Zu einem vielgelobten Don Carlos zog es uns nach Thüringen ins Meininger Staatstheater. Dass der Abend überhaupt trotz der Erkältungswelle stattfand, verdankte man einem sensationellen Derrick Ballard aus Mainz, der gleich zwei Bass-Rollen an diesem Abend übernehmen musste. So war sowohl die Besetzung des Philipp II., als auch der Großinquisitor erkrankt. Auch im Chor und Extra-Chor hatte die Erkältungswelle gewütet und ihn etwas dezimiert. Jetzt kannte Derrick Ballard, aber nur die italienische Form des Don Carlos, während die fünfaktige Fontainebleu-Fassung auf Französisch gespielt wurde. Der GMD kündigte die Form der Aufführung als ‚maccheronisch‘ an, war aber sichtlich froh, den Abend gerettet zu haben. In der Folge musste man natürlich das Duett zwischen dem Großinquisitor und Philipp II. streichen. Über die Aufführung selbst kann man geteilter Meinung sein, wenn es um die Umsetzung durch den Künstler Achim Freyer geht. So setzt der ganz auf Personenregie und fährt die Anzahl an Bühnenrequisiten enorm zurück. Zudem vergibt er an die Hauptpersonen einzelne Bewegungsmuster, die sich während der Arien immer wiederholen. Ich hatte diese Gesten als das rituelle spanische Hofzeremoniell verstanden. Der Ansatz führt aber dazu, dass die Bühnenfiguren nicht ausreichend miteinander agieren, sondern immer in denselben Bewegungsmustern erstarren. Ganz so, als ob eine rituelle Bewegungsmustervorgabe alle Interaktion verbietet. Das Bühnenbild ist sehr in schwarz/weiß gehalten. Von der Decke fahren immer wieder schwarze, längliche Holzlatten über die Bühne. Den Bühnenraum erweitern Spiegel. Die Bühne ist nach hinten ansteigend. Auch bei den Kostümen meint man sich manchmal ein einer Art Schulaufführung zu befinden. Wenn man es positiv formuliert, erinnern die steifen Kunststoffgewänder an Musik-Videos der Petshop-Boys aus den 80er Jahren oder an schnell dahingeworfene Supermann-Kostüme. Sie geben aber zusammen mit den Bewegungen manchmal ein etwas lächerliches Bild der Personen ab, zum Beispiel im Duett Don Carlos/ Roderigue, wenn sie ein schwarzes Pappschwert hochhalten. Gegeben wurde in Meiningen eine etwas gekürzte Fassung mit dem Fontainebleu-Akt, den ich für die Handlung des Stückes aber wichtig erachte. Die Oper behandelt die Beilegung des Krieges zwischen Spanien und Frankreich durch die Heirat der historischen Person Elisabeth von Valois mit Philipp II. Damit sollte der Frieden zwischen den beiden Nationen im Jahr 1559 hergestellt werden. Der Stoff wurde von Shakespeare ganz in der Nähe von Meinigen im Asyl in Bauerbach erstellt und stellt einen Bezug zum Aufführungsort dar.
In dem ersten Akt treffen Elisabeth von Valois und Don Carlos aufeinander. Don Carlos hat ein weißes, geometrisches Kostüm an. Ein Teil des Gesichts ist mit einem Gaze-Stoff verdeckt und er hat eine Sonnenbrille auf, in der es nur ein dunkles Glas gibt. Auch Elisabeth hat ein rot-weißes Kostüm an. Das Bemerkenswerte ist, dass immer, wenn es um die Liebe geht, die beiden Personen den roten Stoff kurz zeigen, aber dann auch wieder verschwinden lassen, wenn Sie ihre Gefühle verstecken müssen. Als Zeichen der Liebe überreicht Don Carlos Elisabeth eine rote Stoffrose an einem langen Band. Im Hintergrund beleuchtet ein LED-Balken die Szene. In einer Holzschatulle mit Herz bewahrt Elisabeth einen Schattenschnitt von Don Carlos auf, die in den folgenden Akten noch wichtig werden soll. Es ertönen die Kanonen und kündigen an, dass Philipp der II. sich mit Elisabeth vermählen muss. Jetzt ist Don Carlos natürlich plötzlich in die eigene Stiefmutter verliebt, was ihre Liebe unmöglich macht. Nach langem Kampf gibt Elisabeth ihrer Bestimmung nach. Don Carlos bleibt verzweifelt zurück.
Im Kloster, in das auch Don Carlos eintreten will, sieht man als schwarzen Schachkönig einen Mönch, der später für Karl V gehalten wird. Im Hintergrund sieht man den Zug der Schattenmänner aus Flandern. Don Carlos erfährt von Roderigue die Situation in den spanisch besetzten Flandern. Don Carlos gesteht ihm seine Liebe zu Elisabeth. Roderigue bittet Don Carlos, sich der Bevölkerung Flanders anzunehmen. Roderigue wirkt aber mit seinen zwei verschiedenen Schuhen schon sehr als Karikatur eines Footballers. Sie schwören sich aber mit einen schwarzen Pappschwert die gegenseitige Treue und es erklingt zum ersten mal das Freundschaftsduett. An einem heiteren Ort findet ein Maskenball statt, bei dem die Personen mit Pappschildern unkenntlich gemacht werden. Roderigue wird nun von der neuen Königin empfangen. Wieder gestehen sie sich ihre Liebe durch Zeigen der roten Teile ihrer Kleidung, die sie aber schnell wieder verbergen, denn Elisabeth will ganz ihrer Pflicht dienen. Philipp II. erscheint nun als gelber Sonnenkönig. Da er an diesem Abend selbst nicht singt und eigentlich erkrankt ist, hat er eine schwarze FFP2-Maske auf. An seinen fiebrigen Augen aus der dritten Reihe erkennt man, dass das Bett eigentlich der bessere Ort für den Monarchen gewesen wäre, der aber die szenische Umsetzung seiner Roller dennoch durchführte. Roderigue gewinnt trotz seiner konträren Meinung in der Sache um Flandern, das Vertrauen von Philipp II. Er bittet Roderigue über seinen Sohn zu wachen.
Don Carlos erwartet im nächtlichen Garten Elisabeth. Der Grund war ein Papierflieger mit einer Nachricht, die eigentlich von Prinzessin Eboli stammt. In der Meinung nun auf die Königin zu treffen, gesteht Don Carlos fälschlicherweise Eboli seine Liebe. Diese hat nun alle Mittel in der Hand gegen Don Carlos. Roderigue fordert von Don Carlos alle Dokumente über Flandern, damit er den Verdacht des Rebellen auf sich lenken kann. Ein schwarz-geometrisch gekleidetes Volk versammelt sich zum Autodafé, dort sollen drei Gesandte aus Flandern verbrannt werden. Die Szenerie ist in schauriges, rotes Licht getaucht. Dass nun einer aus dem Volk über eines der wenigen Requisiten stolpert, nämlich den Hocker, auf dem Philipp II. steht, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Zur Zeit der Handlung konvertierte ein Teil Flanderns zum Protestantismus, was eine schlimme Gegenreaktion der Kirche mit dem Einsetzen eines Großinquisitors und Ketzer Verbrennungen zur Folge hatte. Die Gesandten bekommen eine Art Schandmaske auf und werden vom König abgeführt. Es erscheint ein stilisierter Engel mit weißen Flügeln. Mit dem Pappschwert in der Hand fordert Don Carlos nun Freiheit für Flandern, wird aber von Roderigue entwaffnet und wird wegen der Leistung zum Herzog ernannt.
Nach der Pause zeigt nun der eingesprungene Sänger des Philipp II. was er eigentlich an profundem Bass draufhat. Eine Kerze brennt rechts oben und die Bass-Arie: „Sie hat mich nie geliebt“ gelingt in der Aufführung, zwar auf italienisch, zu einem Glanzstück mit üppigem Applaus am Ende. Philipp II. gibt seiner Verzweiflung freien Lauf, dass in Elisabeth nie geliebt hat. Dass nun das Duett zwischen dem Großinquisitor und Philipp II. aus Fachkräftemangel entfallen muss, ist verschmerzbar. Elisabeth tritt mit verbundenen Augen auf. Unterdessen hat die Prinzessin Eboli die Schatulle aus dem ersten Akt dem König zugespielt. Dort ist der Schattenschnitt von Don Carlos enthalten. Der König beschuldigt daraufhin Elisabeth des Ehebruchs, worauf diese zusammenbricht. Eboli, die mit ihrem Kostüm eine Art Drachen am Rücken hat, gesteht ihre Intrige und muss daraufhin ins Kloster oder in die Verbannung. Roderigue besucht nun Don Carlos im Gefängnis. Er ist beim König in Ungnade gefallen und wird durch einen Hinterhalt erschossen, da man ihn für den Anführer des Aufruhrs in Flandern hält. Auf seiner Kleidung zeigt sich ein roter Fleck in der Herzgegend. Der König gibt Don Carlos sein Schwert wieder, da er ihn für unschuldig hält. Es kommt zum Aufruhr unter dem Volk, das Plakate mit Freiheit hochhält. Der Großinquisitor mit einem neonfarbenen Rollator erscheint und bringt das Volk zum schweigen. Don Carlos kann sich retten.
Es kommt zu einem letzten Aufeinandertreffen von Don Carlos und Elisabeth. Sie treffen sich im Kloster von San Yuste und nehmen für immer Abschied. Der König und der Großinquisitor überraschen die beiden. Es erscheint wieder der alte Mönch, den alle für Karl V halten.
Das mit den Bewegungsmustern nimmt bei einem Herold fast krankhafte Züge an, auch die etwas abwehrenden Gesten von Elisabeth bleiben gut in Erinnerung. Wer sich jetzt an die Walldorftanzpädagogik erinnert fühlt, muss vielleicht schmunzeln. Für mich verdeutlichen die ritualisierten Bewegungen, das überkommene spanische Hofzeremoniell. Die Staatskapelle Meinigen liefert und Killian Farrell ein musikalisches Highlight ab. Dass man auch flexibel auf die Infektiösen Gegebenheiten in der Besetzung reagiert hat, erklärte der GMD selbst in einer charmanten Ansage. Dara Hobbs singt sich zunehmend frei. Die wirkliche Überraschung war der italienischsingende Mainzer Bass Derrick Ballard, der von einem Notenpult dem erkrankten Selcuk Hakan Tiraşoğlu zur Seite stand. Matthew Vickers als Don Carlos startete stark, hatte aber mit der Stücklänge ein Problem. Auch die Prinzessin Eboli gesungen von Marianne Schechtel zeigte vollen Einsatz. Achim Freyer setzt ganz auf die Personenregie und die Gesten. Was mancher irritierend fand, lieferte Diskussionsstoff für die Hotelbar hinterher.