Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Georg Schmiedleitner hat in Nürnberg mit einer Wozzeck-Inszenierung geglänzt. Das dreiteilige Bühnenbild besteht aus Zimmern, die sich gegeneinander verschieben lassen und ist in Weiß gehalten. Einen wesentlichen Anteil am Erfolg hatte sicher auch die Musik, die von Gábor Káli dazu geliefert wird und ein Wozzeck in Form von Jochen Kupfer, der wahrscheinlich nur in der Inszenierung so gut funktioniert. Diesmal ist Wozzeck kein Mann von unten, sondern einer aus der unteren Mittelschicht, der schon mal bei Amazon und Zalando groß einkauft. Die Schulden, die er anhäuft, muss er in Diensten bei dem Hauptmann und als Versuchspatient bei einem Arzt abstottern.
Zuerst hebt sich der Vorhang und man sieht die Darsteller in einer Pose. Ohne Musik fährt der Vorhang wieder runter, bevor es dann eigentlich losgeht.
Schon anfangs ist Wozzeck dem Hauptmann zu diensten und peitscht diesen in einer Sadomaso-Tortur mit einem Riemen aus. Hier wird der Hauptmann nicht rasiert, sondern lässt sich, nur mit einer Unterhose bekleidet, von Wozzeck quälen. Die beiden debattieren über Wozzecks Kind, das nicht den Segen der Kirche hat. Auf einem kleinen Rasenstück treffen sich Andres der Jäger und Wozzeck. Der Jäger hat gelbe Kopfhörer auf, während Wozzeck über die menschliche Gesellschaft nachdenkt. Dann erfolgt ein Schwenk zu Marie, seiner Frau. Die erfreut sich an einem Smartphone-Video einer Militärkapelle. Dort hat sie den Tambourmajor entdeckt. Mit diesem hat sie in der Folge dann eine Affäre. Der Sohn ist zwar mit einem blinkenden Hoverboard gut mit Technik versorgt, wirkt aber unglücklich. Vielleicht liegt das auch an seinem Vater, der von Visionen ablenkt, ist und kein Ohr für sein Kind hat. Für Wozzeck ist diese Familienidylle das Glück. In roten LEDs sieht man eine große Aufschrift: Glück im Hintergrund. Dann muss er aber weiter zum Doktor, der mit Wozzeck ein Ernährungsexperiment macht. Nicht nur er muss Erbsenbrei essen, es gibt noch ein paar Mitstudienobjekte, die fleißig Erbsenbrei essen. Der Doktor geht ihn zwar an, dass er seinen Urin nicht abgegeben hat. Man hantiert mit Urinflaschen, die für das Experiment des Doktors wichtig sind. Er möchte nachweisen, dass einseitige Ernährung geisteskrank macht. Unterdessen verführt der Tambourmajor Marie.
Im zweiten Akt sieht man dann Marie, die geschenkte Ohrringe bekommen hat für ihre Liebesdienste am Tambourmajor. Dass Marie genau zwei Ohrringe gefunden hat, kommt Wozzeck merkwürdig vor, er lässt sie aber passieren. Wozzeck trifft in der Stadt auf eine Gruppe Patienten um den Doktor und den Hauptmann. Die Patienten gehen an Gehhilfen, einer ist schon tot. Der Hauptmann wird vom Doktor mit einer erfundenen Diagnose zum Thema Schlaganfall provoziert. Als sie Wozzeck erblicken, machen sie sich über ihn lustig, dass er die Affäre mit Marie nicht mitbekommen hat. Wozzeck fragt nun bei Marie nach, was es auf sich hat mit der Aussage. Sie provoziert ihn aber weiter. Darauf flüchtet er sich ins Wirtshaus. Dort sieht man, wie sich der Tambourmajor und Marie sich vergnügen. Es kommt eine ganze Batterie Flaschen herein. Nach dem Besäufnis lässt der Tambourmajor Wozzeck zusammenschlagen.
Im dritten Akt sucht Marie in der Bibel Trost. Das Kind ist weiter deprimiert und klebt mit Tape die Stoffpuppen an die Wand. Wozzeck tötet mit einem Cuttermesser Marie, wobei das Blut in Schmiedleitner-Manier spritzt. Wozzeck geht wieder in Kneipe und feiert weiter. Aber dort entdeckt man das Blut an seinen Armen, für das er keine Erklärung hat. In Verzweiflung über seine Tat bringt sich Wozzeck im See um. Man erlebt eine Art Traumsequenz, in der er und Marie wieder vereint sind. Im letzten Bild sieht man die Kinder die Szenen nachspielen. Am Hoverboard, statt auf einem Steckenpferd, kreiselt einsam und alleine der Sohn von Wozzeck, nun als Waise.
Ja, die Musik von Alban Berg ist dissonant und das Stück ist weit von Heiterkeit entfernt. Dennoch lohnt es sich, über den Tellerrand der Melodik hinauszusehen. Die Kritiken für den Wozzeck waren generell gut und das helle Bühnenbild erinnert immer etwas an das Arztsetting. Wozzecks gibt es nicht nur in der Vergangenheit, sondern sie leben hier und jetzt, bestellen bei Zalando und wissen manchmal nicht, wie sie das Geld für diesen Lebensstil aufbringen sollen. Die moderne Technik hat mit Smartphone und Hoverboard Einzug gehalten in dieses Stück und schlägt so den Bogen zur Gegenwart. Es ist weit von lustig entfernt, was dort auf der Bühne abgeht, aber das ist bei dem Thema ja klar.
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Quelle: Soundcloud | Staatstheater Nürnberg
Das Theater Freiburg hat Händels Giulio Cesare ans Stadttheater in Fürth gebracht. In einer Inszenierung von Florentine Klepper darf man sich ins Jahr 48 v. Chr. führen lassen und die turbulente Zeit von Cäsar in Ägypten erleben. Erst einmal zu positiven Aspekten: Man hat die männlichen Hauptrollen des Julius Cäsar und des Ptolemäus mit Alti besetzt, auch Sextus ist mit Sharon Carty gut besetzt. Dafür muss man aber bei der Inszenierung etwas leiden. Die handelnden Personen werden in eine Art Verhörraum aus den 70er Jahren eingepfercht. Im Hintergrund ist ein großer Spiegel, bei dem eine Gruppe von fünf Überwachern das Geschehen begutachten. Links und rechts am Bühnenrand sind zwei Überwachungskameras. Die Wände sind mit Türen versehen, durch die die Akteure immer einen Fluchtversuch starten.
Julius Cäsar sabotiert schon gleich zu Beginn die Überwachungskamera rechts. Der Eröffnungschor davor kommt leider aus der Konserve und scheppert ziemlich in den Boxen. Als nächste kommt Cornelia mit ihrem Sohn Sextus auf die Bühne. Der Kopf ihres Mannes ist ebenfalls auf der Bühne. Ptolemäus, der Bruder Cleopatras hat den Gegner Cäsars umbringen lassen, um Cäsar milde zu stimmen. Statt nun mit dem Tode des Widersachers zufrieden zu sein, ist Cäsar außer sich und spricht von einer schändlichen Tat. Cornelia wird beim Anblick des Kopfes ihres Mannes ohnmächtig. Dies passiert nicht immer, aber immer öfter in der Inszenierung. Ihr Sohn schwört Rache und eine der Seitenschübe öffnet sich und gibt einen Passbildautomaten frei. Der Sohn wird überhäuft von Bildern aus dem Automaten, als er beschließt, seinen Vater zu rächen. Nun kommt aber auch der eigentliche Böse auf die Bühne: Ptolemäus, der Bruder Cleopatras. In seinem blauen Batikanzug mit roten Socken und rotem Schlips krönt sein Haupt eine Afrofrisur. Als Erstes muss er nun einen Friedensvertrag mit Cäsar unterschreiben. Insgesamt ist er aber eher ein König Kallewirsch auf Speed, dem man jede Gemeinheit zutraut, auch die Ermordung Pompeos. Mit seinem durchdringenden Alt hat er die Gunst des Publikums schnell gewonnen. Um die etwas sterile Szenerie aufzumischen, werden von rechts in einer Luke immer wieder Paket angeliefert. Amazon scheint auch in den Container zu liefern, und zwar Blumen für Achillas, mit der er Cornelia den Hof macht oder auch die Asche des Pompeo, die seine Gattin über die Bühne verstreut, wenn es ihr Wachheitszustand gerade zulässt. Manchmal verbringt sie aber auch die Zeit in einem dieser Seitenschübe an einem Telefon, auf der Flucht vor Achillas. Der wirbt um die Frau des Pompeo. Über der Asche des Pompeo grübelt Cäsar über die Vergänglichkeit des Lebens. An der Urne holt er sich dabei blutige Hände. Cleopatra stellt sich dagegen als Lydia dem siegreichen Cäsar vor. In einem roten Kleid und eben einer solchen Afrofrisur wie ihr Bruder umgarnt sie Cäsar. Als sie beobachtet, wie Sextus sich an Ptolemäus rächen will, unterstützt sie ihn bei der Tat. Nach dem zweiten Akt ist Pause und Zeit für ein paar Zuschauer durch Buhrufe, ihr Missfallen kundzutun.
Nach der Pause im dritten Akt wird es noch mal richtig schwierig. Zur Eröffnung sieht man eine lange Szene im Dunkeln, bei denen die Darsteller mit Taschenlampen leuchten. Einem Zuschauer wird das zu viel und er klatscht. Gefühlt dauert dieser Anfang ewig, da man außer den Taschenlampen nichts sieht und auch keine Musik hört. Auf der Bühne herrscht ein ziemliches Durcheinander. Dass es sich hierbei um ein Waldstück in der Nähe von Alexandria handeln soll, erkennt man vielleicht an der Monstera deliciosa, die sich über den Beobachtungsspiegel rankt. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen Cäsar und Ptolemäus, bei dem Ptolemäus dem unterlegenen Cäsar ins Bein beißt. Blutend flüchtet der sich auf eine herausgefahrene Toilette. Seine Schwester fesselt Ptolemäus mit einem orangem Stromkabel. Auf einem Overheadprojektor schreibt Cäsar das Wort Krieg, das Ptolemäus zum Sieg ausbessert. Achillas wurde bei dem Kampf tödlich verwundet, unschwer an dem riesigen Blutfleck zu erkennen. Als Cäsar später in der Kabine mit dem WC von leisen Winden singt, hat er ein paar unfreiwillige Lacher auf seiner Seite. Nun hat Ptolemäus kurzzeitig Oberwasser und läuft mit grünen High Heels über die Bühne, aber es soll nicht mehr lange dauern, bis er unter einem Tisch liegend von Sextus ermordet wird. Während nun fünf Männer mit Krokodilmasken (Sobek?) den Pharao raus begleiten, kommen wieder andere in weißen Anzügen und reinigen den Tatort. Während noch einmal der Schlusschor aus den Boxen scheppert, kommen die Überwacher hinter der halbdurchsichtigen Glasscheibe hervor und machen ein Selfie mit einem roten Handy von Cäsar. Man hat es überstanden.
Hätte ich mich nicht so gut auf diese Oper vorbereitet, wäre es schwer gewesen, den etwas ausgefallenen Regieeinfällen zu folgen. Selbst ich war versucht, immer wieder einmal die Augen zuzumachen, um mich besser auf die Musik konzentrieren zu können. Die beiden Alti besonders Ptolemäus hatten mir es an diesem Abend angetan. Das Orchester ging sehr robust an das Werk heran, etwas mehr Nuancierungen hätte ich mir hier vielleicht gewünscht. Dennoch kam die Brillanz des Werkes zum Vorschein. Allerdings sind für meine Ohren 3 ½ Stunden Händel eine Herausforderung. Bei anderen Komponisten sind solche Längen kein Problem. Ich fand den Beifall für die Musiker gerechtfertigt, die Buhrufe für die Regie aber auch. Das Konzept in einer Art Überwachungsraum auf die Zeit und die Figuren von damals zurückzuschauen, erschloss sich mir zumindest nicht.
Quelle: YouTube | Theater Freiburg
Laura Scozzi hat wieder einmal eine frech, frivole Inszenierung im Staatstheater Nürnberg vorgelegt. Die Italienerin in Algier von Rossini war diesmal das Ziel ihrer Bearbeitung und herausgekommen ist in Kooperation mit Théâtre du Capitole Toulouse, wohl eine der heißesten Shows, die das Opernhaus je gezeigt hat, über die man natürlich geteilter Meinung sein kann. Die Bissigkeit, mit der hier die Regisseurin den Geschlechterkampf inszeniert, geht bis hart an die Schmerzgrenze und man hat die Kappeleien eines Paars natürlich schon in der Zauberflöte gesehen. Insofern wiederholt die Regie da einiges, aber diesmal sind die Einlagen des kämpfenden Paares heftiger. Schon im Vorspiel sieht man an eine Projektion, wie sich ein Paar Verletzungen zufügt. Das Tänzerpaar, das dies spielen darf, leistet vollen Körpereinsatz. Der Mund der jeweils ermordeten Leiche dient da schon mal als Aschenbecher, also zimperlich ist das Paar im Umgang miteinander sicher nicht. Eines ist klar: Der Geschlechterkampf in der Italienerin in Algier tobt bis an die Schmerzgrenze.
Danach sieht man in einem Drehbühnenaufsatz, was eigentlich auf der Bühne alles möglich ist. Dargestellt wird ein Luxusappartement in Algier, das die Gemächer des Beys von Algier sind. Der Pascha Mustafa vernascht die Frauen und steckt schon mal den ein oder anderen Schein ins Höschen der Frau. Nachdem Elvira bereits in der Ouvertüre den schwarzen Schlüpfer einer fremden Frau im Ehebett gefunden hat, ertränkt sie ihren Kummer im Alkohol, denn Mustafa hat kein Interesse mehr. Was in dem Moment ein lärmender Staubsauger auf der Bühne zu suchen hat, er ist halt da und saugt. Im Hintergrund macht Elvira auf einem Gymnastikball Übungen. Es muss eine Italienerin her und die abgelegte Ehefrau soll an den Sklaven Lindoro weitergeben werden. Mit drei Tänzerinnen versucht Mustafa, Lindoro von den Vorzügen der Ehe zu überzeugen, die bewegen sich in Dessous wunderbar synchron. Bei der Kavatine "Languir per una bella", in der sich Lindoro nach Isabella sehnt, packt der schon mal die Hula-Hoop Reifen aus. Eine schwierige Rossini-Arie wird dadurch sicher nicht leichter für den Darsteller Martin Platz. Die Korsaren des Beys haben inzwischen reiche Beute gemacht. Mit umgekehrten Vorzeichen landet eine Flüchtlingsgruppe Italiener mit großen Taschen in Algier. Die sollen Sklaven des Beys werden. Darunter ist auch Isabella, die Geliebte von Lindoro und Taddeo. Mit einer Tupperdose Kekse verführt Isabella die Korsaren. Taddeo gibt sich als Onkel von Isabella aus, sieht aber etwas aus wie Atze Schröder. Isabella und Taddeo landen in einer Art Notunterkunft mit Doppelstockbett. Bei den Neckereien zwischen Taddeo und Isabella wird diesem schon mal die Hose runtergezogen. Überhaupt verlieren die Darsteller bei diesem Stück relativ schnell ihre Bekleidung. Die Annäherung zwischen Mustafa und Isabella findet in einer Küche statt. Isabella bereitet in Splatter-Manier einen Hasen mit Karotten zu. Wird der Bey zu aufdringlich, bekommt der schon mal eine Ohrfeige. Dazwischen wird der Hase mit Blutspritzern zerlegt und gekocht. Man spielt mit den Karotten und die Küche wird zum Schlachtfeld der Geschlechter. Der Bey hat für die Italienerin Feuer gefangen und will sie unbedingt haben. Die finale Szene, bei der sich alle Beteiligen treffen, erreicht das Tempo der Musik einen ungeahnten Höhepunkt, bis alle nur noch Geräusche zur Musik machen. Lindoro entdeckt Isabella, der Bey versucht, seine Noch-Ehefrau zu vermitteln, es geht in einem Septett munter zur Sache, wobei das tanzende Ehepaar vom Anfang noch eins drauf setzt.
Der Bey ernennt inzwischen Taddeo zum Statthalter. Mustafa erscheint mit einer Gruppe Männer und einer richtigen Stripperin (Tanja Brunner). Die lässt wirklich alle Hüllen fallen. Als Gärtner betätigt sich inzwischen Lindoro und überlegt, wie er alles zum Guten wenden kann. Er schneidert aus einem Buchs einen kleinen Elefanten und setzt eine italienische Flagge drauf. Hecke schneiden und schwierige Arie singen: Wieder eine Herausforderung. Der Bey lädt sich bei Isabella im Gemach zum Kaffee ein. Das prächtige Gemach des Bey ist ein Badezimmer mit einer goldenen Badewanne. Mit einem glatzköpfigen Designer überlegt Isabella, wie sie wohl den Bey verführen könne. An jedem Kostüm hat Isabella etwas auszusetzen, zur Wahl stehen: Krankenschwester, Highschool-Mädchen, Stewardess, Lederpolizistin, Bunny, Zimmermädchen, Bauarbeiterin oder Catwoman. Ihre Wahl fällt auf das das Catwoman-Kostüme. In diesem Kostüm fesselt sie den Bey an ein rundes Bett. Mit der Peitsche besteht sich auch darauf, dass der Bey sich die Socken auszieht. Dann folgt ein Verwechslungsspiel, wo Isabella dem Bey die eigene Frau ins Bett legt. Nach einer weiteren Orgie mit sechs Tänzerinnen machen Lindoro und Isabella mit K.-o.-Tropfen kampfunfähig. Er liegt auf dem Marmortisch und muss zusehen, wie die italienischen Sklaven mit seinem Fingerabdruck sein Handy entsperren, an den Code für den Safe kommen und seinen Safe plündern. Lindoro redet dem Bey ein, dass es in Italien üblich sei, zum Pappataci ernannt zu werden. Erst dann wäre Isabella bereit, ihn zu empfangen. Während dieser Zeremonie flüchten aber die Sklaven, die mit Berlusconimasken verkleidet sind. Vorher bekommt der Bey noch einen Phallus von Isabella überreicht, die als Miss Italia 2048 erscheint. Der Bey bleibt im Morgenmantel zurück und kommt erst wieder zu sich, als seine Frau Elvira ihm sagt, dass die Sklaven geflohen sind. Reuevoll kehrt er zu seiner Frau zurück.
Das Stück ist und bleibt ein typisches Scozzi-Stück. Wer schon die Zauberflöte, Benvenuto Cellini, die Reise nach Reims oder Les Indes Galantes gesehen hat, erkennt unverkennbar ihre Regiehandschrift. Das ist für die Fans sicher schön, kann aber auch in der Wiederholung etwas langweilig werden. Bei der Premiere war das Echo zumindest geteilt. Bei der Aufführung, in der ich saß, war das Publikum aber einhellig der Meinung, dass die Ideen toll waren. Das beweist wieder mal: Sex sells, auch im Opernhaus. Etwas Probleme hatte die Staatsphilharmonie mit dem Rossini-üblichen Tempo der Parlandopassagen. Das wurde am Ende aber immer besser und kumuliert in dem rasanten Finale des ersten Akts. Aber Rossini gehen im zweiten Akt etwas die Ideen, vor allem musikalisch aus. Das Stück wurde halt schnell in einem Monat produziert, war aber 1813 der Durchbruch für Rossini im La Fenice in Venedig. Zudem hat Isabella (Ida Aldrian) als Rolle eine der ersten tragenden Mezzosporanrollen zu singen. Die Musik ist damals mit eine Banda Turca begleitet, die Sprechpassagen auf einem Hammerklavier.
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Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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Stellen wir uns vor, wir hätten eine Zeitmaschine, die uns am 07.01.2017 an den Punkt zurückbringen würde, an dem das Opernblog am 25.10.2008 gestartet ist. Zu einer Inszenierung, die damals der Auslöser war, mit dem Schreiben zu beginnen. Wie würde sie wohl nach den acht Jahren Erfahrungen mit Opern und Inszenierungen wohl wirken, diese Hector-Berlioz-Oper Benvenuto Cellini? Was würde ich wohl diesmal drüber schreiben? Nur so viel: Nach einem Umweg über Bonn ist diese Inszenierung von Laura Scozzi wieder in Nürnberg zu sehen gewesen. Die Begegnung mit der Vergangenheit war einfach wunderbar. Diese Inszenierung an der Oper in Nürnberg enthält so viele liebevolle Details, dass man auch noch nach acht Jahren ins Schwärmen kommt. Nun spielt die Oper ja eigentlich 1506; aber die Regie verteilt munter Kühlschränke, Fernseher, Klappsofas und Stehlampen in der Requisite.
Cellini ist ein unangepasster Künstler mit lyrischem, hohen Tenor, aber leichten Bauchansatz und Rastalocken, die er unter einer grauen Mütze sammelt. Auf einem olivenfarbenem Sweatshirt steht in Gelb sein Lebensmotto: Live fast and die young. Auch an den roten Sneakern ist er immer bestens zu erkennen. Cellini ist ein Bronzekünstler, der gegen Ende der Oper noch einen Auftrag des Papstes zu erfüllen hat. Durch ein Fenster kommt er zu einer Teresa, die im Schlafanzug auf einem Gitterbett mit rosa Zudecke auf ihn wartet. Ihr Vater, der Schatzmeister des Papstes Balducci hält die Tochter weg von der Welt, gefangen in ihrer Welt mit rosa Stehlampe, rotem Fernsehern und Postern von Hollywood-Filmgrößen. Ihren Kummer über die Gefangenschaft kompensiert sie mit einer Fressattacke auf Joghurt, das sie gleich zu Beginn genüsslich, während einer Arie löffelt. Die Leistung gleichzeitig zu essen und eine Koloratur zu singen, ist mir von damals noch im Gedächtnis geblieben. Sie ist einfach ein 17-jähriges Mädchen, das dem falschen Mann versprochen ist. Der Bildhauer Fieramosca versucht auch, seinen gelben Blumenstrauß an die Frau zu bringen. Scheitert aber letztendlich. Draußen vor dem Fenster tobt der Karneval in Rom. Cellini heckt mit ihr einen Fluchtplan aus, bei dem er sich als Abt verkleidet nähert und mit Teresa fliehen will. Beide Männer sind nun im Schlafzimmer. Während sie Fieramosca in den Schrank versteckt, überlegt sie beim Zähneputzen, wie sie die Situation ihrem Vater erklären will. Sie lenkt den Vater letztendlich ab, in dem sie sagt, es wäre ein Mann im Zimmer und die Aufmerksamkeit auf Fieramosca lenkt. Dieser wird nun von den Nachbarinnen als Wüstling beschimpft, umtanzt und schließlich aus der Wohnung geworfen. Cellini gelingt unterdessen die Flucht aus dem Zimmer.
Der zweite Akt beginnt im Dunkeln. Cellini denkt und singt über Teresa. Nach und nach füllt sich der Bühnenboden mit Doubles von Cellini, alle im gleichen Shirt und mit gleicher Mütze. Die bewegen sich auch noch synchron. Als sich der Boden der Taverne mit 17 Doppelgängern von Cellini gefüllt hat, ist klar: Das sind Cellinis Freunde und Schüler, die gekommen sind, mit ihm zu zechen. Es wird eine rote Säule zur Bar umfunktioniert, am rechten Ende sieht man eine Neonleuchte mit dem Begriff Bar. Es finden Trinkspiele statt und es wird lautstark gesungen, bis schließlich eine lange Rechnung mit Getränken fällig wird, die zu zahlen sind. Begleitet ist das wieder von einer wunderbaren Balletteinlage der Kellner, wobei auch schon mal ein Tablett zu Boden fällt. Die Rechnung soll schließlich mit dem Geld des Schatzmeisters Balducci bezahlt werden, an die aber wieder mal eine Bedingung geknüpft ist: Der Guss der Perseusstatue soll vollendet werden. Da der Geldgeber knausrig war, beschließt, man ihn auf den Colonna-Platz zu verhöhnen. Auch dies hört Fieramosca. In seiner Verzweiflung erklärt er nun seinem Freund Pompeo, was Cellini geplant hat. Dieser gibt ihm den Rat, ebenfalls als Abt zu erscheinen und den Plan zu durchkreuzen. In der Szene auf dem Colonna-Platz sieht man das Volk von Rom am Eingang zum Theater. Man muss sich erst einmal die Eintrittskarten abholen und stellt sich brav an. Gekleidet ist man als Volk mit neongelben Perücken, mit weißer Halskrause, aber ansonsten schwarz. Für die falsch-falschen Äbte gibt es aber keine Tickets, sodass sie mit einer Pistole die Kassiererin bedrohen. Die rückt dann doch noch zwei Karten raus. Scheinbar war es im 16. Jahrhundert auch schon schwierig an Theaterkarten zu kommen. Das Possenspiel gegen Balducci ist eine Castingshow, in der ein römischer Tenor gegen einen Konkurrenten auftritt. Aber auch hier kämpft man schon mit den Tücken der Technik und bimmelnden Handys beim Publikum. Beim römischen Tenor ist die Jury so gelangweilt, dass sie auf dem Buzzer einschläft. Entschieden wird das Casting letztendlich durch einen Schusswechsel, in dem auch die Mitjuroren außer Gefecht gesetzt werden. Es tauchen aber auch die richtigen falschen Äbte auf, nämlich Cellini mit Ascanio. Leicht sind die richtig-falschen Äbte von den falschen-falschen Äbten am Schuhwerk zu unterscheiden. So viel falsche Äbte, das kann nicht gut gehen und richtig. Pompeo wird im Tumult von Cellini erstochen. Als noch ein Kanonenschlag das Ende des Karnevals ankündigt, ist das Chaos perfekt. Man verhaftet Fieramosca und Cellini kann aus dem Tumult entkommen. Nach so vielen Äbten braucht es eine Pause.
Im dritten Akt ist es Cellini gelungen, im Schutz weißer Mönche zu fliehen, die zufällig am Colonna-Platz waren. Er hat zwar noch Blut an der Kutte, aber die Freude bei Teresa über das Wiedersehen ist groß. So inszeniert man kurzerhand einen One-Night-Stand auf einem blauen Klappsofa. Balducci tritt noch mal auf und verlang abermals, dass Teresa diesen heiraten soll. Nun erscheint aber noch eine weiße Glitzerausgabe des Papsts Clemens VII, gefolgt von drei, leicht anders orientierten Begleitern. Unter seiner Kopfbedeckung trägt der Papst aber einen Zopf und als Cellini seine Forderungen stellt, unter der die Perseus-Statue gegossen werden soll, zückt der ein weißes Handy und verlangt die Ordner. Die Forderungen sind: Straffreiheit für ihn, wegen des Mordes und die Hand von Teresa. Sollte die Perseusstatue an diesem Tag noch gegossen werden, geht alles klar, meint der Papst. In dem ganzen Gussstress wünscht sich Cellini nur noch weg in die Berge. Man sieht in Zeitlupentempo eine Traumsequenz von einem Hirten in den Bergen, der bei seinen Schafen Käse produziert. Aus dem Bühnenboden fährt eine Alpenhütte und nimmt Cellini wirklich weg. Nun kommt es aber zu Schwierigkeiten. Die Arbeiter streiken, das Metall reicht nicht. Die Begleiter des Papstes kommen mit weißen Nonnenhauben in das Gusswerk und prompt wenig später mit angebranntem Kopfschmuck wieder raus. Der Papst macht es sich unterdessen auf dem blauen Sofa gemütlich, raucht einen Joint und beackert den Kaffeeautomaten, der mit einer blinkenden Madonna einen Kaffee auswirft. Der Guss gelingt letztendlich, als alle Kunstwerke von Cellini in den Schmelztiegel fliegen. Am Ende findet die gewohnte Party statt, die Cellini auf einem Sockel stellt. Im Hintergrund sieht man ein Bild der Perseusstatue.
Auch nach acht Jahren ist die komische Oper von Laura Scozzi immer noch frisch. Genau wie damals habe ich mich an der hervorragenden Choreografiearbeit dieses Werks erfreut. Wie die Personen sich über die Bühne bewegen ist einfach ganz hervorragend. Auch die Vermischung der heutigen Zeit mit dem 16. Jahrhundert ist sehr komisch. Die Joghurt-Arie bleibt einem da hängen oder die Szene mit dem Papst am Kaffeeautomaten. Teresa von Hrachuhí Bassénz stellt eine überzeugende 17-jährige Teenagerin dar. Mirko Roschkowski stellt den Kunstrebellen Cellini etwas ironisch dar, während Guido Johannes Rumstadt durch das pathetische Werk von Hector Berlioz führt. Da es Berlioz mit der Historie nicht so genau nahm, warum sollte die Regie es dann tun? Das alles ist wirklich sehr unterhaltsam. Meine Begeisterung von damals hält auch der heutigen Sicht noch Stand.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Die Staatsoper im Schillertheater zeigt in dieser Spielzeit wieder Puccinis ‚La Bohème‘. Jetzt hat diese Inszenierung von Lindy Hume aus dem Jahr 2001 schon ein gewisses Alter, dennoch ist auch die 62. Aufführung dieses Werks sehenswert. Dies liegt vor allem daran, dass man sich mit einer aufwendigen Inszenierung ziemlich nach am Textbuch gehalten hat. Außerdem gab Aleksandra Kurzak ihr Rollendebüt als Mimi. Auch mit Abdellah Lasri als Rodolfo hat man eine gute Wahl getroffen. Alternierend singt die Rolle auch Piotr Beczala.
Auf dem Bühnenvorhang sieht man Eiskristalle. Ohne Ouvertüre geht es gleich los mit der Handlung. Auf einem Lehnsessel sitzt ein gealterter Rudolfo und lässt so die Geschehnisse seiner Jugend um die Näherin Mimi noch einmal Revue passieren. Ein verkanteter Würfel grenzt den Raum ab, in dem die Studenten-WG lebt. Sie besteht aus Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline. Rechts steht ein großes Gemälde und Marcello der Maler, versucht sich an dem Auszug Mose aus Ägypten. In der Mitte im Hintergrund steht eine alte Schaufensterpuppe. Da es an diesem Winterabend kalt ist und man kein Holz hat, verheizt man in dem Gusseisenofen das Werk von Rodolfo. Aber die Not scheint ein Ende zu haben, als Schaunard, der Musiker in das Zimmer kommt. Er hat einen Auftrag erhalten und Essen mitgebracht und Holz. Getrübt wird die Stimmung erst, als Benoît der Vermieter die Miete für das letzte Quartal eintreiben will. Als sie ihn mit Wein den Vermieter zum Reden bringen und er mit Frauen prahlt, spielen sie sich entsetzt auf, wie er nur seine Frau betrügen könne. Damit haben sie ihn in der Hand und er geht, ohne die Miete zu bekommen. Fröhlich gehen die Studenten ins Café Momus. Dann kommt die Nachbarin Mimi in die Wohnung auf der Suche nach Feuer für die Kerze. Sie erleidet einen Schwächeanfall und verliert den Schlüssel. Die nun folgende Szene enthält gleich drei bekannte Stücke (Che gelida manina, Sì. Mi chiamano Mimì, O soave fanciulla). Man kommt sich näher im Dunkeln. Als die Freunde rufen, öffnet sich die Bühne. Die Seitenwände werden weggefahren und das Podest mit dem Boden und Rodolfo und Mimi fährt zur Seite. Als es dann zum Schluss des Bildes auch noch schneit, ist der Winterzauber perfekt.
Das zweite Bild beginnt mit vielen Leuten auf der Bühne und mit einer Weihnachtslichterkette. Zu Walzerklängen sieht man ein Standardtänzerpaar tanzen. Es sind sehr viele Leute auf der Bühne und es hat sich auch ein Weihnachtsmann drunter gemischt. Aber halt, der Spielzeugverkäufer Parpignol ist eine sehr graue Erscheinung mit seinem Fahrrad voller Spielzeug. Rodolfo kauft seiner Mimi einen rosa Haarreif. Man befindet sich vor dem Café Momus, das mit einer Leuchtwand und mit einem großem „M“ dargestellt wird. Links am Bühnenrand stellt nun Rodolfo Mimi seinen Freunden vor. Im roten Licht der Bar sieht man eine grüne Leuchtgirlande in Form des Wortes Momus. Davor gibt es eine Treppe zur Bar. Eine etwas schrille Musetta in einem lila Abendkleid hat nun ihre Auftrittsarie mit Quando m’en vò. Dabei versucht sie ihr ehemaliger Geliebter Marcello eifersüchtig zu machen, indem er mit einer anderen Frau relativ brutal tanzt. Marcello kann aber Musetta nicht widerstehen. Ihren älteren Liebhaber schickt sie unter einem Vorwand zum Schuster. Der Flirt mit Marcello hat gewirkt, jetzt bleibt nur noch, dass ihr Liebhaber die offene Rechnung zahlt.
Das dritte Bild gibt etwas Rätsel auf. Auf den Bühnenvorhang werden Regentropfen projiziert. Auf einer Uhr sieht man, dass es sieben Minuten vor zwölf ist. Von dem Gasthaus nahe einer Zollschranke vor der Stadt lässt die Inszenierung nur die Uhr, ein paar Parkbänke und einen Mülleimer übrig. Mimi und Rodolfo haben sich getrennt. Sie sucht Rat bei Marcello. Rodolfo hat Mimi aus Eifersucht verlassen. Ihm ist der Husten zudem nicht geheuer und er könne ihr nicht helfen, wegen seiner Armut. Die Gründe für die Trennung hört Mimi mit und verrät sich durch ihren Husten. Man beschließt sich erneut zu trennen, aber erst im Frühling. Musetta und Marcello indes haben aber wieder Streit und trennen sich erneut.
Für das vierte Bühnenbild erfolgt ein langwieriger Umbau. Man sieht die Rückseite eines Gebäudes. Marcello malt die Wand an. Auf einer schiefen Ebene steht ein Bett. Die Junggesellen haben wieder Hunger und es gibt nur Heringe zu essen. Dann dreht sich die Bühne und man sieht wieder das kahle Zimmer. An den Wänden sind rote Schmierereien und zwar die Worte „Vipère“ und „Sorcière“, die Marcello in Eifersucht auf Musetta angebracht hat. Es kommt die geschwächte Mimi herein. Man beschließt, ihr zu helfen. Musetta versetzt ihre Ohrringe, um ihr den Wunsch nach einem Muff für ihre kalten Hände zu erfüllen. Auch der Mantel wird versetzt und es gibt dafür Arznei. Dennoch kommt für Mimi jede Hilfe zu spät. Sie stirbt im Sessel, als Rodolfo gerade abgelenkt ist. Die Mimi-Rufe von Rodolfo gehen mir dabei jedes Mal unter die Haut.
Die Bohème ist wohl eine der meist gespieltesten Opern überhaupt. Es gibt unzählige Einspielungen. Die Inszenierung in Berlin punktet dabei mit einer ziemlich getreuen Umsetzung, weit ab von schrägen Regieeinfällen. Auch die Sänger können überzeugen, sodass man einen Besuch dort ohne Einschränkung empfehlen kann. So gab es zum Schluss reichlich Applaus für diese Wiederaufnahme am Schillertheater.