Die Entführung aus dem Serail
Was passiert wenn man die Handlung des Entführung aus dem Serail, statt auf einem Landgut des Bassa Selim im 16. Jhd., in der Realität des 21. Jhd. spielen lässt ? Das Serail hat sich gewandelt und es gibt nicht einen Hauch von 1001 Nacht. Es scheint mehr eine umgebaute Eckkneipe in Nürnberg zu sein, die statt eines Harems, einem deutsch-türkischen Freundschaftsclub gewichen ist. Dadurch wirkt das Stück unangenehm nahe und bei manchem Spruch über das Wesen der Türken, fragt man sich dann plötzlich? Darf man das so sagen. Wenn der Oper alles märchenhafte genommen ist, kommt harter Deutsch-Türkischer Alltag auf die Bühne. Der erste Akt spielt vor dem Deutsch-Türkischen Lokal. Osmin vertreibt sich die Zeit mit Backgammon, während Belmonte ankommt und Einlass begehrt. Die aufwändig gestaltete Fassade zeigt eine Eckkneipe in einem 19. Jhd-Bau inklusive Graffitti und Neonbeleuchtung. Die ersten Takte der Arie sind dann auch konsequent in türkisch gesungen. Auch Osmin spricht immer wieder türkisch. Das wirkt ungemein echt und überrascht. Bassa Selim ist ein junger Türke in weißem Anzug, der absoluter Herr in seinem Block ist. Mehmet Yilmaz spielt den Ghetto-Herrscher sehr überzeugend und unterlegt die Dialoge immer wieder mit türkisch. Gerade wenn er in Wut ist, dass Konstanze seinem Werben nicht nachgibt, entfahren ihm immer wieder türkische Worte. Blondchen als Engländerin spricht konsequenterweise dann auch ein paar Sätze in Englisch. Ja wir hatten mit den Damen nur die zweite Besetzung erwischt. Hinako Yashikawa als Blonde und Cornelia Götz mussten aushelfen und waren nun vielleicht nicht so perfekt, wie sich das mancher gerne gewünscht hätte. Die zweite Szene spielt dann im inneren des Clubs und erinnert stark an das Innere einer Moschee. Es wird wirklich kein Klischee ausgelassen, die Neonbeleuchtung, der Ayran-Schrank mit Glastür, die Theke. Auch der Chor ist ganz türkisch gekleidet. Constanze tritt dann wirklich ganz in ein weißes Glitzerkostüm als veritable Türkin gekleidet auf. Sie singt ein Teil ihrer Arien in einem rosa Zimmer im ersten Geschoss. Das Serail ist also in den Club integriert. Die Arie “Matern aller Arten” von Konstanze gesungen durch Cornelia Götz geriet dann doch ganz passabel. In den Club war auch ein Raki und Weinlager integriert. Dies wurde von Pedrillo, gesungen durch Jeff Martin aufgefüllt und beim “Vivat Bacchus” auch geleert. In der Pause war es allerdings soweit, dass mancher die Aufführung lieber verließ. Ob es an der Zweitbesetzung oder dem ausgefallenen Einfall lag, ist nicht ganz klar. Hinter uns saß eine Schar SMS-sender Mädchen, die für einen gewissen Geräuschpegel sorgten. Außerdem gingen einige Leute bei den Arien raus und bei den türkischen Passagen rein, was wiederum dafür spricht, dass die Inszenierung ganz neue Leute angesprochen hat. Christof Prick hatte jedenfalls das Orchester gut im Griff und führte temporeich durch das Stück. In der dritten Szene kam dann eine Baumarktleiter zum Einsatz, der die Damen aus dem Serail auf die Straße entführte. Konstanze hatte gepackt und nur eine Tasche, während Blondchen gleich mehrere türkische Einkaufstaschen gefüllt hatte und somit die Gags auf ihrer Seite hatte. Bassa Selim spricht Konstanze und die ertappten Entführer frei.
Insgesamt war es doch ein gelungener Abend mit einer einfallsreichen Inszenierung von Andreas Baesler, der überraschen konnte. Fast fühlte man sich an die gute alte Kloke-Zeit erinnert, bei der jede Aufführung ein Erlebnis war. Die Oper Nürnberg kommt wieder in Form und ist wieder für eine Überraschung gut.
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