Xerxes – Hellespont is a halfpipe
Seit 1995 stand schon keine Händel-Oper mehr am Programm des Staatstheaters. Zusammen mit der französischen Künstlergruppe le lab hat man den Xerxes vom Hellespont an den Nürnberger Kornmarkt verlegt. Die Künstlergruppe verknüpft historische Werke mit der Stadt, in der sie aufgeführt werden. In Nürnberg waren es die Skater am Kornmarkt, die es ihnen angetan hatten. Jetzt mag man zunächst keinen Bezug zwischen Skatern und der Hochkultur des Staatstheaters sehen. Xerxes selbst ist auch bei Händels Vorlage nur ein Ankerpunkt und hat mit dem historischen Xerxes wenig zu tun. Allerdings greift der Komponist zwei Anekdoten aus Xerxes Leben auf. So soll er sich in eine Platane verliebt, diese geschmückt haben und mit Wächtern bewacht. Die zweite Anekdote ist, dass er das Meer auspeitschen ließ mit 300 Soldaten, da es seine Penton-Brücke über den Hellespont zerstört hat. Irgendwann in der Inszenierung, als in der zweiten Hälfte Tücher über die Halfpipe gespannt sind, dämmert es einem. Die Halfpipe ist in Wahrheit der stilisierte Hellespont, also die Meerenge zwischen Griechenland und der Türkei, mit türkischer und griechischer Flagge, an der die Oper eigentlich spielt. In dieser Halfpipe tummeln sich drei Skater vom Kornmarkt und zeigen ihre Tricks.
Jetzt hat man mit der Oper das Problem, dass der eigentliche Hit, das ‚Ombra mai fù‘ gleich am Anfang des ersten Aktes kommt. Dieses wohl, als Händels Largo, bekannteste Stück der Oper ist eigentlich ein Larghetto und wird in der Oper schneller gesungen. Es kommt hier auch als Ode an ein Stück Holz auf die Bühne. Besungen wird von Xerxes statt einer Platane aber ein Skateboard. Dann nimmt eine ziemlich verwickelte Handlung Fahrt auf, die an eine Vorform von ‚Così fan tutte‘ erinnert. Es geht in der Oper fast drei lange Stunden darum, wer wen liebt oder auch nicht. Als nicht Händel-affiner ist man da oft geneigt, auf die Uhr zu sehen. Auch wenn auf hervorragendem Niveau musiziert wird, es bleiben doch lange Barock-Da-Capo-Arien.
Xerxes liebt zuerst die Platane, dann die Stimme von Romilda, dann Romilda selbst. Diese wiederum ist die Geliebte seines Bruders Arsamene. Arsamene ist ein blonder Countertenor mit gelben Strümpfen, grüner Jogginghose und Sandalen. Dazu trägt er eine himmelblaue Jacke. Es gibt aber noch Atalanta, die ebenfalls Arsamene liebt und darauf baut, dass Xerxes endlich Romilda bekommt. Atalanta und Romilda sind die ungleichen Schwestern. Während die eine rothaarig mit Sonnenbrille und türkiser Jogginghose mit ‚R‘ daherkommt, hat die Zweite Hotpants an und eine Schirmmütze auf. Atalantas Auftritt wird von einer Selfie-Einlage mit den Skatern eröffnet. Zwischen den beiden Schwestern bricht ein wahrhafter Zickenkrieg aus, wutentbrannt legen die ihre Roller gegeneinander und singen sich heftig an. Atalanta behauptet nämlich Arsamene hätte eine neue Geliebte.
Im zweiten Akt bringt der Diener Elviro noch mehr Verwirrung in die Szene. Der eigentlich angetrauten Amastre erzählt er von der geplanten Hochzeit zwischen Xerxes und Romilda. Er soll einen Brief in Form einer langen Karte übergeben, der eigentlich von Arsamene ist und von der Liebe zu Romilda zeugt. Atalanta behauptet Romilda hätte sich wirklich in Xerxes verliebt und als Xerxes den Brief findet, sagt Atalanta einfach, der wäre an sie gegangen.
Nach der Pause sieht man Tücher über die Halfpipe gespannt. Das ist also die Szene am Hellespont. Richtig erklären tut sich eigentlich erst jetzt, was das mit der Halfpipe soll, nämlich als Elviro vom kalten Wasser singt und den Fuß in die Halfpipe hängt. Die gespannten Tücher symbolisieren die Penton-Brücke, mit der der Hellespont überquert wird. Es folgt wieder einer dieser Videoeinspielungen vom Kornmarkt mit den Skatern. Darin geht es um Skater und Romantik.
Im dritten Akt nun nimmt nun endlich etwas Fahrt auf, als Ariodate sich in die Verwirrrungen eingreift und Xerxes die Einheirat seiner Tochter Romilda in Xerxes Familie verspricht. Dabei bringt Ariodate in Wirklichkeit Romilda und Arsamene zusammen. Als Xerxes nun dies erfährt, tobt er vor Wut. Dabei wechselt er häufig zwischen Sprechstimme und Singstimme, was der Entrüstung noch mehr Nachdruck verleiht. Er besteht darauf, dass der Liebesverrat von Romilda an ihm durch seinen Bruder gerächt werden soll. Jetzt fragt Armastre nach, ob es Xerxes mit der Forderung wirklich ernst ist. Eigentlich hätte Xerxes ja sie betrogen. In einem großen Finale finden dann Romilda/Arsamene und Xerxes/Amastre zueinander.
Von der Kostümierung haben die meisten Sänger Streetwear und Jogginghosen an, wobei ich nicht so weit gehen würde, dass diese Menschen die Kontrolle über ihr Leben verloren hätten, wie Karl Lagerfeld zu sagen pflegt. Im Gewusel der Beziehungen fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten, wer jetzt wen liebt und wen gerade nicht. Eine Grafik im Programmheft soll dies veranschaulichen. Was die Oper meiner Meinung nach eindeutig rettet, sind die Inszenierungseinfälle. Le lab hat hier wirklich eine interessante Arbeit abgeliefert und ich finde auch, man darf Händel durchaus so auf die Bühnen bringen. Im Fieber der Hormone ist die Handlung zeitlos und nicht fix an 453 v. Chr. zu verorten. Ob man an langen Händelarien über drei Stunden gefallen findet, ist Geschmackssache. Die Handlung zwischen den einzelnen Arien ist doch recht übersichtlich. So vermutet man ein frühes Libretto im 17. Jhd oder Händel selbst als Librettist. Zvi Emanuel-Marial ist für einen Countertenor relativ durchschlagsstark, auch Andromahi Raptis als Atalanta weiß zu gefallen. Im Orchester sitzt ein ungewohnter Mix aus alten und neuen Instrumenten, einigen Lauten und Schlagwerk inbegriffen. Die Klänge erinnern noch etwas an die vergangene Renaissanceepoche, es gibt aber durchaus Verweise in die modernere Musik. Durch Videoeinspielungen mit O-Ton vom Kornmarkt wird die Inszenierung aufgelockert. Ob man das eher überheblich sieht, oder eher ungewollt komisch, ist auch wieder Geschmackssache. Die Sänger tragen jedenfalls ihr Skateboard mit Stolz über die Bühne und bilden sogar damit ein Spalier als Arsamene und Romilda ein Paar sind. Mit Trick-Bikes und Skateboards gibt es immer wieder Einlagen zu instrumentalen Zwischenstücken.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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Quelle: Soundcloud | Staatstheater Nürnberg
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