König Roger und die Flüchtlinge
Mit ‚König Roger‘ von Karol Szymanowski bringt das Opernhaus Nürnberg in der Reihe slawischer Opernkomponisten, dessen bekanntestes Opernwerk auf die Bühne. Dabei hört man polnisch und ist über die Übertitel dankbar. Lorenzo Fioroni verlegt den Ort der Handlung etwas von Sizilien auf eine der überlaufenen Mittelmeerinseln, vielleicht könnte es Lampedusa sein. Wie und ob man jetzt den Bogen von der Flüchtlingsthematik zu der Religionsthematik des Stück gespannt bekommt, sieht man sich am besten selbst vor Ort an. Mir persönlich war die Brücke (Sizilien als Handlungsort) etwas zu dünn als Bindeglied zwischen der Inszenierung und der eigentlichen Handlung der Oper. Um was es der Regie dabei geht, wird mit Laufband-Texten von Auswanderern von damals und heute verdeutlicht. Die Szenerie spielt sich auf dem Landungssteg an, der mit einem Fresko des Bacchus verziert ist. In der Figur des Königs Roger des II, eines Normannenkönigs, der im 12 Jh. wirklich gelebt hat, findet man den historischen Ankerpunkt der Handlung. Diese Bassrolle wird von Mikolaj Zalasinski sehr gut umgesetzt. Das Auftauchen des Hirten und die Handlung ist dagegen pure Fiktion. Der Komponist lässt hier auch zwei Musikstile aufeinanderprallen: die Harmonien christlich, orthodoxer Gesänge mit den impressionistischen und schillernden Klängen moderner Opernkompositionen. Mit dieser neuen Komposition macht der Hirte dem König schließlich sein Volk abspenstig. In der Tradition eines modernen Rattenfängers entführt er dessen Volk.
Die Oper beginnt mit einem szenischen Vorspiel. Es wird ein Grab für den Vater von König Roger ausgehoben. Schon 20 Minuten vor der eigentlichen Oper finden Aktionen auf der Bühne statt. Es findet sich die königliche Trauergemeinschaft am Landungssteg ein. Den Abschluss bildet ein Kinderchor. Wer jetzt drüber sinniert, ob die Einstimmung des Orchesters schon Teil der Musik ist, dem kann geholfen werden: Sie stimmen sich nur ein. Schließlich beginnt die Trauerfeier für den toten König, in pompöser Weise setzt der gesamte Chor ein und zelebriert eine Totenmesse. Auf dem Landungssteg schneit es zudem. Die Zuschauer hören immer wieder Meergeräusche. Auf dem Steg befinden sich viele Lichtmasten, die zur Lichtregie gehören. Mit großem Getöse wird der neue König ausgerufen. Man berichtet aber gleich von dem ersten Problem, einem rothaarigen, mysteriösen Hirten, der dem einfachen Volk neue Heilsversprechen macht und damit die kirchlich verankerte Macht von König Roger in Frage stellt. Dagegen protestiert der Erzbischof und fordert König Roger zum Handeln auf. Schließlich stimmt auch das Volk ein und ruft nach der Bestrafung des Gotteslästerers. Der Hirte erscheint wirklich auf der Bühne und schildert seinen Gott als schönen, jungen Mann, der allen die Freiheit schenkt. Sofort verfällt die Frau des Königs Roxane dessen schönen Augen und seinem Charme, der sich auch in der Musik des Hirten ausdrückt. Sie übernimmt dessen Gesangsschema und bittet mit Edrisi, seinen Berater, um Milde für den Hirten. Sie wünscht, dass er eine Gerichtsverhandlung bekommt. Der König willigt schließlich ein und gibt dem Hirten die Losung, mit der er die Wache passieren kann. Der Vorhang senkt sich und man bekommt die Zitattexte von Auswanderern nach Amerika zu lesen, die von der Neuen Welt desillusioniert sind. Schließlich beginnt der zweite Akt, der im Palast spielt. Der Hirte war aber schon fleißig und hat es geschafft, das Volk von König Roger zu verführen. König Roger versucht immer noch herauszufinden, woher der Hirte kommt und was ihn bewegt. Der Hirte verliert sich aber in Andeutungen, verweist aber darauf, wie erfolgreich er bei Rogers Volk mit der Werbung war. Mit einer roten Sporttasche betätigt sich der Hirte nun als Schlepper, der dem verführten Volk durch das Ausstellen von Dokumenten zu einem neuen Leben in Freiheit verhelfen will. An einem Tisch nimmt er das Geld und den Schmuck der Bevölkerung entgegen. Roger sieht nun seine Anhänger und seine Frau Roxane dem Hirten nachlaufen. Der König verliert so alle Macht. Dabei steigert sich die Musik in extremes Forte und wird sehr atonal. Wieder fällt der Vorhang und man liest Texte von Auswanderern nach Nürnberg aus dem Jahr 2013, deren Erwartungen sich nicht erfüllt haben. Im dritten Akt ist König Rogers Macht dann komplett verschwunden, Edrisi, sein arabischer Berater, setzt sich einen Schuss, um der Trostlosigkeit der Lage zu entkommen. Nur als Stimme und in der Ferne gibt sich der Hirte nun als Dionysos zu erkennen. Rogers Welt stürzt mit lautem Getöse auf die Bühne, vom Himmel fällt dabei auch seine tote Frau Roxanne. Die Lampen des Landungsstegs kippen alle um, es fällt reichlich Unrat auf die Bühne und die ganze Szenerie wirkt ziemlich unaufgeräumt. Rot leuchtet nun der Landungssteg in der Morgensonne. König Roger schafft es aber am Schluss, sich dem Zauber des Hirten durch ein Opfer zu entziehen und singt seinen Abschlussmonolog nur mit einer Unterhose bekleidet an einem Laternenpfahl.
Die Oper startete an diesem Abend mit einer guten Stunde Verspätung, denn Ekaterina Godovanets war erkrankt. Man musste Ersatz aus Warschau über Zürich einfliegen, weshalb sich die Aufführung verzögerte. Die Zeit überbrückte man mit Freigetränken und einer ausführlichen Einführung in das Werk durch Kai Weßler. Das Problem der ausgefallenen Roxane löste man, in dem an diesem Abend der Ersatz aus der Loge sang. Roxane musste nur auf der Bühne agieren. Jacek Kaspszyk holt wirklich erstaunliche Klänge aus dem Orchestergraben und schafft es, die Musikstile der Oper gut gegeneinander aufzustellen. Manchmal muss man die Solisten bewundern, wie sie sich gegen die Klanggewalt aus dem Orchestergraben durchsetzen müssen. Den Bezug zur Flüchtlingsthematik sieht man auch mit der Flagge ‚Mare Nostrum‘, die eine Operation der italienischen Marine zur Seenotrettung von Flüchtlingen und zur Eindämmung der Schleuserproblematik war. Insgesamt also eine Inszenierung, die in 80 Minuten viele Fragen unbeantwortet lässt.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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