Aus einem Totenhaus - Opernhardcore
Stumm beginnt die Aufführung von Leoš Janáčeks ‚Aus einem Totenhaus‘ im Nürnberger Staatstheater. Calixto Bieito lässt die Sänger auf einer dunklen Bühne mit einem improvisierten Ball zwischen den Pfützen auf der Bühne Fußball spielen. Man sieht am Hintergrund eine verrostete Metallwand. Das Ballspiel bietet Ablenkung vom Lageralltag. Man könnte meinen: Oper über ein sibirisches Gefangenenlager klingt nicht lustig? Ist es auch ganz und gar nicht. Der Regisseur schafft einen beklemmend lebensnahen Eindruck von dem, was dort abgeht. Janáček liefert dazu einen breiten, modernen Klangteppich, wobei sich das Eingangsmotiv immer wiederholt. Diesen Unort, versucht der Komponist mit seinem Werk in Töne zu fassen und Calixto Bieito mit seiner Regie in Bildern. Dies gelingt beiden beklemmend gut, sodass man froh ist, diesem Albtraum aus Endzeitwelt und Klang nur knappe 100 Minuten ausgesetzt zu sein. Die Oper ist immer von symphonischen Orchestereinlagen durchbrochen, es singen fast ausschließlich Männer. Wenig später öffnet sich die eiserne Wand und man schaut als Zuschauer in grelles Licht. Die Lagerinsassen rollen Autoreifen auf die Bühne. Alexandr Petrovitč Gorjančikov, ein Adeliger kommt als politischer Gefangener ins Lager. Dort muss er erst mal seinen Anzug ausziehen, man schiebt ihm ein Gewehr in den Mund und bestraft ihn mit 100 Peitschenhieben an der Metallwand. Nun lernt man in einige Gefangene aus dem Lager kennen. So hat ein gewisser Luka einen Kommandanten ein Messer an den Hals gesetzt, der sich im Lager für Zar und Gott hielt. Dafür landete er im Lager. Die Gruppe kümmert sich im Original um einen verletzten Adler, der hier durch ein Pappflugzeug dargestellt wird. Ein Aufseher zerbricht den Pappflieger. Der ausgepeitschte Alexandr wird auf die Bühne gebracht. Es folgt die Szene von einem kirchlichen Feiertag. Nun wird eine echte, stillgelegte Antonow AN-2 aus dem Schnürboden herabgelassen. Dieses Flugzeug ist wirklich das Highlight der Inszenierung und nimmt die ganze Bühne ein. Es ist das Symbol für die Hoffnung auf Flucht aus dem Lager. An dem wird scheinbar ein Kanister mit Wodka unter die Gefangenen geworfen. Skuratov erzählt nun seine Geschichte, wie seine große Liebe Luisa gezwungen wurde, einen reichen Verwandten zu heiraten. Diesen Verwandten hat er umgebracht. Deshalb ist er hier. Anlässlich des Feiertags improvisieren die Häftlinge zwei Theaterstücke. Zuerst das Stück von ‚Kedril und Don Juan‘. Den Don Juan holen dabei 6 Teufel mit Phallushörnern und roten Plastikphallus. Sein Diener Kedril bekommt daher die Liebschaft des Don Juan. Das zweite Stück ist ein Stück von einer mannstollen Müllerin, alles gespielt von Männern. Unter großen Kartons kommen Männer auf die Bühne, einer davon ist nackt. Es wird ein Oralverkehr simuliert, wobei der Darsteller ausspuckt. Es kommt schließlich zum Streit, da Alexandr scheinbar immer noch privilegiert ist und Tee trinken darf. Es kommt zu einer Schießerei auf der Bühne. Im nächsten Akt erzählt dann Schapkin, wie ihm beim Verhör fast ein Ohr abgerissen wurde. Bei diesem Gefangenen zeigte die Maske, was sie konnte, denn die Verletzung sieht wirklich schlimm aus. Die Antonow entschwindet im Bühnenboden. In einem langen Monolog erzählt nun der Gefangene Šiškov von seiner Liebe zu Akulina und dessen Rivalen Filka. Als seine Liebe gesteht, dass sie Filka liebt, bringt er sie um. Und durch einen Zufall ist dieser Filka gleichzeitig mit ihm im Lager. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Im Vordergrund bringt man die Leichen in graue Plastiksäcke, unter ihnen ist auch Luka. Es geschieht das Unglaubliche. Alexandrs Mutter erwirkt die Freilassung von Alexandr. Der betrunkene Offizier entschuldigt sich für die Peitschenhiebe. Es sieht fast so aus, als ob er freikommt. Dennoch wird der eigentlich positive Schluss der Oper durch die Regie entkräftet. Alexandr wird erschossen.
Man ist am Ende doch froh, dass man nach diesem Ausflug nach Sibirien wieder nach Hause gehen darf. Die Oper zeigt die Bilder von dem Alltag in dem Lager beklemmend gut. Die Deutung von Bieito ist vielleicht schlüssiger, als die Wiener Inszenierung, die alles in die russische Halbwelt verlegte. Es ist aber immer die ganze Horde der Gefangenen auf der Bühne, was es auch bei den Monologen teilweise schwermacht, dem Text zu folgen. Bewundernswert ist, wie die ganzen Darsteller in Tschechisch singen und sprechen. Fjodor M. Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ ist sicher kein leichter Stoff für eine Oper. Auch ich habe einen Tag gebraucht, die Bilder zu verarbeiten. Erwähnt sei vielleicht noch ein Zwischenfall im zweiten Akt, als es einer Zuschauerin in der ersten Reihe des dritten Rangs zu viel wurde und man die Sanitäter holen musste. Eine Oper, für die man wirklich bei guter Konstitution sein muss. Sehenswert, aber echt hardcore.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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