Die Reise nach Reims zu den Eurokraten
Laura Scozzi präsentiert in Nürnberg eine absolut zeitgemäße Inszenierung der Reise nach Reims. Die Gruppe europäischer Aristokraten sind dabei aber Brüsseler Beamten, die von Brüssel aus starten. Das Hauptquartier ist ganz mit einem blauen Boden bedeckt, die Beamten, die dort arbeiten, sind auch in Blau angezogen, die Schalensessel in Gelb, ergänzen sich also zur europäischen Flagge. Madam Cortese, die Hotelbesitzerin, tritt dabei als Chefsekretärin in einem grauen, kariertem, engen Kostüm mit blonden, hochtoupierten Locken und einer Brille, die sich um die vertrockneten Zimmerpflanzen und die vielen Akten kümmert. Ihre Gäste, die Eurokraten, sollen schließlich eine angenehme Zeit im Hotel Zur goldenen Lilie haben. Dabei kopiert sie leidenschaftlich Akten. Zuerst trifft die modebewusste Pariserin Follevile ein, die bei der Nachricht, ihre Habschaft sei bei einem Unfall verloren gegangen, bewusstlos wird. Prudenzo der Arzt, gibt mit einem Fernglas Tipps, wie man sie wiederbeleben könnte. Als sie wieder zu sich kommt, sieht sie die Queen mit ihrer Krone. Sie sagt, das sei ihr Hut, den Sie zur Krönung Karls des X.-ten tragen wolle. Diesen Vorfall sieht der Deutsche Baron Trobonok. Es tritt die Polin Marquise Melibea auf, um die ein heftiger Streit entbrennt. Der Russe Libenskof beansprucht die Marquise für sich und er duelliert sich mit dem Spanier. Die Szene, bei der sich die Rivalen mit Panzern und schwerem Gewehr gegenüberstehen, wird untermalt von Einblendungen von Kriegsszenen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Kontrahenten stehen sich mit Pistolen gegenüber und sind bereit abzudrücken. Nur die Intervention einer berühmten italienischen Sängerin Corinna, die mit einer Gitarre, ganz in Nicole-Manier, eine Versöhnungsarie anstimmt, verhindert Schlimmeres. Begleitet wird die Einlage von einer Zaubernummer, bei der aus verschiedenen europäischen Flaggen, immer wieder weiße Tauben und letztendlich auch ein Hase hervorgezaubert werden. Nach dieser Einlage versöhnen sich die Streitpartner. Schließlich erscheint der Engländer Lord Sidney. Nach einer Strippeinlage der Queen-Darstellerin mit String-Tanga und Nippel Pasties verfasst eine Horde Sekretärinnen Briefe und bringt schließlich Lilien und Blumen an Corinna, obwohl seine wahre Liebe der Queen zu gelten scheint. Zum Finale vor der Pause werden dann vom dritten Rang aus, Europaflaggen ins Publikum geworden.
Nach der Pause wird in einer Art Tagesschau das Zusammentreffen der Italienerin Corinna mit einem französischen Edelmann Belfiore festgehalten. In einer atemberaubenden Belcanto-Arie geraten die beiden so aneinander, dass das Fernsehen schließlich die Übertragung abbricht und ein Pausenbild sendet. Belfiore ist auch der Liebhaber der Französin Folleville. Während nun sich die Solisten auf den Abflug auf einer Flugzeugtreppe sammeln und ein bezauberndes A-cappella-Solo hinlegen, dreht die Air-France-Stewardess ihr Fluglinien-Logo um und sagt, dass die Fluglinie im Streik ist. Die Reise nach Reims kann also nicht stattfinden. Alle sind in Verzweiflung, bis Madame Cortese die Lage klärt und sagt, dass es große Krönungsfeierlichkeiten in Paris geben wird, wenn der König von seiner Krönung zurückkommt. Folleville lädt alle nach Paris ein, die Hauptstadt der Vergnügungen. Sie machen auf der Landkarte schon mal in einem Bus eine Reise nach Paris, wobei Corinna schlecht wird, weil es so temporeich zu geht. Am nächsten Morgen soll im Hotel ‘Zur goldenen Lilie’ ein Bankett mit Pizza und einer Heavy-Metal-Gruppe stattfinden, die schon mal einen Kasten Bier gebunkert hat. Auch die Polin Melibea und ihr russischer Liebhaber versöhnen sich bei einem Duett auf einem Büroschrank. Nachdem alle Konflikte gelöst sind, findet ein Eurovisionsfest statt, bei der die sechs Nationen eine Gesangseinlage mit den jeweiligen Nationalhymnen geben. Deutschland beginnt, mit einem street-dancenden Merkeldouble. Es folgt Frankreich, Spanien, Polen, England, Russland und schließlich noch Tirol. Bei Tirol wird für ein freies Triol demonstriert. Russland bringt drei Damen aus dem leichten Gewerbe mit, die es prompt an das Italiendouble von Berlusconi weitergibt. Es findet eine Endauswertung der Stimmen statt und es gewinnt Frankreich. Allerspätestens hier fällt auf, dass Corinna etwas aussieht wie Carla Bruni. Sie bringt dem König von Frankreich, nämlich Sarkozy ein Finale dar.
Es ist wieder mal ein sehr unterhaltsamer Abend und eine Lehrstunde über Europa, was Laura Scozzi da gelingt. Da werden in einer Einlage schon einmal 110 Milliarden Griechenland zugeschoben. Die Eurokratie wird ziemlich auf die Schippe genommen, aber auf eine sehr temporeiche Art und Weise. Europa scheint für einen fast 2 ½-stündige Oper viel herzugeben. Dabei beziehen sich die Ereignisse natürlich oft schon auf das zurückliegende Jahr. Sie war damals vor einem Jahr aber wirklich am Puls der Zeit. Die Tagesschau-Episode gehört wirklich zum Highlight der Inszenierung, denn selten wurde die Videotechnik so überzeugend eingesetzt, wie da. Auch das Aufziehen der Nationalhymnen als großes Eurovisionsfest einschließlich Disco-Kugel ist wirklich passend. Mit 16 Hauptrollen ist diese Oper sehr schwer aufzuführen. Auch lässt sie zu den Ländern immer Double der Staatsoberhäupter auftreten, was den Karikatur-Faktor noch erhöht. Etwas böse ist auch die Einlage, bei der die europäischen Politiker-Double mit der Weltkugel spielen. Das erinnert sehr an Charly Chaplins ‘Großen Diktator’. Die Verlegung ins Brüsseler Beamtenmilieu ist einfach nur treffend, selten so in einer Oper gelacht.
Quelle: Staatstheater Nürnberg
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