Die Meistersinger - Castingshow im sozialen Wohnungsbau
Diesmal hatte ich bei der Bewerbung für eine Karte für die ‚Meistersinger von Nürnberg‘ in München Glück. Allen, die noch versuchen, Karten zu bekommen: Alle Vorstellungen sind leider komplett ausverkauft. Es ist schon ein besonderes Erlebnis, am 203. Geburtstag von Wagner, diese Oper am Ort der Uraufführung zu sehen. Während draußen am Marienplatz der DFB-Pokalmeister gefeiert wurden und das Wetter traumhaft war, durfte man in dem Nationaltheater dem Wettstreit um einen Sängerpokal beiwohnen. Wenn Kirill Petrenko dirigiert, Jonas Kaufmann den Stolzing singt und die Oper rundum gut besetzt ist, ist man dem Opernhimmel ein Stück näher. Dass David Bötsch daraus eine, vor allem an Ende sehr turbulente Castingshow im sozialen Wohnungsbau macht, kann man nachsehen. Bei einem Feuerwerk an Regiegags wird es einem in den 5 ½ Stunden keinesfalls langweilig. Es gilt in der Oper der Kunst, und zwar nichts anderem als der Reform der Meistersinger Zunft. Während die Meistersänger die Tradition mit vielen Leitzordnern wahren, kommt ein frecher Stolzing in Jeans, Lederjacke, Kopfhörern und Turnschuhen daher. Meist ist er in Begleitung einer Reisetasche und einer Gitarre und gewillt, seinem Konkurrenten einen Schabernack zu spielen und ganz gegen die Zunftregeln zu verstoßen.
Als sich die Bühne im ersten Akt öffnet, sieht man im Hintergrund einen grauen Wohnblock mit Satellitenschüsseln. Leider beginnt das Spiel schon etwas zu früh am Ende der Ouvertüre. Im Vordergrund stehen Gerüste, die sich einem erst später erklären. Rechts vorne steht ein Meisterbräu-Laster mit Bierfässern. Es zieht eine Prozession vorbei, man befindet sich am Vorabend des Johannistags. Schon dort begegnet sich das Liebespaar Eva und Stolzing und nutzen den Bierwagen als Versteck. Eva hat ihr Herz längst an den jungen Sänger verschenkt, wäre da nicht Bedingung des Vaters, dass der Mann ein Meistersinger sein muss. Also versucht man, den Sänger möglichst schnell aufzunehmen. Der Schusterjunge David kommt etwas später mit einem Mofa auf die Bühne. Mit vielen Akten erklärt er in einer langen Arie Stolzing die Kunst des Gesangs. Es findet also ein Probesingen statt, wo mit einem ‚Bitte Ruhe Probe‘-Schild Stolzing sein Können beweisen muss. Damit soll es dem Neuzugang möglich sein, am Johannistag am Sängerwettbewerb teilzunehmen. Sein Konkurrent im Meistergesang Beckmesser wird die Fehler im Gesang mit einer Kreidetafel notieren. Während sich die Meister unterhalten, ist Stolzing hinter dem aufgebauten Boxring mit seinen Kopfhörern beschäftigt und hört Musik. Als er sich nun auf den Singstuhl im Ring setzen darf, wird an den Stuhl ein Buzzer angeschlossen. Man notiert die Fehler von Stolzings Gesang nicht nur auf der Kreidetafel, sondern versetzt mit dem roten Buzzer, Stolzing und Lichtergeflacker ein paar Stromstöße. Er singt sich dennoch frei mit seinem neuen Lied, das von der Natur und den Vögeln handelt. Als die Kreidetafel für die angeblichen Gesangsfehler nicht mehr ausreicht, nimmt Beckmesser einen Pinsel und macht auf Stolzings schwarzer Lederjacke weiter. Das Vorsingen wird unterbrochen. Sachs wirft Beckmesser ein gewisses Eigeninteresse vor und klebt ihm die Regelseite mit der Unparteilichkeit an den Kopf. Auf Wunsch von Sachs singt der Sänger sein Lied zu Ende, steht am Ende sogar am Bierwagen, aber es hilft nichts. Auf dieses Versagen hin macht sich Stolzing eine Flasche Bier auf. Während Sachs nun für den Sänger Partei ergreift, befinden die anderen Meister, dass er seine Chance vertan hat. Wutentbrannt zerstört Stolzing die Gipsbüste Wagners, die am Ring platziert war, und verlässt den Ring. Im allgemeinen Tumult endet der erste Akt.
Im zweiten Akt rückt der Wohnblock etwas nach vorne. Es ist Abend geworden und vor dem Wohnblock steht der fahrende Laden von Hans Sachs mit seinem Schuhgeschäft. Pogner kommt mit einem schwarzen Wagen mit der Aufschrift ‚Pogner‘ auf die Bühne und redet mit Eva. Er bekräftigt noch mal seinen Wunsch, dass letztendlich ein Meistersinger der Ehemann von Eva werden soll. Er holt aus einer herzförmigen Verpackung einen Brautkranz heraus, den Eva aufsetzt. Sie erfährt von ihm aber nicht, wie der Probegesang geendet hat. Auch Evas Amme konnte nichts von David erfahren, also trifft sie Hans Sachs vor seinem Laden. Dass nun auch Beckmesser bei dem Sängerwettbewerb startet, bringt Eva in Rage: Sie wirft sogar einen Stuhl um. Es kommt nun abermals Stolzing die Gasse entlang, wieder mit Gitarre und Reisetasche. Mit Davids Mofa planen nun die beiden die Flucht, da Pogner eine Verbindung zwischen Beckmesser und Eva einfädeln will. Sie verstecken sich hinter allerlei Malerzubehör, weil Sachs die Flucht der beiden verhindern will. Dass das keine Linde ist, aber ein lustiger Ersatz: Da hilft das Textbuch weiter. Nun kommt Leben in die Proszeniums Loge. Evas Amme erscheint dort mit langem Haar, um das Ständchen von Beckmesser entgegen zu nehmen. Beckmesser trägt seine Weise auf einer wackeligen, gelben Hebebühne vor. Für seinen Vortrag nutzt er eine Ukulele. Geht diese beim Vortrag kaputt, ist flugs aus dem Souffleurkasten Ersatz da. Die Hebebühne kommt dabei mehrfach zum Einsatz, um seiner holden Eva Nahe zu sein. Aber als größeres Hindernis bei dem Vortrag erweist sich ein hämmernder Sachs. Dieser spielt den Merker und klopft immer bei Fehlern im Gesang. Jetzt fängt es im Wohnblock das Rumoren an. Die Jalousien gehen hoch und es erscheinen die Bürger im Schlafanzug. David startet eine Prügelei mit Beckmesser, da er meinte, der Gesang gehöre seiner angebeteten Amme. Es ertönt von Kirill Petrenko die beste Prügelfuge, die ich gehört habe. Mit Baseballschläger werden die Autos traktiert, die Liedgesetze der Meister fliegen aus den Fenstern. In der Johannisnacht in Nürnberg geht es zu wie zum 1. Mai in Kreuzberg. Sachs gelingt es nun, Ruhe in das Treiben zu bringen. Er trennt Beckmesser und David, versteckt Stolzing in seinem Wagen und schickt Eva nach Haus. Um 11 Uhr hat der Spuk ein Ende.
Im letzten und längsten Akt steht auf Hans Sachs Wagen nur noch ach(s). Von David bekommt Sachs eine Rückenmassage, während er seinen Kummer in Zigaretten und Gordon Gin ertränkt. Er sieht in seinem Rausch: Wahn, Wahn, überall Wahn. Nun befreit er Stolzing aus dem Wagen. Stolzing hatte einen schönen Traum und schildert seine ‚Traum-Deutweise‘. Dieses Lied will er beim Wettstreit vortragen und Sachs notiert es fleißig. Während der Sänger auf Kaffee schwört, bleibt Sachs bei den harten Sachen. Schließlich ist das Preislied komponiert. Sie bereiten sich auf das Fest vor. Dann erscheint Beckmesser im Rollstuhl mit blutbeflecktem Hemd. Immerhin ist er noch so fit, dass er das aufgeschriebene Lied von Sachs entdeckt. Man sieht eine Traumsequenz, bei der Eva Blumen von Beckmesser bekommt, die diese zurückgibt. Den Text ohne Melodie bekommt nun Beckmesser, der Sachs das Versprechen nimmt, dass er den Ursprung des Lieds nicht preisgibt. Beckmesser geht und es erscheint Eva, die nun auf dem Dach von Sachs Wagen die letzte Strophe des Preisliedes anhören darf. Sie hat schon das weiße Brautkleid an. Nun wird noch schnell David zum Gesellen erhoben, stilecht mit einer Ohrfeige. Dann brechen alle mit dem Ladenwagen von Sachs zur Festwiese auf.
Auf der Festwiese erklären sich nun auch die Gerüste aus dem ersten Akt. Nun gibt die Inszenierung noch einmal richtig Gas. Die kommende Finalshow an der Festwiese in Nürnberg ist aufgezogen wie ein Eurovision Song Contest. Es gerät zur großen Pogner-Show, der als Sponsor der ganzen Veranstaltung nicht nur einen Preispokal, sondern auch seine Tochter Eva zu Verfügung stellt. Für David hat man eine Latte mit 12 Stamperln bereitgestellt, die er auch 1 ½ mal schafft, bis ihn Magdalene von weiterem Trinken abhält. Es folgen die Schneider mit riesigen Scheren und dann die Bäcker mit Brezen, die sie verteilen. Alles wird von der Presse fotografiert. Als Vorgruppe erscheint eine männliche Cheerleaders-Gruppe mit vier Personen und mit goldenen Pompons. Auch David tanzt hier kurzfristig mit. Im Hintergrund sieht man immer Videoeinblendungen, die die Meister ankündigen. Der Hingucker ist Beckmesser im goldenen Glitzeranzug mit Netz Hemd. Es startet die Pogner-Show. Eva wird mit verbunden Augen auf die Bühne gebracht. Beckmesser muss als erstes ran, kämpft aber mit einem Notenständer. Als er immer im Rampenlicht steht, spielt ihm die Lichttechnik einen Streich und verschiebt den Lichtkegel. Singen muss er auf der Rampe vom ersten Akt. Die hat inzwischen aber schon ihre Schwächen und die Treppe bricht ein, als Beckmesser den Ring betritt. Mit seinem Lied versagt Beckmesser aber nun auf der ganzen Linie. Er zertrümmert in seiner Wut eine Ukulele. Er verrät nun, dass sein Lied eigentlich Sachs komponiert hat. Sachs sagt aber, dass das Lied auch nicht von ihm sei, sondern von Stolzing. Man müsse es nur richtig vortragen. Nun kommt Stolzing auf die Bühne und singt auf dem Ring, auf einem Stuhl, sein Lied. Eva ist oben am Gerüst mit ihrem Vater und hört zu. Als alle vom Lied begeistert sind, will Pogner den Pokal überreichen. Nun lehnt Stolzing ab. Es folgt der Gesang: ‚Verachtet mir die Meister nicht‘. Der projizierte Pokal bekommt dabei immer mehr Störbilder und verschwimmt am Ende im weißen Rauschen und dem Silberflitter. Am Ende erschießt sich Beckmesser aus Verzweiflung mit einer Pistole.
Was für eine tolle Inszenierung. Mit so vielen Einfällen habe ich die Festwiese selten gespickt gesehen. Bisher wurde noch wenig von der musikalischen Darbietung gesprochen, die wirklich so auf CD hätte rausgehen können. Kirill Petrenko gibt zwar am Anfang ziemlich Gas, nimmt sich aber später im Tempo etwas zurück. Wolfgang Koch als Sachs stemmt die Partie des Sachs sehr gut, das Preislied von Stolzing gesungen von Jonas Kaufmann ist traumhaft. Man kommt ins Schwärmen. Besonders gefallen hat mir Christof Fischesser als Veit Pogner. Bei der Inszenierung fragt man sich natürlich, ob Butzenscheiben für Nürnberg nicht doch schmeichelhafter wären, als Sozialwohnungsbauten und was man von der Hauptstadt her für ein Bild von Nürnberg hat. Vielleicht ist der Regisseur ja nur bis Langwasser gekommen. Ich sehe es aber sportlich, als Parabel auf die Kunst der Meistersinger, die in der Oper ihre besten Zeiten hinter sich hat und einen großen Reformbedarf. Es ist ein Ringen um die Kunst, das hier umgesetzt wird. Sehr unterhaltsam für eine Meistersinger-Oper, die gerade am Ende immer in einer Deutschtümelei zu versacken droht.
Quelle: YouTube | BayerischeStaatsoper
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