Lohengrin und die Energiekrise
Man sagt ja, es wäre die beste Aufführung in 2022 gewesen: Der Lohengrin mit Thielemann im Dirigat, Klaus-Florian Vogt, Camilla Nylund und Georg Zeppenfeld in den Hauptrollen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, denn selten war man dem Walhalla so nah. Da mag auch das grüne Männlein am Ende als Erbe von Brabant nicht mehr den positiven Eindruck zu trüben. Thielemann hat einen sehr unaufgeregten Klangteppich für den Lohengrin erstellt, es gibt bezaubernde Pianissimi, aber auch mit Pausen und Phrasierungen, wo es nötig ist. Nie trumpft das Orchester derart auf, dass es den Sängern keinen Raum mehr lässt. Jedoch zeigt er auch im Vorspiel zum dritten Akt mit einem zügigen Tempo, dass er auch diese Lesart spielen kann. Im zweiten Akt darf Ortrud ihre Wotan-Rufe vorzüglich auskosten und wird nicht von einem Dirigenten zur Eile getrieben. Es sollte die letzte Aufführung des Lohengrins in der Inszenierung von Yuval Sharon sein. In dieser Ausstattung dominiert das Blau, erst im zweiten Akt mischt sich als Kontrast die Farbe Orange in den Vordergrund, um im dritten Akt im Brautgemach zu dominieren. Ganz der Farbsymbolik der Kontrastfarben treu, erscheint der Erbe von Brabant am Ende als grünes Männchen, was die Mischfarbe des Blaus von Lohengrin und des Orange von Elsa ist. In Zeiten der Energiekrise ist Brabant ein Land ohne Strom, das durch die Elektrifizierung durch einen Helden wie Lohengrin wartet. Der König Heinrich erscheint wie eine Motte im Trafowerk und beansprucht Gott für sich. Mir wurde die Kritik der Einheit von Kirche und Staat nie so bewusst, wie in dieser Inszenierung. Die Brabanter sind eine ziemlich unsympathische Horde von Motten, die neben ihrem König Heinrich, jede andere Meinung sofort unterdrücken. Die Gegenspieler von Lohengrin und Elsa - Telramund und Ortrud - sind eigentlich im Recht. Ortrud ist die letzte in ihrer Linie, die von Elsa aus der Thronfolge geschubst wird. So kehrt sich in der Inszenierung einiges um, die eigentlich Guten im Stück erscheinen plötzlich als Thronräuber, die den Thron in Brabant für sich beanspruchen. Das war eine interessante Lesart des Lohengrins, die zumindest bei der Premiere nicht sonderlich gut angekommen ist. Getrost des Spruchs von Wagner: „Kinder, schafft Neues!“ folgte dieses Regiekonzept. Vielleicht ist ein Held, der dem Land Energie und Strom verspricht, damals der Zeit einfach voraus gewesen und hat jetzt erst eine Dimension in der Energiekrise erfahren. Lohengrin durchlebt eine Wandlung vom reinen Helden und Erlöser Elsas im ersten Akt, über die weitgehende Abwesenheit im zweiten Akt, zum mordenden Scheusal im dritten Akt, der Telramund elektrisch hinrichtet. Auch Elsas Anklage im ersten Akt ist wie ein Hexenprozess aufgezogen, die Brabanter stapeln einen Scheiterhaufen auf und wollen Elsa brennen sehen. Ihre große erste Arie „Einsam in trüben Tagen“ ist wie eine Vision auf dem Scheiterhaufen einer Jeanne D’Arc.
Schön ist zum Beispiel schon der Beginn des ersten Akts, als es zum Vorspiel keine überflüssige Aktion auf der Bühne gibt. Das Vorspiel gehört ganz der Musik, keine sinnfreien Aktionen auf der Bühne in dem Moment. In der Optik eines stillgelegten Trafohäuschens bedient man sich etwas im Stile alter Stummfilme wie Metropolis. Auf einem Isolator hält König Heinrich Gericht. Elsa soll ihren Bruder ermordet haben und ist des Mordes angeklagt. Sie visioniert einen Retter herbei, der dann wirklich erscheint. Oben auf dem Trafohäuschen mit einer neumodischen Flugdrohne, statt eines Schwans kommt der Retter. Es findet ein Kampf zwischen Telramund und Lohengrin statt. Auch hier wird der Ring ausgemessen, wie es das Libretto fordert. Lohengrin tritt mit einem Blitz gegen ein riesiges Schwert von Telramund an. Der Kampf findet in Martial-Arts-Manier im Flug statt, was hervorragend zu den Insekten und Mottensymbolik passt. Gewinnen wird den Kampf Lohengrin, der Elsa heiraten will, aber ein Frageverbot aufstellt, dass Elsa nie nach seiner Herkunft erfahren soll. Damit sind die Eckpfeiler für das Unglück im dritten Akt schon gesetzt.
Der zweite Akt spielt zum großen Teil hinter einem Gaze-Vorhang. Man sieht eine dunkle Szenerie mit Schilf-Symbolik. Telramund und Ortrud planen eine Verschwörung, wie sie den seltsamen Helden vertreiben können. Ortrud umwickelt Telramund mit einem Seil, sodass er sich immer tiefer in die Verschwörung verwickelt. Aus einer Dachzinne des Schlosses sieht man dann Elsa. Sie lässt sich von Ortrud erweichen und lässt sie dann ein. Ortrud verspritzt ihr Gift und sät Zweifel an der Herkunft von Lohengrin. In den Wolken des Gemäldes meint man einen Schwan zu erkennen. Zum zweiten Teil dieses Aufzugs sieht man dann erstmals die Farbe Orange in Trägern, die den Eingang zur Kirche symbolisieren sollen. Elsa hat inzwischen kleine Drachenflügel, während Lohengrin inzwischen auch Mottenflügel gewachsen sind. Die Brautjungfern streuen blaue und weiße Blätter vor der Kirche. Ortrud gelingt es einen tiefen Graben zwischen Elsa und Lohengrin zu legen. Elsa ist erschöpft auf den Stufen. Lohengrin tadelt Elsa wegen ihres Umgangs und man geht dann doch in das Kircheninnere.
Im dritten Akt dominiert schließlich Orange. In der Mitte des Betts steht ein großer Isolator. Das Brautpaar ist endlich einmal allein und Elsa fällt nun nichts anderes ein, als Lohengrin nach seiner Herkunft zu fragen. Zuerst noch zaghaft, dann aber immer bestimmter. Unterdessen fesselt Lohengrin Elsa mit einem orangen Seil. Telramund überfällt mit einer Vierertruppe Glühwürmchen nun Lohengrin im Brautgemach. Das Unheil kündigt sich mit Elektrizität an, es glühen die Drähte im Brautgemach. Von einem elektrischen Schlag wird Telramund bei seinem Attentatsversuch getötet. Man sieht im Schlussbild dann die Brabanter bei der Auflösung des Namens Lohengrins mit blauen LED-Motten gespannt der Gralserzählung lauschen. Elsa bekommt eine orange Rückentrage mit den Machtinsignien von Brabant. Ortrud versprüht gegen Ende noch einmal gehörig Gift, dass sie alles schon durchschaut hatte, sie hätte Elsas Bruder als Schwan am Kettchen erkannt. Am Ende erscheint Elsas Bruder wieder, als grünes Männchen.
Selten war eine Inszenierung über einen Helden der ein Land elektrifiziert zeitgemäßer als heute. Getragen von einer wunderbaren Musik durch Thielemann muss ich sagen, dass ich hier wohl den besten Lohengrin bisher gehört habe. Über die Inszenierung lässt sich streiten und sie wurde ja anfangs auch ziemlich ausgebuht. Inzwischen hat sich die Geschichte aber ziemlich zu Gunsten der Inszenierung geändert, sodass man dem Regiekonzept inzwischen zustimmen kann. Ein Held, der dem Land Strom bringt, ist inzwischen zeitgemäß. Es war zweifellos ein Ereignis, das jeden Euro des Kartenpreises wert war.
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