Im Fürther Stadttheater wird die Uraufführung des Musicals „Knockin‘ On Heavens Door“ gezeigt. Die anrührende Geschichte von zwei krebskranken Patienten, die mit einem himmelblauen Mercedes flüchten, hat große Liedpassagen in Deutsch. In 30 Szenen wird rasant die Geschichte abgespult. Ich war in der Preview des Musicals, um gleich als erster dabei zu sein. Das Fürther Stadttheater hat nach der Pandemie aufgerüstet und eine moderne Luftfilteranlage. Einschränkungen beim Besuch gibt es derzeit wenige nach der 3G Plus-Regelung. An diesem Dienstag, dem Tag der ersten Preview, war auch viel Platz im Zuschauerraum. Man filmte den ersten kompletten Durchlauf des Musicals mit. Am Ende war das Publikum begeistert und spendete langen Applaus.
Der erste Akt startet mit einer Rollerjagd. Die beiden Ganoven Hank und Abdul sind auf dem Weg zum Nachtklub von Franky, wo sie den Auftrag bekommen, einen himmelblauen Mercedes zu einem befreundeten Gangsterboss zu fahren. Sie haben den Auftrag, auf keinen Fall den Wagen allein zu lassen. Die beiden sind nicht die Hellsten und man ahnt schon, die Aktion wird schief gehen. Inzwischen treffen sich die Patienten Martin und Rudi auf einer Krebsstation. Während Rudi einen unheilbaren Knochenkrebs hat, der vererbt ist, hat Martin einen Tumor im Gehirn. Dieser führt immer wieder zu Anfällen. Rudi war sein Leben lang vorsichtig, Martin dagegen sieht das locker, raucht und genießt das Leben. Rudi schleicht durch das Krankenhaus an den Kühlschrank, weil es dort immer ein Licht gibt. Im Auto klemmen sich unter dessen Hank am Rücksitz seine linke Hand ein und muss just ins selbe Klinikum. Es folgt ein Intermezzo mit einer Banane. Im Klinikum parken sie das Auto in der Tiefgarage. Unterdessen planen Rudi und Martin die Flucht, sie trinken Tequila und träumen dann vom Meer, das Rudi noch nie gesehen hat. Sie finden sogar Zitronen in der Klinik. Anschließend holen sie das Auto aus der Tiefgarage und flüchten mit dem Mercedes. Jetzt haben sie kein Geld und überfallen eine Sparkassenfiliale. Sie erbeuten 80000 EUR, werden dabei gefilmt und können mit dem Geld flüchten. Henk und Abdul suchen jetzt ein Ersatzauto. Sie kommen eben auch in dieselbe Sparkassenfiliale. Da ist aber leider nichts mehr zu holen. Martin und Rudi kleiden sich nun in einer Boutique vornehm ein. Und plötzlich entdecken sie im Kofferraum des Mercedes einen Koffer mit einer Millionen Euro. Inzwischen ist es aber auch so, dass ein Ermittlerteam den Flüchtigen auf der Spur ist. Man sieht immer wieder Einblendungen in einem Fernsehsender Tele2 zum Tatgeschehen. Frisch eingekleidet setzen Martin und Rudi ihre Fahrt ans Meer fort.
Im zweiten Akt starten Rudi und Martin einem Casino den Besuch ab. Am Roulette-Tisch treffen sie auf Franky, in die sich Rudi sofort verguckt hat. Sie setzen das Geld ein und gewinnen sogar. Martin meint aber etwas später im Hotel: Vergiss die Frau. Im Hotelzimmer schreiben sie auch Karten mit Wünschen, während Martin 15 Wünsche hatte, was er vor dem Tod noch erleben will, hat Rudi nur vier. Sie beschließen, sich auf einen Wunsch zu beschränken, was sie vor dem Tod noch erledigen wollen. Wechselseitig ziehen sie die Karten. Für Martin ist es der rosa Cadillac, den er seiner dementen Mutter schenken will, die großer Elvis-Fan ist. Rudi dagegen will noch mal richtig Liebe machen. Martin tadelt ihn, dass man diesen Wunsch nicht mit Geld erledigen kann, willigt aber dennoch ein. Zuerst kaufen sie einen rosa Cadillac und klingeln bei der Mutter von Martin. Etwa verwirrt über die Erscheinung von Martin, freut sie sich aber über den Cadillac, obwohl sie keinen Führerschein hat. Die Mutter lebt mit einem Pfleger im Haus und schlurft in Pantoffeln um das Auto. Hank und Abdul kreuzen wieder auf und bekommen von Martin und Rudi den Schlüssel und den himmelblauen Mercedes. Allerdings fehlt dem Auto inzwischen der Geldkoffer. Franky ist außer sich und bestraft Hank und Abdul mit dem Schrubben der Toilette. Martin und Rudi gehen auf der Suche nach Liebe, ins Bordell von Franky. Dort kommt raus, dass Franky und Rudi sich von der Schule her kennen und eigentlich einmal liebten. Somit hat Rudi sein Ziel erreicht und eine wahre Liebe gefunden. Inzwischen trifft auch der Kommissar mit seinem Ermittler ein. Es kommt heraus, dass der Kommissar eigentlich der zweite Gangsterboss ist und über Franky immer Geld gewaschen hat. Dieses Spiel spielt Franky nun nicht mehr mit und denkt daran ein Hospiz am Meer zu eröffnen. In der Schlussszene sind Rudi und Martin wirklich am Meer und sehen dem Sonnenuntergang entgegen. Sie habe es geschafft und sind an der Nordsee. Es ertönt das Schlusslied: Knockin‘ on heavens door.
Langanhaltender Applaus für die rührende Geschichte um die beiden Patienten. Ob die Hüfte-schwingenden Boxenluder mit Mercedesstern wirklich noch den Zeitgeschmack treffen, ist so eine Sache. Ich fand das in der heutigen Zeit nicht mehr ganz politisch korrekt. Dennoch hat das Musical witzige Szenen, es wird viel getanzt. Episch ist auch das Sonnenblumenfeld oder der himmelblaue Mercedes als Holzkasten. Klar ist es zum Ende hin rührselig, wie sie beide dann doch noch am Meer sitzen und den Sonnenuntergang genießen. Dominik Hees als Martin spielt den Tumorpatienten mit allen seinen Anfällen sehr überzeugend. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht. Ein Feelgood-Musical und das ganz in meiner Nähe.
Wer hätte sich das im Januar im finstersten Lockdown erträumen können. Im August 6840 Leute auf der Seebühne in Bregenz? Man muss schon total verrückt sein, daran zu glauben, dass das gut geht. Und richtig: Es ging gut, wir waren am 14. August in einer vollbesetzen Arena am Bodensee und durften den Rigoletto auf der Seebühne in Bregenz sehen. Schon vor dem Start der eigentlichen Aufführung beeindruckt ein 14 Meter hohes Clownsgesicht mit zwei Händen. Dahinter steckt eine unglaubliche Maschinerie von Motoren, die nach Anbruch der Dunkelheit um 21 Uhr dem Gesicht ein geisterhaftes Leben einhaucht. Das Bühnenbild von Philipp Stölzl ist das technisch ausgefeilteste Bühnenbild, das ich bisher dort gesehen habe. Schon vor der Aufführung atmet und zischt das riesige Gesicht. Kurz vorher ziehen die Artisten durch die Stuhlreihen und verbreiten Zirkus-Atmosphäre. Oben am Kopf begrüßt ein Artist das Publikum und fordert auf, nochmal Bilder zu machen und anschließend die Handys in den See zu werfen, was natürlich keiner macht. Man ist angehalten, die Telefone auszuschalten, da sie die Tontechnik stören könnten. Wie immer spielt das Orchester im Festspielhaus und die Sänger werden mit Mikrofonen dazu gemischt. Inzwischen hat man die Tonanlage noch aufgerüstet, sodass das Hörerlebnis noch plastischer wird. Der Ton wandert inzwischen mit den Schauspielern über die Bühne.
Beim Start der Oper schwebt ein Rigoletto-Double von rechts mit einem Ballon herein und stürzt während der Ouvertüre in den See. Die rechte Hand der Bühnenfigur ist beweglich, während die linke Hand einen Heliumballon hält. Zu Beginn kommen die Artisten auf die Bühne, die Höflinge sind also im Zirkus-Milieu angesiedelt. Marullo, der Anführer der Höflinge, sieht aus wie ein Klaus Nomi-Verschnitt. Der Herzog von Mantua trohnt als Zirkusdirektor in dem Clownsgesicht. Bei der Arie Questa o quella setzt Marullo Zahnseide ein, um die Zähne des Clownsgesichts zu reinigen. Der Herzog hat die Gräfin Ceprano zu sich eingeladen, sobald er ihrer überdrüssig ist, versenkt er sie durch seine Helfer, vier Darsteller mit Gorillagesicht in den See. Es tritt Monterone auf, dessen Tochter vom Grafen verführt worden ist. Rigoletto macht sich über dessen Not lustig, worauf Monterone Rigoletto und den Grafen verflucht. Die Affen erledigen Monterone und versenken ihn etwas später im See. Beim Fluch zersplittert aber die Bühne. Der runde Manegenkreis zerfällt in die Einzelteile. Es tritt mit einem Skelett auf dem Gewand Sparafucile auf, ein Auftragsmörder aus Burgund. Der bietet Rigoletto seine Dienste an, worauf dieser vorerst ablehnt. Rigoletto sinniert jetzt noch über den Fluch Monterones, während die Affen die Leiche verpackt in den See werfen. In der rechten Hand der Bühnenfigur lebt nämlich seine Tochter Gilda, die für ihn sein Leben ist. Sie schaukelt an einem Mittelfinger und hat den Auftrag, außer in die Kirche zu gehen, das Haus zu hüten. Dummerweise hat sie aber genau in der Kirche Kontakt zum Herzog bekommen, der sich ihr gegenüber als Student ausgibt. In Begleitung der vier Gorillas besucht der Herzog nun Gilda, nachdem Rigoletto panisch verschwunden ist, denn er fürchtet, dass ihm jemand gefolgt sein könnte. Als Gilda nun den Namen erfährt, singt sie eine sehr poetisch anmutende Arie Gualtier Maldè! Denn das war der Namen, den der Herzog ihr gegenüber genannt hat. Sie fährt mit dem Fesselballon in den Abendhimmel und zerpflückt während ihrer Arie einen Strauß roter Rosen, den sie vom Herzog bekommen hat. Die Höflinge setzen nun Rigoletto eine Eselsmaske auf und sagen, dass sie die Gräfin Ceprano entführen wollen. So blind landet Rigoletto vor seinem eigenen Haus. Die Höflinge meinen, Rigolettos Freundin zu entführen. Ein Artist entert dabei den Ballon und seilt Gilda am Rücken liegend ab in das Clownsgesicht. Also Rigoletto nun die Schreie seiner Tochter hört, ist ihm klar, was passiert ist. Er führt das auf den Fluch Monterones zurück. Das Bühnenbild leuchte am Ende grün.
Nahtlos geht es in den zweiten Akt über. Langsam zerfällt das Clownsgesicht. Die Augen fallen als übergroße Bälle raus in den See. Der Herzog tobt über die Entführung Gildas. Die Höflinge bringen nun Gilda heran. Rigoletto irrt verloren mit einer kleinen Kopie des Fesselballons über die Bühne. Schließlich verliert das Clownsgesicht auch noch die Nase, als Rigoletto zugeben muss, dass die entführte Person seine Tochter ist. Marullo durchschneidet mit einer großen Schere das Band für den Ballon, der sich damit auf in den Himmel macht. Es kommt zu einer Aussprache zwischen Gilda und Rigoletto. Gilda gesteht ihre Liebe. Die Aussprache der beiden ist wieder auf der rechten Hand der Bühnenfigur. Inzwischen verliert das Bühnengesicht auch noch die Zähne. Monterone erscheint nochmals als Geist im Bühnengesicht und beklagt, dass sein Fluch sich nicht gegen den Herzog gerichtet hat. An den Höflingen nimmt Rigoletto jetzt mit übergroßen Händen Rache und wehrt sich heftig.
Rigoletto führt nun Gilda zu Sparafuciles Haus. Dort macht der Herzog inzwischen Maddalena, Sparafuciles Schwester, den Hof. Das Haus von Sparafucile ist als Lasterhöhle mit lauter missgestalteten Frauen dargestellt. Maddalena dient zudem auf einer Messerwerferscheibe als Ziel für den Herzog. Rigoletto will nun 20 Scudi geben, wenn Sparafucile den Herzog umbringt. Diesen Plan durchkreuzt nun seine Schwester. Der Herzog singt oben am Kopf der Bühnenfigur in einer Hängematte sein La donna è mobile , die bekannteste Nummer aus der Oper. Dabei hängen vier Artistinnen an den Fingern der rechten Hand der Bühnenfigur. Inzwischen setzt ein Gewitter ein. Aus den Augen der Bühnenfigur und er der Hand schüttet es. Zudem hatten wir an dem Tag Wetterleuchten. Sparafucile beschließt, den Ersten zu töten, der an die Tür klopft. Das ist dann Gilda. Im Stroboskop-Gewitter bringt Sparafucile Gilda um und verpackt sie in einen Sack. Rigoletto zahlt den Rest der Prämie und will sich nun vergewissern, dass der Herzog wirklich tot ist. Nur singt der weiter von dem Kopf der Bühnenfigur runter. Rigoletto erkennt, dass er getäuscht worden ist und öffnet den Leichensack, in dem seine Tochter ist. Zur Schlussarie steigt noch mal der Fesselballon auf und Gilda entgleitet gegen den Himmel. Rigoletto erkennt nun, dass sich Monterones Fluch an ihm erfüllt hat.
Schon allein das aufwendige Bühnenbild war die Fahrt nach Bregenz wert. Die Seebühne hat wirklich in Sachen Ton noch mal aufgerüstet, was man deutlich hört. Es war faszinierend, wie viel Ausdruck diese animierte Bühnenfigur dem Geschehen verleiht. Das Gesicht kann träumerisch, besorgt, grimmig dreinsehen. Mit der Krantechnik im Hintergrund hat es einen großen Schwenkbereich und schwebt teilweise wie von Geisterhand über den See. Auch dass die Bühnenfigur mit fortschreitender Handlung immer mehr zerfällt und am Schluss einem Totenkopf gleicht, ist ein guter Kniff. Die Aufführung war jedenfalls wieder einmal die Fahrt nach Bregenz wert und wir hatten Glück mit dem Wetter. Wann hat man noch 22 Grad zum Ende der Vorstellung. Die musikalische Leitung an diesem Abend hatte Daniel Cohen, der mit einem zügigem Tempo durch die Oper führte. Hila Fahima als Gilda musste ihre Arien in schwindelerregender Höhe hoch über dem See singen. Ovidiu Purcel als Herzog von Mantua war am Anfang noch leicht verhalten, steigerte sich aber gegen Ende zusehends. Meines achtens hat er die schwierigste Partie in diesem Stück mit vielen hohen C's zu singen. Zudem sang auch er in einer Hängematte hoch über dem See am Kopf der Bühnenfigur. Daniel Luis de Vicente lieferte einen getriebenen Rigoletto, der immer mehr ins Unglück schlittert. Auch wenn aufgrund des Bühnenbilds die eigentliche Oper in den Hintergrund rückt, war es eine sehr gute sängerische Gesamtleistung, die den Abend abrundete.
Für einen Fliegenden Holländer war ich in Bayreuth zu Besuch. Schon allein Karten für Bayreuth in diesen Zeiten zu bekommen ist ein Privileg, durfte doch nur jeder zweite Sitzplatz im Theater besetzt werden. Entsprechend hoch ging es im Vorverkauf zu und die wenigen Karten waren ausverkauft. Zudem gab es eine Premiere, denn mit Oksana Lyniv stand die erste Frau überhaupt im Graben in Bayreuth und durfte sich mit den akustischen Gegebenheiten vor Ort auseinandersetzen. Das gelang Ihr aus meiner Sicht zufriedenstellend, Chöre und Orchester waren in heiklen Massenszenen immer gut beisammen. Dennoch blieben die dunklen Abgründe, die der Holländer auch hat, unbeleuchtet. Dafür waren die mitreißenden Dur-Zugnummern des Holländers umso überzeugender. Während ich in der Ouvertüre noch dachte, das wird ein toller Abend, trübte sich für mich das Bild zusehends ein, sodass mich dieser Holländer nicht so berührt hat, wie es normalerweise der Fall ist. Vielleicht lag es auch an der Regie, die aus dem Holländer mit viel Freiheit eine „Liverpool in the 70ties“-Crimestory gemacht hat.
In einer Traumsequenz hinter weißer Gaze sieht man, wie Daland ein Verhältnis mit der Mutter des Holländers hat. Diese wird von Daland verstoßen und von den Dorfbewohnern wegen des Verhältnisses ausgestoßen. Mary, die eigentlich Sentas Amme ist, fungiert hier als Ehefrau-Ersatz für Daland. Verzweifelt erhängt sich die Mutter des Holländers. Der Holländer selbst sieht dies alles Kind. Er kehrt nun später zurück und übt Rache an den Dorfbewohnern und an Daland. Die Begegnung von Daland mit dem Holländer findet nun nicht auf zwei Schiffen in einer Bucht vor Sandwyke statt, sondern in einer Hafenbar. An zwei Tischen sitzen die Mannschaften der Schiffe. In der Bar gibt es interessanterweise kein WLAN. Die großen Seemannschöre kommen leider pandemiebedingt aus den Lautsprechern, zwar live, dennoch anders als sonst. Vier große Bühnenelemente werden nach der Begegnung von Daland mit dem Holländer verschoben und geben den Blick auf einen Vorplatz frei. Respekt mit wie viel Präzision diese Elemente immer wieder zwischen den vier Straßenlaternen verschoben werden. Die Spinnstube ist ein Vorplatz, wo die Seemannsfrauen mit Notenblättern auf Stühlen sitzen und auf die Heimkehr der Seemänner warten. Das erinnert mehr an eine Gesangsstunde. Dann tritt Dalands Tochter Senta Türe knallend auf die Bühne. Sie benimmt sich wie ein trotziges Mädchen, was Asmik Grigorian stimmlich und darstellerisch sehr überzeugend verkörpert. Von Anfang an dominiert ihrer Stimme über den etwas ausgedünnten Chor. Immerhin hat man das Bild vom Holländer bei Senta gelassen und ihre große Arie ist wirklich eines der Highlights im Holländer. Ihr Verlobter Erik ist eher als Fischer mit Gummistiefeln, als ein Jäger zu erkennen. Mit viel Bühnenpräsenz und einer unglaublich tollen Stimme verschafft Eric Cutler dem Erik einen echten männlichen Charakter zu verleihen. Klar hat die Stimme etwas Vibrato, dennoch macht er aus der etwas weinerlichen Rolle des Erik ganz neue Züge. Die Arie ‚Auf hohem Felsen‘ ist ein echter Genuss. Dennoch kann er das Unheil nicht abwenden, dass mit dem Auftritt des Holländers seinen Lauf nimmt. Es kommt zu einer Begegnung von Senta mit dem Holländer im Wintergarten des Hauses von Dalands. Dort deckt Mary einen Tisch mit Kerzen und weißer Tischdecke. Der Holländer und Senta sitzt sich gegenüber. Am Tisch sitzen Daland und Mary teilweise stumm und beobachten, ob die eingefädelte Beziehung zwischen den beiden funktioniert. Für Gold und Geld hat Daland seine Tochter dem Holländer versprochen. Damit so richtig Stimmung aufkommt, macht Daland eine Flasche Wein auf. Mary verhält sich dabei immer noch etwas wie Dalands Frau. Aber schließlich funktioniert es, Senta vergisst Erik und lässt sich auf den Holländer ein. Es wechselt wieder das Bühnenbild und man ist auf einem Vorplatz, wo die Bevölkerung die Heimkehr der Seeleute feiert. Das sieht etwas aus wie ein großes Picknick. Im Übermut und nach ein paar Kästen Bier fangen die Bewohner an, das zweite Schiff mit den untoten Seemännern des Holländers an, zu provozieren. Die Geistermannschaft sitzt in blauen Kostümen am Tisch, der Ton dazu kommt aus den Lautsprechern. Schließlich nimmt der Holländer Rache und ballert mit einer Pistole wahllos in die Menge. Die Dorfbewohner verschwinden. In dem Chaos tritt jetzt Erik auf und versucht Senta nochmal umzustimmen. Er erinnert Senta nochmal an den Treueschwur für ihn. Diese will aber nichts wissen davon und ohrfeigt ihn. Der Holländer gibt nun seine Motive zu erkennen und wird mit einem Gewehr von Mary erschossen. Senta lacht dabei im Wahnsinn laut auf, während das Dorf in den Fenstern brennt.
Wenn was in Erinnerung bleibt von dem Holländer, sind es vor allem die Sänger und die wie immer einmalige Akustik des Hauses. Ein textverständlicher Zeppenfeld, der aus dem Daland eine tolle Rolle erarbeitet, eine Senta, die über alles erhaben dominiert und ein Erik, der seine Rolle so ganz anders interpretiert. Mit Dimitri Tcherniakovs Deutung war ich nicht einverstanden, denn mir wurde da zu viel umgedeutet und umgedichtet. Vielleicht gingen auch da die düsteren Momente verloren. Für die Dirigentin Oksana Lyniv gab es dennoch viel Applaus zum Schluss.
Bei einem Zwischenstopp in Erfurt haben wir auch die Domfestspiele dort besucht. Gegeben wurde vor einem halben Publikum Tschaikowskis „Die Jungfrau von Orleans“. Das Bühnenbild wirkt zunächst etwas unspektakulär, ist es doch noch eine Welle, die als Fortsetzung der Domtreppen in Grau daherkommt. Die Welle ist aber 12 m hoch und muss technisch gut gegen Wind abgesichert sein. In den Abendstunden wird sie aber zur Projektionsfläche, hat Türen und Beleuchtungseffekte. Die Umgebung am Dom in Erfurt bietet für das Thema eine eindrucksvolle Kulisse. Die Inszenierung ist von Tomo Sugao. Besonders zu erwähnen sind die schönen Kostüme von Bianca Deigner, denn insgesamt ist die Bühnenausstattung sehr minimal und setzt ganz auf die Lichteffekte am späteren Abend. Es gibt drei Podeste auf den Domtreppen, auf denen sich das Geschehen abspielt. Erzählt wird in der Oper das Leben der Jeanne d’Arc nach einer Bearbeitung von Schiller.
Zu Anfang befinden wir uns am Platz vor einer Kirche. Dort singen Mädchen mit Masken, die alle gleiche Perücken und Gewänder tragen, um einen Tisch. Der Bauer Tibo d’Arc will seine siebzehnjährige Tochter an einen jungen Mann namens Raimond zu verheiraten. Hier findet eine Doppelung der Jeanne d’Arc statt und man sieht zum ersten Mal überdimensionale Federn. Man hört die populäre Arie „Da, chas nastal“. Ansatzweise ist auch angedeutet, dass sie ihre Haare abschneidet, um als Mann zu kämpfen. Sie hat eine Vision, in der schwarze Engel mit langen Federn aus der Bühnen-Welle kommen. Diese segnen ihre heroischen Bemühungen, denn sie sagt den baldigen Sieg voraus.
Im nächsten Akt wird der König von Clowns und Pagen unterhalten. Der König sitzt an einer großen Tafel und vergnügt sich lieber mit seiner geliebten Agnès. Agnès bietet dem König ihr Vermögen an. Der Ritter Lore wird in der Schlacht tödlich verletzt. Man erfährt in einer Erzählung, wie ein Mädchen im Kampf gegen die Engländer den Sieg bewirkt hat und wie Ihr Einsatz die Franzosen motiviert hat. Johanna sagt, dass ein Keuschheitsgelübde die Voraussetzung für den Sieg gegen England war. Sie erkennt den König sofort. Sie erzählt dem König von den drei Gebeten, die er zu Gott gesprochen hat. Im ersten hätte der König um Agnès, seine Freunde gebetet. Im zweiten vom Sieg. Das dritte Gebet muss sie gar nicht mehr erzählen, der König glaubt ihrer göttlichen Sendung.
Nach der Pause leuchtet der Dom und die Treppe in Regenbogenfarben. Es herrscht ein Krieg der roten gegen die blauen Federn. Johanna trifft auf den burgundischen Ritter Lionel, der eigentlich ihr Gegner ist. Jetzt weicht das Textbuch schon ziemlich von der eigentlichen Geschichte der Jeanne d’Arc ab. Sie verlieben sich ineinander. Vor der Kathedrale von Reims wird der König gekrönt. Mit einer langen Schleppe in Blau kommt es zu den Feierlichkeiten. Man sieht Feuerartisten. Gestört wird die Szene durch ihren Vater, der Jeanne des Dienstes an Satan bezichtigt. Der Vater stellt die Jungfräulichkeit in Frage. Johanna schweigt zu dieser Anschuldigung. Es folgen drei Blitzschläge, die als Himmelurteil gesehen und auch die Bürger sagen sich von ihr los. Wieder treten die Heerscharen aus der Treppenwelle auf.
Im Wald treffen sich Lionel und Johanna noch einmal. Dort lauern nun aber englische Soldaten auf, die Lionel töten und Johanna in Gefangenschaft setzen.
Nun wird Johanna auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Die Bürger mit goldenen Federn sympathisieren aber mit Johanna. Das Feuer wird entfacht und ein Johanna Double stürzt die Treppen herunter. Sie hört noch mal die Stimmen, die ihr Vergebung heißen.
In keinem Opernführer ist diese Oper von Tschaikowski zu finden. Das Werk leidet etwas zwischen schönen Duetten und wuchtigen Chorszenen, die von Aida entliehen sein könnten. Das Werk wurde 10 Jahre nach Aida veröffentlicht und trägt deutliche Spuren in den Chorarrangements. Gesungen wird komplett in Russisch, was dank der Monitore an den Seiten kein Problem ist. Erstmals spielt das 54 Mann starke Orchester im 300 m entfernten Opernhaus. Man hätte vor den Stufen einfach keine Möglichkeit gehabt, das Orchester an die Stufen zu setzen und hat auf die technische Lösung zurückgegriffen. Auch der Chor achtet auf die Abstände. Im Publikum muss jeder zweite Platz frei bleiben. Es ist dennoch schön, dass überhaupt etwas stattfindet in diesen Zeiten. Die Oper ist etwas gekürzt, was aber bei dem unbekannten Werk nicht wirklich auffällt. Alle Schlüsselszenen sind enthalten. Wir hatten einen entspannten Abend unter dem Nachthimmel von Erfurt.
Was auf den ersten Blick nicht als Parallele erscheint und von der Kritik auch nicht so verstanden wurde, ist das Opern-Double-Feature Pimpinone/Herzog Blaubarts Burg. Sind beides doch in gewisser weise Szenen einer gescheiterten Ehe. Während Pimpinone die komischen Aspekte ausleuchtet, gerät Herzogs Blaubarts Burg zum echten Beziehungsdrama. Beide Opern sind nur jeweils knapp eine Stunde lang unterbrochen von einer 40-minütigen Umbaupause. Coronabedingt stellt man nur zwei Sänger mit einem ausgedünnten Orchester auf die Bühne, um sicher zu stellen, dass die Aufführungen auch bei höherer Inzidenz sicher stattfinden kann. Die erste Oper nach acht Monaten Spielpause ist wie ein wohltuender warmer Regen. Klar gab es Streams in letzter Zeit, dennoch scheitert man bei Blaubarts Burg im Stream, während die Oper live ein echtes Highlight ist. Ich wäre wegen der Kombination Barock mit 20. Jahrhundert fast nicht dabei gewesen.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Pimpinone ist eigentlich als lustiges Zwischenspiel für die Oper Tamerlano gedacht gewesen. Dreiteilig kommt es musikalisch nicht über ein harmloses Barockstück hinaus. Der reiche, ältliche, etwas dicke Pimpinone fällt zu Beginn schlafend vom Sofa. Auf einem goldumrahmten Flatscreen bestellt er in barocker Kulisse auf einem Amazoom in einen Webshop mit seinem Tablet eine elektronische Haushaltshilfe namens Vespetta. Diese ist zudem im Sonderangebot mit weniger als 1000 EUR verspricht, die lästigen Haushaltpflichten und mehr zu erledigen. Die Lieferung erfolgt prompt in einem Karton bis vor die Haustür. Mit einem goldenen Reifrock und einem LED-Büstier macht sich Vespetta an den Haushalt und muss den Triathlon Bügeln, Kochen, Drinks-Mixen absolvieren. Auch Staubsaugen kann sie, was allerdings viel Strom verbraucht. So ist bald der Akku leer, Pimpinone muss sich durch ein dickes Handbuch wälzen. Er verstellt die Sprache, sie singt plötzlich Englisch, versehentlich schaltet er sie stumm. Am Ende des Stroms zieht er den Stecker für das Bügeleisen und lädt Vespetta für den Abend auf. Am Flatscreen erscheint eine Ladeanzeige und schon legt Vespetta wieder los. Auch für die Dienste am Abend wird eine Hochzeit inszeniert. Er gibt eine Bewertung für die Haushalthilfe ab, die mit fünf Sternen in jedem Bereich abgedeckt ist. Sie begeben sich in ein mit Tüchern verhangenes Bett, das rot leuchtet. Man kann sich also schon vorstellen, was Vespetta noch so draufhat. Am Sofa steigt aber plötzlich in einer Art Kurzschluss Rauchwolken auf und die Haushaltgehilfin entwickelt ein Eigenleben. Sie will zu Nachbarin und spazieren gehen. Sie wirft ihm das Geld vor die üße. Das Dienstverhältnis wäre mit der Ehe erloschen. Vespetta wird zur Furie, wirft Pimpinone vor, mit Zechern über sie zu lästern. Pimpinone meint, dass auch bei der Nachbarin getratscht wird. Das wird Pimpinone nun gar zu dumm und er fordert die Retoure an. Der Bote kommt wieder und will Vespetta abholen. Geschickt wickelt die nun aber Pimpinone in Zellophan und klebt dem Pimpione selbst das Rücksende-Etikett auf. Die Fernbedienung scheint nun bei ihm zu wirken und fungiert jetzt als Stummschaltung. Das Ganze ist ein musikalischer Scherz, ganz nett anzusehen, wie die moderne Online-Shopping-Welt auf den Arm genommen wird. Die drei Intermezzi machen aber keine ganze Oper aus und bleiben etwas im Belanglosen.
Nach 50 Minuten hinter der FFP2-Maske ist man froh auf eine lange Pause. 33 Grad, eine leidlich funktionierende Klimaanlage und ein heißer Sommertag, da ist man froh um frische Luft.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Die nächste Paarung Bariton und Sopran in Herzog Blaubarts Burg, ist aber der Grund, weshalb man sich das Stück wirklich ansehen sollte. Judith ist die neue Frau von Blaubart. Sie hat zwar von Gerüchten von Blaubarts vorherigen Frauen gehört, lässt sich aber nicht abschrecken, nach der Hochzeit mit Brautkleid und Schleier in die Burg von Ritter Blaubart zu ziehen. Durch ein Quadrat mit Blumen zieht Judith in die Burg, an der acht Bilder von Vorfahren hängen. Der schicke Blaubart mit blauem Hochzeitsanzug gibt ihr noch die Chance zur Umkehr, doch Judith ist fest entschlossen, das Geheimnis der dunklen Burg zu lüften. Man blickt auf zwei identisch eingerichtete Zimmer. Im linken Teil hält sich Blaubart auf, im Rechten lebt Judith. Man ahnt zuerst nicht, dass gelbe Zimmer links und das weiß/blaue Zimmer rechts eigentlich ein Raum ist. Im linken Teil hat das Zimmer einen freundlichen Gelbton, während rechts das Zimmer fahl ist und mit Blut verschmiert. In der Burg gibt es sieben Türen, hinter denen sich sieben Räume verbergen. Judith will all die Türen öffnen. Hinter jeder Tür verbirgt sich ein anderes Klangbild und es wird eigentlich nur erzählt, was hinter den Türen ist. Wer jetzt des ungarischen nicht mächtig ist, muss auf die Bildschirme zurückgreifen. Hinter Tür 1 und 2 ist eine Folterkammer und die Waffenkammer. Die beiden Akteure bewegen sich synchron in beiden Räumen, die durch eine Wand getrennt sind. Blaubart schlägt Judith, man sieht eine Vergewaltigung, die aber durch die Trennung der Räume nur angedeutet wird. Bewundernswert das exakte Timing der Bewegungen, die in den getrennten Räumen stattfindet. Dennoch wird es von Tür zu Tür heller. Judith fordert nun die weiteren Schlüssel. Tür 3, 4 und 5. Sie findet eine Schatzkammer, einen verborgenen Garten und das weite Land von Blaubart. Die Burg erstrahlt im hellen Glanz, die Trennwand ist weg und die beiden Akteure sind nun im gleichen Raum. Judith ist immer wieder irritiert vom Blut, das sie in jedem Raum erwartet. Sie will auch die letzten beiden Türen öffnen. Blaubart sitzt vor einer Flasche Alkohol und warnt Judith vor den letzten beiden Türen. Judith will aber nicht hören. In der sechsten Tür erwartet sie ein stiller Tränensee. Judith fragt nach seinen verflossenen Frauen, die Burg wird dunkler. Eindringlich warnt Blaubart Judith vor der letzten Tür. Dort befinden sich die drei früheren Frauen von Blaubart in kurzen, ebenfalls blutigen Hängekleidern. Blaubart erklärt, dass sein Reichtum von den früheren Frauen kommt. Er hatte drei Frauen, eine für den Morgen, einen für den Mittag und eine für Abend. Die treten jetzt stumm vor ihn und jede wirft ihm einen Ring vor die Füße. Blaubart sagt, er hätte noch eine Frau für die Nacht gesucht, diesen Platz müsse nun Judith einnehmen. Die siebte Tür verschließt sich, der Blumenbogen vom Anfang kommt noch einmal und Blaubart ist wieder allein.
Der Blaubart lohnt den Besuch der Aufführung also in jedem Fall. Jochen Kupfer gibt einen echten Herzensbrecher mit Wutausbrüchen, Alkholproblemen und tiefen Abgründen. So jemandem möchte man nicht begegnen und schon gar nicht allein auf einer Burg. Interessant, wie Bartok die unterschiedlichen Räume musikalisch darstellt. Ein starkes Opernstück nach einer langen Pause.