Einen anderen Weg als München hat Nürnberg beschritten und den L’Orfeo von Monteverdi auf den Spielplan gesetzt. Reduziertes Orchester, der Chor nur mit 16 Solisten besetzt, eingekocht auf 80 Minuten und ohne Pause, ist das ein Format, das man auch unter den augenblicklichen Bedingungen präsentieren kann. Es geht bei der Geschichte des Orfeo, um den Verlust der geliebten Frau und wie sich das Leben schlagartig von einem Moment auf den anderen ändern kann. Während man im ersten Akt noch eine ausgelassene Hochzeitsparty erzählt, die sich etwas sinnfrei in einem fiktiven Social-Media-Web präsentiert, kippt die Stimmung schlagartig im zweiten Akt auf Drama. Die folgenden Akte erzählen den missglückten Versuch Orpheus, seine Frau Eurydike zurückzubekommen. Er nimmt dabei die Reise in die Unterwelt in Kauf, scheitert letztlich aber an den Bedingungen, die es zu erfüllen gibt. Er verliert seine Frau ein zweites Mal und für immer.
Im Prolog sieht man ein Hippie-Mädchen mit blonder Perücke, die die Geschichte von Orpheus erzählen will. Das Hippie-Mädchen verkörpert die Musik.
Im ersten Akt befinden wir uns auf einer ausgelassenen Hochzeitsfeier. Orpheus und Eurydike heiraten mit einem großen Hochzeitsbankett. Die allgegenwärtigen Handys streamen das Event ins Netz. Es werden fleißig Herzchen verteilt und man fragt sich, für wen das Paar das eigentlich tut. In einem fiktiven Instagram werden tausendfach Bilder geteilt. Es regnet Rosenblätter, die ganze Feier ist eine perfekte Inszenierung mit Videoeinblendungen. Auf dem fiktiven Instagram sieht man die Profile von Orpheus, Eurydike und Pluto nebeneinander, der bald eine entscheidende Rolle spielen wird. Eine teilbare Videoleinwand ist dominant die Plattform, auf der Live-Videos gezeigt werden. Man sieht das hohle Teilen von Bildern. Schließlich schwebt eine digitale Projektion zweier übergroßer Ringe auf dem Bildschirm. Die Party steigt und man ist immer bemüht, das alles in bestem Licht zu präsentieren.
Im zweiten Akt geht Eurydike weg. Den genauen Moment verpasst man, aber es muss etwas Einschneidendes passiert sein. Man sieht auf der Leinwand die Projektion eines Blaulichteinsatzes in einer modernen Vorstadt. Ein Bote, dargestellt von einer Ärztin in einem weißen Schutzanzug, verkündet den Tod Eurydikes. Der Schock ist groß und man sieht schwarz-weiß Einblendungen einer Großstadt und von U-Bahnhöfen. Die Großstadt ist menschenleer und es scheint die Seuche ausgebrochen zu sein. Jedenfalls wird in der leeren U-Bahn fleißig desinfiziert.
Im dritten Akt begleitet Orpheus die Hoffnung auf dem Weg zum Hades. Man sieht brennende Ölfelder in einer menschenleeren Ödnis einer Wüste. In den Nebelschwaden steht Charon, der Wächter der Unterwelt, in einer Uniform. Orpheus muss über den Styx, den Fluss der Unterwelt. Charon verwehrt ihm das Durchkommen, da setzt Orpheus seinen Gesang ein. Charon beginnt darauf zu tanzen und lässt ihn passieren.
Im vierten Akt sind wir bei Pluto angelangt. Man sieht Pluto beim Abendessen – fränkisch - mit einem Bocksbeutel an einer langen Tafel. Am anderen Ende ist seine Frau Proserpina. Im Bühnenhintergrund liegt eine aufgebahrte Eurydike im weißen Kleid. Ja, und diese Hölle scheint tatsächlich zuzufrieren, denn es schneit. Proserpina bittet Pluto, Eurydike wieder in Richtung Oberwelt ziehen zu lassen. Dieser stellt jedoch die Bedingung, dass Orpheus sich beim Gang aus der Unterwelt nicht umdrehen darf. In einer großen Videoprojektion folgt Eurydike dem Gatten nun aus der Unterwelt. Dabei klingt das Orchester bisweilen gar nicht nach Frühbarock, sondern sehr jazzig. Natürlich ist die Prüfung für Orpheus zu hart und der dreht sich um. Eine Schar Furien aus der Unterwelt trennt nun Orpheus. Seine Frau steht rechts am Bühnenrand und stirbt zum zweiten Mal. Man sieht im Zwischenspiel die Projektion von alten Noten.
Im letzten Akt telefoniert Orpheus mit seinem Vater Apollo. Dem Sänger des Apollo filmt dabei ein Handy in den Mund beim Singen. Für mich war das ein bisschen viel Großaufnahme. Orpheus soll aber seine Gattin nie wiedersehen und wird selbst zur Statue, die sich mit einer Projektion großer Musiker vereint. Orpheus steigt quasi in den Himmel großer Musiker auf. Am Ende kommt das Partyvolk aus dem ersten Akt wieder auf die Bühne und preisen Orpheus.
Ein sehr ungewöhnlicher Monteverdi klingt da aus dem Orchestergraben des Opernhauses und nicht nur dort. Weil die Abstände dort nicht einzuhalten sind, die man augenblicklich fordert, spielen ein Teil der Geiger aus dem 1. Rang und ein Teil der Bläser aus den Proszeniumslogen. Gerade wenn man von Ferne und Weite singt, kommt das Geigerquartett im Rang zum Einsatz und schafft so neue musikalische Akzente. Die Instrumentierung mit einem Xylofon und die jazzigen Einlagen bei Orpheus Gang aus der Unterwelt wurden damals sicher nicht so notiert. Puristen von Frühbarock mögen da jetzt laut protestieren, aber dadurch werden interessante Akzente gesetzt. Barock ist jetzt nicht so mein Fall, ich fand das Ergebnis dennoch stimmig. Derzeit kann man nicht besonders wählerisch sein, man muss eben froh sein, dass überhaupt gespielt wird. Ein Blick in den Orfeo lohnt allemal, da waren sich die Kritiker einig. Wir hatten an diesem Abend Frank Löhr am Dirigentenpult, der an dieser Fassung als Komponist mitgewirkt hat. Die Oper wurde inszeniert von Jens-Daniel Herzog, wo es außer einem Tisch und einer großen Videoleinwand wenig zu sehen gab.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Da ist sie also, meine erste Oper nach dem Lockdown. Für eine Wiederaufnahme von Tosca aus dem Jahr 2010 von Luc Bondy, bin ich extra nach München gefahren. Nach sieben Monaten endlich wieder große Oper sehen, dabei war das Wie und Ob-überhaupt vielleicht noch spannender als die Oper selbst. Das fing schon beim Vorverkauf an, der zuerst nur auf 200 Karten beschränkt war. Dann ging das Zittern los, ob München nicht kurzfristig noch zum Risikogebiet erklärt wird und die Sache ganz abgeblasen werden muss. Bei 47,7 Neuinfektionen machte der Zähler kurz vor der kritischen Marke halt. Dann war ich auf die Umsetzung neugierig, große Oper mit Chor, großem Orchester, wie mag das funktionieren? Bei einer Tosca muss man sagen, erstaunlich gut. Der Orchestergraben ist erhöht und gefühlt doppelt so groß, damit die Musiker Platz haben. Das erzeugt auch wegen der wenigen Leute im Publikum einen unter Asher Fisch, manchmal vielleicht zu lauten Ton. Klar singt der Chor aus dem Bühnenhintergrund und nicht auf der Bühne, aber dennoch live. Auf die ein oder andere Person in der Statisterie hat man verzichtet und den Kinderchor reduziert. Die kurzfristige Umbesetzung der Tosca von Anja Harteros durch Sonja Yoncheva nimmt man hin und ist froh, dass man überhaupt an dem Abend in der Oper sitzen kann. Bryn Terfel als Scarpia spielt den Fiesling hervorragend und Stefano La Colla, gibt einen phonstarken Cavaradossi. Vor allem mit der Tosca war ich an dem Abend sehr zufrieden, die alle Höhen und Tiefen der Hauptfigur sehr emotional ausleuchtet.
Der erste Akt spielt in einer sehr nüchternen Backsteinversion der Kirche Sant’Andrea della Valle. Angelotti, der politische Gefangene ist aus dem Staatsgefängnis der Engelsburg entflohen und seilt sich in die Kirche ab. Dort will er sich verstecken. Das Verstecken des Bruders hat die Schwester, die Gräfin Attavanti, gut vorbereitet, in dem sie in einer Seitennische Frauenkleider für ihn deponiert hat. Dass in dieser Kirche der Maler Mario Cavaradossi ein Altarbild der Maria Magdalena gemalt hat, wo er die Gräfin Attavanti zum Vorbild genommen hatte, die zum Beten regelmäßig in die Kirche gekommen ist, ist ein Zufall. Dieses Bild ist zwar fast in schwarz-braun und mit wenig Farbe gemalt, dennoch singt er sein „da mi colori- Recondita armonia“, denn ein entscheidendes Detail des Bildes sind die blauen Augen. Mit einem roten Gazeschleier kommt nun Tosca auf die Bühne. Sie hätte eine Stimme gehört und nun ist die Freundin des Malers und maßlos eifersüchtig. In dem Bildnis erkennt sie sofort die mögliche Rivalin, die Attavanti und fordert Mario auf, die Augen des Bildnisses zu ändern in dunkel. Tosca geht und es erscheint Angelotti, der einen Stuhl umwirft und mit Cavaradossi die weitere Flucht plant. Er soll sich im Landhaus verstecken. In der Eile lassen sie den Fächer, der Teil der Verkleidung war in der Kirche zurück. Es tritt Scarpia auf, der Polizeichef von Rom. Mit drei Gehilfen legt er einen imposanten Auftritt in der Kirche hin. Mit einem Indizienbeweis stellt er am leeren Essenskorb und dem Fächer fest, Cavaradossi hat Angelotti bei der Flucht geholfen. Zudem findet er den Fächer der Attavanti und will diesen geschickt einsetzen, um die Eifersucht bei Tosca zu schüren, die wieder in die Kirche zurückgekommen ist. Vor Eifersucht tobend wirft sie schon mal den Fächer über die Bühne, der Teil der Verkleidung der Attavanti war. Mit einem Pinsel attackiert die das Bild ihrer Rivalin. Tosca folgt ihrem Geliebten und will ihn zur Rede stellen, was es mit der Attavanti und ihm auf sich hat. Es ertönt das Te Deum, wo der Chor aus dem Off singt, was angesichts der großen Kirche durchaus stimmig ist.
Im zweiten Akt befindet man sich in einem sehr aufgeräumten Palazzo Farnese. In der Mitte des Raums befindet sich ein großes Fenster. In einem Schaukelstuhl sitzt lässig eine Gespielin von Scarpia, leicht bekleidet und in lila Strümpfen. Auch hier hat man die Zahl der willigen Damen um den Polizeichef von Rom etwas reduziert. An einem Tisch sitzt Scarpia. Vergeblich hatte man den Landsitz Cavaradossis untersuchen lassen. So lädt Scarpia Tosca ein. In einem Nebenraum foltert man nun Mario, damit er den Aufenthalt von Angelotti preisgibt. In einem Nebenraum rechts geht nun immer wieder die Tür auf, damit Tosca die Schreie des Gefangenen hört. Der Raum ist in gelbes Abendlicht getaucht. Schließlich gibt Tosca den Aufenthaltsort von Angelotti bekannt, worauf der sich vor den Häschern umbringt. Scarpia will aber mehr, er begehrt Tosca, die ihn deutlich zurückweist. Er bietet das Leben Cavaradossis für den Preis an, dass sich Tosca ihm hingibt. Vor dem Fenster erkennt Tosca, dass ihr nur eine Stunde Zeit bleibt, den Geliebten zu retten. Sie singt ein äußert beeindruckendes „Vissi d’arte“, das mit einem langen Publikumsapplaus endet. Scarpia sieht so lange aus dem Fenster. Er will den Gefangenen nun nur zum Schein erschießen lassen, wenn sich Tosca ihm hingibt. Tosca willigt ein unter zwei Bedingungen: Sie möchte die Begnadigung Mario selbst sagen und sie will freies Geleit aus dem Kirchenstaat. Zum Schein geht Scarpia auf das Geschäft ein. Auf dem Tisch des Polizeichefs entdeckt Tosca ein Messer. Sie drapiert sich aufreizend auf dem Sofa und erwartet Scarpia, den sie am Sofa mit mehreren Stichen ermordet. Kopfüber und mit den Beinen am Sofa stirbt Scarpia.
Der dritte Akt zeigt eine fast leere Bühne. Nur am äußersten rechten Rand findet man zwei Zinnen der Engelsburg. Das Erschießungskommando bringt Mario herein. Der bittet, noch einen Abschiedsbrief an seine Geliebte schreiben zu dürfen. Auf einem Hocker schreibt er ein paar Zeilen an Tosca und singt seine Arie „E lucevan le stelle“. Tosca tritt auf und klärt ihn auf, dass seine Erschießung nur zum Schein passieren wird und dass er bühnengerecht sterben soll. Im Anschluss würde sie kommen und mit ihm flüchten. Das Kommando erscheint und feuert die Gewehrsalven auf Mario ab. Als sich der Pulverdampf verzieht, stellt Tosca entsetzt fest, dass Mario wirklich tot ist. Man hat inzwischen den toten Scarpia entdeckt und ist Tosca auf der Spur. Mit dem Ausruf „O Scarpia, avanti a Dio!“ stürzt sich Tosca von der Engelsburg, um ihren Verfolgern zu entgehen.
Was ein tolles Opernerlebnis nach so einer langen Durststrecke. Schon bei der ersten großen Arie von Cavaradossi sind all die Aufregungen um diesen Opernabend vergessen. Die Anreise nach München werden belohnt mit einem wunderbaren Sängertrio und großer Oper. Die Leistung der Staatsoper, mit den derzeitigen Auflagen und Risiken, ein solches Projekt durchzuziehen, kann man gar nicht groß genug würdigen. Ich war wirklich gespannt, wie die ganze Oper umgesetzt wird und war am Ende restlos überzeugt von dem, was mir geboten wurde. Es war für mich ein sehr emotionaler Abend nach einer langen Pause in meinem liebsten Hobby. Ich versprach, dass das Blog zurückkommt, wenn es wieder Live-Oper gibt. Und es gibt sie… Ein Besuch lohnt unbedingt.
Liebe Blog-Leserinnen und Leser,
Spielregel dieses Blog ist es ja, dass ich selbst in einer live-Aufführung einer Oper anwesend sein muss, um eine umfassende Kritik zu schreiben. Nun trifft der Lockdown natürlich auch das Opernblog wegen der aufgestellten Regeln. Da große Häuser inzwischen die Spielzeit 2019/20 beendet haben, ist nicht so schnell mit neuen Opern-Zusammenfassungen zu rechnen. Ich bitte daher um Nachsicht, dass ich augenblicklich keine weiteren Zusammenfassungen veröffentliche. Streams der großen Opernhäuser gibt es viele, wo man über Aufführungen aus den vergangenen Jahren schreiben könnte. Für mich hat die Konserve eines Live-Mitschnitts aber einen entscheidenden Nachteil: Hier bestimmt eine Bildregie, wann was zu sehen ist. Ich kann nicht selbst entscheiden, was bei einer Vorstellung an Detail für mich interessant gewesen wäre und die Kamera gerade nicht zeigt. Vom live-Erlebnis lebt für mich die Oper, Konserven halten zwar über Wasser während des Lockdowns, schränken den Operngenuss für mich aber deutlich ein. Heute wurde die Spielzeit am Staatstheater Nürnberg ebenfalls für beendet erklärt. Das Opernblog lebt wieder, sobald man wieder spielen darf, egal in welcher Form.
Bis dahin... Bleiben Sie gesund, auf ein baldiges Wiedersehen in einem der Opernhäuser...
Stephan
In einer Inszenierung von Christian Brey sind die Piraten von Penzance zu sehen. Das ist eine komische Oper von Gilbert und Sullivan aus dem Jahre 1879. Während das Autorenteam in England und den USA eine bekannte Größe ist, kennt man das Stück hierzulande kaum. Wer jetzt über den Film „Einfach unverbesserlich 3“, die Minions und Monty Python auf YouTube zu dem Stück gekommen ist, hat nun entsprechende Vorstellungen. Das Risiko ist groß, dass dieses Stück ins Flache, Alberne abdriftet. Dass aber auch lächerliche Piraten, wie in diesem Fall mit einem kruden Ehrenkodex eine Zugnummer sein können, muss die Gunst des Publikums in Nürnberg beweisen. Musikalisch hat Guido Rumstadt jedenfalls eine beschwingte, heitere Vorlage geliefert, die an Offenbach erinnert. Christian Breys Inszenierung liefert dazu ein optisch ansprechendes Bühnenbild, bei dem vor allem die Kostümschneiderei unter Anette Hachmann gut gearbeitet hat. Egal, wie die folgenden Kritiken ausfallen, dem Publikum in der Premiere hat es gefallen, klar dass man am Niveau der Handlung Kritik üben kann. Es ist dieser besagte englische Humor, den man hier haben muss mit einem Sinn für spleenige Leute und eine Portion Patriotismus für die Monarchie und die englische Königin.
Wir befinden uns gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Cornwall. Während der Ouvertüre sieht man einen blauen Meeresspiegel, auf dem ein Piratenschiff mit roten Segeln anlandet. Als das Schiff aus der Projektion verschwindet, tauchen drei Masten aus dem Bühnenboden auf. Das Schiff ist angelandet, an einer grünen, schiefen Ebene mit einem schwarzen und sechs weißen Plastikschafen. Frederic feiert das Ende seiner Ausbildung zum Piraten, wir dürfen die letzten Minuten erleben, bis er endlich 21 Jahre ist und das Schiff der Piraten verlassen darf. In einem Running Gag sieht man zu einem Wasserspritzer immer wieder Leute ins Meer gehen. Dass er überhaupt auf das Schiff gekommen ist, ist einem Hörfehler der schwerhörigen Gouvernante zu verdanken. Sie wollten ihn zu den Privaten in die Lehre geben, und hat ihn stattdessen zu den Piraten gegeben. Nichtsdestotrotz hofft sie, Frederic heiraten zu können, der bis dato noch keine Frau gesehen hat. Mit ihren 47 Jahren ist sie jetzt nicht mehr Frederics Altersklasse. Die Piraten sind aber die Karikatur in sich. Klar muss heutzutage mindestens ein Pirat aussehen wie Johnny Depp im Fluch der Karibik. Der Piratenkönig hat ein Brusttoupet, Schnurrbart und offenem Hemd und verbreitet den Machocharme alter Hollywoodfilme. Zu Soundeffekten wird mit dem Degen gefuchtelt, der ab und zu aber auch als Mikro dient. Respekt jedenfalls auch vor den Fechtszenen. Wer jetzt meint, das Zitat aus dem Barbier von Sevilla wäre zufällig, muss noch eine Weile warten, bis sich das erschließt. Frederic und Ruth gehen jedenfalls an Land. Frederic lässt aber keinen Zweifel, dass er den Piraten nach seiner Lehre den Kampf ansagt und alle Anstrengungen unternehmen wird, diese auszuschalten. An Land, mit einem Fernrohr, entdeckt er jetzt aber andere Mädchen in der Ferne. Er stellt fest, dass Ruth mit ihren 47 Jahren vielleicht mal in jungen Jahren schön war, aber die nun kommenden 10 Töchter des Generals an Schönheit Ruth bei Weitem in den Schatten stellen. Die Mädchen kommen in Pastelltönen gekleidet auf die Bühne, vom Bühnenhimmel werden mitten auf der grünen Wiese vier Schaukeln heruntergelassen. Die höheren Damen sind natürlich bei Frederics Anblick ebenfalls angetan, erschrecken aber hysterisch, als sie hören, dass er Pirat ist oder war. Nur die Mabel, die später vom Bühnenhimmel in einer Extraschaukel kommt, lässt sich nicht abschrecken und wirft ihren Schwestern einen Mangel an Hilfsbereitschaft vor. Bei dem Duett verschwindet Frederic schon mal in einer Art Gullydeckel im Rasen. Mabel hat schon bei ihrem Auftritt schwierige Koloraturen zu singen, auch wenn Frederic sich an den schrillen Stellen die Ohren zuhält. Da es zwischen Frederic und Mabel zu funken scheint, lassen die Schwestern die beiden allein und reden über das Wetter. Nun kommen die Piraten an und greifen sich jeweils eine der Töchter. Mabel schreitet ein und sagt, die Piraten müssen Angst vor ihrem Vater haben, der Generalmajor ist. Der tritt dann in einer roten Generalsuniform mit Hut auf und singt die bekannte Arie aus dem Stück. Vorher schießt er noch mit seinem Schirm lautstark einen Vogel ab. Es handelt sich um eine Plapperarie, wie im Barbier von Sevilla, bei dem es darum geht, möglichst viel sinnfreien Text in kurzer Zeit unterzubringen. Der Generalmajor ist dabei nicht zimperlich und klaut das Motiv vom Piratenkönig, immer wieder von Denkpausen unterbrochen, bei dem der alte Generalmajor Stanley um Worte ringt, folgt noch einmal ein Da capo mit erhörter Geschwindigkeit. Hans Kittelmann liefert hier eine Hochglanzleistung ab, schon allein wegen dieser Arie hat sich dieser Abend gelohnt. Da der Generalmajor nun fürchtet, alle seine Töchter könnten bei den Piraten landen, wendet er einen Trick an. Er behauptet, er wäre eine Waise, wobei immer wieder der Gag zwischen Weise und Waise gebracht wird. Er hätte eben keine Eltern mehr und die Töchter wären sein ein und alles. Die Piraten sind daraufhin weich, weil sie genau an ihrem Ehrenkodex erwischt wurden und lassen den Generalmajor mit seinen Töchtern ziehen. Mehr noch, sie nehmen in als Ehrenmitglied auf und die Piratenflagge weht einmütig neben dem Union-Jack.
Im zweiten Akt dreht der Klamauk noch mal so richtig auf. Man befindet sich auf dem Anwesen von Generalmajor Stanley. Der wird nun von Gewissensbissen geplagt, da er vor den Piraten gelogen hat. Im Nachthemd sitzt auf einer kleinen Brücke im Garten, wobei sich seine Töchter um den besten Platz an seiner Seite streiten. Er bedauert jedenfalls seine Lüge. Frederic, nun in einem blauen Matrosenanzug, hat einen etwas furchtsamen 12er Pack blauer Polizisten geordert, die in Reih- und Glied aufmarschieren und ihm helfen sollen, die Piraten festzunehmen. Die Töchter des Generalmajors feiern die Polizisten als Helden, die etwas schreckhaft dann doch losziehen. Der Piratenkönig und Ruth kommen nun, um Frederic ein Paradoxon zu präsentieren. Da im Vertrag steht, dass er bis zu seinem 21. Geburtstag bei den Piraten dienen muss, ist er dadurch, dass er am Schaltjahr am 29.02. seinen Geburtstag feiert, eigentlich erst 5 ¼. Er müsse eigentlich noch weitere 63 Jahre dienen, bis die Schuld aus dem Vertrag erloschen ist und appellieren an sein Pflichtgefühl. Schweren Herzens trennen sich nun Mabel und Frederic wieder, wobei sie sich versprechen so lange aufeinander zu warten. Da Frederic nun erneut die Seiten gewechselt hat, petzt er den Piraten, dass der Generalmajor gelogen hat. Mabel baut nun einen Hinterhalt mithilfe der Polizei auf, die sich hinter 12 Büschen verstecken, die aber beweglich sind. Es treffen nun die Piraten ein, die das offensichtliche Versteck der Polizisten nicht sehen. Als es zum Angriff kommt, gerät der Polizeianführer mit seinem Schlagstock in einer der elektrischen Laternen, die es vermutlich zu der Zeit des Stücks noch gar nicht gegeben hat. So geschwächt und elektrogeschockt unterliegen die Polizisten im Kampf den Piraten. Die Polizei spielt aber nun einen letzten Trumpf aus und verlangt die Beute im Namen der Königin Viktoria, die sich in einem großen Bild zeigt. Nun knicken die Piraten als Patrioten abermals ein. Ruth erklärt, dass die Piraten eigentlich alle Edelleute auf Abwegen seinen und den Töchtern des Generals würdig.
Klar, kann man jetzt über das Niveau der Handlung debattieren, wie jetzt die Gartenschaukel an die Küste von Cornwall kommen oder wer in der Zeitmaschine dorthin elektrische Straßenlampen portiert hat. Dennoch ist das Ganze ein großer Spaß und trägt sehr zur Erheiterung in der aktuellen Nachrichtenlage bei. Besonders einfallsreich fand ich die Seitentitel, die durchaus einen Blick lohnen, obwohl man in Deutsch spricht und singt. Fakt ist, es ist ein großes Aufgebot an Darstellern nötig, um dieses Stück auf die Bühne zu bringen. Bevor es schlechte Kritiken gibt, wollte ich das Stück unbedingt selbst gesehen haben. Emily Bradley als Mabel leistet wirklich große Koloraturarien und Hans Kittelmann als Generalmajor Stanley mit grauem Backenbart ist kaum wieder zu erkennen. Die Piraten sind jedenfalls gelandet, ob es ein Erfolg wird, entscheidet das Publikum und das war in der Premiere eindeutig auf der Seite von Christian Brey und Guido Rumstadt.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Tatjana Gürbaca inszeniert am Staatstheater Nürnberg die Oper Manon von Jules Massenet, als Machtspiel einer korrupten Männergesellschaft, die mit Dollars nur so um sich wirft. Während im Libretto eigentlich Manon in relativ moderner Weise ihren Gefühlen folgt, wird sie bei Gürbaca Opfer einer patriarchischen Gesellschaft. Im Kern ist diese Deutung möglich, da Frauen als eigenständige Personen in der Gesellschaft wenige Aufstiegsmöglichkeiten im 18. Jahrhundert hatten. Wie in der Einführung erwähnt, war Ihr einziges Pfand ihre Schönheit und ihre Jugend. Sie endeten meist als Ehefrauen reicher Männer oder als Grisetten. Manon ist aber in ihrer Anlage ständig unentschlossen, ob sie nun der Liebe ihres Herzen mit dem armen Adeligen des Grieux folgen soll oder doch lieber dem Geldadel mit de Brétigny. Mehrfach schwankt sie in der Oper hin und her. Sobald sie Ihren des Grieux ans Kloster verliert, bettelt sie um seine Liebe. Überhaupt hatte dieser Abend einige Überraschungen parat, die erst mit dem Blick ins Textbuch enträtselt werden können.
Da ist zunächst die Szene im Hof einer Gastwirtschaft in Amiens. Eine feste Installation ist dabei ein dreifacher Rahmen aus Glühbirnen, die hintereinander angeordnet den Eindruck von Lichtinstallationen auf einer Kirchweih vermitteln. Wir erleben die Ankunft von Manon als Einreise von Flüchtlingen in die restricted area Paris. Warum das Schild nun englisch und nicht französisch ist, ist eines dieser Rätsel. Vielleicht ist es eine Einreise während der Besatzung. Die Frauen werden hier an einer Passkontrolle abgefertigt, deren Taschen durchsucht und erhalten ihre Papiere für die Einreise nach Paris. Die vielen Soldaten und die Passstelle irritieren etwas, aber am Sektkübel erkennt man eindeutig: Man ist in einem Gasthaus. Die Grisetten in dem Gasthaus faszinieren mit ihrem Schmuck, hier mit ihren Teufels- oder Hasenohren Manon. Sie möchte ebenfalls ein Leben in Luxus führen und bekommt eben solche verpasst. Die Kommandantur mustert dabei Manon kritisch. Aber auch die Herren de Brétigny und Guillot de Morfontaine finden Manon reizend. Die ist aber sofort in den jungen des Grieux verliebt und flieht mit ihm nach Paris.
Im nächsten Akt ist man in einer kleinen Wohnung in Paris. Eine kahle Fläche inmitten der Bühne imitiert ein Bett, es gibt ein paar Barhocker. Insgesamt ist die Wohnung aber kein freundlicher Ort. Des Grieux versucht, Briefe an Manons Vater zu schreiben, die er immer wieder zerknüllt. Da kommt schon das nächste Rätsel. Ein kleiner Papier-Kranich wandert von des Grieux zu Manon. Wenn man jetzt weiß, dass der Papierkranich in Japan ein Symbol für ein langes, glückliches Leben ist, macht das wieder Sinn. Geknackt! Nächstes Rätsel de Brétigny und der Cousin von Manon kommen als Sado-Maso-Pärchen auf die Bühne. Dass de Brétignys Verkleidung als Rotkäppchen mit rotem Umhang, Pumps, Netzhemd und Latexunterhose inklusiver roter Kniestrümpfe die Verkleidung als Gardist ist, ok das ist jetzt wirklich weit weg. Auch warum der Cousin von Manon auf Knien mit einem Ledergeschirr vor de Brétigny rumrutscht, kann man vielleicht als Hinweis sehen, dass de Brétigny mit seinem Geld alles bestimmt. Dieses Ledergeschirr bekommt auch Manon aufgesetzt. Der Brief an Manons Vater ist geschrieben und des Grieux bringt ihn weg. Dabei wird er von Abgesandten des Vaters von des Grieux zu Boden geschlagen und mit Tritten übel misshandelt. Manon blickt sich noch mal kurz um und geht mit de Brétigny weg.
Auf der Pariser Promenade Cours la Reine findet ein Fest statt. Guillot de Morfontaine steht da etwas unbeteiligt als Prince mit Afrolook am Bühnenrand und wird mit Konfetti beworfen. Ihn lässt das Fest aber kalt. Des Grieuxs Vater kommt dazu und sagt, dass sein Sohn Priester wird. Guillot de Morfontaine hat für Manon das gesamte Ballett von Paris gekauft. Manon hat inzwischen lange rote Haar, einen langen schwarzen Mantel, einen glitzernden Zylinder und eine Korsage an. Im Hintergrund erscheint nun eine Leuchtschrift: PARIS. Es fällt ein Goldvorhang im Stil der 20er Jahre aus Berlin. Leicht bekleidete Tänzerinnen geben nun eine sportliche Einlage mit Federboas am Kopf. Manon steigt in einen Metallring und wird nun als Marlene Dietrich-Double in den Bühnenhimmel gezogen. Sie entzieht sich der Feier, als sie von der Priesterweihe von des Grieux erfahren hat und folgt des Grieux ins Kloster.
Zu sehen ist nun das Kloster von Saint Sulpice. Man sieht des Grieux zu Orgelmusik Hostien an Gläubige Frauen verteilen. Des Grieuxs Vater nimmt ihm das Versprechen ab, nur noch Gott zu dienen und lässt ihm das mütterliche Erbe da. Als er weg ist, taucht Manon auf. Sie bezahlt am Eingang einen Messner, indem sie ihre Ohrringe in den Klingelbeutel wirft. Erst als der Messner mehrere Schmuckstücke hat, lässt er Manon passieren. Manon lauert des Grieux als Gläubige hinter einem Gebetsbuch versteckt auf und präsentiert ihm unter dem Gepardenmantel ein paar halb nackte Tatsachen. Und dem Mantel hat sie immer noch ihr Glitzerkostüm an. Dabei lässt Manon nichts unversucht, des Grieux von der Priesterweihe abzubringen. Sie stopft Hostien in sich rein, übergießt ihre Unterarme mit Kerzenwachs. Schließlich lenkt des Grieux trotz Soutane ein und kommt hinter der Klosterwand zur Sache. Beim Gehen nimmt sich Manon wieder Geld aus dem Klingelbeutel. Das Versprechen an den Vater ist gebrochen, des Grieux gehört ab sofort Manon.
Manon hat im nächsten Aufzug das Geld von des Grieuxs Mutter durchgebracht. Manon ist mit blonder Perücke ein echter Vamp. Im berüchtigten Transsilvanischen Hotel spielen des Grieux und Brétigny mit Guillot de Morfontaine russisches Roulette. Ein erster Statist hat kein Glück und erschießt sich. Des Grieux zockt mit Guillot de Morfontaine und nimmt ihm schließlich viel Geld ab. Dieser vermutet ein falsches Spiel von des Grieux und Manon und lässt beide verhaften.
Des Grieux kommt auf Intervention des Vaters frei. Mit gelben zerzausten Haaren und einem T-Shirt auf dem steht: born this way, taumelt Manon am Abgrund. Sie ist ein Spielball der Soldaten geworden, die in Uniform und kurzen Short mit dem Rücken zum Publikum stehen. Es kommt noch einmal der Origami-Kranich zum Einsatz. Mit einem großen Schritt setzt Manon zur Schlussarie an und stirbt.
Mit Björn Huestege hatten wir an diesem Abend das große Los gezogen. Diese Manon war musikalisch in keiner Weise grobschlächtig und grell, wie es in der Kritik beschrieben wurde. Die Sängerin der Manon Eleonore Marguerre meisterte die Partie sehr gut. In Tadeusz Szlenkier hatte sie einen ebenbürtigen Partner an ihrer Seite. Während ich bis zur Pause mit der Regie ziemlich gehadert habe, war ich im zweiten Teil zumindest musikalisch versöhnt. Die Regie setzt hier den Trend zu mehr Nacktheit und Freizügigkeit, den es in den Inszenierungen derzeit gibt, leider fort. Hätte hier keine Frau inszeniert, würde man sicher eine #meetoo-Kampagne ansetzen. Gerade der Einsatz von Brétigny als Rotkäppchenverschnitt ist unverständlich. Die Vorlage des Librettos war damals eine Sensation: Eine Frau, die sich nimmt, was ihr gefällt. Hier ist sie nur Spielball der Männergesellschaft, was zwar historisch richtiger ist, aber in diesem Fall eine Interpretation ist. Da ich im Vorfeld schon einige Kritiken gelesen habe, war ich skeptisch. Letztlich war es besser als erwartet.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg