Bei einem Zwischenstopp in Erfurt haben wir auch die Domfestspiele dort besucht. Gegeben wurde vor einem halben Publikum Tschaikowskis „Die Jungfrau von Orleans“. Das Bühnenbild wirkt zunächst etwas unspektakulär, ist es doch noch eine Welle, die als Fortsetzung der Domtreppen in Grau daherkommt. Die Welle ist aber 12 m hoch und muss technisch gut gegen Wind abgesichert sein. In den Abendstunden wird sie aber zur Projektionsfläche, hat Türen und Beleuchtungseffekte. Die Umgebung am Dom in Erfurt bietet für das Thema eine eindrucksvolle Kulisse. Die Inszenierung ist von Tomo Sugao. Besonders zu erwähnen sind die schönen Kostüme von Bianca Deigner, denn insgesamt ist die Bühnenausstattung sehr minimal und setzt ganz auf die Lichteffekte am späteren Abend. Es gibt drei Podeste auf den Domtreppen, auf denen sich das Geschehen abspielt. Erzählt wird in der Oper das Leben der Jeanne d’Arc nach einer Bearbeitung von Schiller.
Zu Anfang befinden wir uns am Platz vor einer Kirche. Dort singen Mädchen mit Masken, die alle gleiche Perücken und Gewänder tragen, um einen Tisch. Der Bauer Tibo d’Arc will seine siebzehnjährige Tochter an einen jungen Mann namens Raimond zu verheiraten. Hier findet eine Doppelung der Jeanne d’Arc statt und man sieht zum ersten Mal überdimensionale Federn. Man hört die populäre Arie „Da, chas nastal“. Ansatzweise ist auch angedeutet, dass sie ihre Haare abschneidet, um als Mann zu kämpfen. Sie hat eine Vision, in der schwarze Engel mit langen Federn aus der Bühnen-Welle kommen. Diese segnen ihre heroischen Bemühungen, denn sie sagt den baldigen Sieg voraus.
Im nächsten Akt wird der König von Clowns und Pagen unterhalten. Der König sitzt an einer großen Tafel und vergnügt sich lieber mit seiner geliebten Agnès. Agnès bietet dem König ihr Vermögen an. Der Ritter Lore wird in der Schlacht tödlich verletzt. Man erfährt in einer Erzählung, wie ein Mädchen im Kampf gegen die Engländer den Sieg bewirkt hat und wie Ihr Einsatz die Franzosen motiviert hat. Johanna sagt, dass ein Keuschheitsgelübde die Voraussetzung für den Sieg gegen England war. Sie erkennt den König sofort. Sie erzählt dem König von den drei Gebeten, die er zu Gott gesprochen hat. Im ersten hätte der König um Agnès, seine Freunde gebetet. Im zweiten vom Sieg. Das dritte Gebet muss sie gar nicht mehr erzählen, der König glaubt ihrer göttlichen Sendung.
Nach der Pause leuchtet der Dom und die Treppe in Regenbogenfarben. Es herrscht ein Krieg der roten gegen die blauen Federn. Johanna trifft auf den burgundischen Ritter Lionel, der eigentlich ihr Gegner ist. Jetzt weicht das Textbuch schon ziemlich von der eigentlichen Geschichte der Jeanne d’Arc ab. Sie verlieben sich ineinander. Vor der Kathedrale von Reims wird der König gekrönt. Mit einer langen Schleppe in Blau kommt es zu den Feierlichkeiten. Man sieht Feuerartisten. Gestört wird die Szene durch ihren Vater, der Jeanne des Dienstes an Satan bezichtigt. Der Vater stellt die Jungfräulichkeit in Frage. Johanna schweigt zu dieser Anschuldigung. Es folgen drei Blitzschläge, die als Himmelurteil gesehen und auch die Bürger sagen sich von ihr los. Wieder treten die Heerscharen aus der Treppenwelle auf.
Im Wald treffen sich Lionel und Johanna noch einmal. Dort lauern nun aber englische Soldaten auf, die Lionel töten und Johanna in Gefangenschaft setzen.
Nun wird Johanna auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Die Bürger mit goldenen Federn sympathisieren aber mit Johanna. Das Feuer wird entfacht und ein Johanna Double stürzt die Treppen herunter. Sie hört noch mal die Stimmen, die ihr Vergebung heißen.
In keinem Opernführer ist diese Oper von Tschaikowski zu finden. Das Werk leidet etwas zwischen schönen Duetten und wuchtigen Chorszenen, die von Aida entliehen sein könnten. Das Werk wurde 10 Jahre nach Aida veröffentlicht und trägt deutliche Spuren in den Chorarrangements. Gesungen wird komplett in Russisch, was dank der Monitore an den Seiten kein Problem ist. Erstmals spielt das 54 Mann starke Orchester im 300 m entfernten Opernhaus. Man hätte vor den Stufen einfach keine Möglichkeit gehabt, das Orchester an die Stufen zu setzen und hat auf die technische Lösung zurückgegriffen. Auch der Chor achtet auf die Abstände. Im Publikum muss jeder zweite Platz frei bleiben. Es ist dennoch schön, dass überhaupt etwas stattfindet in diesen Zeiten. Die Oper ist etwas gekürzt, was aber bei dem unbekannten Werk nicht wirklich auffällt. Alle Schlüsselszenen sind enthalten. Wir hatten einen entspannten Abend unter dem Nachthimmel von Erfurt.
Was auf den ersten Blick nicht als Parallele erscheint und von der Kritik auch nicht so verstanden wurde, ist das Opern-Double-Feature Pimpinone/Herzog Blaubarts Burg. Sind beides doch in gewisser weise Szenen einer gescheiterten Ehe. Während Pimpinone die komischen Aspekte ausleuchtet, gerät Herzogs Blaubarts Burg zum echten Beziehungsdrama. Beide Opern sind nur jeweils knapp eine Stunde lang unterbrochen von einer 40-minütigen Umbaupause. Coronabedingt stellt man nur zwei Sänger mit einem ausgedünnten Orchester auf die Bühne, um sicher zu stellen, dass die Aufführungen auch bei höherer Inzidenz sicher stattfinden kann. Die erste Oper nach acht Monaten Spielpause ist wie ein wohltuender warmer Regen. Klar gab es Streams in letzter Zeit, dennoch scheitert man bei Blaubarts Burg im Stream, während die Oper live ein echtes Highlight ist. Ich wäre wegen der Kombination Barock mit 20. Jahrhundert fast nicht dabei gewesen.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Pimpinone ist eigentlich als lustiges Zwischenspiel für die Oper Tamerlano gedacht gewesen. Dreiteilig kommt es musikalisch nicht über ein harmloses Barockstück hinaus. Der reiche, ältliche, etwas dicke Pimpinone fällt zu Beginn schlafend vom Sofa. Auf einem goldumrahmten Flatscreen bestellt er in barocker Kulisse auf einem Amazoom in einen Webshop mit seinem Tablet eine elektronische Haushaltshilfe namens Vespetta. Diese ist zudem im Sonderangebot mit weniger als 1000 EUR verspricht, die lästigen Haushaltpflichten und mehr zu erledigen. Die Lieferung erfolgt prompt in einem Karton bis vor die Haustür. Mit einem goldenen Reifrock und einem LED-Büstier macht sich Vespetta an den Haushalt und muss den Triathlon Bügeln, Kochen, Drinks-Mixen absolvieren. Auch Staubsaugen kann sie, was allerdings viel Strom verbraucht. So ist bald der Akku leer, Pimpinone muss sich durch ein dickes Handbuch wälzen. Er verstellt die Sprache, sie singt plötzlich Englisch, versehentlich schaltet er sie stumm. Am Ende des Stroms zieht er den Stecker für das Bügeleisen und lädt Vespetta für den Abend auf. Am Flatscreen erscheint eine Ladeanzeige und schon legt Vespetta wieder los. Auch für die Dienste am Abend wird eine Hochzeit inszeniert. Er gibt eine Bewertung für die Haushalthilfe ab, die mit fünf Sternen in jedem Bereich abgedeckt ist. Sie begeben sich in ein mit Tüchern verhangenes Bett, das rot leuchtet. Man kann sich also schon vorstellen, was Vespetta noch so draufhat. Am Sofa steigt aber plötzlich in einer Art Kurzschluss Rauchwolken auf und die Haushaltgehilfin entwickelt ein Eigenleben. Sie will zu Nachbarin und spazieren gehen. Sie wirft ihm das Geld vor die üße. Das Dienstverhältnis wäre mit der Ehe erloschen. Vespetta wird zur Furie, wirft Pimpinone vor, mit Zechern über sie zu lästern. Pimpinone meint, dass auch bei der Nachbarin getratscht wird. Das wird Pimpinone nun gar zu dumm und er fordert die Retoure an. Der Bote kommt wieder und will Vespetta abholen. Geschickt wickelt die nun aber Pimpinone in Zellophan und klebt dem Pimpione selbst das Rücksende-Etikett auf. Die Fernbedienung scheint nun bei ihm zu wirken und fungiert jetzt als Stummschaltung. Das Ganze ist ein musikalischer Scherz, ganz nett anzusehen, wie die moderne Online-Shopping-Welt auf den Arm genommen wird. Die drei Intermezzi machen aber keine ganze Oper aus und bleiben etwas im Belanglosen.
Nach 50 Minuten hinter der FFP2-Maske ist man froh auf eine lange Pause. 33 Grad, eine leidlich funktionierende Klimaanlage und ein heißer Sommertag, da ist man froh um frische Luft.
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Die nächste Paarung Bariton und Sopran in Herzog Blaubarts Burg, ist aber der Grund, weshalb man sich das Stück wirklich ansehen sollte. Judith ist die neue Frau von Blaubart. Sie hat zwar von Gerüchten von Blaubarts vorherigen Frauen gehört, lässt sich aber nicht abschrecken, nach der Hochzeit mit Brautkleid und Schleier in die Burg von Ritter Blaubart zu ziehen. Durch ein Quadrat mit Blumen zieht Judith in die Burg, an der acht Bilder von Vorfahren hängen. Der schicke Blaubart mit blauem Hochzeitsanzug gibt ihr noch die Chance zur Umkehr, doch Judith ist fest entschlossen, das Geheimnis der dunklen Burg zu lüften. Man blickt auf zwei identisch eingerichtete Zimmer. Im linken Teil hält sich Blaubart auf, im Rechten lebt Judith. Man ahnt zuerst nicht, dass gelbe Zimmer links und das weiß/blaue Zimmer rechts eigentlich ein Raum ist. Im linken Teil hat das Zimmer einen freundlichen Gelbton, während rechts das Zimmer fahl ist und mit Blut verschmiert. In der Burg gibt es sieben Türen, hinter denen sich sieben Räume verbergen. Judith will all die Türen öffnen. Hinter jeder Tür verbirgt sich ein anderes Klangbild und es wird eigentlich nur erzählt, was hinter den Türen ist. Wer jetzt des ungarischen nicht mächtig ist, muss auf die Bildschirme zurückgreifen. Hinter Tür 1 und 2 ist eine Folterkammer und die Waffenkammer. Die beiden Akteure bewegen sich synchron in beiden Räumen, die durch eine Wand getrennt sind. Blaubart schlägt Judith, man sieht eine Vergewaltigung, die aber durch die Trennung der Räume nur angedeutet wird. Bewundernswert das exakte Timing der Bewegungen, die in den getrennten Räumen stattfindet. Dennoch wird es von Tür zu Tür heller. Judith fordert nun die weiteren Schlüssel. Tür 3, 4 und 5. Sie findet eine Schatzkammer, einen verborgenen Garten und das weite Land von Blaubart. Die Burg erstrahlt im hellen Glanz, die Trennwand ist weg und die beiden Akteure sind nun im gleichen Raum. Judith ist immer wieder irritiert vom Blut, das sie in jedem Raum erwartet. Sie will auch die letzten beiden Türen öffnen. Blaubart sitzt vor einer Flasche Alkohol und warnt Judith vor den letzten beiden Türen. Judith will aber nicht hören. In der sechsten Tür erwartet sie ein stiller Tränensee. Judith fragt nach seinen verflossenen Frauen, die Burg wird dunkler. Eindringlich warnt Blaubart Judith vor der letzten Tür. Dort befinden sich die drei früheren Frauen von Blaubart in kurzen, ebenfalls blutigen Hängekleidern. Blaubart erklärt, dass sein Reichtum von den früheren Frauen kommt. Er hatte drei Frauen, eine für den Morgen, einen für den Mittag und eine für Abend. Die treten jetzt stumm vor ihn und jede wirft ihm einen Ring vor die Füße. Blaubart sagt, er hätte noch eine Frau für die Nacht gesucht, diesen Platz müsse nun Judith einnehmen. Die siebte Tür verschließt sich, der Blumenbogen vom Anfang kommt noch einmal und Blaubart ist wieder allein.
Der Blaubart lohnt den Besuch der Aufführung also in jedem Fall. Jochen Kupfer gibt einen echten Herzensbrecher mit Wutausbrüchen, Alkholproblemen und tiefen Abgründen. So jemandem möchte man nicht begegnen und schon gar nicht allein auf einer Burg. Interessant, wie Bartok die unterschiedlichen Räume musikalisch darstellt. Ein starkes Opernstück nach einer langen Pause.
Einen anderen Weg als München hat Nürnberg beschritten und den L’Orfeo von Monteverdi auf den Spielplan gesetzt. Reduziertes Orchester, der Chor nur mit 16 Solisten besetzt, eingekocht auf 80 Minuten und ohne Pause, ist das ein Format, das man auch unter den augenblicklichen Bedingungen präsentieren kann. Es geht bei der Geschichte des Orfeo, um den Verlust der geliebten Frau und wie sich das Leben schlagartig von einem Moment auf den anderen ändern kann. Während man im ersten Akt noch eine ausgelassene Hochzeitsparty erzählt, die sich etwas sinnfrei in einem fiktiven Social-Media-Web präsentiert, kippt die Stimmung schlagartig im zweiten Akt auf Drama. Die folgenden Akte erzählen den missglückten Versuch Orpheus, seine Frau Eurydike zurückzubekommen. Er nimmt dabei die Reise in die Unterwelt in Kauf, scheitert letztlich aber an den Bedingungen, die es zu erfüllen gibt. Er verliert seine Frau ein zweites Mal und für immer.
Im Prolog sieht man ein Hippie-Mädchen mit blonder Perücke, die die Geschichte von Orpheus erzählen will. Das Hippie-Mädchen verkörpert die Musik.
Im ersten Akt befinden wir uns auf einer ausgelassenen Hochzeitsfeier. Orpheus und Eurydike heiraten mit einem großen Hochzeitsbankett. Die allgegenwärtigen Handys streamen das Event ins Netz. Es werden fleißig Herzchen verteilt und man fragt sich, für wen das Paar das eigentlich tut. In einem fiktiven Instagram werden tausendfach Bilder geteilt. Es regnet Rosenblätter, die ganze Feier ist eine perfekte Inszenierung mit Videoeinblendungen. Auf dem fiktiven Instagram sieht man die Profile von Orpheus, Eurydike und Pluto nebeneinander, der bald eine entscheidende Rolle spielen wird. Eine teilbare Videoleinwand ist dominant die Plattform, auf der Live-Videos gezeigt werden. Man sieht das hohle Teilen von Bildern. Schließlich schwebt eine digitale Projektion zweier übergroßer Ringe auf dem Bildschirm. Die Party steigt und man ist immer bemüht, das alles in bestem Licht zu präsentieren.
Im zweiten Akt geht Eurydike weg. Den genauen Moment verpasst man, aber es muss etwas Einschneidendes passiert sein. Man sieht auf der Leinwand die Projektion eines Blaulichteinsatzes in einer modernen Vorstadt. Ein Bote, dargestellt von einer Ärztin in einem weißen Schutzanzug, verkündet den Tod Eurydikes. Der Schock ist groß und man sieht schwarz-weiß Einblendungen einer Großstadt und von U-Bahnhöfen. Die Großstadt ist menschenleer und es scheint die Seuche ausgebrochen zu sein. Jedenfalls wird in der leeren U-Bahn fleißig desinfiziert.
Im dritten Akt begleitet Orpheus die Hoffnung auf dem Weg zum Hades. Man sieht brennende Ölfelder in einer menschenleeren Ödnis einer Wüste. In den Nebelschwaden steht Charon, der Wächter der Unterwelt, in einer Uniform. Orpheus muss über den Styx, den Fluss der Unterwelt. Charon verwehrt ihm das Durchkommen, da setzt Orpheus seinen Gesang ein. Charon beginnt darauf zu tanzen und lässt ihn passieren.
Im vierten Akt sind wir bei Pluto angelangt. Man sieht Pluto beim Abendessen – fränkisch - mit einem Bocksbeutel an einer langen Tafel. Am anderen Ende ist seine Frau Proserpina. Im Bühnenhintergrund liegt eine aufgebahrte Eurydike im weißen Kleid. Ja, und diese Hölle scheint tatsächlich zuzufrieren, denn es schneit. Proserpina bittet Pluto, Eurydike wieder in Richtung Oberwelt ziehen zu lassen. Dieser stellt jedoch die Bedingung, dass Orpheus sich beim Gang aus der Unterwelt nicht umdrehen darf. In einer großen Videoprojektion folgt Eurydike dem Gatten nun aus der Unterwelt. Dabei klingt das Orchester bisweilen gar nicht nach Frühbarock, sondern sehr jazzig. Natürlich ist die Prüfung für Orpheus zu hart und der dreht sich um. Eine Schar Furien aus der Unterwelt trennt nun Orpheus. Seine Frau steht rechts am Bühnenrand und stirbt zum zweiten Mal. Man sieht im Zwischenspiel die Projektion von alten Noten.
Im letzten Akt telefoniert Orpheus mit seinem Vater Apollo. Dem Sänger des Apollo filmt dabei ein Handy in den Mund beim Singen. Für mich war das ein bisschen viel Großaufnahme. Orpheus soll aber seine Gattin nie wiedersehen und wird selbst zur Statue, die sich mit einer Projektion großer Musiker vereint. Orpheus steigt quasi in den Himmel großer Musiker auf. Am Ende kommt das Partyvolk aus dem ersten Akt wieder auf die Bühne und preisen Orpheus.
Ein sehr ungewöhnlicher Monteverdi klingt da aus dem Orchestergraben des Opernhauses und nicht nur dort. Weil die Abstände dort nicht einzuhalten sind, die man augenblicklich fordert, spielen ein Teil der Geiger aus dem 1. Rang und ein Teil der Bläser aus den Proszeniumslogen. Gerade wenn man von Ferne und Weite singt, kommt das Geigerquartett im Rang zum Einsatz und schafft so neue musikalische Akzente. Die Instrumentierung mit einem Xylofon und die jazzigen Einlagen bei Orpheus Gang aus der Unterwelt wurden damals sicher nicht so notiert. Puristen von Frühbarock mögen da jetzt laut protestieren, aber dadurch werden interessante Akzente gesetzt. Barock ist jetzt nicht so mein Fall, ich fand das Ergebnis dennoch stimmig. Derzeit kann man nicht besonders wählerisch sein, man muss eben froh sein, dass überhaupt gespielt wird. Ein Blick in den Orfeo lohnt allemal, da waren sich die Kritiker einig. Wir hatten an diesem Abend Frank Löhr am Dirigentenpult, der an dieser Fassung als Komponist mitgewirkt hat. Die Oper wurde inszeniert von Jens-Daniel Herzog, wo es außer einem Tisch und einer großen Videoleinwand wenig zu sehen gab.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Da ist sie also, meine erste Oper nach dem Lockdown. Für eine Wiederaufnahme von Tosca aus dem Jahr 2010 von Luc Bondy, bin ich extra nach München gefahren. Nach sieben Monaten endlich wieder große Oper sehen, dabei war das Wie und Ob-überhaupt vielleicht noch spannender als die Oper selbst. Das fing schon beim Vorverkauf an, der zuerst nur auf 200 Karten beschränkt war. Dann ging das Zittern los, ob München nicht kurzfristig noch zum Risikogebiet erklärt wird und die Sache ganz abgeblasen werden muss. Bei 47,7 Neuinfektionen machte der Zähler kurz vor der kritischen Marke halt. Dann war ich auf die Umsetzung neugierig, große Oper mit Chor, großem Orchester, wie mag das funktionieren? Bei einer Tosca muss man sagen, erstaunlich gut. Der Orchestergraben ist erhöht und gefühlt doppelt so groß, damit die Musiker Platz haben. Das erzeugt auch wegen der wenigen Leute im Publikum einen unter Asher Fisch, manchmal vielleicht zu lauten Ton. Klar singt der Chor aus dem Bühnenhintergrund und nicht auf der Bühne, aber dennoch live. Auf die ein oder andere Person in der Statisterie hat man verzichtet und den Kinderchor reduziert. Die kurzfristige Umbesetzung der Tosca von Anja Harteros durch Sonja Yoncheva nimmt man hin und ist froh, dass man überhaupt an dem Abend in der Oper sitzen kann. Bryn Terfel als Scarpia spielt den Fiesling hervorragend und Stefano La Colla, gibt einen phonstarken Cavaradossi. Vor allem mit der Tosca war ich an dem Abend sehr zufrieden, die alle Höhen und Tiefen der Hauptfigur sehr emotional ausleuchtet.
Der erste Akt spielt in einer sehr nüchternen Backsteinversion der Kirche Sant’Andrea della Valle. Angelotti, der politische Gefangene ist aus dem Staatsgefängnis der Engelsburg entflohen und seilt sich in die Kirche ab. Dort will er sich verstecken. Das Verstecken des Bruders hat die Schwester, die Gräfin Attavanti, gut vorbereitet, in dem sie in einer Seitennische Frauenkleider für ihn deponiert hat. Dass in dieser Kirche der Maler Mario Cavaradossi ein Altarbild der Maria Magdalena gemalt hat, wo er die Gräfin Attavanti zum Vorbild genommen hatte, die zum Beten regelmäßig in die Kirche gekommen ist, ist ein Zufall. Dieses Bild ist zwar fast in schwarz-braun und mit wenig Farbe gemalt, dennoch singt er sein „da mi colori- Recondita armonia“, denn ein entscheidendes Detail des Bildes sind die blauen Augen. Mit einem roten Gazeschleier kommt nun Tosca auf die Bühne. Sie hätte eine Stimme gehört und nun ist die Freundin des Malers und maßlos eifersüchtig. In dem Bildnis erkennt sie sofort die mögliche Rivalin, die Attavanti und fordert Mario auf, die Augen des Bildnisses zu ändern in dunkel. Tosca geht und es erscheint Angelotti, der einen Stuhl umwirft und mit Cavaradossi die weitere Flucht plant. Er soll sich im Landhaus verstecken. In der Eile lassen sie den Fächer, der Teil der Verkleidung war in der Kirche zurück. Es tritt Scarpia auf, der Polizeichef von Rom. Mit drei Gehilfen legt er einen imposanten Auftritt in der Kirche hin. Mit einem Indizienbeweis stellt er am leeren Essenskorb und dem Fächer fest, Cavaradossi hat Angelotti bei der Flucht geholfen. Zudem findet er den Fächer der Attavanti und will diesen geschickt einsetzen, um die Eifersucht bei Tosca zu schüren, die wieder in die Kirche zurückgekommen ist. Vor Eifersucht tobend wirft sie schon mal den Fächer über die Bühne, der Teil der Verkleidung der Attavanti war. Mit einem Pinsel attackiert die das Bild ihrer Rivalin. Tosca folgt ihrem Geliebten und will ihn zur Rede stellen, was es mit der Attavanti und ihm auf sich hat. Es ertönt das Te Deum, wo der Chor aus dem Off singt, was angesichts der großen Kirche durchaus stimmig ist.
Im zweiten Akt befindet man sich in einem sehr aufgeräumten Palazzo Farnese. In der Mitte des Raums befindet sich ein großes Fenster. In einem Schaukelstuhl sitzt lässig eine Gespielin von Scarpia, leicht bekleidet und in lila Strümpfen. Auch hier hat man die Zahl der willigen Damen um den Polizeichef von Rom etwas reduziert. An einem Tisch sitzt Scarpia. Vergeblich hatte man den Landsitz Cavaradossis untersuchen lassen. So lädt Scarpia Tosca ein. In einem Nebenraum foltert man nun Mario, damit er den Aufenthalt von Angelotti preisgibt. In einem Nebenraum rechts geht nun immer wieder die Tür auf, damit Tosca die Schreie des Gefangenen hört. Der Raum ist in gelbes Abendlicht getaucht. Schließlich gibt Tosca den Aufenthaltsort von Angelotti bekannt, worauf der sich vor den Häschern umbringt. Scarpia will aber mehr, er begehrt Tosca, die ihn deutlich zurückweist. Er bietet das Leben Cavaradossis für den Preis an, dass sich Tosca ihm hingibt. Vor dem Fenster erkennt Tosca, dass ihr nur eine Stunde Zeit bleibt, den Geliebten zu retten. Sie singt ein äußert beeindruckendes „Vissi d’arte“, das mit einem langen Publikumsapplaus endet. Scarpia sieht so lange aus dem Fenster. Er will den Gefangenen nun nur zum Schein erschießen lassen, wenn sich Tosca ihm hingibt. Tosca willigt ein unter zwei Bedingungen: Sie möchte die Begnadigung Mario selbst sagen und sie will freies Geleit aus dem Kirchenstaat. Zum Schein geht Scarpia auf das Geschäft ein. Auf dem Tisch des Polizeichefs entdeckt Tosca ein Messer. Sie drapiert sich aufreizend auf dem Sofa und erwartet Scarpia, den sie am Sofa mit mehreren Stichen ermordet. Kopfüber und mit den Beinen am Sofa stirbt Scarpia.
Der dritte Akt zeigt eine fast leere Bühne. Nur am äußersten rechten Rand findet man zwei Zinnen der Engelsburg. Das Erschießungskommando bringt Mario herein. Der bittet, noch einen Abschiedsbrief an seine Geliebte schreiben zu dürfen. Auf einem Hocker schreibt er ein paar Zeilen an Tosca und singt seine Arie „E lucevan le stelle“. Tosca tritt auf und klärt ihn auf, dass seine Erschießung nur zum Schein passieren wird und dass er bühnengerecht sterben soll. Im Anschluss würde sie kommen und mit ihm flüchten. Das Kommando erscheint und feuert die Gewehrsalven auf Mario ab. Als sich der Pulverdampf verzieht, stellt Tosca entsetzt fest, dass Mario wirklich tot ist. Man hat inzwischen den toten Scarpia entdeckt und ist Tosca auf der Spur. Mit dem Ausruf „O Scarpia, avanti a Dio!“ stürzt sich Tosca von der Engelsburg, um ihren Verfolgern zu entgehen.
Was ein tolles Opernerlebnis nach so einer langen Durststrecke. Schon bei der ersten großen Arie von Cavaradossi sind all die Aufregungen um diesen Opernabend vergessen. Die Anreise nach München werden belohnt mit einem wunderbaren Sängertrio und großer Oper. Die Leistung der Staatsoper, mit den derzeitigen Auflagen und Risiken, ein solches Projekt durchzuziehen, kann man gar nicht groß genug würdigen. Ich war wirklich gespannt, wie die ganze Oper umgesetzt wird und war am Ende restlos überzeugt von dem, was mir geboten wurde. Es war für mich ein sehr emotionaler Abend nach einer langen Pause in meinem liebsten Hobby. Ich versprach, dass das Blog zurückkommt, wenn es wieder Live-Oper gibt. Und es gibt sie… Ein Besuch lohnt unbedingt.
Liebe Blog-Leserinnen und Leser,
Spielregel dieses Blog ist es ja, dass ich selbst in einer live-Aufführung einer Oper anwesend sein muss, um eine umfassende Kritik zu schreiben. Nun trifft der Lockdown natürlich auch das Opernblog wegen der aufgestellten Regeln. Da große Häuser inzwischen die Spielzeit 2019/20 beendet haben, ist nicht so schnell mit neuen Opern-Zusammenfassungen zu rechnen. Ich bitte daher um Nachsicht, dass ich augenblicklich keine weiteren Zusammenfassungen veröffentliche. Streams der großen Opernhäuser gibt es viele, wo man über Aufführungen aus den vergangenen Jahren schreiben könnte. Für mich hat die Konserve eines Live-Mitschnitts aber einen entscheidenden Nachteil: Hier bestimmt eine Bildregie, wann was zu sehen ist. Ich kann nicht selbst entscheiden, was bei einer Vorstellung an Detail für mich interessant gewesen wäre und die Kamera gerade nicht zeigt. Vom live-Erlebnis lebt für mich die Oper, Konserven halten zwar über Wasser während des Lockdowns, schränken den Operngenuss für mich aber deutlich ein. Heute wurde die Spielzeit am Staatstheater Nürnberg ebenfalls für beendet erklärt. Das Opernblog lebt wieder, sobald man wieder spielen darf, egal in welcher Form.
Bis dahin... Bleiben Sie gesund, auf ein baldiges Wiedersehen in einem der Opernhäuser...
Stephan