöpft auf den Stufen. Lohengrin tadelt Elsa wegen ihres Umgangs und man geht dann doch in das Kircheninnere.
Im dritten Akt dominiert schließlich Orange. In der Mitte des Betts steht ein großer Isolator. Das Brautpaar ist endlich einmal allein und Elsa fällt nun nichts anderes ein, als Lohengrin nach seiner Herkunft zu fragen. Zuerst noch zaghaft, dann aber immer bestimmter. Unterdessen fesselt Lohengrin Elsa mit einem orangen Seil. Telramund überfällt mit einer Vierertruppe Glühwürmchen nun Lohengrin im Brautgemach. Das Unheil kündigt sich mit Elektrizität an, es glühen die Drähte im Brautgemach. Von einem elektrischen Schlag wird Telramund bei seinem Attentatsversuch getötet. Man sieht im Schlussbild dann die Brabanter bei der Auflösung des Namens Lohengrins mit blauen LED-Motten gespannt der Gralserzählung lauschen. Elsa bekommt eine orange Rückentrage mit den Machtinsignien von Brabant. Ortrud versprüht gegen Ende noch einmal gehörig Gift, dass sie alles schon durchschaut hatte, sie hätte Elsas Bruder als Schwan am Kettchen erkannt. Am Ende erscheint Elsas Bruder wieder, als grünes Männchen.
Selten war eine Inszenierung über einen Helden der ein Land elektrifiziert zeitgemäßer als heute. Getragen von einer wunderbaren Musik durch Thielemann muss ich sagen, dass ich hier wohl den besten Lohengrin bisher gehört habe. Über die Inszenierung lässt sich streiten und sie wurde ja anfangs auch ziemlich ausgebuht. Inzwischen hat sich die Geschichte aber ziemlich zu Gunsten der Inszenierung geändert, sodass man dem Regiekonzept inzwischen zustimmen kann. Ein Held, der dem Land Strom bringt, ist inzwischen zeitgemäß. Es war zweifellos ein Ereignis, das jeden Euro des Kartenpreises wert war.
Zu einem Londonbesuch gehört auch ein Musical dazu. Die Auswahl in London ist groß, letztlich fiel die Wahl auf Frozen/Die Eiskönigin. Ja, Disney-Musicals, nicht jeder mag das, dennoch sind wir ins Theatre Royal in der Drury Lane. Wir hatten relativ kurzfristig noch Karten bekommen und saßen oben im Rang. Mit uns im Publikum waren viele junge Zuschauer, die begeistert mitgegangen ist. Das Musical hält sich ziemlich genau an den Film. Man könnte jetzt die Diskussion darüber führen, ob eine Dunkelhäutige wirklich die blonde Eiskönigin spielen sollte, aber das wäre jetzt spitzfindig, denn musikalisch gab es nichts auszusetzen. Die Ausstattung ist üppig, die Kostüme toll und die Effekte mit dem Eis hervorragend. Bei diesem Sommer sehnt man sich doch den Winter wieder herbei. Das Theater war hervorragend klimatisiert, sodass es auch Olaf dem Schneemann nicht zu warm wurde. Wenn mich jemand nach dem Soundtrack zur Pandemie fragt, ist das eindeutig Vuelie von Cantus, denn während der Pandemie lief dieses Lied mit schöner Regelmäßigkeit bei meinen ausgedehnten Spaziergängen. So war auch die Eröffnung des Musicals am West End mehrfach verschoben worden. Ich hatte schon überlegt, nach Hamburg zu fahren, aber so lag das Musical quasi vor unserer Hoteltür.
Das Musical startet mit der Nummer Vuelie, dann sieht man die junge Anna mit Elsa zusammen einen Schneemann bauen. Elsa hat die Kraft, es schneien zu lassen, die sie irgendwie wie Spiderman aus den Händen schießen kann. Da sie in den jungen Jahren aber ihre Kraft noch nicht kontrollieren kann, trifft der Eisstrahl ihre Schwester Anna. Zum Glück ist der Treffer nur im Kopf und nicht im Herzen, so kann ein Naturmensch, der gerufen wurde, mit Magie den Zauber brechen und die Erinnerung an dieses Ereignis löschen. Elsa und Anna wachsen in der Folge getrennt auf. Elsa bekommt Handschuhe, damit so ein Unglück nicht noch mal passiert. Man sieht Anna immer wieder an der Tür klopfen, aber Elsa bleibt hinter der Tür. Die Eltern reduzieren das Personal, sagen alle Feste ab, um Elsa zu schützen. Nun kommen die Eltern der Kinder in einem Sturm auf einer Schifffahrt ums Leben. So müssen die Kinder die Regentschaft von Arendal übernehmen. Am Krönungstag wird nach langer Zeit der Palast aufgeschlossen und Elsa wird zur Königin gekrönt. Anna verliebt sich an dem Tag in das 13. Kind eines anderen Königs namens Hans von den südlichen Inseln. Der soll sich aber später als Schurke herausstellen. Anna verliebt sich sofort und will ihn heiraten, dabei ist Hans nur auf eine bessere Position in der Thronfolge aus. Während die Krönungszeremonie noch einigermaßen glattgeht, kommt es zum Bruch zwischen Elsa und Anna, als Anna fragt, ob sie Hans heiraten darf. Elsa hält das für keine Idee, gleich einen Mann zu heiraten, den man eben erst kennengelernt hat. Wutentbrannt entgleitet ihr ein Eisstrahl, der sehr effektvoll dargestellt wird. Arendal kippt mitten im Sommer plötzlich in einen Winter und Elsa flüchtet auf einen Berg. Anna folgt ihr und trifft auf dem Weg Christopher mit seinem Rentier Sven. Da muss man jetzt einen extra Applaus geben, denn die Nummer als Rentier auf Stelzen ist echt sportlich. Es taucht auch der Schneemann auf, der sofort der Publikumsliebling ist. Seine Tanznummer zum Thema Sommer kommt so im Stil einer Fred-Astaire-Nummer daher. Der Schneemann träumt vom Sommer und ahnt nicht, was ihm da blühen wird. Sie kommen an einem Laden vorbei, wo sich Anna erst mal gegen horrendes Geld ein paar Winterstiefel kauft. Die Sommerartikel hat der Verkäufer gerade im Ausverkauf. Im Schloss unterdessen beschließt Hans Anna zu suchen. In einer Überblendung sieht man nun Elsa in ihrem Eispalast, den sie mit ihren Kräften gebaut hat. Dort singt sie das berühmte ‚Let It Go‘… Zum Höhepunkt verwandelt sie in einem Effekt ihr Kleid auf Blau, das Publikum ist außer sich und mit einem schlagartigen Dunkel endet der erste Akt.
Im zweiten Akt ist dann eine etwas alberne Nummer mit einer Sauna-Party zum Thema Hygge dran. Der Schneemann, Anna und Christopher mit Sven machen sich auf die Suche. Sie treffen Elsa, aber die ist erneut außer sich und trifft Anna ein weiteres Mal mit einem Eisstrahl. Die Haare von Anna werden drauf hin weiß. Diesmal wurde aber wirklich das Herz getroffen, was nicht so leicht zu beheben ist. Selbst der Medizinmann aus dem ersten Akt kann nicht mehr ordentlich helfen. Er meinte: nur wahre Liebe könne das gefrorene Herz heilen. Man meint in Hans die Lösung dafür gefunden zu haben. Nur der Hans entpuppt sich nun wirklich als Fiesling, der lieber Anna sterben lässt und eine Jagd auf Elsa anzettelt. Der Schneemann kommt nun in die warme Stube und lässt Anna frei. Christopher, der vielleicht auf Rat des Schneemanns auch infrage kommt, da er sich in Anna verliebt hat, ist ebenfalls kein Kandidat. Aber die Schwesternliebe von Elsa rettet Anna dann am Ende. Es gibt ein großes Finale.
Das Disney-Musical lebt von üppiger Ausstattung, etwas Kitsch und Tanznummern. Ich bin jetzt vielleicht nicht ganz das Zielpublikum dieser Aufführung, dennoch hatte auch ich meinen Spaß und fand die 2 h 15 Min angemessener als eine missratene Götterdämmerung aus Bayreuth, die zeitgleich stattfand. Das Handyverbot wurde ziemlich streng kontrolliert, zudem ist Mitsingen verboten. Die Nummern, die Original aus dem Film kommen, stechen von der Qualität ziemlich heraus. Man hat noch ein paar Nummern dazu komponiert, die deutlich abfallen. Auch die Hygge-Nummer mit der Sauna hätte es für meinen Geschmack nicht gebraucht. Dennoch konnte ich mich von dem hohen Musical-Niveau in London überzeugen. Klimatisiert und etwas eingelullt, hofft man dann auf den Winter und fühlt sich in der Londoner Hitze dann etwas wie Olaf der Schneemann.
Kurzentschlossen war ich in der Deutschland-Premiere der Frau in Weiß von Andrew Lloyd-Webber. In Kooperation mit dem Musical Frühling Gmunden gastiert die Produktion derzeit im Stadttheater in Fürth. Inzwischen hat das Stadttheater eine Klimaanlage, sodass dem Musicalgenuss auch bei hochsommerlichen 36 Grad nicht mehr im Wege steht. Das Stück aus dem Jahr 2004 wurde 2017 noch einmal für ein Revival am West-End überarbeitet. Die Bühne besteht aus einem dunklen Stabambiente, das sich mit Beleuchtung und Vorhängen in die fünf Schauplätze verwandeln lässt. Zu der düsteren, viktorianischen Schauergeschichte passt das dunkle Bühnenbild jedenfalls gut.
Der Zeichenlehrer Walter Hardright ist auf dem Weg nach Limmeridge House zu seiner neuen Einsatzstelle. Dort soll er die Halbschwestern Marian und Laura unterrichten. An der Bahnstrecke trifft er zuerst die Frau in Weiß, die ohne Schuhe ein Geheimnis zu teilen sucht. Dann trifft er auf einen Bahnwärter, der ihm eine düstere Vorhersage macht, dass bald ein Mann tot an den Gleisen gefunden wird. Von der Begegnung mit der weißen Frau erzählt er auf Limmeridge House auch Marian und Laura. Die Halbschwestern unterscheiden sich sehr: Die burschikose Marian ist künstlerisch untalentiert, während die blonde Laura Klavier spielt und gut im Malen ist. Verwalter von Limmeridge House ist der Onkel. Es entwickelt sich eine Dreiecksbeziehung: Die beiden Schülerinnen lieben beide Walter, den Zeichenlehrer, während Walter nur Augen für Laura hat. Man feiert das Erntedankfest vor der Kirche, eine Jugendliche wird dabei ausgeschlossen, die angeblich die Frau in Weiß gesehen hat. Walter folgt nun auf den Friedhof, wo er die Frau in Weiß sieht. Diese sagt, dass sie schrecklich Angst vor Percival Glyde hat. Etwas später bemerkt Marian die Liebe von Walter zu Laura. Sie holt ihn auf den Boden der Tatsachen zurück, dass Marian längst verlobt ist, mit Percival Glyde. Dieser ist der Bösewicht des Musicals, elegant als Lord gekleidet. Percival schlägt vor, die Hochzeit mit Laura auf Weihnachten vorzuverlegen. Inzwischen trifft auch ein ziemlich zwielichtiger Count Fosco ein, der Marian Komplimente macht. Sie stünde ja nur im Schatten ihrer Halbschwester. Count Fosco findet Marian aber ziemlich attraktiv. Walter fragt vor der Hochzeit Percival nach Ann Catherick, der Frau in Weiß. Percival sagt darauf, dass Ann Catherick bedauerlicherweise nervenkrank wäre. Laura heiratet nun wirklich Percival Glyde, was dazu führt, dass Walter das Anwesen verlässt. Zum Abschied schenkt Laura dem Zeichenlehrer ein Bild von sich. Marian und Laura begeben sich nach der Hochzeit nach Blackwater, dem Anwesen von Percival Glyde. Schon nach der ersten Hochzeitsnacht wurde Laura von Percival geschlagen. Laura soll zudem einen Vertrag unterschreiben, dessen Inhalt weiter unklar ist. Schon am nächsten Tag treffen sie Ann Catherick wieder. Diese Gelegenheit wurde aber von Percival genutzt, Ann Catherick erneut in die Anstalt zu bringen. Count Fosco gibt ihr noch eine Beruhigungsspritze.
Zu Beginn des zweiten Akts belauscht Marian während eines Gewitters Fosco und Glyde. Sie wollen schnell an das Erbe von Laura kommen und die 20000 Pfund erben. Bei der Rückkehr ins Haus wird Marian ertappt und mit einem Schlafmittel von Fosco zu Bett gebracht. Die nächste Szene ist abrupt, die Beerdigung von Laura. Sie hatte schon früher im Schlaf gewandelt und wäre gefallen. Fosco wird das nun zu heiß und fährt nach London. Laura fährt ihm hinterher und sucht Walter, um ihm die Neuigkeit des Todes ihrer Halbschwester mitzuteilen. Über das Bild aus dem ersten Akt findet sie Walter schließlich allein und verzweifelt, da er die Todesnachricht von Laura bereits erhalten hat. Marian will nun den Aufenthaltsort von Ann Catherick herausbekommen und greift zu einem roten Kleid. Es folgt eine Roulette-Szene, in der Glyde mehr Geld einsetzt, als er hat. Jedoch gewinnt er glücklicherweise und Count Fosco bekommt seinen Anteil am Erbe ausbezahlt. Count Fosco bricht aber gerade die Zelte ab, ihm ist das wieder zu heikel. Marian besucht Count Fosco unter dem Vorwand eines amourösen Abenteuers, aber eigentlich will sie nur den Aufenthaltsort von Ann Catherick herausbekommen. Count Fosco ertappt Marian und diese verlässt den Raum wieder und geht in die Anstalt zu Ann Catherick. Dort stellt sich nun heraus, dass Laura noch lebt und in Wahrheit Ann Catherick im Grab liegt. Ein letztes Mal soll nun die Frau in Weiß Glyde erscheinen und ihm einen Schrecken einjagen. Dabei kommt es zu einer Begegnung mit Glyde, bei der er selbst zugibt, Ann Catherick so geschlagen zu haben, dass sie eine Fehlgeburt erleidet hat. Ann Catherick hatte mit 15 ein uneheliches Kind von Glyde, dessen Herkunft er vertuschen wollte. Bei dem Fluchtversuch kommt Glyde aber in den Zug und stirbt, so hat sich die Weissagung des Bahnwärters erfüllt. Walter und Laura finden endlich zueinander und Marian bleibt allein zurück.
Je weniger man also von der Handlung kennt, desto besser ist es für das Stück. Die deutschsprachige Zusammenfassung ist da sehr vage. Das Musical hat sehr schöne Nummern und man erkennt die typische Handschrift von Webber. Mich erinnerte der Stil etwas an Sunset Boulevard. Der Mezzosporan Carin Filipčić spielt die unglückliche Marian sehr überzeugend und ist damit quasi die eigentliche Hauptrolle des Abends, die die Handlung vorantreibt. Yngve Gasoy-Romdal als schmieriger Count Fosco hat an dem Abend die meisten Lacher auf seiner Seite. Er bringt mit seinen komischen Einlagen immer wieder heitere Momente in die düstere Handlung. Anaïs Lueken als Ann Catherick läuft bei der Produktion immer barfuß durch die Szene und bringt die angeschlagene Rolle plausibel ein. Kleinere Tonprobleme mit den Mikrofonen trübten am Ende den Musicalgenuss etwas, aber insgesamt war es ein spannender, überzeugender Musicalabend.
Quelle: YouTube | Musical Frühling Gmunden