Rigoletto als Gruselshow am See
Wer hätte sich das im Januar im finstersten Lockdown erträumen können. Im August 6840 Leute auf der Seebühne in Bregenz? Man muss schon total verrückt sein, daran zu glauben, dass das gut geht. Und richtig: Es ging gut, wir waren am 14. August in einer vollbesetzen Arena am Bodensee und durften den Rigoletto auf der Seebühne in Bregenz sehen. Schon vor dem Start der eigentlichen Aufführung beeindruckt ein 14 Meter hohes Clownsgesicht mit zwei Händen. Dahinter steckt eine unglaubliche Maschinerie von Motoren, die nach Anbruch der Dunkelheit um 21 Uhr dem Gesicht ein geisterhaftes Leben einhaucht. Das Bühnenbild von Philipp Stölzl ist das technisch ausgefeilteste Bühnenbild, das ich bisher dort gesehen habe. Schon vor der Aufführung atmet und zischt das riesige Gesicht. Kurz vorher ziehen die Artisten durch die Stuhlreihen und verbreiten Zirkus-Atmosphäre. Oben am Kopf begrüßt ein Artist das Publikum und fordert auf, nochmal Bilder zu machen und anschließend die Handys in den See zu werfen, was natürlich keiner macht. Man ist angehalten, die Telefone auszuschalten, da sie die Tontechnik stören könnten. Wie immer spielt das Orchester im Festspielhaus und die Sänger werden mit Mikrofonen dazu gemischt. Inzwischen hat man die Tonanlage noch aufgerüstet, sodass das Hörerlebnis noch plastischer wird. Der Ton wandert inzwischen mit den Schauspielern über die Bühne.
Beim Start der Oper schwebt ein Rigoletto-Double von rechts mit einem Ballon herein und stürzt während der Ouvertüre in den See. Die rechte Hand der Bühnenfigur ist beweglich, während die linke Hand einen Heliumballon hält. Zu Beginn kommen die Artisten auf die Bühne, die Höflinge sind also im Zirkus-Milieu angesiedelt. Marullo, der Anführer der Höflinge, sieht aus wie ein Klaus Nomi-Verschnitt. Der Herzog von Mantua trohnt als Zirkusdirektor in dem Clownsgesicht. Bei der Arie Questa o quella setzt Marullo Zahnseide ein, um die Zähne des Clownsgesichts zu reinigen. Der Herzog hat die Gräfin Ceprano zu sich eingeladen, sobald er ihrer überdrüssig ist, versenkt er sie durch seine Helfer, vier Darsteller mit Gorillagesicht in den See. Es tritt Monterone auf, dessen Tochter vom Grafen verführt worden ist. Rigoletto macht sich über dessen Not lustig, worauf Monterone Rigoletto und den Grafen verflucht. Die Affen erledigen Monterone und versenken ihn etwas später im See. Beim Fluch zersplittert aber die Bühne. Der runde Manegenkreis zerfällt in die Einzelteile. Es tritt mit einem Skelett auf dem Gewand Sparafucile auf, ein Auftragsmörder aus Burgund. Der bietet Rigoletto seine Dienste an, worauf dieser vorerst ablehnt. Rigoletto sinniert jetzt noch über den Fluch Monterones, während die Affen die Leiche verpackt in den See werfen. In der rechten Hand der Bühnenfigur lebt nämlich seine Tochter Gilda, die für ihn sein Leben ist. Sie schaukelt an einem Mittelfinger und hat den Auftrag, außer in die Kirche zu gehen, das Haus zu hüten. Dummerweise hat sie aber genau in der Kirche Kontakt zum Herzog bekommen, der sich ihr gegenüber als Student ausgibt. In Begleitung der vier Gorillas besucht der Herzog nun Gilda, nachdem Rigoletto panisch verschwunden ist, denn er fürchtet, dass ihm jemand gefolgt sein könnte. Als Gilda nun den Namen erfährt, singt sie eine sehr poetisch anmutende Arie Gualtier Maldè! Denn das war der Namen, den der Herzog ihr gegenüber genannt hat. Sie fährt mit dem Fesselballon in den Abendhimmel und zerpflückt während ihrer Arie einen Strauß roter Rosen, den sie vom Herzog bekommen hat. Die Höflinge setzen nun Rigoletto eine Eselsmaske auf und sagen, dass sie die Gräfin Ceprano entführen wollen. So blind landet Rigoletto vor seinem eigenen Haus. Die Höflinge meinen, Rigolettos Freundin zu entführen. Ein Artist entert dabei den Ballon und seilt Gilda am Rücken liegend ab in das Clownsgesicht. Also Rigoletto nun die Schreie seiner Tochter hört, ist ihm klar, was passiert ist. Er führt das auf den Fluch Monterones zurück. Das Bühnenbild leuchte am Ende grün.
Nahtlos geht es in den zweiten Akt über. Langsam zerfällt das Clownsgesicht. Die Augen fallen als übergroße Bälle raus in den See. Der Herzog tobt über die Entführung Gildas. Die Höflinge bringen nun Gilda heran. Rigoletto irrt verloren mit einer kleinen Kopie des Fesselballons über die Bühne. Schließlich verliert das Clownsgesicht auch noch die Nase, als Rigoletto zugeben muss, dass die entführte Person seine Tochter ist. Marullo durchschneidet mit einer großen Schere das Band für den Ballon, der sich damit auf in den Himmel macht. Es kommt zu einer Aussprache zwischen Gilda und Rigoletto. Gilda gesteht ihre Liebe. Die Aussprache der beiden ist wieder auf der rechten Hand der Bühnenfigur. Inzwischen verliert das Bühnengesicht auch noch die Zähne. Monterone erscheint nochmals als Geist im Bühnengesicht und beklagt, dass sein Fluch sich nicht gegen den Herzog gerichtet hat. An den Höflingen nimmt Rigoletto jetzt mit übergroßen Händen Rache und wehrt sich heftig.
Rigoletto führt nun Gilda zu Sparafuciles Haus. Dort macht der Herzog inzwischen Maddalena, Sparafuciles Schwester, den Hof. Das Haus von Sparafucile ist als Lasterhöhle mit lauter missgestalteten Frauen dargestellt. Maddalena dient zudem auf einer Messerwerferscheibe als Ziel für den Herzog. Rigoletto will nun 20 Scudi geben, wenn Sparafucile den Herzog umbringt. Diesen Plan durchkreuzt nun seine Schwester. Der Herzog singt oben am Kopf der Bühnenfigur in einer Hängematte sein La donna è mobile , die bekannteste Nummer aus der Oper. Dabei hängen vier Artistinnen an den Fingern der rechten Hand der Bühnenfigur. Inzwischen setzt ein Gewitter ein. Aus den Augen der Bühnenfigur und er der Hand schüttet es. Zudem hatten wir an dem Tag Wetterleuchten. Sparafucile beschließt, den Ersten zu töten, der an die Tür klopft. Das ist dann Gilda. Im Stroboskop-Gewitter bringt Sparafucile Gilda um und verpackt sie in einen Sack. Rigoletto zahlt den Rest der Prämie und will sich nun vergewissern, dass der Herzog wirklich tot ist. Nur singt der weiter von dem Kopf der Bühnenfigur runter. Rigoletto erkennt, dass er getäuscht worden ist und öffnet den Leichensack, in dem seine Tochter ist. Zur Schlussarie steigt noch mal der Fesselballon auf und Gilda entgleitet gegen den Himmel. Rigoletto erkennt nun, dass sich Monterones Fluch an ihm erfüllt hat.
Schon allein das aufwendige Bühnenbild war die Fahrt nach Bregenz wert. Die Seebühne hat wirklich in Sachen Ton noch mal aufgerüstet, was man deutlich hört. Es war faszinierend, wie viel Ausdruck diese animierte Bühnenfigur dem Geschehen verleiht. Das Gesicht kann träumerisch, besorgt, grimmig dreinsehen. Mit der Krantechnik im Hintergrund hat es einen großen Schwenkbereich und schwebt teilweise wie von Geisterhand über den See. Auch dass die Bühnenfigur mit fortschreitender Handlung immer mehr zerfällt und am Schluss einem Totenkopf gleicht, ist ein guter Kniff. Die Aufführung war jedenfalls wieder einmal die Fahrt nach Bregenz wert und wir hatten Glück mit dem Wetter. Wann hat man noch 22 Grad zum Ende der Vorstellung. Die musikalische Leitung an diesem Abend hatte Daniel Cohen, der mit einem zügigem Tempo durch die Oper führte. Hila Fahima als Gilda musste ihre Arien in schwindelerregender Höhe hoch über dem See singen. Ovidiu Purcel als Herzog von Mantua war am Anfang noch leicht verhalten, steigerte sich aber gegen Ende zusehends. Meines achtens hat er die schwierigste Partie in diesem Stück mit vielen hohen C's zu singen. Zudem sang auch er in einer Hängematte hoch über dem See am Kopf der Bühnenfigur. Daniel Luis de Vicente lieferte einen getriebenen Rigoletto, der immer mehr ins Unglück schlittert. Auch wenn aufgrund des Bühnenbilds die eigentliche Oper in den Hintergrund rückt, war es eine sehr gute sängerische Gesamtleistung, die den Abend abrundete.
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