Der zahme Meistersinger
Die Meistersinger in Nürnberg gab es ja schon im Internet auf Arte und in einem Public Viewing zu sehen. Wenn man die Inszenierung auf diese Weise schon gesehen hat, lohnt sich der Gang ins Opernhaus dennoch. Zum einen spielt das Orchester unter Markus Bosch in der Ouvertüre schon prächtig auf. Die Vorabendszene zum Johannistag in der Kirche ist ergreifend. Das erste Zusammentreffen von Stolzing und Eva ist sehr überzeugend umgesetzt. Das Bühnenbild könnte von Roy Lichtenstein entworfen sein, überall gibt es die typischen Rasterpunkte. In den Kirchenraum schaut man quasi von der Seite, das Hintergrundmotiv der Kirchenausmalung wird durch Verblendungen unterbrochen. Eva ist etwas schusselig und vergisst immer wieder das ein oder andere im Kirchenraum, lässt sich aber dennoch die Aussage abringen, dass sie eigentlich noch nicht vergeben ist, aber als Preis dem Meistersinger auf dem Sangesfest versprochen ist. So lässt sich also Stolzing von dem Gesellen David in der Kunst des Verseschmiedens unterrichten. Sixtus Beckmesser gespielt von Jochen Kupfer, glaubt schon der sichere Sieger des Sangeswettbewerbs zu sein. Er überwacht beim Singen die Regeln. Sieben Fehler dürfen es nur sein, die er auf einer Schiefertafel notiert. In einem Stuhlkreis nehmen die Vertreter der Stände Platz und wollen dem Ritter Stolzing die Aufnahme in den Meisterkreis gewähren. Die ganze Erklärung, wo er das Singen gelernt hat, gerät in wagnerscher Manier, breit und lässt sich dank der Übertitel aber gut verfolgen. Hier ist die Oper sehr textlastig und bekommt etwas mehr Spannung, als es dann wirklich zum Vortrag von Stolzing kommt. Beckmesser notiert mit seiner Kreide mindestens 40 Fehler im Gesang von Stolzing, weil er nicht nach den Regeln war. Einzig Hans Sachs, der Schuster schlägt sich auf die Seite von Stolzing. Im Tumult geht der Vortrag von Stolzing über die Liebe aber unter.
Im zweiten Akt sitzt Sachs in seiner Wohnung und richtet die Schuhe für Sixtus Beckmesser. Hier blitzt dann schon die Komödie etwas durch. David Mouchtar-Samorai inszeniert hier sehr klassisch, was in dem Livestream nicht so rüber kommt. Er denkt über den Vortrag von Beckmesser in einer ganz blau beleuchteten Bühne nach, die mit vielen beweglichen Metallelementen ausgestattet ist. Sachs findet sich als Witwer zu alt für Eva, gönnte aber auch Beckmesser den Preis beim Sangeswettbewerb nicht. Beckmesser will als Probe auf den nächsten Tag, sein Lied schon mal Eva vortragen. Eva plant inzwischen mit Stolzing zu fliehen, was aber Sachs auch verhindern will. Beckmesser tritt mit einer leicht verstimmten Laute an und gibt sein Lied zu besten. Sachs ist aber genervt und hämmert mit seinen Leisten immer gegen den Rhythmus von Beckmesser und bringt ihn so gänzlich aus dem Takt. Den Vortrag hält Beckmesser aber nicht Eva, sondern Evas Amme Magdalene. Es kommt zur bekannten Prügelfuge, bei dem das Volk raufend in weißen Feinripp erscheint. In dem Tumult gelingt es aber Sachs, die Flucht von Stolzing und Eva zu verhindern.
Im dritten Akt grübelt Hans Sachs über einem Buch mit deutscher Geschichte über den Wahn der Welt nach. Er steht an seinem Pult und sinniert; Stolzing tritt auf und erzählt ihm von seinem Morgentraum. Im Morgenmantel komponieren Sachs und Stolzing das Siegerlied für den Sängerwettstreit. Die Kaffeetasse darf bei Sachs nicht fehlen. Er ist mit dem Text schon zufrieden, findet allerdings, dass Stolzing mit der Melodie etwas zu freizügig ist. Raufend und rangelnd verlässt dann Stolzing die Szenerie. Es folgt im dann Beckmesser, der sehr lädiert die Nacht überstanden hat. Beckmesser findet das Liebesgedicht von Sachs und Stolzing und beschuldigt Sachs, selbst um Eva werben zu wollen. Sachs schenkt Beckmesser das unvollendete Lied. Auch sonst ist Beckmesser äußerst neugierig uns stöbert bei Sachs etwas in der Wohnung und findet dabei ein Kästchen mit Symbolen der Weltreligionen. Dieses macht er kopfschüttelnd wieder zu. Eva tritt nun auf und bittet Sachs doch, dass sie die Richtige für ihn sei. Es erscheint wieder Stolzing und vollendet sein Lied mit einer spontanen dritten Strophe. Quasi vor einem Vorhang singen Sachs, Eva, Stolzing, David und dessen Braut Magdalene ein Quintett als Nummer.
Zu Beginn der Festwiese sieht man die Stadionstühle für die Skulptur ‘Auf Wiedersehen’ von Olaf Metzel, von denen auch Teile auf der Bühne gelandet sind. Auf der Festwiese in Nürnberg geht es turbulent zu. Ein schwarz-rot-goldenes Fußballvolk erhält Einzug auf die Festwiese. Fahnenschwingend lässt es sich auf der Bühne nieder. Es kommt zum Vortrag von Beckmesser, wobei er das geklaute Lied von Sachs mit einer falschen Melodie vorträgt. Auch in der Betonung passt es nicht so ganz. Das ist für mich klarer Fall von Coldmirrors Misheard Lyrics. Mit den Obertiteln ist es wirklich lustig, was Beckmesser aus den Textzeilen von Stolzing so gemacht hat. Der Vortrag fällt beim Volk durch. Beckmesser sagt, dass das Lied gar nicht von ihm sei, sondern von Sachs. Das Volk ist verwundert. Sachs klärt aber auf, dass er das Lied nur notiert hat. Der wahre Künstler sein Stolzing, der dann das Lied komplett und richtig vorträgt. Damit gewinnt Stolzing dann den Sangeswettbewerb und Eva, lehnt aber den Meistertitel zunächst ab. Erst nach dem Gesang von Sachs: Verachtet mir die Meister nicht, ist er mit dem Meistertitel einverstanden.
Wer also nach dem Livestream auf Arte meint, über die Oper im Bilde zu sein, bekommt beim Sehen im Opernhaus einen ganz anderen Eindruck von der Inszenierung. Experimente darf man zwar keine erwarten, das Ganze ist relativ glatt durchgezogen, kommt auf der Bühne aber deutlich besser. Dies liegt zum einen an den Übertiteln, die einen die langen Diskussionspassagen deutlich besser durchhalten lassen, als in einem Browserfenster. Allen voran Albert Pesendorfer als Sachs, Jochen Kupfer als Beckmesser und Tilman Lichdi als David ist ein sehr unterhaltsamer 5 1/2-stündiger Opernabend zu verdanken. Wer meint, er kenne das jetzt alles schon, dem kann ich die Liveaufführung dennoch empfehlen. Es kommt auch eine DVD zum Stück raus.
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