In einer Produktion des Staatstheater Augsburg war die Oper Orfeo ed Euridice zu sehen. Für mich neu war die Kombination von Virtuell Reality (VR) und einem klassischen Bühnenbild. Man kombinierte geschickt den Besuch eine Caravaggio-Ausstellung mit der klassischen Handlung der Oper. Der Handlungsstrang ist, dass Euridice sich in den virtuellen Welten des Museums verirrt und von Orfeo dann vergeblich zunächst gerettet wird. Aber die neue Technik braucht eine Unterweisung, so hat man eine zusätzliche Figur eines VR-Guides in Rosa eingeführt. Ähnlich einer Stewardess in einem Flugzeug, machte der VR-Guide verkörpert durch Katja Siedler mit dem Publikum die Unterweisung in dem Gebrauch der VR-Brillen. Auf Kommando wurde im Vorfeld mit dem Publikum geübt, dass das zeitnahe, gleichzeitige Aufsetzen der VR-Brillen auch gut funktioniert. Wer sich jetzt an das Rascheln der 3-D-Brillen in Turandot in München erinnert fühlt, ist richtig. Es gab natürlich auch technikfernes Publikum, die nur an der Oper interessiert waren und den Gebrauch der Brillen verweigert hatten. Jetzt hinkt das dann immer: Man muss sich entscheiden zwischen den Untertiteln mit dem realen Bühnenbild oder den virtuellen Einspielungen. Ich denke, den Weg, den Bayreuth mit durchsichtigen VR-Brillen beschreiten wird, ist ein guter Ausweg aus der vermeintlichen Klemme, dass man mit der VR-Brille etwas auf der Bühne versäumt. Ein kleiner Spoiler, man tut es nicht. In den drei VR-Passagen, wird auf der Bühne umgebaut. Schon die Einführung ist lustig, wenn man den Kopf mit der VR-Brille dreht und plötzlich die Darstellerin links oder rechts neben einem sitzen sieht. Diese erscheint auch immer auf der Bühne und zählt runter, drei, zwei, eins… Brille auf. Mit dem Museumsplot ist man auch im heiklen Fahrwasser. Caravaggio hat ein Bild eines etwa 13-jährigen nackten Jungen mit dem Titel „Amor als Sieger“ in den Mittelpunkt gestellt. Dieses Bild ist wegen pädophiler Aspekte inzwischen in der Kritik. Man sieht aber auch andere Bilder des Barock-Künstlers in der Ausstellung. Die Ausstellung selbst wird von Nonnen, Pfarrern, Jesus persönlich und einem bunten Trupp an Leuten besucht, die den Chor bilden. Es gibt auch zu Beginn einen Sprayer-Anschlag auf die Bilder links. Umrahmt wird die Bühne von einem neonfarbigen Rahmen. Der Sänger des Orpheus ist Ekaterina Aleksandrova, die mit ihrem Mezzo für interessante Verzierungen in den Arien sorgt. Klar sind Counter-Tenöre für die hohe Rolle schwer zu finden. In nichts nach steht dem Orfeo seine Euridice von Jihyun Cecila Lee. Die dritte Hauptperson ist der Amor von Olena Sloia, den man leider in ein schmuckloses kurzes schwarzes Kleid gezwängt hat. Auf der Bühne gab es eine Darstellerin in einer langen, roten Robe mit Bogen, das wäre wohl eher der gewünscht Look gewesen. Die Schlange, die Euridice beißt ist wohl dann die VR-Brille, die sie in die virtuellen Welten entreißt. Kommen wir zu den entscheidenden VR-Einspielungen. Man erlebt den Abstieg von Orfeo in die Unterwelt, was ich als die spektakulärste Einspielung empfand. Man fliegt über eine graue, dystopische Wolkenkratzer-Welt im Blade-Runnerstil mit Neonleuchten. Vor einem lichtdurchfluteten Portal warten viele schwarze Untote auf den Einlass ins Elysium, dieser wird ihnen von drei chinesischen Drachen verwehrt, die die besungenen Furien darstellen. Und diese Furien neigen sich immer wieder auf den Zuschauer und erwecken den Eindruck, riesig zu sein. Diese Szene ist so beeindruckend, dass man noch später davon träumt. Zwar bin ich berufsbedingt durchaus technikaffin, hatte aber selbst noch nie eine VR-Brille auf. Es kommt ein Aspekt zum Tragen, den ich bei Theater schätze, denn in der VR-Brille ist man selbst der Master und kann entscheiden, was man ansehen möchte. Ich hatte zudem den Vorteil eines Einzelplatzes, wo man sich nach belieben drehen konnte und auch mal nach hinten sehen. Als Orfeo dann wenig später seine Euridice aus dem Elysium rettet, ist man in einer anderen Welt. Zum „Reigen seliger Geister“ fliegt man über einen grünen Hügel, mit rosa Himmel, landet vor einer Poollandschaft mit einer Kolossalstatue einer Frau, die sich in einen riesigen Swimmingpool erleichtert. Durch ein Portal mit zwei Wächtern kommt man dann auf eine weitere offene Fläche, vorbei an griechischen Skulpturen und Säulen. Man sieht riesige Schildkröten, aber auch zwei stilisierte Sportwägen. Am Ende sieht man einen bunten Avatar und erahnt durch seine Andersartigkeit, dies muss Euridice sein. Das Ganze mutet etwas wie eine Popart-Ausstellung an. Auch die Avatare sind bunt und lungern am Pool und scheinen ganz entspannt in diesem Elysium. Ein großes Exit-Schild veranlasst einen dazu, die Brille wieder abzunehmen. Auf der Bühne kann nun Orpheus sein Umdreh-Verbot nicht einhalten. Euridice meint, von ihm verschmäht zu sein, dass er sie nicht anblickt. Erneut verliert Orfeo seine Geliebte, die nun an einem Bild mit VR-Brille sitzt. Auch das Elysium mit seinen rosa-grünen Welten ist gelungen, jedoch nicht ganz so wie die Unterwelt. Als Amor schließlich ein Einsehen hat, kommt der vielleicht schwächste Part der Einblendung. Zwei schwarze Hände vor der Brille räumen das Elysium auf. Statuen, Bäume und eine riesige Hornisse wandern in einen virtuellen Papierkorb und geben den Blick auf einen Sonnenuntergang frei. Wie man dann zur Einrichtung eines Wohnzimmer kommt, erschließt sich einem nicht sofort. Die beiden Hände wählen aus einem Katalog scheinbar die Wohnwelt für das gemeinsame Eheglück aus. Als die Einrichtung steht, sieht man den Avatar aus dem Elysium mit einem zweiten auf einer Couch sitzen. Als man nun die Brille abnimmt, sitzen Orfeo und Euridice gemeinsam zappelnd auf der Couch und sind scheinbar gemeinsam ganz in die virtuelle Welt eingetaucht und selbst zu Avataren geworden.
Ich fand den Ansatz in jedem Fall spannend, wie Orfeo fühlt man sich hin und hergerissen zwischen virtueller VR-Welt und dem realen Bühnengeschehen. Leider fallen die Einspielungen in den VR-Brillen etwas grob aus. Zudem hatte ich mit meiner überbreiten Brille etwas Mühen mit den klobigen Brillen, wo sich meine Sehhilfe immer wieder verfing. Als Dirigentin kam die zweite Kapellmeisterin Anna Malek an diesem Abend zum Zug. Das Echo der Aufführung im Jahr 2020 war gespalten, was ich auch verstehen kann. Man ist etwas hin- und hergerissen zwischen VR-Einspielung und realem Bühnengeschehen. Ich habe im Opernhaus gerne meine Ruhe vor der Technik und konzentriere mich dann lieber ganz auf die Musik. Die VR-Brillen erzeugen etwas Unruhe im Publikum, was aber mit dem Rascheln der 3D-Brillen in Turandot in München nicht zu vergleichen ist. Ich habe aber gerade diese Zerrissenheit zwischen realer Bühne und VR-Brilleneinspielung als durchaus spannenden Aspekt empfunden. Als Experiment durchaus gelungen und macht neugierig auf den Ansatz, den Bayreuth im Parsifal verfolgen wird.
Quelle: YouTube Staatstheater Augsburg