Les Misérables – Ich hab geträumt vor langer Zeit
Möglichkeiten hätte es schon viele gegeben, dieses Musical zu sehen. Bochum, London, New York. Tatsächlich war ich 1988 im Theater an der Wien und letztlich war das mein Anfang für den Sturm auf die Opernhäuser dieser Welt. Claude-Michel Schönbergs Liebe für Pop-Musik und italienische Oper treffen in diesem Musical aufs Beste aufeinander. Dieses Musical ist eigentlich gar keines, denn auch mir war es entfallen, dass dort nur gesungen und nicht gesprochen wird, wenn man mal von den Sprechgesängen eines Thénadiers absieht. Am Gärtnerplatztheater in München setzte man dieses Stück in einer Inszenierung von Josef Köpplinger um, mit viel Licht, aber auch mit ausreichend Requisite für die Barrikaden. Es war sehr angenehm, dass es wirklich ein Orchester im Graben gab und die Musik nicht vom Band kam, wie bei Robin Hood. Man kann natürlich mit der Verstärkeranlage hadern, die manch einem im Publikum zu laut erscheint. Aber mal ehrlich: es geht um die Französische Revolution und da wird mit Gewehren geschossen. Da muss man im Publikum auch eine gewisse Lautstärke vertragen. Schon zu Beginn steht auf dem Bühnenvorhang eine Projektion: „Jeder Fanatismus endet in Fatalismus“, ein Zitat von Voltaire. Wer jetzt nach dem Lesen des Blogs noch auf Karten hofft, muss ich leider im Vorfeld enttäuschen, denn alle geplanten Vorstellungen waren schon vor der Premiere aufgekauft. Man hat dabei eine Inszenierung aus St. Gallen übernommen, was sicher kein Fehler war. Wir waren in der zweiten Vorstellung, die restlos ausverkauft war. Es gab vergebliche Versuche, vor dem Theater an Karten zu kommen.
Die Geschichte des Strafgefangen mit der Nummer 24-6-01 wird im Programmheft aufgeklärt, warum die männliche Hauptperson genau diese Strafgefangennummer hat. Mit imaginären Hacken beaufsichtigt Javert die Gefangen. Der Auslöser für die Straftat, die 19 Jahre Gefängnis zur Folge hatte, war ein Brot-Diebstahl. In dem Gefangenenlager geht es rau zu, es werden Gefangene erschossen. Auf einer Brücke überwacht Javert alles, der Valjean für einen hoffnungslosen Fall hält. Der Sträfling wird schließlich entlassen, findet aber weder bei einem Gastwirt, noch bei einem Bauer Unterschlupf. Immer wieder ist seine Vergangenheit im Gefangenenlager das Problem. In rasanten Wechsel auf einer Drehbühne, ändern sich die Orte. Schließlich landet Valjean bei einem Bischof, der ihn aus Barmherzigkeit aufnimmt. Dort dankt er die Großherzigkeit des Bischofs mit dem Diebstahl von silbernen Kerzenleuchtern. Als er gestellt wird, gibt ihm der Bischof noch mehr Leuchter und meinte, die hätte er wohl vergessen und nimmt ihn vor den Verfolgern damit in Schutz. Das ist der erste bewegende Wendepunkt, als Valjean beschließt sein Leben zu ändern. Er wird Bürgermeister und Fabrikbesitzer von dem Geld. Unter seinen Arbeiterinnen ist eine Frau namens Fantine, die ein uneheliches Kind versorgen muss. Als es vor der Fabrik zum Streit kommt, muss sie gehen. Ihre Tochter Cosette ist aber krank, sie braucht Medizin und dafür verkauft sie zuerst ein Medaillon, dann ihre Haare und schließlich sich selbst. Schließlich wird sie von einem Freier belästigt und geschlagen, worauf sie sich wehrt. Es kommt wieder Javert und als Bürgermeister nimmt Valjean sie jetzt in Schutz. Da erzählt sie ihm am Krankenbett, dass sie Arbeiterin in seiner Fabrik war und entlassen wurde. Valjean fühlt sich schuldig und verspricht Hilfe für die Tochter. Javert kommt der Bürgermeister inzwischen verdächtig vor. Er meint den flüchtigen Valjean gefangen genommen zu haben, Valjean will den Unschuldigen entlasten. Er fordert von Javert drei Tage Zeit, es kommt zum Kampf und Valjean flieht. Schließlich besucht er, Cosette aufzusuchen. Cosette lebt bei zwielichtigen Wirtsleuten und deren Tochter Éponnie. Die Wirtshausszene ist schon etwas derb vom Humor, als Madame Thénadier über die Speisezubereitung singt, in eine Milchkanne pinkelt und ihr Mann eine Ratte in den Fleischwolf wirft. Als Cosette Wasser im Wald holen muss, wird Valjean auf sie aufmerksam. Mit viel Geld löst er Cosette aus und geht mit ihr nach Paris. Die Szene, in der sie als kleines Mädchen die Treppe hochgeht und mit ihm als erwachsene Frau von der Treppe kommt, stellt einen Zeitsprung dar. Valjean behütet Cosette in Paris, aber auch hier tauchen die Thénadiers wieder auf und verfolgen Valjean. Um Marius entwickelt sich jetzt eine Dreiecksbeziehung. Éponnie liebt Marius, Marius verliebt sich aber in die mysteriöse Cosette, die von ihrem angeblichen Vater beschützt wird. Aber auch dem mitgebrachten Strauß Blumen schenkt Cosette weniger Beachtung als Marius selbst und wirft den Strauß über den Zaun. Als Thendiér mit seinen Leuten an einem langen Zaun steht, vertreibt Éponnie ihren Vater mit einem Schrei und verhindert so den Einbruch. In den heraufziehenden Wirren der Revolution bringt Éponnie einen Brief von Marius, den Valjean liest. Er befindet sich schon wieder auf der Flucht vor Javert, beschließt aber doch zu bleiben. Im Café ABC planen die Studenten die Revolution. Am Bistrotischen debattieren sie über die schlimme Lage und beschließen den Aufstand. Gerade die großen Chorszenen sind gut choreografiert. Mit roten Fahnen nimmt die Revolution ihren Lauf. Ja, es ist laut an der Stelle, es ist ja auch Revolution.
Im zweiten Teil sieht man dann den verzweifelten Kampf der Studenten, das Volk schließt sich nicht an. In einer ziemlich langen Szene, sieht man die Hoffnung der Studenten, die immer mehr abnimmt. Es kommt noch einmal zu einer Verwicklung, als Javert sich als falscher Informant hinter die Barrikaden schleicht. Valjean nimmt sich dessen aber an und tut so, als ob er ihn erschießen möchte, lässt ihn aber frei, was Javert nicht versteht. Sehr bewegend ist auch das Trinklied der Studenten. Es fallen die ersten Schüsse und erwischen den kleinen Gavroche. Auch Éponnie stirbt bei der Übergabe einer Nachricht hinter den Barrikaden. Das große Gemetzel, das nun einsetzt, hat so etwas von Götterdämmerung, bei der viele der Hauptcharaktere ihr Leben lassen. Marius wird von Valjean über die Kanalisation auf den Schultern getragen. Verletzt überlebt er als einziger der Studenten mit einer Beinverletzung. In der Kanalisation treibt auch Thénadier wieder sein Unwesen, der die Toten beraubt. Javert begegnet Valjean dort und dieser bittet um 1h Zeit, die ihm gewährt wird. Javert versteht das Handeln von Valjean nicht, der ihm das Leben gerettet hat und stürzt sich von der Brüstung in die Seine. Cosette bittet endlich um die Aufklärung ihrer Herkunft, was ihr Valjean verweigert. Er klärt aber Marius auf mit dem Versprechen, seine Herkunft nicht zu nennen. Es findet die Hochzeit mit Marius statt. In einer großen Walzer-Quadrille mit Damen in Rosa wird eine etwas kitschige Hochzeit gefeiert. Vor allem Cosettes Frisur gibt Anlass zur Diskussion. Schließlich sprechen sich Cosette und Valjean aus. Marius erkennt, das Valjean ihm das Leben gerettet hat. Valjean aber stirbt und sieht Fantine, Éponnie und all die anderen. Schließlich kommen am Ende nochmal die Geister der Leute, die auf den Barrikaden gefallen sind. Allerspätestens hier ist akuter Taschentuch Alarm angesagt.
Ich habe sehr wohl erkannt, wie listig mir Jean-Claude Schönberg im Jahre 1988 eine Opernfalle gestellt hat, die prompt zugeschlagen hat. Die Musik plündert ziemlich im Filmmusik-Genre, bei Puccini und der Leitmotivtechnik von Wagner, ohne dass man klare Kopien erkennen kann. Es sind mehr die Arrangements, die Harfen, die Gitarrensolos, die Chöre, alles irgendwie genial geklaut. An dem Musical hat in keiner Weise die Zeit genagt, wie an manchem Webber-Musical aus derselben Zeit. Ich sehe in der Aufnahme dieses Stückes an dem ehrenvollen Gärtnerplatztheater als eine Art Ritterschlag an. Gesungen wird übrigens in Deutsch, wobei hier auch bei manchen mehrstimmigen Stücken Übertitel zur Orientierung sicher eine Hilfe wären. Aber es gibt nichts zu meckern und ausreichend Servietten gibt es an der Bar, wenn gerade keine Taschentücher greifbar sind. So viel sei verraten, sie sind nötig. Langanhaltender Applaus inklusiver schmerzender Handflächen sind inbegriffen.
Quelle: YouTube | Gärtnerplatztheater
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