Der Fliegende Holländer in Bayreuth
Für einen Fliegenden Holländer war ich in Bayreuth zu Besuch. Schon allein Karten für Bayreuth in diesen Zeiten zu bekommen ist ein Privileg, durfte doch nur jeder zweite Sitzplatz im Theater besetzt werden. Entsprechend hoch ging es im Vorverkauf zu und die wenigen Karten waren ausverkauft. Zudem gab es eine Premiere, denn mit Oksana Lyniv stand die erste Frau überhaupt im Graben in Bayreuth und durfte sich mit den akustischen Gegebenheiten vor Ort auseinandersetzen. Das gelang Ihr aus meiner Sicht zufriedenstellend, Chöre und Orchester waren in heiklen Massenszenen immer gut beisammen. Dennoch blieben die dunklen Abgründe, die der Holländer auch hat, unbeleuchtet. Dafür waren die mitreißenden Dur-Zugnummern des Holländers umso überzeugender. Während ich in der Ouvertüre noch dachte, das wird ein toller Abend, trübte sich für mich das Bild zusehends ein, sodass mich dieser Holländer nicht so berührt hat, wie es normalerweise der Fall ist. Vielleicht lag es auch an der Regie, die aus dem Holländer mit viel Freiheit eine „Liverpool in the 70ties“-Crimestory gemacht hat.
In einer Traumsequenz hinter weißer Gaze sieht man, wie Daland ein Verhältnis mit der Mutter des Holländers hat. Diese wird von Daland verstoßen und von den Dorfbewohnern wegen des Verhältnisses ausgestoßen. Mary, die eigentlich Sentas Amme ist, fungiert hier als Ehefrau-Ersatz für Daland. Verzweifelt erhängt sich die Mutter des Holländers. Der Holländer selbst sieht dies alles Kind. Er kehrt nun später zurück und übt Rache an den Dorfbewohnern und an Daland. Die Begegnung von Daland mit dem Holländer findet nun nicht auf zwei Schiffen in einer Bucht vor Sandwyke statt, sondern in einer Hafenbar. An zwei Tischen sitzen die Mannschaften der Schiffe. In der Bar gibt es interessanterweise kein WLAN. Die großen Seemannschöre kommen leider pandemiebedingt aus den Lautsprechern, zwar live, dennoch anders als sonst. Vier große Bühnenelemente werden nach der Begegnung von Daland mit dem Holländer verschoben und geben den Blick auf einen Vorplatz frei. Respekt mit wie viel Präzision diese Elemente immer wieder zwischen den vier Straßenlaternen verschoben werden. Die Spinnstube ist ein Vorplatz, wo die Seemannsfrauen mit Notenblättern auf Stühlen sitzen und auf die Heimkehr der Seemänner warten. Das erinnert mehr an eine Gesangsstunde. Dann tritt Dalands Tochter Senta Türe knallend auf die Bühne. Sie benimmt sich wie ein trotziges Mädchen, was Asmik Grigorian stimmlich und darstellerisch sehr überzeugend verkörpert. Von Anfang an dominiert ihrer Stimme über den etwas ausgedünnten Chor. Immerhin hat man das Bild vom Holländer bei Senta gelassen und ihre große Arie ist wirklich eines der Highlights im Holländer. Ihr Verlobter Erik ist eher als Fischer mit Gummistiefeln, als ein Jäger zu erkennen. Mit viel Bühnenpräsenz und einer unglaublich tollen Stimme verschafft Eric Cutler dem Erik einen echten männlichen Charakter zu verleihen. Klar hat die Stimme etwas Vibrato, dennoch macht er aus der etwas weinerlichen Rolle des Erik ganz neue Züge. Die Arie ‚Auf hohem Felsen‘ ist ein echter Genuss. Dennoch kann er das Unheil nicht abwenden, dass mit dem Auftritt des Holländers seinen Lauf nimmt. Es kommt zu einer Begegnung von Senta mit dem Holländer im Wintergarten des Hauses von Dalands. Dort deckt Mary einen Tisch mit Kerzen und weißer Tischdecke. Der Holländer und Senta sitzt sich gegenüber. Am Tisch sitzen Daland und Mary teilweise stumm und beobachten, ob die eingefädelte Beziehung zwischen den beiden funktioniert. Für Gold und Geld hat Daland seine Tochter dem Holländer versprochen. Damit so richtig Stimmung aufkommt, macht Daland eine Flasche Wein auf. Mary verhält sich dabei immer noch etwas wie Dalands Frau. Aber schließlich funktioniert es, Senta vergisst Erik und lässt sich auf den Holländer ein. Es wechselt wieder das Bühnenbild und man ist auf einem Vorplatz, wo die Bevölkerung die Heimkehr der Seeleute feiert. Das sieht etwas aus wie ein großes Picknick. Im Übermut und nach ein paar Kästen Bier fangen die Bewohner an, das zweite Schiff mit den untoten Seemännern des Holländers an, zu provozieren. Die Geistermannschaft sitzt in blauen Kostümen am Tisch, der Ton dazu kommt aus den Lautsprechern. Schließlich nimmt der Holländer Rache und ballert mit einer Pistole wahllos in die Menge. Die Dorfbewohner verschwinden. In dem Chaos tritt jetzt Erik auf und versucht Senta nochmal umzustimmen. Er erinnert Senta nochmal an den Treueschwur für ihn. Diese will aber nichts wissen davon und ohrfeigt ihn. Der Holländer gibt nun seine Motive zu erkennen und wird mit einem Gewehr von Mary erschossen. Senta lacht dabei im Wahnsinn laut auf, während das Dorf in den Fenstern brennt.
Wenn was in Erinnerung bleibt von dem Holländer, sind es vor allem die Sänger und die wie immer einmalige Akustik des Hauses. Ein textverständlicher Zeppenfeld, der aus dem Daland eine tolle Rolle erarbeitet, eine Senta, die über alles erhaben dominiert und ein Erik, der seine Rolle so ganz anders interpretiert. Mit Dimitri Tcherniakovs Deutung war ich nicht einverstanden, denn mir wurde da zu viel umgedeutet und umgedichtet. Vielleicht gingen auch da die düsteren Momente verloren. Für die Dirigentin Oksana Lyniv gab es dennoch viel Applaus zum Schluss.
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