Als museale Aufführung der Zauberflöte bei der Premiere 1994 gescholten, läuft die Everding-Zauberflöte an der Staatsoper in Berlin doch schon sehr lange. Wir haben jetzt mit viel Abstand zur Premiere ebenfalls dieses Stück besucht. Die Everding Inszenierung macht dabei keine Experimente, 1816 als Everding dieses Stück inszenierte, war Regietheater noch in weiter Ferne. Nur hier und da erlaubt man sich einige Gags, die damals sicher nicht so im Libretto gestanden haben. Die Frage von Tamino: Wo bin ich, wird beantwortet in Berlin. Mit der anderen Inszenierung von Yuvel Sharon, hat man das genaue Gegenteil.
Im ersten Aufzug trohnt der Tempel der Weisheit über allem. Gleich drei Schlangen bedrohen den Prinzen Tamino, die mit Feuer und Donner aus den Höhlen kommen. Gelenkig entsteigen den drei Drachen nun drei Frauen, die sich als Dienerinnen der Königin der Nacht zu erkennen geben. Diese haben die drei Schlangen erlegt. Papageno, der Vogelfänger kommt mit roten Haaren, einem grünen Anzug und einer Voliere auf dem Rück vom rechten oberen Bühnenrand. Als Tamino zu sich kommt, gibt er sich als Retter aus. Zur Strafe für diese Lüge bekommt er statt Brot und Wein, einen schweren Stein und ein Schloss vor dem Mund. Für eine kurze Zeit kann jetzt Papageno nur Summen. Von den Damen bekommt Tamino ein Bild überreicht, in das sich der Prinz sofort verliebt. Nun hat eine bezaubernde Köngin der Nacht ihren Auftritt, die in einer Mondbarke aus dem Schinkelsternenhimmel herabfährt. Sie gibt Tamino den Auftrag ihre Tochter zu befreien. Die drei Damen überreichen ein Glockenspiel und eine Flöte, das Schloss wird von Papgaeno entfernt. Damit gelingt es die wilden Tiere zu bezwingen. Gerade diese Szene kommt bei den kleinen Zuschauern gut an. Nashorn, Löwe, Krokodil, aber auch fiktive Tiere aus der ägyptischen Mythologie. Drei Knaben auf einem Einhorn kommen und weisen den Weg zu Burg Sarastros. Damit ist die Mission der Damen erfüllt und Papageno und Tamino machen sich auf in den Tempel zu Sarastro, wo die Geisel Pamina dann zu befreien ist. An drei verschiedenen Eingängen versucht Tamino sein Glück. Papageno kommt als erster im Tempel an und findet Pamina an Stricken gebunden zwischen zwei großen Säulen. Monostratos hat sich Pamina übergriffig genähert. Papageno befreit die Geisel und trifft auf den Mohr Monostratos, politisch korrekt an einer schwarzen Stirnbinde zu erkennen. Dieser will die Flucht verhindern und wir mit dem Glockenspiel, das Papageno von den Damen bekommen hat besänftigt. Dabei bilden die ägyptisch angezogenen Sklaven ein Ballett und marschieren rechts raus. Mit etwas Verzögerung kommt auch Tamino im Weisheitstempel an und erfährt, dass Sarastro der eigentliche Gute in dem Stück ist. Der kommt als tiefer Bass zuerst singend aus der Prosceniumsloge daher in langen Gewändern.
Im zweiten Aufzug treten die Priester mit etwas merkwürdigen Kopfbedeckungen auf. Tamino und Pamina sind füreinander bestimmt, müssen jetzt aber in der Folge diverse Prüfung durchlaufen. Wieder lässt man die Löwen kurz auftreten. Während sich Tamino bereitwillig dem Schweigegelübde unterziehen, hat Papageno so seine Probleme mit dem Schweigen. Erst als Papageno ein Mädchen versprochen wird, will er Tamino auf dem Prüfungsweg begleiten. Wieder erscheinen unter Donner und Blitz die drei Damen und prophezeihen den nahen Tod. Monostratos versucht sich erneut bei Pamina anzuschleichen, jammert aber über die Sohlenstreiche. Zudem soll der Mond verschwinden, was dieser auch gehorsam tut, um den kommenden nächsten Versuch der Annäherung nicht zu gefährden. Nun hat die Königin der Nacht ihren Paradeauftritt mit der berühmten Arie. Sie will Pamina einen Dolch mitgeben, mit dem sie Sarastro töten soll. Dieser entreißt nun Monostratos und stellt sie vor die Wahl, entweder sie erhört ihn oder er verrät den Plan Sarastro. Sarastro greift aber sofort ein und nach den Höhen der Köngin der Nacht, darf nun Sarastro in den tiefen Lagen singen. Das ist dann immer etwas unfair, denn die Leistung des Bass an der Stelle ist mindestes ein ebenso großes Lob wert. Weiter sollten sie schweigen, was Papageno nun definitiv nicht mehr gelingt. Es erscheint ein buckliges Weib, das sich als Papagenos Freundin ausgibt. Die drei Knaben bringen mit ihrem Einhorn Glockenspiel und Flöte zurück. Als Belohnung für die Befreiung verspricht man Papageno eine gute Mahlzeit, worauf sich aus dem Bühnenhimmel Wurstattrappen senken. Ein Tisch mit Speisen wird sichtbar und Papageno isst und trinkt aus einem Weinfass, das ebenfalls auf der Bühne ist. Zudem reichen die Tiere aus dem Bühnengraben reichlich rote Weingläser auf Tabletts, die Papageno alle trinkt. An dieser Stelle wäre eine Altersverifikation notwendig, da Papageno aber geschätzte 28 ist, lassen wir das durchgehen. Papageno will nun mitgehen und schweigen, oder von einem Krokodil gefressen werden. Der Einfall kommt beim jungen Publikum gut an. Pamina versucht nun mit Tamino zu sprechen, da das Schweigegelübde aber immer noch gilt, meint diese, Tamino hätte sich abgewendet und versucht sich mit dem Dolch zu ermorden. Die Knaben retten trotz ihrer etwas dünnen Stimmen Pamina mit einem Segelschiff. Und schon versucht sich der nächste mit einem Seil aus dem Bühnenhimmel umzubringen. Papageno lässt auf den Rat der Knaben aber sein Glockenspiel erklingen und umgehend erscheint seine Papagena. Bei dieser Aufführung schienen sich die Kostüme von Papageno und Papagena kurz verhakt zu haben. Ob er es wirklich zu den 16 Kindern schafft, die er sich in der folgenden Arien wünscht, scheint fraglich. Kindergeld gäbe es sicher genug für die Kinderschar, die auf einem tiefen Rollwagen weggezogen wird. Inzwischen dürfen Tamino und Pamina die beiden letzten Prüfungen gemeinsam machen. Die Geharnischten erscheinen als schwarze Fackeln mit einer Leuchte auf dem Kopf und man hört rechts das Feuer knistern und Tamino und Pamina verschwinden in einer rot beleuchteten Höhle. Die nun folgende Wasserprüfung bringt ein Meeresband auf die Bühne. Auch hier hilft die Flöte weiter. Die nun endgültig Bösen im Spiel erscheinen im Halbdunkel. Der Mohr, die drei Damen und die Königin der Nacht stürzen unter Blitz und Donner in die ewige Nacht. Tamino und Pamina bestehen die Prüfungen und werden aufgenommen.
Caroline Wettergreen war in dieser Vorstellung eine wunderbare Köngin der Nacht, die eine ebenbürtige Tochter Pamina namens Victoria Randem hatte. Grigory Shkarupa gab einen wohlklingenden Bass als Kontrast dazu. Man verkleinerte den Orchestergraben der Lindenoper und hat vor dem Orchester die Möglichkeit eines begehbaren Stegs geschaffen. Wenn sich die Sänger ans Publikum wenden, stehen sie halb im Parkett. Die Sänger sind somit oft dazu verdonnert, starr während der Arien an der Bühnenrampe zu singen. Im Orchestergraben dirigierte Giedrė Šlekytė mit gutem Tempo. So gelang es in der Familienvorstellung doch recht gut, das überwiegend junge Publikum bei Laune zu halten. Schlimmer war eigentlich das Instagram-Influenzer Trio in Reihe 12, das scheinbar keine 3h Vorstellung ohne Unterbrechung genießen konnte und ständig den Publikumsraum verlassen musste. Dass während Paminas Selbstmordversuch ein Handy klingelt, nehmen wir jetzt mal als Anruf des Notarztes hin. Gegen Ende ist Mozart eine Herausforderung für die kleinen Papapgenos im Parkett, die dann schon das Finale in Morpheus Armen erlebten. Überhaupt muss man dem Libretto eine große Prise Wohlwollen entgegen bringen. Der Text ist schon teils sehr frauenfeindlich, Papageno scheint ein Alkoholproblem zu haben und auch die Sache mit dem bösen Mohr ist inzwischen grenzwertig. Ob man das Textbuch nochmal ins Jahr 1791 zurückschicken kann zur textlichen Überarbeitung ist fraglich, aber man könnte dran arbeiten. Für die gelegentlichen Operngänger ist diese Aufführung sicher vor allem ein Augenschmaus, die Geübten finden da aber keinen Mehrwert und nehmen die museale Aufführung aus dem Jahr 1815 gelassen hin. Die Musik macht es dann wieder gut, Viva Mozart!
Quelle: YouTube | Staatsoper unter den Linden
Der Filmressigeur Kornél Mundruczó inszeniert den Lohengrin in München als gescheitertes Sozialexperiment mit einem weißen Bühnenbild von Monika Pormale. Wer den Lohengrin von Richard Wagner nicht kennt, wird ihn dort wahrscheinlich auch schwer verstehen. Es ist perfide Absicht des Regisseurs, dass alle Akteure im gleichen weiß-grauen Homeoffice-Schlabberlook erscheinen. Lohengrin soll ein nicht so ganz positiv besetzter Held aus dem Volk sein. König Heinrich erkennt man leicht, denn er ist der einzige Brillenträger, aber schon beim Heerrufer wird es schwierig. Die Hauptakteure können einfach in der Masse der weißen Jogginganzüge und Merinorunners untertauchen, wobei wir schon bei einem der Kritikpunkte des Werks sind. Die Sneakers verursachen unangenehme Quietschgeräusche an den leisen Stellen der Partie. Wenn die Musik dann auch mal runterregelt, was leider erst gegen Ende bei der Gralserzählung der Fall ist. Besonders die Pauke im Orchestergraben hat bei diesem Lohengrin ihren Spaß, denn die leisen Einsätze vor allem im ersten Akt sind jetzt nicht die Stärke von François-Xavier Roth. Gegen Ende ist man aber musikalisch wieder versöhnt, denn gegen Thielemann im Lohengrin hat wohl fast jeder Dirigent schlechte Karten.
Die Brabanter sitzen zu Beginn traurig auf einem grünen Hügel, zwei Kunstbäume und ein Tümpel laden zum Verweilen ein. Leichte Kunstnebelschwaden wabern über das Grün. Der Chor ist von Anfang an präsent, winkt, sucht den Retter. Szenisch wird der Verlust von Elsas Bruder dargestellt, wobei Elsa von einigen Leuten aus dem Wasser gezerrt wird. Als Erinnerung an den Bruder liegen dann eine weiße lange Unterhose und ein Shirt auf einem Stein zum Trocknen. Das ist wohl das Einzige, was man von Ihrem Bruder Gottfried noch zu finden war. Elsa trägt vielleicht wegen des Verlusts des Bruders schwarze Kleidung. Aber auch die Gegenspieler Ortrud und Telramund stehen auch schon auf der Bühne. Sie sind während des ersten Aktes ständig präsent, haben aber eigentlich wenig zu singen und wirken etwas unterbeschäftigt. Ortrud ist an ihren roten Haaren zu erkennen. Als Elsa sich des Brudermordes angeklagt sieht und den Retter herbeiruft, kommt er nicht mit dem weißen Schwan gefahren, sondern ist einfach irgendwo aus der Menge am rechten Bühnenrand aufgetaucht. Wie entgeht einem leider, er ist plötzlich da, wobei man vor ihm auch eine Reihe anderer Personen ausprobiert hat, die aber alle nicht den Retter bei Elsa spielen wollen und abwinken. Nun hat der gerufene Held aber die Bedingung an Elas, seine Herkunft nie zu erfahren. Dass sich der Chor und Elsa ausgerechnet beim Frageverbot den Mund zu halten, erinnert etwas peinlich an die Nationalmannschaft in Katar. Elsa akzeptiert die Bedingungen von Lohengrin und es kommt zum Gottesgericht. Nun muss aber aus Platzgründen das Ausmessen des Kampfrings entfallen. In diesen Minuten steht man nur und wartet ab, bis das Kampfgeschehen einsetzt. Beim Kampf kommt neben einem normalen Schwert, jetzt Pyrotechnik mit Bandschleifern zum Einsatz und die Lage wird mit Schwertern und Feuerspeiern entschieden. Wie es Wagner vorsieht unterliegt Telramund. Zum Kampfgeschehen zieht der Chor jetzt die weißen Oberteile aus und macht einen Farbwechsel auf Rot durch. Ihre Sweatshirts werden dabei feinsäuberlich zusammengewickelt. Als Lohengrin dann tatsächlich gesiegt hat, wird er mit Palmwedeln begrüßt. Vielleicht ist es ja in Zukunft in Brabant möglich, dass dort Palmen wachsen, wer weiß. Vor allem der erste Akt ist sehr irritierend, was das Münchner Publikum aber erstaunlich gelassen hinnimmt.
Im zweiten Akt sieht man ein offenes Portal, in das in einer endlosen Prozession Brabanter über Stufen aus dem Keller kommen und in der offenen Tür verschwinden. Das ist zwar sehr effektvoll, trägt aber nur bedingt zur Erklärung des musikalisch interessanten Verschwörungsteils von Ortrud und Telramund bei. Die sind vor einer Steinbalustrade bei einer Flasche Rotwein. Was in dem Alukoffer von Telramund ist, bleibt verborgen, er ist halt einfach da. Die Brabanter feiern den neuen Helden, wobei Elsa oben am Balkon erscheint und einen Joint raucht. Überhaupt ist Elsa von der Regie am interessantesten herausgearbeitet. Sie ist ein zerbrechliches, kiffendes Nervenbündel und wenig glamourös bisher. Sie kommt vom Balkon runter an die Balustrade und kifft mit Ortrud. Diese tut aber nur so, und versenkt den Joint angewidert in dem Weinglas. Es ist ihr aber mit dem gemeinsamen Rauchen gelungen Elsas Vertrauen zu erschleichen. Telramund muss scheinbar sich zur Strafe mit dem Gesicht zur Wand stellen. Auf dem Balkon erscheinen jetzt vier Jungs des Tölzer Knabenchors, die anscheinend nur Blödsinn im Kopf haben. Sie strecken dem Helden von Brabant die Zunge raus und provozieren ihn indem sie mit den Handflächen am Kopf winken. Jetzt werden aber effektvoll rote Bänder vom Balkon geworfen, sechs Stück und noch mal drei Bänder links und rechts. Damit schmückt man das Portal jetzt und rüstet quasi zur Hochzeit um. Kunstvoll werden die Bänder geflochten. Konfettikanonen sprengen Silberflitter in den Bühnenraum und den Orchestergraben. Es deutet sich schon an, dass der Chor mit roten Winkelementen ausgestattet wird. In der weißen Wand neben dem Portal öffnen sich 34 Gucklöcher in denen der Chor singt zum Teil. So recht weiß die Regie nicht, ob es zu den Heilrufen noch politisch korrekt ist, die Hand zu heben. Zu sehr erinnert das ans dritte Reich, so winkelt man die Arme immer etwas verschämt an. Leider ist auch hier die Personenregie nicht besonders schlüssig. Elsa bekommt am Ende einen Umhang verpasst und schlägt mit dem Umhang einen goldenen Kreis, erinnert etwas an die Rauschgoldengel von Nürnberg, passt vielleicht gut zum Christkindlesmarkt am Marienplatz. In dem Akt punktet aber immerhin die Musik inzwischen. Die Verschwörungsszenen hat die nötigen Längen für Ortrud, man gibt der Fiesheit der Verschwörer einen musikalischen Raum.
Der dritte Akt befördert einen in einen weißen Raum mit einem grünen Rasenstück. In der Mitte befindet sich eine weiße Tür. Die Goldflügel von Elsas Umhang werden eingefahren und Elsa befreit sich aus dem Korsett mit Hilfe einiger Damen. Sie hat ein weißes Oberteil mit einem Fragezeichen an. Den Kopf bedeckt sie kurzzeitig mit dem Oberteil von Gottfried. Was die allerdings mit Elsas Unterarmen machen, ist wieder ein Rätsel. Vom zweiten Rang sieht das so aus, als ob man diese mit weißer Farbe bemalt, wozu ist unklar. Die Bemalung wirkt etwas wie Brauthandschuhe. Dann ein unfreiwilliger Lacher, als Lohengrin singt: Wir sind allein, endlich allein. In diesem Moment sind aber rund 60 Chormitglieder auf der Bühne, die bis eben den Brautchor gesungen haben. Lohengrin wird auf dem Rasenstück jetzt aber richtig zudringlich, was angesichts der Umstände, dass man gerade Hochzeit hatte, aber okay ist. Elsa ist Lohengrin aber immer unheimlicher und will nun endlich wissen, wo er herkommt. Wohl wissend, dass damit umgehend gegen den Ehevertrag verstoßen wird und die Trennung unausweichlich ist. Just in dem Moment kommt Telramund auf die Bühne und versucht Lohengrin zu ermorden. Der wehrt sich nun mit dem ganzen Chor und Telramund wird gesteinigt. Der tote Telramund wird an den rechten Rand getragen und mit einem blutigen Laken zugedeckt. Der Chor muss sich wieder mit dem Gesicht zur Wand stellen auf Handzeichen von Lohengrin. Die Brabanter versammelt sich nun wieder, wobei der Heerrufer mehrfach über die Blumen am Rand des Rasenstücks mit beiden Beinen hüpft. König Heinrich trampelt dagegen mitten durchs Gemüse. Über dem Chor senkt sich nun langsam ein übergroßer Meteor auf die Bühne. Elsa kniet auf einem Stein darunter. Drohend liegt er als Unheil über dem Chor und senkt sich der Meteor immer mehr. Allerdings kann Elsa den Meteor besteigen und ihre Schlusstöne mit Lohengrin zusammen in dem dunklen Kunststein singen. Dort übergibt Lohengrin eine leuchtende Truhe mit Horn, Ring und Schwert für Gottfried. Jetzt tritt nochmal Ortrud auf, die das Ganze Spiel längst durchschaut hat, im Gegensatz zum Zuschauer. Der Meteor am Ende ist effektvoll, aber was sagt er aus? Der Erbe von Brabant Gottfried tritt am Ende auf, während der gesamte Chor ohnmächtig am Boden liegt.
Nach dem Knüller in Bayreuth hatte François-Xavier Roth eine fast unlösbare Aufgabe zu meistern, wie schafft man nach dem Lohengrin in Bayreuth nun einen passenden Anschluss. Musikalisch hat er mich zumindest bei der Gralserzählung am Ende wieder abgeholt, die war wirklich erstklassig. Es war natürlich Premiere und einige Sänger hatten ihr Rollendebüt. Johanni van Oostrum gibt eine hochsensible Elsa ab, die sehr zart und lyrisch ist. Anja Kampe als Ortrud hatte vor allem im Finale etwas zu kämpfen, war im zweiten Akt aber sehr überzeugend. Mika Kares war das wahre Basswunder als König Heinrich, während Klaus-Florian Vogt wie immer einen Lohengrin auf hohem Niveau bot, wenn man seine Stimme mag. Am Schwierigsten fand ich bei der Inszenierung den Ansatz der Regie, den Chor ständig auf der Bühne zu lassen und mit fragwürdigen Winkaktionen zu beschäftigen. Aber auch die anderen Akteure waren teilweise auf der Bühne, ohne wirklich einen Plan zu haben, was sie jetzt genau tun müssen. Das Münchner Publikum nahm es gelassen. Am Ende gab es wenige Buhs für die Regie. Bei den Sängern und dem Orchester war man sich aber einig, die waren eindeutig gut. Ich konnte zwischen den Akten eine deutliche musikalische Steigerung feststellen, während es anfangs deutlich zu laut war, hat man gegen Ende endlich die gewünschte Balance gefunden. Eigentlich ein solider Lohengrin, wenn da die Regie nicht wäre. Der Beifall war kurz, die Buhs wenige, man gab sich versöhnlich.
Quelle: YouTube | BayerischeStaatsoper
Im Klavierauszug waren mir Teile des Wildschützes von Albert Lortzing schon geläufig, dennoch bietet die Musikhochschule Nürnberg eine Möglichkeit, dieses Werk komplett zu sehen. In einer Regie von Thomas Mittmann, macht man mit der Moderne wenig Experimente, sondern setzt ganz auf den Charme einer klassischen Inszenierung. Am Pult des Orchesters steht niemand anderes als Guido Rumstadt, der mit den 16 Musikern einen fast vergessen lässt, dass das Orchester relativ klein ist. Mit dem jungen Ensemble zusammen und eine textuelle Bearbeitung an der ein oder anderen Stelle verzaubert auch der vielleicht etwas angestaubte Stoff. Ein Graf, der seine eigene Schwester nicht erkennt, die zuerst als Student, dann als Frau zum Geburtstag auf dessen Schloss kommt. Ein Baron, der auf dem Schloss als Stallmeister arbeitet und seine eigene Schwester nicht erkennt. Ein trotteliger Schulmeister, der sich für schuldig hält, gewildert zu haben und den Grafen um Verzeihung bittet, aber eigentlich unschuldig ist. All die Handlung macht vielleicht nur Sinn, wenn man sich am Ende auf die Stimme der Natur beruft. Dazu tritt am Anfang und am Ende des Stücks ein Kinderchor auf. Hier wurde schon mit sehr viel Liebe zum Detail gearbeitet.
Im ersten Akt wird durch Fachwerk ein Dorfgasthof angedeutet. In der Mitte ist eine Tür, die auf und Abgänge der handelnden Personen ermöglicht. Gretchen und der deutlich ältere Schulmeister Baculus liegen bei ihrer Verlobung im Streit. Für die Hochzeit in acht Tagen war der Bräutigam wildern und hat angeblich einen Rehbock erschossen. Der Graf hat dies Mitbekommen und den Schulmeister daraufhin entlassen. Der Bock ist entkommen, sodass man ohne Hochzeitsmahl dasteht und nun auch noch ohne Anstellung. Baculus überleg nun, wie man mithilfe seiner angehenden Braut beim Grafen um Milde bitten kann. Der Graf würde auf junge Mädchen stehen, jedoch will er seine Braut nicht unbedingt vom Grafen verführt wissen. Es kommen nun zwei Studenten in die Wirtschaft, die eigentlich verkleidete Frauen sind. Einer der Studenten ist nun die verwitwete Schwester des Grafen, die von ihrem Bruder mit einem Baron Kronthal verheiratet werden soll, den sie nicht mal kennt. Der angebliche Student bietet sich nun als Frau des Schulmeisters auf das Schloss zu kommen. Aus den Zuschauerrängen tauchen nun der Graf und der Baron von Kronthal auf. Diese sind bei einer Jagdgesellschaft und kommen zufällig ins Gasthaus. Der Graf lädt nun alle zum Geburtstag ein. Damit ist Pause.
Im zweiten Akt wurden die Wände des Gasthofes gedreht und stellen nun ein weißes Schloss da. Die Gräfin mit ihrer langen, blauen Robe ist komplett der antiken Komödie verfallen und rezitiert auf einem Tisch einen antiken Stoff von Sophokles. Der Schulmeister kommt nun mit dem falschen Gretchen auf das Schloss und stört die Darbietung, die aber niemand versteht, da sie auf Altgriechisch ist. Der Schulmeister versucht nun bei der Gräfin um Milde zu bitten, die findet erst Interesse an seiner Sache, als er sich als Kenner der Antike ausgibt. Die Täuschung gelingt ihm zwar bei der Gräfin, der Graf erkennt ihn aber eindeutig als Schulmeister und Wilderer und möchte ihn nicht mehr sehen. Allerdings hab sein Stallmeister und der Graf inzwischen ein Auge auf das falsche Gretchen geworfen. Jetzt zieht ein Gewitter auf und der Schulmeister und Gretchen müssen im Schloss übernachten. Der Schulmeister wird vom Grafen dabei in einen hypnotischen Schlaf geschnippt. Der Graf und der Stallmeister spielen nun eine Partie Billard, wer von ihnen als Sieger hervorgeht, darf das falsche Gretchen haben. Plötzlich geht das Licht aus, es wird laut im Schloss und die Gräfin wacht auf. Im Schlafanzug bietet sie dem falschen Gretchen eine Übernachtungsmöglichkeit in ihrem Schlafgemach an. Der Stallmeister bietet für das falsche Gretchen jetzt 5000 Taler und der Schulmeister ist außer sich, dass er plötzlich so viel Geld hat. In einer aktualisierten Arie überlegt er, was er mit dem Geld machen könnte (Twitter kaufen, Real Madrid oder einen Tank voll Sprit). Der textuelle Ausflug in die Moderne ist wirklich lustig und der Schulmeister kann sein komödiantisches Talent voll ausspielen.
Es folgt eine kurze Umbauphase zum dritten Akt. Der Schulmeister bringt nun das richtige Gretchen zum Schloss, mit der Aussicht, Baronin zu werden, kann sie sich gut anfreunden. Der Stallmeister besteht aber darauf, das falsche Gretchen zu daten, was nach dem Schulmeister unmöglich sei, da dieses Gretchen ja eigentlich ein Mann ist. Auf der Geburtstagsfeier des Grafen klären sich aber nun alle Beziehungen. Das falsche Gretchen und der Stallmeister, der eigentlich der Baron Kronthal ist, heiraten. Der Schulmeister wird in den Schuldienst eingestellt, denn der Diener im Schloss enthüllt die peinliche Tatsache, dass der Schulmeister seinen eigenen Esel erschossen hat.
Eine komische Oper ist immer deutlich schwieriger auf die Bühne zu bringen als eine Tragödie. Hier in der Hochschule ist dies jedoch gut gelungen. Vor allem bei der 5000-Taler-Arie kommt man voll auf seine Kosten. Jedoch hätte ich auch dieser Aufführung mehr Besucher gewünscht, die Zurückhaltung ist immer noch groß. Sofia Savenko gibt aber eine wunderbare Baronin von Freimann in der Doppelrolle als Studentin. Die Herrenpartien in dem Stück sind etwas undankbar, vom Schulmeister einmal abgesehen. Die kommen als trottelige, hormongesteuerte Knallchargen daher, die nicht einmal ihre eigenen Schwestern erkennen. Sogar an den Kinderchor zu Beginn und am Ende wurde gedacht, worüber ich sehr überrascht war. Elena Eismont als Fan griechischer Antike schafft sowohl die Anmut in der blauen Robe zu sein als auch die Karikatur im Schlafanzug im zweiten Akt. Mit Guido Rumstadt am Pult hat man eine gute Wahl getroffen, sodass die Oper musikalisch eine Runde Sache wurde. Die Aufführung war sehr erfreulich.
Kurzentschlossen war ich in der Deutschland-Premiere der Frau in Weiß von Andrew Lloyd-Webber. In Kooperation mit dem Musical Frühling Gmunden gastiert die Produktion derzeit im Stadttheater in Fürth. Inzwischen hat das Stadttheater eine Klimaanlage, sodass dem Musicalgenuss auch bei hochsommerlichen 36 Grad nicht mehr im Wege steht. Das Stück aus dem Jahr 2004 wurde 2017 noch einmal für ein Revival am West-End überarbeitet. Die Bühne besteht aus einem dunklen Stabambiente, das sich mit Beleuchtung und Vorhängen in die fünf Schauplätze verwandeln lässt. Zu der düsteren, viktorianischen Schauergeschichte passt das dunkle Bühnenbild jedenfalls gut.
Der Zeichenlehrer Walter Hardright ist auf dem Weg nach Limmeridge House zu seiner neuen Einsatzstelle. Dort soll er die Halbschwestern Marian und Laura unterrichten. An der Bahnstrecke trifft er zuerst die Frau in Weiß, die ohne Schuhe ein Geheimnis zu teilen sucht. Dann trifft er auf einen Bahnwärter, der ihm eine düstere Vorhersage macht, dass bald ein Mann tot an den Gleisen gefunden wird. Von der Begegnung mit der weißen Frau erzählt er auf Limmeridge House auch Marian und Laura. Die Halbschwestern unterscheiden sich sehr: Die burschikose Marian ist künstlerisch untalentiert, während die blonde Laura Klavier spielt und gut im Malen ist. Verwalter von Limmeridge House ist der Onkel. Es entwickelt sich eine Dreiecksbeziehung: Die beiden Schülerinnen lieben beide Walter, den Zeichenlehrer, während Walter nur Augen für Laura hat. Man feiert das Erntedankfest vor der Kirche, eine Jugendliche wird dabei ausgeschlossen, die angeblich die Frau in Weiß gesehen hat. Walter folgt nun auf den Friedhof, wo er die Frau in Weiß sieht. Diese sagt, dass sie schrecklich Angst vor Percival Glyde hat. Etwas später bemerkt Marian die Liebe von Walter zu Laura. Sie holt ihn auf den Boden der Tatsachen zurück, dass Marian längst verlobt ist, mit Percival Glyde. Dieser ist der Bösewicht des Musicals, elegant als Lord gekleidet. Percival schlägt vor, die Hochzeit mit Laura auf Weihnachten vorzuverlegen. Inzwischen trifft auch ein ziemlich zwielichtiger Count Fosco ein, der Marian Komplimente macht. Sie stünde ja nur im Schatten ihrer Halbschwester. Count Fosco findet Marian aber ziemlich attraktiv. Walter fragt vor der Hochzeit Percival nach Ann Catherick, der Frau in Weiß. Percival sagt darauf, dass Ann Catherick bedauerlicherweise nervenkrank wäre. Laura heiratet nun wirklich Percival Glyde, was dazu führt, dass Walter das Anwesen verlässt. Zum Abschied schenkt Laura dem Zeichenlehrer ein Bild von sich. Marian und Laura begeben sich nach der Hochzeit nach Blackwater, dem Anwesen von Percival Glyde. Schon nach der ersten Hochzeitsnacht wurde Laura von Percival geschlagen. Laura soll zudem einen Vertrag unterschreiben, dessen Inhalt weiter unklar ist. Schon am nächsten Tag treffen sie Ann Catherick wieder. Diese Gelegenheit wurde aber von Percival genutzt, Ann Catherick erneut in die Anstalt zu bringen. Count Fosco gibt ihr noch eine Beruhigungsspritze.
Zu Beginn des zweiten Akts belauscht Marian während eines Gewitters Fosco und Glyde. Sie wollen schnell an das Erbe von Laura kommen und die 20000 Pfund erben. Bei der Rückkehr ins Haus wird Marian ertappt und mit einem Schlafmittel von Fosco zu Bett gebracht. Die nächste Szene ist abrupt, die Beerdigung von Laura. Sie hatte schon früher im Schlaf gewandelt und wäre gefallen. Fosco wird das nun zu heiß und fährt nach London. Laura fährt ihm hinterher und sucht Walter, um ihm die Neuigkeit des Todes ihrer Halbschwester mitzuteilen. Über das Bild aus dem ersten Akt findet sie Walter schließlich allein und verzweifelt, da er die Todesnachricht von Laura bereits erhalten hat. Marian will nun den Aufenthaltsort von Ann Catherick herausbekommen und greift zu einem roten Kleid. Es folgt eine Roulette-Szene, in der Glyde mehr Geld einsetzt, als er hat. Jedoch gewinnt er glücklicherweise und Count Fosco bekommt seinen Anteil am Erbe ausbezahlt. Count Fosco bricht aber gerade die Zelte ab, ihm ist das wieder zu heikel. Marian besucht Count Fosco unter dem Vorwand eines amourösen Abenteuers, aber eigentlich will sie nur den Aufenthaltsort von Ann Catherick herausbekommen. Count Fosco ertappt Marian und diese verlässt den Raum wieder und geht in die Anstalt zu Ann Catherick. Dort stellt sich nun heraus, dass Laura noch lebt und in Wahrheit Ann Catherick im Grab liegt. Ein letztes Mal soll nun die Frau in Weiß Glyde erscheinen und ihm einen Schrecken einjagen. Dabei kommt es zu einer Begegnung mit Glyde, bei der er selbst zugibt, Ann Catherick so geschlagen zu haben, dass sie eine Fehlgeburt erleidet hat. Ann Catherick hatte mit 15 ein uneheliches Kind von Glyde, dessen Herkunft er vertuschen wollte. Bei dem Fluchtversuch kommt Glyde aber in den Zug und stirbt, so hat sich die Weissagung des Bahnwärters erfüllt. Walter und Laura finden endlich zueinander und Marian bleibt allein zurück.
Je weniger man also von der Handlung kennt, desto besser ist es für das Stück. Die deutschsprachige Zusammenfassung ist da sehr vage. Das Musical hat sehr schöne Nummern und man erkennt die typische Handschrift von Webber. Mich erinnerte der Stil etwas an Sunset Boulevard. Der Mezzosporan Carin Filipčić spielt die unglückliche Marian sehr überzeugend und ist damit quasi die eigentliche Hauptrolle des Abends, die die Handlung vorantreibt. Yngve Gasoy-Romdal als schmieriger Count Fosco hat an dem Abend die meisten Lacher auf seiner Seite. Er bringt mit seinen komischen Einlagen immer wieder heitere Momente in die düstere Handlung. Anaïs Lueken als Ann Catherick läuft bei der Produktion immer barfuß durch die Szene und bringt die angeschlagene Rolle plausibel ein. Kleinere Tonprobleme mit den Mikrofonen trübten am Ende den Musicalgenuss etwas, aber insgesamt war es ein spannender, überzeugender Musicalabend.
Quelle: YouTube | Musical Frühling Gmunden
Ilaria Lanzino inszeniert in Nürnberg einen bezaubernden Liebestrank. Dabei transportiert sie die Komödie in die Zeit der sozialen Netzwerke, was vor Ort wirklich unglaublich gut funktioniert. Sie lässt in dem Stück zwei Versionen des Dulcamara, des angeblichen Doktors und Quacksalbers der Oper, gegeneinander antreten. Während Dulcamara 1.0 echte Weinflaschen an die Dorfbewohner gibt, zieht ein diabolisch, schwarzer Dulcamara, der etwas an Fantomas erinnert, die Dorfbewohner in ein soziales Netzwerk.
Die Oper startet mit dem eigentlichen Ende. Nemorino, der mittellose Junge vom Dorf, heiratet vor einem künstlichen Baum, seine angebetete Adina mit Brautschleier. Das Ganze könnte aus einer Otto-Schenk-Inszenierung entsprungen sein, so werkgetreu werden die Dorfbewohner dargestellt. Die Aufführung könnte wirklich um 1815 im Baskenland spielen, man sieht eine wunderbar gemalte Kulisse und die Dorfbewohner tragen historischen Kostümen. Mit dem Auftritt eines Dulcamara 2.0, der aus der Unterwelt mit vier Gehilfinnen hervorkommt, endet die Idylle aber. Mit einem übergroßen Handy von Bühnenhimmel, auf dem ein magenta-farbener Tropfen zu sehen ist, verkauft er den Dorfbewohnern unsichtbare Smartphones und den Zugang in ein soziales Netzwerk. Die legen darauf ihre historischen Kostüme ab und bewegen sich in einer Art Bauhaus-Zukunft mit weißen, symmetrischen Gewändern. Bereitwillig scannen sie ihre Gesichter ein und lassen sich im sozialen Netzwerk verschönern. So wird aus dem ersten Darsteller ein Muskelmann, aus der zweiten eine jugendliche Schönheit. Auch Adina ist mit einem stilisierten Reifrock ins digitale Netz eingetaucht, nur Nemorino behält als Außenseiter die historischen Kostüme an. Das ganze Dorf ist quasi mit dem Netz ein Gefangener des Dulcamara 2.0. In dem Netzwerk können Follower gesammelt werden, zu sehen an Elisir-Flaschen, die sich füllen. Adina posiert unter einem riesigen Handy-Bildschirm und sammelt dort ihre Follower ein. Nemorino hat keine Chancen. Adina liest die Geschichte des Liebestrank von Tristan und Isolde aus einem Elisir-Buch vor. Adina geht auf die Suche nach dem passenden Partner im Netzwerk und hat ein Match mit Belcore. Belcore ist dabei nicht ein Kämpfer, sondern ein Zocker mit einer Gamer-Gang, die Halo spielt. Für das erste Treffen steckt sich Adina virtuelle Push-Ups in den BH. Belcore ist aber ziemlich übergriffig, ein glatzköpfiger Gämer in Schwarz, der Adina an ihre Brüste fasst und letztlich ihren Reifrock herunterreißt. Nemorino sieht keine andere Chance, als selbst Teil des Netzwerks zu werden, um Adina zu erobern. Dulcamara 1.0 sieht das kritisch und will sich darauf hin erhängen. Um 10 am nächste Tag sollte ein Duell zwischen Belcore und Nemorino in Halo sein, zu sehen an einem großen Masterchief-Logo. Nemorino hat für den Wechsel ins Netzwerk ein modernes Kostüm an und sammelt jetzt ebenfalls Follower. Es kommt zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Belcore und Nemorino. Während Belcore aus dieser Aktion mit mehr Followern hervorgeht, sieht man am Bildschirm, wie die Follower von Nemorino sinken und bei 9 stehen bleiben. Die Dorfbewohner erscheinen mit LED-Ringen und beleuchten die Szene, wie Nemorino blutig geschlagen wird. Die blutige Auseinandersetzung wird dabei live verfolgt und die Bilder davon ins Netz gestellt. Belcore geht als Sieger hervor und wird im nächsten Akt Adina heiraten.
Nach der Pause beobachtet Dulcamara 2.0 die Hochzeit von Adina und Nemorino. Das Ganze wird auf fünf großen Monitoren live ins Netz gestreamt. Das eigentliche Brautpaar wird zur Nebensache und man sieht, wie sich die Gäste im Netzwerk selbst inszenieren. Adina will den Vertrag mit Belcore aber erst unterschreiben, wenn Nemorino als Zeuge unterschreibt. Diese dramatische Verwicklung unterbricht den Livestream für kurze Zeit. Um Geld für einen weiteren Liebestrank zu haben, willigt Nemorino ein, bei den Soldaten anzuheuern. Es findet ein virtuelle Kampf mit VR-Brillen statt zwischen Belcore und Nemorino. Unterdessen fällt der reiche Onkel von Nemorino mit einem Smartphone in eine Grube und verstirbt. Hier funktioniert der Ansatz mit dem sozialen Netzwerk sehr gut. Das Ereignis des Erbes wird bekannt im Netzwerk und alle Damen umschwärmen plötzlich Nemorino. Der Gemüsehändler hätte diese Neuigkeit der Erbschaft erfahren und sie muss wohl stimmen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht im sozialen Netzwerk. Jetzt wird es Dulcamara 1.0 zu viel. Er dringt ins Herz des sozialen Netzwerks ein und lässt dort drei Böller los. Die Bildschirme erlöschen der Reihe nach und die Dorfbewohner sind frei. Dulcamara 2.0 fährt in die Hölle und hat seine Macht verloren. Adina legt ihre moderne Kleidung ab und ist gerührt von Nemorino. Er meint die Zuneigung an einer Träne von Andina ablesen zu können und singt seine Arie: Una furtiva lagrima. Adina kauft den Ehevertrag von Belcore zurück. Sie ersetzt das A+B (Adina und Belcore) durch A+N(Adina und Nemorino) am Baum. Am Ende befindet man sich wieder in der Otto-Schenk-Idylle. Die Dorfbewohner tanzen, tragen Kisten mit Äpfeln auf die Bühne und sind fröhlich. Der Spuk des sozialen Elisir-Netzwerks ist vorbei, scheint es. Zum Finale kommen die Gehilfinnen von Dulcamara 2.0 ins Parkett. Als Schlussbild sieht man Dulcamara 2.0 lachen. Man sieht die Dorfbewohner echte Handys zücken. Vielleicht ist der Spuk doch nicht ganz vorbei?
Die Vorstellung war ausverkauft und hat das Zeug zu einem richtigen Dauerbrenner zu werden. Das vorwiegend junge Publikum war begeistert und spendete langen Applaus. Manchmal bleibt einem bei dem Verhalten der Dorfbewohner nur das Gruseln, wie stark die sozialen Netzwerke inzwischen die Wirklichkeit dominieren und das Verhalten der Leute beeinflussen. Handys sind in der Inszenierung nie zu sehen, die Dorfbewohner wischen vor sich im Leeren auf imaginären Bildschirmen. Nicht das Gerät ist das Problem, sondern das Netzwerk dahinter. Eigentlich eine komische Oper die ganze Sache, bei der einem stellenweise aber so gar nicht mehr zum Lachen zu Mute ist. Gesungen und gespielt wurde sehr gut, wobei der Nemorino die ideale Rolle für Martin Platz ist. Andromahi Raptis zündet ein Kolloraturfeuerwerk und reizt ihre Möglichkeiten voll aus, vor allem gegen Ende. Mit Francesco Sergio Fundarò war für mich ein neuer Dirigent am Pult, der die Oper mit viel Tempo vorantreibt. Die Inszenierung ist ein großer Wurf der Italienerin Ilaria Lanzino. Bei den Chorszenen ist immer Bewegung mit im Spiel und dumpfes Rumstehen ist nicht möglich. Wie die Lemminge bewegen sich die Dorfbewohner im sozialen Netzwerk, folgen diesem und jenem schnell hinterher, geben kurz Applaus und inszenieren sich dann wieder selbst. Ich kann die Aufführung nur empfehlen, wenn man keine Angst vor dem Spiegelbild hat, das einem vorgehalten wird. Gerade das scheinbar glückliche Ende wirft Fragen auf: Ist Dulcamara 2.0 wirklich besiegt?
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg