Ilaria Lanzino inszeniert in Nürnberg einen bezaubernden Liebestrank. Dabei transportiert sie die Komödie in die Zeit der sozialen Netzwerke, was vor Ort wirklich unglaublich gut funktioniert. Sie lässt in dem Stück zwei Versionen des Dulcamara, des angeblichen Doktors und Quacksalbers der Oper, gegeneinander antreten. Während Dulcamara 1.0 echte Weinflaschen an die Dorfbewohner gibt, zieht ein diabolisch, schwarzer Dulcamara, der etwas an Fantomas erinnert, die Dorfbewohner in ein soziales Netzwerk.
Die Oper startet mit dem eigentlichen Ende. Nemorino, der mittellose Junge vom Dorf, heiratet vor einem künstlichen Baum, seine angebetete Adina mit Brautschleier. Das Ganze könnte aus einer Otto-Schenk-Inszenierung entsprungen sein, so werkgetreu werden die Dorfbewohner dargestellt. Die Aufführung könnte wirklich um 1815 im Baskenland spielen, man sieht eine wunderbar gemalte Kulisse und die Dorfbewohner tragen historischen Kostümen. Mit dem Auftritt eines Dulcamara 2.0, der aus der Unterwelt mit vier Gehilfinnen hervorkommt, endet die Idylle aber. Mit einem übergroßen Handy von Bühnenhimmel, auf dem ein magenta-farbener Tropfen zu sehen ist, verkauft er den Dorfbewohnern unsichtbare Smartphones und den Zugang in ein soziales Netzwerk. Die legen darauf ihre historischen Kostüme ab und bewegen sich in einer Art Bauhaus-Zukunft mit weißen, symmetrischen Gewändern. Bereitwillig scannen sie ihre Gesichter ein und lassen sich im sozialen Netzwerk verschönern. So wird aus dem ersten Darsteller ein Muskelmann, aus der zweiten eine jugendliche Schönheit. Auch Adina ist mit einem stilisierten Reifrock ins digitale Netz eingetaucht, nur Nemorino behält als Außenseiter die historischen Kostüme an. Das ganze Dorf ist quasi mit dem Netz ein Gefangener des Dulcamara 2.0. In dem Netzwerk können Follower gesammelt werden, zu sehen an Elisir-Flaschen, die sich füllen. Adina posiert unter einem riesigen Handy-Bildschirm und sammelt dort ihre Follower ein. Nemorino hat keine Chancen. Adina liest die Geschichte des Liebestrank von Tristan und Isolde aus einem Elisir-Buch vor. Adina geht auf die Suche nach dem passenden Partner im Netzwerk und hat ein Match mit Belcore. Belcore ist dabei nicht ein Kämpfer, sondern ein Zocker mit einer Gamer-Gang, die Halo spielt. Für das erste Treffen steckt sich Adina virtuelle Push-Ups in den BH. Belcore ist aber ziemlich übergriffig, ein glatzköpfiger Gämer in Schwarz, der Adina an ihre Brüste fasst und letztlich ihren Reifrock herunterreißt. Nemorino sieht keine andere Chance, als selbst Teil des Netzwerks zu werden, um Adina zu erobern. Dulcamara 1.0 sieht das kritisch und will sich darauf hin erhängen. Um 10 am nächste Tag sollte ein Duell zwischen Belcore und Nemorino in Halo sein, zu sehen an einem großen Masterchief-Logo. Nemorino hat für den Wechsel ins Netzwerk ein modernes Kostüm an und sammelt jetzt ebenfalls Follower. Es kommt zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Belcore und Nemorino. Während Belcore aus dieser Aktion mit mehr Followern hervorgeht, sieht man am Bildschirm, wie die Follower von Nemorino sinken und bei 9 stehen bleiben. Die Dorfbewohner erscheinen mit LED-Ringen und beleuchten die Szene, wie Nemorino blutig geschlagen wird. Die blutige Auseinandersetzung wird dabei live verfolgt und die Bilder davon ins Netz gestellt. Belcore geht als Sieger hervor und wird im nächsten Akt Adina heiraten.
Nach der Pause beobachtet Dulcamara 2.0 die Hochzeit von Adina und Nemorino. Das Ganze wird auf fünf großen Monitoren live ins Netz gestreamt. Das eigentliche Brautpaar wird zur Nebensache und man sieht, wie sich die Gäste im Netzwerk selbst inszenieren. Adina will den Vertrag mit Belcore aber erst unterschreiben, wenn Nemorino als Zeuge unterschreibt. Diese dramatische Verwicklung unterbricht den Livestream für kurze Zeit. Um Geld für einen weiteren Liebestrank zu haben, willigt Nemorino ein, bei den Soldaten anzuheuern. Es findet ein virtuelle Kampf mit VR-Brillen statt zwischen Belcore und Nemorino. Unterdessen fällt der reiche Onkel von Nemorino mit einem Smartphone in eine Grube und verstirbt. Hier funktioniert der Ansatz mit dem sozialen Netzwerk sehr gut. Das Ereignis des Erbes wird bekannt im Netzwerk und alle Damen umschwärmen plötzlich Nemorino. Der Gemüsehändler hätte diese Neuigkeit der Erbschaft erfahren und sie muss wohl stimmen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht im sozialen Netzwerk. Jetzt wird es Dulcamara 1.0 zu viel. Er dringt ins Herz des sozialen Netzwerks ein und lässt dort drei Böller los. Die Bildschirme erlöschen der Reihe nach und die Dorfbewohner sind frei. Dulcamara 2.0 fährt in die Hölle und hat seine Macht verloren. Adina legt ihre moderne Kleidung ab und ist gerührt von Nemorino. Er meint die Zuneigung an einer Träne von Andina ablesen zu können und singt seine Arie: Una furtiva lagrima. Adina kauft den Ehevertrag von Belcore zurück. Sie ersetzt das A+B (Adina und Belcore) durch A+N(Adina und Nemorino) am Baum. Am Ende befindet man sich wieder in der Otto-Schenk-Idylle. Die Dorfbewohner tanzen, tragen Kisten mit Äpfeln auf die Bühne und sind fröhlich. Der Spuk des sozialen Elisir-Netzwerks ist vorbei, scheint es. Zum Finale kommen die Gehilfinnen von Dulcamara 2.0 ins Parkett. Als Schlussbild sieht man Dulcamara 2.0 lachen. Man sieht die Dorfbewohner echte Handys zücken. Vielleicht ist der Spuk doch nicht ganz vorbei?
Die Vorstellung war ausverkauft und hat das Zeug zu einem richtigen Dauerbrenner zu werden. Das vorwiegend junge Publikum war begeistert und spendete langen Applaus. Manchmal bleibt einem bei dem Verhalten der Dorfbewohner nur das Gruseln, wie stark die sozialen Netzwerke inzwischen die Wirklichkeit dominieren und das Verhalten der Leute beeinflussen. Handys sind in der Inszenierung nie zu sehen, die Dorfbewohner wischen vor sich im Leeren auf imaginären Bildschirmen. Nicht das Gerät ist das Problem, sondern das Netzwerk dahinter. Eigentlich eine komische Oper die ganze Sache, bei der einem stellenweise aber so gar nicht mehr zum Lachen zu Mute ist. Gesungen und gespielt wurde sehr gut, wobei der Nemorino die ideale Rolle für Martin Platz ist. Andromahi Raptis zündet ein Kolloraturfeuerwerk und reizt ihre Möglichkeiten voll aus, vor allem gegen Ende. Mit Francesco Sergio Fundarò war für mich ein neuer Dirigent am Pult, der die Oper mit viel Tempo vorantreibt. Die Inszenierung ist ein großer Wurf der Italienerin Ilaria Lanzino. Bei den Chorszenen ist immer Bewegung mit im Spiel und dumpfes Rumstehen ist nicht möglich. Wie die Lemminge bewegen sich die Dorfbewohner im sozialen Netzwerk, folgen diesem und jenem schnell hinterher, geben kurz Applaus und inszenieren sich dann wieder selbst. Ich kann die Aufführung nur empfehlen, wenn man keine Angst vor dem Spiegelbild hat, das einem vorgehalten wird. Gerade das scheinbar glückliche Ende wirft Fragen auf: Ist Dulcamara 2.0 wirklich besiegt?
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Unfassbar, aber die Aufführung von Hair an der FAU in Nürnberg hat diesmal wirklich stattgefunden. An die Karten bin ich per Zufall gekommen. Jetzt ist so ein vollbesetztes Auditorium, nach all den Jahren des Abstandshaltens, eine echte Herausforderung. Wenn das keine Risikobegegnungen gibt, esse ich meine Maske. Im Ernst, ich habe auch während der Aufführung meine Maske aufbehalten, bis ich aus dem Hörsaal draußen war, so viel Nähe nach zwei Jahren Distanz muss man erst einmal verkraften.
Wie ich das letzte Mal schon sagte, dieses Musical besitzt ein schlechtes oder besser gesagt, kein richtiges Libretto. Daher kann man auch vor allem im zweiten Teil im Drogentrip, lustige Dinge einbauen, die es in der Originalfassung nicht gibt. Wenn es sowas wie eine Originalfassung denn überhaupt gibt, da das Musical mehrfach umgearbeitet wurde. Die Darsteller bemühen sich mit aller Kraft, Flower-Power und Hair anzubringen. Jedenfalls gibt es kahlrasierte Achselhöhlen und kurz geschorene Haare, was sicher damals nicht der Fall gewesen wäre. Haare schön und gut, aber dann bitte mit der Ästhetik des Instagram-Zeitalters.
Über die ganze Bühne zieht sich eine graue Wellblech-Wand, in der wabenförmige Aussparungen sind. Oben ist ein Steg und links oben sitzt die Band, die ganze Arbeit leistet. Toll ist die Sängerin des Aquarius, der Eröffnungsnummer, die wie eine Sternengöttin rechts oben auf der Bühne thront. Wie schon bei Hair üblich, gehen die Darsteller am Anfang durch die Reihen und schnorren um Geld für ihren nächsten Trip aus. Dass aus dem Berger, ein Burger wurde, wer kennt schon das Original so genau. Was allerdings stimmig ist, dass Claude aus dem Tribe und Burger eine homoerotische Affäre haben. Das wurde in der Filmversion gestrichen. Es geht um freie Liebe im Tribe der 26 Darsteller. Und so eng, wie die Interaktion auf der Bühne ist, ist das leider gar nicht coronakonform. Claude meint seinen Einberufungsbescheid zu verbrennen, hat aber im Rausch seinen Führerschein verbrannt. Es ist wieder mal Krieg, insofern ist das Musical sehr nah am Puls der Zeit, mit seiner radikalen Friedensforderung. Es werden immer wieder Peace-Chöre skandiert. Man feiert auch hier sich im ersten Akt hauptsächlich selbst. Eine Handlung ergibt sich am Anfang nur sehr zaghaft, als sich entwickelt, wer im Stück die Hauptpersonen sind. So gibt es einen Einwurf mit drei Unigelehrten, der sicher nicht so im Original enthalten ist, die die Ausschweifungen der Hippies natürlich verurteilen. Es gibt auch eine Puppenshow auf fränkisch mit Schorsch und Magret, wie gesagt, alles sehr frei vom Original weg. Die Moral-predigenden Eltern werden in Glaskästen auf die Bühne gefahren. Dabei spielen die Frauen die Väter und die die Herren die Mütter. In drei Plexiglas-Vitrinen. Es gibt auch beim Veralbern einer Blondine eine Anspielung auf Helene Fischer, scheinbar wollte man einfach ‚Atemlos‘ singen. Die Frau mit Kind, die versucht, ihren Mann aus dem Hippie-Tribe zu lösen hat man drin gelassen. Die Nacktszene am Ende des ersten Akts entfällt jedenfalls. Man ist nach 75 Minuten eigentlich fast mit der Handlung durch und fragt sich dann, was nach der Pause von 20 Minuten noch kommt.
Es kommt im zweiten Akt ein ausufernder Drogentrip von Claude. Die Flower-Power-Girls singen: Sag mir, wo die Blumen sind. Ein riesiger LED-beleuchter Joint wird über die Bühne getragen und alle sind bekifft. Claude fliegt quasi zuerst in ein blaues Firmament. Die Drogen haben zur Folge, dass Claude eine Hexenverbrennung sieht. Die drei Gelehrten aus dem ersten Akt sind drei Priester. Man sieht ein Paar aus Shakespears-Zeiten über die Bühne stolzieren. Aber auch eine Mittelmeer-Schlauchboot-Fahrt zu „Pata Pata“ von Miriam Makeba ist dabei. Eine Videospiel-Projektion mit Super-Mario und stolzierende Nussknacker sind ebenso mit von der Partie. Das alles dauert ziemlich lange und endet dann auch abrupt. Claude und Burger tauschen die Rollen. Zur Einberufung für Vietnam geht schließlich Burger statt Claude. Man erlebt Absprungszenen aus dem Hubschrauber in Vietnam und auch die gestrichene Tötungsszene. Letztlich landen alle Darsteller in Militärklamotten und singen ein ‚Let the sun shine in‘. Dies gerät aber nicht zur Mitklatschnummer, sondern endet mit dem Auszug der Darsteller ganz leise, in der Ferne.
Als Zugabe gab es Imagine von John Lennon, da durften dann alle auch das Handy zücken und Bilder machen für die sozialen Netzwerke.
Nach 2h 45 Minuten war die Vorstellung beendet. Das ist gut eine Stunde länger als üblich. Im vollbesetzten Auditorium ist die nächste Riskobegegnung der Corona-App damit schon vorprogrammiert. Instagram und die Wirklichkeit von 2022 passt so gar nicht zu Anfassen und Love&Peace der 68er-Generation. Gespielt wurde mit viel Einsatz, gesammelt wurde für die musikalische Bildung der Schüler nach Corona, willkommen in der Wirklichkeit.
P.S.: Natürlich hatte ich in Hair eine Risikobegegnung, wie mir meine App heute mitgeteilt hat, die aber Dank Maske folgenlos blieb.
Für Bela Bartoks einzige Oper war ich zur Premiere in Essen. Da die Aufführung in Nürnberg mir so gut gefallen hatte, wollte ich die Oper gerne nochmal sehen. Wir auch in Nürnberg brachte man das Werk in Ungarisch auf die Bühne. Das Werk entstand 1911 und wurde 7 Jahre später 1918 uraufgeführt. Wegen der spröden Handlung, da es nur einen Ort gibt und zwei Darsteller und mit einer guten Stunde Spielzeit auch ziemlich kurz ist, galt es als unspielbar. Tief verankert im Werk ist die Psychoanalyse einer Beziehung, einer selbstbewussten Judith, die ihre Rechte einfordert und ein brüchiger Ehemann, der versucht, seine Geheimnisse hinter den Türen geschlossen zu halten. Während die Personen in Nürnberg kaum interagierten, wurde hier auf der Bühne bis zum blutigen Ende gekämpft. So war die Deutung hier mehr auf den Konflikt gelegt. Klar kann man an der Handlung nichts ändern.
Schon zu Beginn blickt man auf die verschlossene Bühne. Man hört den Wind blasen und Judith wird beim Namen gerufen. Als der eiserne Vorhang runter gefahren ist, blickt man auf eine runde Bühne. Am Rand sitzen in weißen Hängeschaukelstühlen ein paar Zuschauer. Mit sogenannten Bühnenkarten, werden die in die Handlung mit einbezogen. Immer wieder steht jemand aus den Zuschauern auf und interagiert mit Judith oder Blaubart. Blaubart selbst hat einen schweren Mantel an und ist gekleidet wie im 18. Jhd. Judith dagegen mit Bluse, gelber Hose und hochhackigen Schuhen, kleidet sich erst zu Beginn um und trägt dann ein rotes Kleid mit Pelzbesatz, als die Handlung einsetzt. Zentral ist das Frageverbot in der Oper, denn Judith soll nicht wissen, was hinter den Zimmer steht. Die düsteren Klänge am Anfang bei der Folterkammer lassen auf einen blauen Raum blicken, der aus dem Bühnenhimmel abgelassen wird. In der Folterkammer sitzt ein Mädchen, das ein Kopfkissen mit Federn auseinander nimmt. Immer wieder kippt der teils durchsichtige Raum, der mit Eisenornamenten versehen ist. Als der Raum kippt und zur Waffenkammer mutiert, werfen Statisten weiße Kunstlilien mit scharfen Enden in den Boden. Immer wieder hebt sich die Raumbegrenzung, dreht sich und gibt neue Einblicke in die Schatzkammer, die dann folgt und den Garten frei. Auf der kreisrunden Begrenzung der Bühne mit Neonröhren, läuft eine Projektionsfläche, auf der schwarz-weiße Großaufnahmen gezeigt werden. Judith und Blaubart kämpfen auf der Bühne weiter, um jedes Zimmer. Das Blut, das Judith immer besingt, ist jetzt auch auf den Darstellern zu sehen, die nach und nach ihre Kleider verlieren. Zum Zimmer des Reichs fährt eine Leuchtschild mit der Aufschrift „Es war einmal-war nicht“ aus dem Bühnenhimmel. Dort gerät die Musik eindrucksvoll und bombastisch. Der Höhepunkt ist eigentlich erreicht. Aber Judith macht weiter und entdeckt im nächsten Zimmer einen Tränensee. Vier Statisten stehen auf und halten sich Spiegel vor die Gesichter. Einen der Spiegel zerschlägt Judith. Aber wo kommen die Tränen her? Judith verlässt die Bühne und geht auf die Suche im Zuschauerraum. Im letzten Zimmer kommt sie drauf, es sind die Tränen seiner verflossenen Frauen. Blaubart hatte davon drei: Eine junge Frau für den Morgen, eine junge Erwachsene für den Mittag, eine etwas reifere Frau für den Abend. Judith wird die Frau für die Nacht. Judith knipst an dem Schild, das N und das T aus. Somit steht unter dem „Es war einmal-war ich“. Im Kampf hat sich Blaubart aufgelöst und Judith steht alleine auf der Bühne. Es werden Lampen an die Zuschauer auf der Bühne ausgeteilt. Das Zimmer senkt sich erneut ab und die Zuschauer sammeln sich im Innenraum. Inzwischen haben alle gelbe Regenumhänge. Bei den letzten Zimmern wurden blaue Sprüche an die weißen Ränge des Theaters geworfen. Das fiel mir erst gegen Ende auf, als sich Leute umgedreht hatten.
Am Ende gab es langen Applaus für die beiden Protagonisten und den Dirigenten. Es gab noch reichlich Karten für die Premiere. Karl-Heinz Lehner als Blaubart und Deidre Angenent als Judith müssen für die ganze Stunde vollen Einsatz zeigen. Es ist nicht klar, wer am Ende stirbt, denn auch Blaubart verausgabt sich in dieser Stunde völlig. Mir hat es jedenfalls gefallen. Die Musik mit den unterschiedlichen Räumen, die Judith öffnet, erschließt jedesmal andere Tonarten.
Eigentlich sprechen die Corona-Inzidenzen derzeit gegen einen Besuch in einem Theater. Als es spontan noch Karten für den Fliegenden Holländer im Stadttheater in Fürth gab, habe ich mich entschlossen, in die Aufführung des Staatstheaters Meinigen zu gehen. Gespielt wurde eine Aufführung, die in Ulm von Kai Metzger entworfen wurde, aber schon 2017 in Detmold und 2021 in Meiningen zu sehen war. Jetzt ist so ein Holländer vor der eigenen Haustür eine tolle Sache an sich schon. Das Fürther Stadttheater hat eine gute Akustik und ich wollte schon immer einmal einen Wagner in dem Gebäude hören. Klar ist das Orchester nicht so überbordend besetzt, dank eines kleinen Orchestergrabens. Das lässt den Sängern aber auch viel Luft für Textverständlichkeit. Dank der Übertitel konnte man die Handlung bestens verfolgen. In der Einführung wurde erklärt, dass man den Holländer in einem Kino-Foyer spielt und da dachte ich nur, oh weh Regietheater. Der nächste Punkt war eine Pause mitten im zweiten Akt, eigentlich ein Sakrileg. Durch die ungünstige Einteilung gibt es normalerweise keine Pause oder zwei. Aber nur eine Pause und dann wo? In der Aufführung ist die Darstellerin der Senta ganz versessen in den Film ‚Fluch der Meere‘, der immer im Kino 1 läuft. Sie scheint auch der einzige Fan dieses Films zu sein. Schon im ersten Aufzug steht sie vor einem Kinoplakat mit einer düsteren Heavy-Metall-Gestalt des Holländers.
Während der Ouvertüre rennt Senta viermal in den Film ‚Fluch der Meere‘. Sie ist immer allein, wenn die Musik kurz verschnauft, nimmt sie einen erneuten Anlauf. An einem runden Tresen steht ein weiblicher Kinoarbeiter als Kellner, der immer wieder die Gläser wegräumt, wenn Senta ins Kino eilt. Daland, Sentas Vater, ist nun ebenfalls im Foyer und betrinkt sich. Er muss eine ziemliche Fahne haben, denn sein Schiff macht keinen Schnitt mehr und er sitzt fest im Foyer. Nach dem Steuermann-Lied wird es kurz dunkel. Es sieht so aus, als ob die Figur des Holländers aus dem Plakat herausgestiegen ist und nun röchelnd am Boden des Foyers liegt. Bei der Auftrittsarie des Holländers beklagt er sein Leid, er versucht sich mit der Pistole das Leben zu nehmen, ein hoffnungsloses Unterfangen als Untoter. Bei den Schlussakkorden der Arie lässt der Holländer Sand durch seine Hände rinnen. Mit einem Seesack setzt er sich müde an die Bar. Mit ausgestrecktem Arm verfolgt Senta die Szene. Auf dem Kinoplakat hat der Titel gewechselt. Es steht nun dort: Der Ruf der Heimat. Es folgt der Deal von Daland, dass er gegen viele grüne Scheine, die hier der Schatz des Holländers sind, seine Tochter an den Untoten verkauft. Nach dem Deal kommt seltsamerweise Wind auf und Daland kann seine Fahrt fortsetzen. Begleitet wird die Abfahrt von 18 Matrosen, die ebenfalls als Kellner auftreten und im Takt der Musik Gläser polieren. Als Wind aufkommt, halte sie alle ihre weißen Geschirrtücher hoch. Als die Herren der Schöpfung verschwinden, ist es Zeit für die Spinnstube. In Reih und Glied treten 15 Damen mit gleicher Frisur und Strickzöpfen auf. Zur Musik bewegen sie heftig die Stricknadeln, bis ihre Seemänner zurückkommen. Bis auf Senta, die ja ihren Erik hat, der Jäger ist. Als die Damen eine Kette bilden und um Senta rumtanzen, wird es ihr zu viel. Sie stellt sich vor das Filmplakat, das glutrot leuchtet und sing die Arie vom Fliegenden Holländer. Erik tritt auf und versucht sie umzustimmen, was aber nicht gelingt. Dann ist Pause, mitten im Stück, wo die Musik eigentlich nahtlos in den Auftritt des Fliegenden Holländers mündet.
Es folgt der Auftritt des Fliegenden Holländers im Foyer. Daland ist wieder mal der betrunkene, übergriffige Vater, der gegen Geld seine Tochter anpreist. Etwas entnervt ist der Holländer, zwischen beiden funkt es sofort. Sie tanzen einen Walzer und man sieht eine Einblendung an der halbdurchsichtigen Wand, wie der Filmheld mit seiner Senta den Abendhimmel unter Palmen ansieht. Der Holländer zieht den Mantel aus und bekommt von seiner Senta eine Strickjacke angezogen. In einer weiteren Einblendung sieht man Senta in einem Wohnzimmer sitzen mit Erik. Wieder später sieht man, wie der Filmheld Senta würgt. Nachdem man übereingekommen ist, setzen sich Daland, Senta und der Holländer an einen Bistrotisch am Bühnenrand, trinken Sekt und spielen vermutlich ‚Mensch-Ärger-Dich-Nicht‘. Unterdessen tritt der Chor auf und fordert die Geister am Schiff des Holländers heraus. Die melden sich per Lautsprecher zu Wort, während das Kinofoyer lila beleuchtet wird und die Lichter flackern. Als die Geister weg sind, kommt noch mal Erik herbei und sagt, dass Senta eigentlich ihm versprochen wäre. Es kommt zu einem Handgemenge, wo Mary und der Steuermann hinter dem Tresen dringend die Polizei rufen wollen. Aber zu spät. Der Holländer dreht durch und hält in der Schlussszene Senta den Revolver an die Schläfe. In dem Moment endet die Szene, es wird dunkel und wieder hell. Man sieht Senta wieder alleine im Foyer sitzen, es war alles nur ein Traum aus einem Filmstreifen. Sie geht wieder voller Euphorie ein weiteres Mal in den ‚Fluch der Meere‘, um als alte Frau aus dem Kino zu kommen. Damit bewahrheitet sich Marys Weissagung: Willst du dein ganzes junges Leben verträumen vor dem Konterfei?
Die Verblendung Sentas wurde auf schlüssige Weise mit der Liebe zu einem Filmstar erklärt. Manchmal braucht es kein Schiff im Holländer, um die Handlung zu verdeutlichen. Es waren total witzige Szenen drin, wie die Seemänner alle als Kellner im Takt der Musik die Gläser polieren; oder die Damen in der Spinnstube in Reih und Glied auf der Bank im Kino sitzen und stricken. Mir hat auch die Umsetzung im Orchester sehr gut gefallen, denn hier wurde das Dunkle, Glutvolle der Partitur voll ausgekostet, mit schönen Dehnungen. Das Meeresrauschen, das man bei Eriks Rettungsversuch hört, war plastisch zu hören. Den Sängern wurde genügend Raum gelassen und nicht völlig vom Orchester übertönt. Auch wenn man das jetzt vielleicht nicht gern hört, dieser Holländer war schlüssiger erzählt, besser ausgeleuchtet musikalisch als vergangenes Jahr in Bayreuth. Rund um zufrieden und begeistert habe ich das Stadttheater verlassen. Würde der ‚Fluch der Meere‘ noch einmal im Stadttheater gegeben, wäre ich wie Senta sofort dabei. Diese Oper war wirklich ganz großes Kino.
Eigentlich ist es ein Wunder, dass der Troubadour diesmal im Opernhaus in Nürnberg wirklich stattgefunden hat. Nach einem erfolglosen Anlauf im November und mit einer neuen Corona-Variante am Start standen auch diesmal die Zeichen eher schlecht. Ein großer Chor, viele Musiker im Orchestergraben, das alles lässt so eine Aufführung derzeit eher scheitern. Und trotzdem hat es dieses Mal geklappt. Zu sehen ist eine leicht angepasste Fassung des Troubadours, den man hier ohne eine Pause gibt. Daher musste in der Roma-Szene im 2. Akt der Chor der Soldaten einmal übernehmen. Auch bühnentechnisch konnte man sich kein großes Bühnenbild mit aufwendigen Umbauarbeiten leisten. Das besteht im Wesentlichen aus einem Scheiterhaufen und einem Puppentheater. Die Verbrennung der Mutter von Azucena, einer Roma, vor 25 Jahren ist so zentral, dass sie im 2. Akt eine drastische szenische Umsetzung erfährt. Darin wird eine schreiende, rothaarige Darstellerin symbolisch verbrannt. Die Asche verteilt sich auf dem ganzen Bühnenboden und fällt auch teilweise vom Himmel. Das zweite Element, das Puppentheater, lässt die vier Protagonisten teilweise als Puppendouble auftreten. Das ist ein typisches Element von Konwitschny, das schon in Boris Godunow Verwendung fand. Während die Puppen und der Chor historische Kostüme haben, treten die vier Protagonisten in heutiger Kleidung auf. Das Puppentheater kracht am Ende des 2. Akts aber auch auseinander, als Leonora aus dem Kloster entführt wird. Dass die Oper eigentlich im 15. Jahrhundert in Spanien während eines Erbfolgestreits um die Herrschaft von Aragón spielt, muss man eben der Einführung entnehmen. Die beiden Brüder stehen sich auf verfeindeten Lagern gegenüber. Während der Graf Luna zur Seite des kastilischen Königs Ferdinand steht, steht Manrico auf der Seite der Aufständischen um Jakob II. von Urgell. Die Geschichte der Oper zu erzählen ist schwierig, da sie viele Brüche und Wendungen hat und man sich eigentlich mit den überdrehten Hauptpersonen nicht wirklich identifizieren kann.
Der erste Akt spielt vor dem Puppentheater. Das soll also die Vorhalle des Schlosses Aliaferia sein. Ferrando, der Hauptmann, raucht und erzählt mit Kreidestrichen die Vorgeschichte der Oper. Eine Roma hätte den Sohn des alten Grafen mit einer Krankheit verhext, die hätte man mit Verbrennung bestraft, worauf sich die Tochter gerächt hätte, den Sohn des Grafen entführt und ins Feuer geworfen. Der Graf hätte aber die Suche nach seinem Sohn nie aufgegeben und der Tochter der Zigeunerin. Zu Recht glaubte der Graf daran, dass sein jüngerer Sohn noch lebte. Am Ende findet ein Gin-Besäufnis der dort lagernden Truppe statt. Das folgende Bild spielt im Puppentheater. Leonora, eine Hofdame der Prinzessin von Aragón, hat sich in Manrico einen Troubadour verliebt, sie schwärmt vom Troubadour. In einer Täuschung läuft sie aber dem Grafen Luna in die Arme. Dieser hält sie für treulos und es kommt zum Duell, das in der Darstellung leider etwas untergeht. Manrico gewinnt in dem Duell und besiegt den Grafen, lässt diesen aber ziehen.
Im zweiten Akt findet nun ein Rollentausch statt. Die Truppen aus dem ersten Akt spielen die Roma-Gruppe, die sich die Geschichte von Azucena anhört. Sie erzählt vom Puppentheater herunter die Geschichte von der Verbrennung ihrer Mutter. Unter Schreien wird eine rothaarige Statistin auf einen elektrischen Scheiterhaufen gefesselt, vergewaltigt, mit einem Benzinkanister übergossen und verschwindet hinter einem hinterleuchteten Gaze-Schal, der die Flammen darstellt. Am Ende bleibt ein verkohltes Gerippe auf dem Scheiterhaufen. Die zeigt, wie elementar diese Vorgeschichte die Handlung bestimmt. Sie erzählt Manrico auch in ihrer Trance, wie sie damals ihren eigenen Sohn versehentlich dem Feuer übergeben hat. Dennoch klärt sich das Verwechslungsmotiv an der Stelle noch nicht auf. Manrico erzählt auch, wie er seinen Rivalen nicht töten konnte im Duell. Dennoch verfolgt ihn der Graf weiter als politischen Rebellen. Nun erfährt Manrico, dass Leonora ins Kloster gehen will. Im nächsten Bild kommt zuerst Luna mit seinen Leuten und will Leonora aus dem Kloster entführen. In diese Entführungsaktion kommt nun Manrico mit einer zweiten Entführung mithilfe einer Cowboy-Truppe. In diesem Moment bricht das Puppentheater auseinander. Der Nonnenchor bewaffnet sich an einem Taufbecken, die drei Chöre stehen sich mit Waffen gegenüber, in der Mitte Leonora, Manrico und Luna. Die Szene erinnert etwas an Sister Act und der Regisseur meinte, hier wäre es fast ein Musical. Zumindest die schwarz-weißen Nonnen mit ihren Hauben erinnern daran.
Im dritten Akt planen die Aufständischen einen Angriff. Azucena schleicht sich hier ins Gegenlager und wird von einer Truppe Soldaten gestellt. Ferrando erkennt die Tochter der Roma wieder, sie wird mit vielen Feuerzeugen gestellt und soll nun ebenfalls auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden. In Castellor wollen sich inzwischen Leonora und Manrico trauen lassen, da platzt die Nachricht von der Gefangennahme der Mutter herein. Mit dem „Di quella pira“ und einem hohen C versucht sich Manrico aufzumachen.
Im vierten Akt hat Luna gesiegt. Leonora versteckt sich im Unterbau des zerfallenen Puppentheaters und vergiftet sich. Sie sieht keinen anderen Ausweg, als dem Drängen des Grafen nachzugeben, damit Manrico freikommt. In einem Zug trinkt sie das Gift und wirft die Flasche in die rechte Ecke. Der Graf glaubt nun am Ziel zu sein und krabbelt Leonora hinterher. Der Schluss wirkt etwas enttäuschend. Müde sitzen irgendwann alles vier Darsteller nebeneinander. Der große Showdown am Ende wird nicht mehr groß szenisch umgesetzt. Darin enthüllt in der Sterbeszene von Leonora und dem anschließenden Duell Azucena, dass die beiden Rivalen in Wirklichkeit Brüder sind. Da ist es aber schon zu spät, Luna hatte da schon Manrico getötet. Am Ende lacht Graf Luna wahnsinnig auf.
Über das Ende habe ich viel nachgedacht, ob es wohl dran lag, dass die Regiearbeit 14 Tage vor der Premiere beendet wurden? Das wirkte irgendwie unfertig für mich. Es war eine Aufführung mit Ecken und Kanten. Emily Newton als Leonora war teilweise etwas zu hochdramatisch, das Hohe C in der Cabaletta wurde versucht von Manrico (Angelos Samartzis). Dafür war Graf Luna (Sangmin Lee) sehr gut und auch die Azucena (Raehann Bryce-Davis) des Abends. Der Chor und die Chorszenen überhaupt waren aber hervorragend, auch an der musikalischen Umsetzung gab es nichts auszusetzen. Es war einfach noch einmal die Gelegenheit für eine Live-Aufführung einer Oper für längere Zeit vermutlich. Es galt die Chance einfach noch einmal zu nutzen. Mit 25 % Belegung war die Aufführung an diesem Tag auch ausverkauft. Oper live, schlägt einfach immer noch jeden Stream, den man sich derzeit ansehen kann.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg