Turandot – No China Restaurant
Calixto Bieito inszeniert eine moderne Variante der Turandot von Puccini zur Eröffnung der Spielsaison 2014/15 am Opernhaus in Nürnberg. In einer Vorbesprechung sprach der Regisseur davon, keine China-Restaurant-Variante der Oper zu präsentieren, sondern eine Geschichte von einer totalitären Turandot zu erzählen, die eine Macht-Neurose hat und ihr Volk traktiert. Auch wenn ein großer Skandal bei dieser Regiearbeit ausbleibt, gelingt dem Regisseur eine beklemmend, bedrückende Deutung des letzten Werks von Puccini. Präsentiert wird das Werk in einer 1 ¾- stündigen Version, ohne große Pausen und ohne das umstrittene Ende von Franco Alfano. Die Oper wird als Fragment präsentiert und endet da, wo Puccini selbst das Werk nicht fortgeführt hat, mit dem Tod der Sklavin Liú. Vor jedem Akt gibt es eine Aktion auf der Bühne, die ohne Musik stattfindet. So beginnt die Oper mit sauber auf Kartons aufgereihten Puppen. Diese werden von dem Volk, Arbeitern in blauen Overalls, weggetragen. Im Hintergrund ist eine Wand mit Versandkartons aufgebaut, die als Projektionsfläche für eine makabre Einspielung einer Köpfung dient. Calaf kommt als Tataren Prinz mit einem Fahrrad in diese verbotene Arbeiterstadt. Hier führt Turandot ein Schreckensregime. Sie stellt ihren Prinzen, die um sie werben, Rätsel und lässt diese töten, so sie nicht auf die richtigen Lösungen kommen. Hier ist aber Calaf getarnt und ebenfalls ein Arbeiter. Begleitet wird Calaf von der Sklavin Liú und seinem Vater Timur. Ihn schreckt auch nicht, dass sein Vorbewerber im Mondschein geköpft wird. Das Fahrrad wird auf der Bühne angezündet, als er von dem schimmernden Mondschein singt. Scheinbar fängt der Prinz da selbst im Mondlicht Feuer. Calaf erblickt Turandot und verliebt sich in sie. Traktiert werden das Volk und die drei Ankömmlinge von den Ministern Ping, Pang und Pong in Militäruniform. Plakativ stehen die Drei am Bühnenrand und haben das Schild ‚Verräter‘ um den Hals. Liu wird Wasser gereicht, dass sie dem Minister in einer Fontaine entgegen spuckt. Dann ist wieder eine stille Pause zwischen den Akten. Die Minister in Uniform wechseln nun ihre Uniform gegen Brautkleider und erzählen tanzend von ihrer Heimat, was sehr abgründig ankommt. Herangetragen werden die Kleider von einer leicht bekleideten Frau in Zellophan. Als Kleiderständer dient da scheinbar die Ahnin Lou-Ling, von der Turandot noch erzählen wird. Tagsüber markieren die Minister die starken Soldaten und abends lassen sie ihre weibliche Seite aufleben. Der commedia dell'arte-Aspekt der Einlage kommt dabei ganz abhanden. Dennoch erscheinen aus dem Schnürboden zumindest die roten Laternen, die die Minister besingen. Altoum, der Kaiser von China, kommt in einer Windel und mit einer Urne auf die Bühne, aus der er Asche streut, während das Volk mit dem Gesicht zum Boden liegt. Er ist des Mordens müde und wünscht sich eigentlich nur einen erfolgreichen Bewerber. Schließlich, nachdem man viel über ihre Grausamkeit gehört hat, erscheint Turandot auf der Bühne. In einem schwarzen Businessanzug, mit einer roten Bluse und einer langen blonden Perücke, mimt sie die cholerische westliche Chefin der Arbeiterstadt. Sie kommt dabei sehr neurotisch und aufbrausend beim Publikum an. Es scheint keine nette Person zu sein, um die Calaf hier wirbt. Rachael Tovey gibt einen fulminanten, dramatischen Koloratursopran. Die Auftrittsarie ‚in questa reggia‘ gerät zu einer Glanznummer, wobei ihr das voll aufdrehende Orchester keine Mühe zu bereiten scheint. Bei der anschließenden Rätselszene werden zwei Frauen aus dem Schnürboden abgeseilt, diese darf nun Calaf bei jeder Frage von ihren Fesseln befreien. Die Frauen als Rätsel, ein schönes Bild. Die dritte Frage wird von Turandot, wie ein Hund an einem Seil über die Bühne geschleift. Über das Lösen der Rätsel ist Turandot so empört, dass sie auf den am Boden liegenden Altoum mit einem Gürtel einschlägt. Anschließend verliert sie ihre Perücke und muss nun die Frage nach dem Namen von Calaf beantworten. Dabei wendet sich Calaf der Sklavin Liú zu, die seinen Namen kennt. Wieder ist eine kurze Stille. Das Volk kauert nun auf dem Boden und verliert die blaue Oberbekleidung, während die Minister eine Leibesvisitation durchführen. Es erklingt das berühmte ‚nessun dorma‘ von Calaf. Dabei hat Calaf ein Schild mit der Aufschrift Poesie um den Hals. Die Minister fesseln auch Calaf mit Zellophan an einen Kartonmarterpfahl. Dieses Schild zerreißen sie. Dabei war die spannende Frage, ob er nun unter dem Cellophan weitersingen kann. Die Minister identifizieren nun Liú als eine der Personen, mit denen Calaf gesprochen hat. Die Minister versuchen Calaf nun mit schönen Frauen in Zellophan zu verführen. Timur wurde inzwischen durch Folter geblendet. Die Minister traktieren die hergestellten Puppen und versuchen aus Liú den Namen zu entlocken. Sie stirbt aber lieber, in dem sie sich mit einem Puppenarm den Hals aufschlitzt. In dieser Variante ereilt aber auch Timur der Tod durch den Strang von einem Minister. Nach dem Tod der Sklavin ist das Ende von Turandot offen. Zu tief scheint der Graben zwischen der allmächtigen, kalten Turandot und dem namenlosen Prinzen sein. Turandot sitzt auf einem Berg von blauer Oberbekleidung und zerpflückt die Puppen.
Diese Oper ist starker Tobak, mit Anleihen an die Massenszenen von Fritz Langs Metropolis. Es gelingt eine wirklich bedrückende Atmosphäre, wobei der große Skandal ausbleibt. Für mich wurden in einer Turandot noch nie so ausführlich die Aspekte Macht, Herrschaft und Totalitarismus beleuchtet. Die Liebesgeschichte zu Calaf gerät dabei in den Hintergrund. Calaf ist nur einer aus der Masse, der gegen das System Turandot aufbegehrt. Musikalisch ist diese Oper mit den vielen Massenchören stark im Forte, es ist wirklich sehr laut im Opernhaus. Hrachuhí Bassénz gibt eine wunderbare Liú und Rachael Tovey eine eisige Turandot, mit viel Wucht und vielen Höhen. Das ‚nessun dorma‘ ist natürlich von David Yim auch sehr gut umgesetzt. Aber auch die Nebenrollen sind stark besetzt. Es ist eine sehenswerte, wenn auch umstrittene Inszenierung, die im Gegensatz zur Interpretation der Fura dels Baus steht. Wie der Regisseur sagte: No China-Restaurant.
Quelle YouTube, Staatstheater Nürnberg
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