Die Jüdin - La Juive - Eine Entdeckung
Manchmal sollte man sich auch von einer oder mehreren durchwachsenen Kritiken nicht abhalten lassen, sich vor Ort selbst eine Meinung zu bilden. So waren die Hugenotten ja eher nicht bei mir angekommen und ich hatte mit dem Thema Grand Opéra schon fast abgeschlossen. Die ganze Form erschien mir als etwas zu verstaubt und nicht mehr aktuell. Aber die Inszenierung von Gabriele Rech am Nürnberger Opernhaus hat mich überzeugt, sie ist eine Kooperation mit der Oper in Nizza. Ein gut aufspielendes Orchester und gute Sänger hatten an diesem Abend für eine Überraschung gesorgt. Nach den Kritiken hatte ich ja eine gewisse Skepsis. Das Libretto mit dem Kindstausch als Motiv erinnerte mich zu sehr an den Troubadour von Verdi, obwohl das in der Zeitabfolge gar nicht sein kann. Kai Weßler bezeichnete die Form der Grand Opéra als großes Theater in der damaligen Zeit, ähnlich den heutigen Musicals. Dabei waren genaue Handlungsabläufe und Ausstattungsdetails vorgegeben. Der düstere Ausgang der Oper von Fromental Halévy besiegelt eine finstere Schlussnote im Religionskonflikt der damaligen Zeit und der Judenverfolgung unter dem Konstanzer Konzil um 1417. Man hätte die Oper leicht mit einem Paukenschlag und einem glücklichen Ende beschließen können, was aber unlogisch erscheint. Wie ein Zug rauschen die Beteiligten immer tiefer in persönliche Verstrickungen und schließlich in die Katastrophe. In ihrer religiösen Verblendung stehen beide Seiten unversöhnlich gegenüber. Schon die Grablichter vor dem Vorhang verheißen nichts Gutes.
Im ersten Akt sieht man das Volk in der Kirche. Mit einem dicken Orchesterstrich wird ein „Te Deum“ gesungen. Man befindet sich außerhalb der Kirche vor den Stufen zum Münster zu Konstanz. In der Mitte sieht man die Rückseite eines Kirchenfensters. Der Jude Éléazar stört mit seinem Gehämmer in der Goldschmiede die Feiertagsruhe der christlichen Mehrheit. Das führt zum ersten Affront des Juden, der vom Militär gleich vorgeladen wird. Man hat die Szenerie in die 30er Jahre verlegt, verzichtet aber bewusst auf Symbole des Dritten Reichs. Stellvertretend müssen sich zwei Statisten ausziehen und mit einem gelben Judenstern bemalen lassen. Sie tragen Schilder mit Frakturschrift, die sie der Schande bezichtigen. So hätte die christliche Frau ein Verhältnis mit einem Juden gehabt, was nach den Gesetzen nicht zulässig ist. Nach diesem Übergriff beruhigt sich die Menge zunächst auf Geheiß des Kardinals Brogni und feiert ausgelassen auf den Stufen des Münsters. Es werden rot-schwarze Flaggen hochgehalten und schon kommt es zur nächsten Provokation. Éléazar hat sich mit seiner Tochter in die Nähe des Münsters gewagt. Der geliebte Samuel von Éléazars Tochter Rachel kann die Situation in merkwürdiger Weise retten. Was Rachel zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Ihr Geliebter ist kein Jude, wie er vorgibt, sondern der Reichsfürst Léopold.
Im zweiten Akt ist man dann in dem Wohnhaus der Goldschmieds Éléazar. An der Decke sieht man einen Stern, Vorhänge und Bücherregale stellen fest, man ist im Haus eines gebildeten Mannes. Der Akt beginnt wie ein Abendmahl von Leonardo da Vinci. Mit zwölf Gästen feiert Éléazar an einer langen Tafel das Pessachfest mit ungesäuertem Brot. Der a-cappella-Gesang ist wirklich schön, aber die Tafel wird gestört. Die Prinzessin Eudoxie unterbricht das jüdische Fest. Sie kommt, um eine Kette für ihren Mann zu bestellen. Samuel steht dabei seltsam in der Ecke und vermeidet jeden Blickkontakt mit der Prinzessin. Rachel will ihren Freund heiratet, jedoch gibt der im Verlauf des Aktes zu, dass er gar kein Jude ist, sondern Christ. Das erzürnt Éléazar so, dass er ihn auf die Tafel wirft und mit einem Messer bedroht. Aber es gäbe eine Chance, wenn er Jude würde, könnten sie heiraten, aber auch hier ziert sich der Freund merkwürdig. Er sagt, dass das nicht geht, und verlässt den Raum.
Im dritten Akt befindet man sich im Ankleidezimmer der Prinzessin. Die zieht in Erwartung ihres Mannes Léopold ein rotes Kleid an. Die Hofdamen dahinter in Rosa öffnen schon mal eine Flasche Sekt. Hinter den Stoffbahnen des Schlafgemachs sieht man ein Bankett. Zum obligatorischen Ballett inszeniert man eine Reise nach Jerusalem mit Stühlen. Am Bankett sitzt Samuel. Er ist also in Wahrheit der Reichsfürst Léopold. Nun spitzt sich die Lage zu. Éléazar und Rachel wollen die Auftragsarbeit übergeben und es kommt zum Eklat. Rachel erkennt ihren Freund. Im Hass und aus Wut beschuldigt sie ihn vor seiner Frau der Prinzessin, ein Verhältnis mit einer Jüdin gehabt zu haben. Das geht nun dem anwesenden Brogni eindeutig zu weit. Er findet die Anschuldigung ungeheuerlich und lässt Rachel, Éléazar und Léopold verhaften.
Im vierten Akt sieht man das Haus von Éléazar durch einen Brand verwüstet. Es hat also ein Pogrom gegeben. Das Haus von Éléazar stand in Flammen, die Tafel ist zerbrochen, die Stühle verkohlt. Eudoxie versucht Rachel, zu einer Revision ihres Geständnisses zu bewegen. Damit erwirkt sie Léopolds Begnadigung. Nun kommt es zu einer Aussprache zwischen Éléazar und Brogni. Die beiden hatten sich vor langer Zeit in Rom getroffen. Brogni war damals noch kein Kardinal, sondern hatte Frau und Tochter. Allerdings war er damals als Graf schon für den Tod der Söhne Éléazars verantwortlich, weshalb Éléazar jeden Christen hasst. So gibt er nun zu, dass Brognis Tochter gerettet wurde und nur er wisse, wo sie ist. Éléazar ist aber bereit sein Geheimnis ins Grab zu nehmen und bietet Brogni seinen Tod an. Mit einem gewissen Sadismus erfreut er sich dran, Brogni leiden zu sehen. Brogni verhört ihn sogar mit einer Stehleuchte, aber Éléazar weigert sich, den Aufenthalt der Tochter zu nennen. Diese Stehleuchte nimmt am Ende des Aktes Éléazar und beleuchtet sich gespenstisch von unten. In seinem Hass ist er sogar entschlossen, seine Tochter zu opfern.
Im letzten Akt kommt es zum fatalen Finale. In einem Taufbecken soll eine Art Zwangstaufe von Rachel mit heißem Wasser durchgeführt werden. Trotz einer Vorhangpanne ist man im Kerker gelandet. Rachel und Éléazar bleiben standhaft. In einer ziemlich brutalen Waterboardingsequenz wird nun Rachel ermordet. Als sie tot ist, gesteht Éléazar, dass Rachel die gesuchte Tochter von Brogni ist. Darauf erwürgt Brogni Éléazar.
Warum war ich begeistert? Auch wenn man heutzutage keine Arie mehr aus der Oper kennt: Das Vergessen der Oper auf den Spielplänen ist unverdient. Das Dritte Reich hat hier auch wieder dafür gesorgt, dass dieses Werk endgültig verschwand. Rachels Arie im zweiten Akt ist schön und Éléazars Arie im vierten Akt. Die Rolle des Léopold verlangt unglaublich hohe Tenortöne, die Uwe Stickert auch abliefert. Éléazar ist dagegen eher eine Kraftrolle für den Tenor Luca Lombardo. Nicolai Karnolsky als Kardinal Brogni liefert einen profunden Bassbariton, der teilweise mit bester Harfenmusik untermalt wird. Mit der Aufdeckung der Identität Rachels hätte man auch kurz vor Schluss noch einmal dramaturgisch alle Karten für eine positive Auflösung der Verwicklungen in der Hand. Religiöser Fanatismus verweigert aber dieses Ende. Die fünf Stunden, die diese Oper eigentlich dauert, wurden auf drei Stunden reduziert. Dennoch verliert die Oper durch die Kürze nicht an Wirkung. Ich kann inzwischen verstehen, warum die Oper damals ein Serienerfolg war, und lange auf den Spielplänen stand. Die Musik ist dramatisch, wuchtig und ergreifend. Klar ist der Pathos Teil der Grand Opéra, aber hier wird der Konflikt zwischen Juden und Christen gekonnt auf die Bühne gebracht. Vielleicht hat die Routine von sieben Aufführungen die Inszenierung inzwischen rund geschliffen und bietet nun an anderes Erlebnis als die Premiere im Januar.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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