Stellen wir uns vor, wir hätten eine Zeitmaschine, die uns am 07.01.2017 an den Punkt zurückbringen würde, an dem das Opernblog am 25.10.2008 gestartet ist. Zu einer Inszenierung, die damals der Auslöser war, mit dem Schreiben zu beginnen. Wie würde sie wohl nach den acht Jahren Erfahrungen mit Opern und Inszenierungen wohl wirken, diese Hector-Berlioz-Oper Benvenuto Cellini? Was würde ich wohl diesmal drüber schreiben? Nur so viel: Nach einem Umweg über Bonn ist diese Inszenierung von Laura Scozzi wieder in Nürnberg zu sehen gewesen. Die Begegnung mit der Vergangenheit war einfach wunderbar. Diese Inszenierung an der Oper in Nürnberg enthält so viele liebevolle Details, dass man auch noch nach acht Jahren ins Schwärmen kommt. Nun spielt die Oper ja eigentlich 1506; aber die Regie verteilt munter Kühlschränke, Fernseher, Klappsofas und Stehlampen in der Requisite.
Cellini ist ein unangepasster Künstler mit lyrischem, hohen Tenor, aber leichten Bauchansatz und Rastalocken, die er unter einer grauen Mütze sammelt. Auf einem olivenfarbenem Sweatshirt steht in Gelb sein Lebensmotto: Live fast and die young. Auch an den roten Sneakern ist er immer bestens zu erkennen. Cellini ist ein Bronzekünstler, der gegen Ende der Oper noch einen Auftrag des Papstes zu erfüllen hat. Durch ein Fenster kommt er zu einer Teresa, die im Schlafanzug auf einem Gitterbett mit rosa Zudecke auf ihn wartet. Ihr Vater, der Schatzmeister des Papstes Balducci hält die Tochter weg von der Welt, gefangen in ihrer Welt mit rosa Stehlampe, rotem Fernsehern und Postern von Hollywood-Filmgrößen. Ihren Kummer über die Gefangenschaft kompensiert sie mit einer Fressattacke auf Joghurt, das sie gleich zu Beginn genüsslich, während einer Arie löffelt. Die Leistung gleichzeitig zu essen und eine Koloratur zu singen, ist mir von damals noch im Gedächtnis geblieben. Sie ist einfach ein 17-jähriges Mädchen, das dem falschen Mann versprochen ist. Der Bildhauer Fieramosca versucht auch, seinen gelben Blumenstrauß an die Frau zu bringen. Scheitert aber letztendlich. Draußen vor dem Fenster tobt der Karneval in Rom. Cellini heckt mit ihr einen Fluchtplan aus, bei dem er sich als Abt verkleidet nähert und mit Teresa fliehen will. Beide Männer sind nun im Schlafzimmer. Während sie Fieramosca in den Schrank versteckt, überlegt sie beim Zähneputzen, wie sie die Situation ihrem Vater erklären will. Sie lenkt den Vater letztendlich ab, in dem sie sagt, es wäre ein Mann im Zimmer und die Aufmerksamkeit auf Fieramosca lenkt. Dieser wird nun von den Nachbarinnen als Wüstling beschimpft, umtanzt und schließlich aus der Wohnung geworfen. Cellini gelingt unterdessen die Flucht aus dem Zimmer.
Der zweite Akt beginnt im Dunkeln. Cellini denkt und singt über Teresa. Nach und nach füllt sich der Bühnenboden mit Doubles von Cellini, alle im gleichen Shirt und mit gleicher Mütze. Die bewegen sich auch noch synchron. Als sich der Boden der Taverne mit 17 Doppelgängern von Cellini gefüllt hat, ist klar: Das sind Cellinis Freunde und Schüler, die gekommen sind, mit ihm zu zechen. Es wird eine rote Säule zur Bar umfunktioniert, am rechten Ende sieht man eine Neonleuchte mit dem Begriff Bar. Es finden Trinkspiele statt und es wird lautstark gesungen, bis schließlich eine lange Rechnung mit Getränken fällig wird, die zu zahlen sind. Begleitet ist das wieder von einer wunderbaren Balletteinlage der Kellner, wobei auch schon mal ein Tablett zu Boden fällt. Die Rechnung soll schließlich mit dem Geld des Schatzmeisters Balducci bezahlt werden, an die aber wieder mal eine Bedingung geknüpft ist: Der Guss der Perseusstatue soll vollendet werden. Da der Geldgeber knausrig war, beschließt, man ihn auf den Colonna-Platz zu verhöhnen. Auch dies hört Fieramosca. In seiner Verzweiflung erklärt er nun seinem Freund Pompeo, was Cellini geplant hat. Dieser gibt ihm den Rat, ebenfalls als Abt zu erscheinen und den Plan zu durchkreuzen. In der Szene auf dem Colonna-Platz sieht man das Volk von Rom am Eingang zum Theater. Man muss sich erst einmal die Eintrittskarten abholen und stellt sich brav an. Gekleidet ist man als Volk mit neongelben Perücken, mit weißer Halskrause, aber ansonsten schwarz. Für die falsch-falschen Äbte gibt es aber keine Tickets, sodass sie mit einer Pistole die Kassiererin bedrohen. Die rückt dann doch noch zwei Karten raus. Scheinbar war es im 16. Jahrhundert auch schon schwierig an Theaterkarten zu kommen. Das Possenspiel gegen Balducci ist eine Castingshow, in der ein römischer Tenor gegen einen Konkurrenten auftritt. Aber auch hier kämpft man schon mit den Tücken der Technik und bimmelnden Handys beim Publikum. Beim römischen Tenor ist die Jury so gelangweilt, dass sie auf dem Buzzer einschläft. Entschieden wird das Casting letztendlich durch einen Schusswechsel, in dem auch die Mitjuroren außer Gefecht gesetzt werden. Es tauchen aber auch die richtigen falschen Äbte auf, nämlich Cellini mit Ascanio. Leicht sind die richtig-falschen Äbte von den falschen-falschen Äbten am Schuhwerk zu unterscheiden. So viel falsche Äbte, das kann nicht gut gehen und richtig. Pompeo wird im Tumult von Cellini erstochen. Als noch ein Kanonenschlag das Ende des Karnevals ankündigt, ist das Chaos perfekt. Man verhaftet Fieramosca und Cellini kann aus dem Tumult entkommen. Nach so vielen Äbten braucht es eine Pause.
Im dritten Akt ist es Cellini gelungen, im Schutz weißer Mönche zu fliehen, die zufällig am Colonna-Platz waren. Er hat zwar noch Blut an der Kutte, aber die Freude bei Teresa über das Wiedersehen ist groß. So inszeniert man kurzerhand einen One-Night-Stand auf einem blauen Klappsofa. Balducci tritt noch mal auf und verlang abermals, dass Teresa diesen heiraten soll. Nun erscheint aber noch eine weiße Glitzerausgabe des Papsts Clemens VII, gefolgt von drei, leicht anders orientierten Begleitern. Unter seiner Kopfbedeckung trägt der Papst aber einen Zopf und als Cellini seine Forderungen stellt, unter der die Perseus-Statue gegossen werden soll, zückt der ein weißes Handy und verlangt die Ordner. Die Forderungen sind: Straffreiheit für ihn, wegen des Mordes und die Hand von Teresa. Sollte die Perseusstatue an diesem Tag noch gegossen werden, geht alles klar, meint der Papst. In dem ganzen Gussstress wünscht sich Cellini nur noch weg in die Berge. Man sieht in Zeitlupentempo eine Traumsequenz von einem Hirten in den Bergen, der bei seinen Schafen Käse produziert. Aus dem Bühnenboden fährt eine Alpenhütte und nimmt Cellini wirklich weg. Nun kommt es aber zu Schwierigkeiten. Die Arbeiter streiken, das Metall reicht nicht. Die Begleiter des Papstes kommen mit weißen Nonnenhauben in das Gusswerk und prompt wenig später mit angebranntem Kopfschmuck wieder raus. Der Papst macht es sich unterdessen auf dem blauen Sofa gemütlich, raucht einen Joint und beackert den Kaffeeautomaten, der mit einer blinkenden Madonna einen Kaffee auswirft. Der Guss gelingt letztendlich, als alle Kunstwerke von Cellini in den Schmelztiegel fliegen. Am Ende findet die gewohnte Party statt, die Cellini auf einem Sockel stellt. Im Hintergrund sieht man ein Bild der Perseusstatue.
Auch nach acht Jahren ist die komische Oper von Laura Scozzi immer noch frisch. Genau wie damals habe ich mich an der hervorragenden Choreografiearbeit dieses Werks erfreut. Wie die Personen sich über die Bühne bewegen ist einfach ganz hervorragend. Auch die Vermischung der heutigen Zeit mit dem 16. Jahrhundert ist sehr komisch. Die Joghurt-Arie bleibt einem da hängen oder die Szene mit dem Papst am Kaffeeautomaten. Teresa von Hrachuhí Bassénz stellt eine überzeugende 17-jährige Teenagerin dar. Mirko Roschkowski stellt den Kunstrebellen Cellini etwas ironisch dar, während Guido Johannes Rumstadt durch das pathetische Werk von Hector Berlioz führt. Da es Berlioz mit der Historie nicht so genau nahm, warum sollte die Regie es dann tun? Das alles ist wirklich sehr unterhaltsam. Meine Begeisterung von damals hält auch der heutigen Sicht noch Stand.
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Die Staatsoper im Schillertheater zeigt in dieser Spielzeit wieder Puccinis ‚La Bohème‘. Jetzt hat diese Inszenierung von Lindy Hume aus dem Jahr 2001 schon ein gewisses Alter, dennoch ist auch die 62. Aufführung dieses Werks sehenswert. Dies liegt vor allem daran, dass man sich mit einer aufwendigen Inszenierung ziemlich nach am Textbuch gehalten hat. Außerdem gab Aleksandra Kurzak ihr Rollendebüt als Mimi. Auch mit Abdellah Lasri als Rodolfo hat man eine gute Wahl getroffen. Alternierend singt die Rolle auch Piotr Beczala.
Auf dem Bühnenvorhang sieht man Eiskristalle. Ohne Ouvertüre geht es gleich los mit der Handlung. Auf einem Lehnsessel sitzt ein gealterter Rudolfo und lässt so die Geschehnisse seiner Jugend um die Näherin Mimi noch einmal Revue passieren. Ein verkanteter Würfel grenzt den Raum ab, in dem die Studenten-WG lebt. Sie besteht aus Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline. Rechts steht ein großes Gemälde und Marcello der Maler, versucht sich an dem Auszug Mose aus Ägypten. In der Mitte im Hintergrund steht eine alte Schaufensterpuppe. Da es an diesem Winterabend kalt ist und man kein Holz hat, verheizt man in dem Gusseisenofen das Werk von Rodolfo. Aber die Not scheint ein Ende zu haben, als Schaunard, der Musiker in das Zimmer kommt. Er hat einen Auftrag erhalten und Essen mitgebracht und Holz. Getrübt wird die Stimmung erst, als Benoît der Vermieter die Miete für das letzte Quartal eintreiben will. Als sie ihn mit Wein den Vermieter zum Reden bringen und er mit Frauen prahlt, spielen sie sich entsetzt auf, wie er nur seine Frau betrügen könne. Damit haben sie ihn in der Hand und er geht, ohne die Miete zu bekommen. Fröhlich gehen die Studenten ins Café Momus. Dann kommt die Nachbarin Mimi in die Wohnung auf der Suche nach Feuer für die Kerze. Sie erleidet einen Schwächeanfall und verliert den Schlüssel. Die nun folgende Szene enthält gleich drei bekannte Stücke (Che gelida manina, Sì. Mi chiamano Mimì, O soave fanciulla). Man kommt sich näher im Dunkeln. Als die Freunde rufen, öffnet sich die Bühne. Die Seitenwände werden weggefahren und das Podest mit dem Boden und Rodolfo und Mimi fährt zur Seite. Als es dann zum Schluss des Bildes auch noch schneit, ist der Winterzauber perfekt.
Das zweite Bild beginnt mit vielen Leuten auf der Bühne und mit einer Weihnachtslichterkette. Zu Walzerklängen sieht man ein Standardtänzerpaar tanzen. Es sind sehr viele Leute auf der Bühne und es hat sich auch ein Weihnachtsmann drunter gemischt. Aber halt, der Spielzeugverkäufer Parpignol ist eine sehr graue Erscheinung mit seinem Fahrrad voller Spielzeug. Rodolfo kauft seiner Mimi einen rosa Haarreif. Man befindet sich vor dem Café Momus, das mit einer Leuchtwand und mit einem großem „M“ dargestellt wird. Links am Bühnenrand stellt nun Rodolfo Mimi seinen Freunden vor. Im roten Licht der Bar sieht man eine grüne Leuchtgirlande in Form des Wortes Momus. Davor gibt es eine Treppe zur Bar. Eine etwas schrille Musetta in einem lila Abendkleid hat nun ihre Auftrittsarie mit Quando m’en vò. Dabei versucht sie ihr ehemaliger Geliebter Marcello eifersüchtig zu machen, indem er mit einer anderen Frau relativ brutal tanzt. Marcello kann aber Musetta nicht widerstehen. Ihren älteren Liebhaber schickt sie unter einem Vorwand zum Schuster. Der Flirt mit Marcello hat gewirkt, jetzt bleibt nur noch, dass ihr Liebhaber die offene Rechnung zahlt.
Das dritte Bild gibt etwas Rätsel auf. Auf den Bühnenvorhang werden Regentropfen projiziert. Auf einer Uhr sieht man, dass es sieben Minuten vor zwölf ist. Von dem Gasthaus nahe einer Zollschranke vor der Stadt lässt die Inszenierung nur die Uhr, ein paar Parkbänke und einen Mülleimer übrig. Mimi und Rodolfo haben sich getrennt. Sie sucht Rat bei Marcello. Rodolfo hat Mimi aus Eifersucht verlassen. Ihm ist der Husten zudem nicht geheuer und er könne ihr nicht helfen, wegen seiner Armut. Die Gründe für die Trennung hört Mimi mit und verrät sich durch ihren Husten. Man beschließt sich erneut zu trennen, aber erst im Frühling. Musetta und Marcello indes haben aber wieder Streit und trennen sich erneut.
Für das vierte Bühnenbild erfolgt ein langwieriger Umbau. Man sieht die Rückseite eines Gebäudes. Marcello malt die Wand an. Auf einer schiefen Ebene steht ein Bett. Die Junggesellen haben wieder Hunger und es gibt nur Heringe zu essen. Dann dreht sich die Bühne und man sieht wieder das kahle Zimmer. An den Wänden sind rote Schmierereien und zwar die Worte „Vipère“ und „Sorcière“, die Marcello in Eifersucht auf Musetta angebracht hat. Es kommt die geschwächte Mimi herein. Man beschließt, ihr zu helfen. Musetta versetzt ihre Ohrringe, um ihr den Wunsch nach einem Muff für ihre kalten Hände zu erfüllen. Auch der Mantel wird versetzt und es gibt dafür Arznei. Dennoch kommt für Mimi jede Hilfe zu spät. Sie stirbt im Sessel, als Rodolfo gerade abgelenkt ist. Die Mimi-Rufe von Rodolfo gehen mir dabei jedes Mal unter die Haut.
Die Bohème ist wohl eine der meist gespieltesten Opern überhaupt. Es gibt unzählige Einspielungen. Die Inszenierung in Berlin punktet dabei mit einer ziemlich getreuen Umsetzung, weit ab von schrägen Regieeinfällen. Auch die Sänger können überzeugen, sodass man einen Besuch dort ohne Einschränkung empfehlen kann. So gab es zum Schluss reichlich Applaus für diese Wiederaufnahme am Schillertheater.
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Boris Godunow war die diesjährige Eröffnung der Spielzeit an der Nürnberger Oper. Peter Konwitschny inszeniert die Urfassung von 1869 dieser Oper von Modest Mussorgski in Kooperation mit der GöteborgsOperan und dem Theater Lübeck. Das Ganze kommt als recht farbenfrohe Konsumkritik daher, ohne mit dem Finger auf die derzeitigen Machtverhältnisse in Russland anzuspielen. In zwei Stunden, sieben Bildern und in russisch erlebt man den Aufstieg von Boris Godunow zum Zaren und seine Abdankung.
Zu Beginn des ersten Bildes sieht man das Volk betrunken vor einem Kasperle Theater. Dass dies eigentlich ein Platz vor einer Kirche sein soll, erklärt dann das Libretto. Das Volk wird vom Vogt Nikitsch in Form einer Figur angetrieben, dem künftigen Zaren zu loben. Boris zögert aber noch, sein Amt anzunehmen. In einer Banderole laufen die Lobpreisungen des Volkes über die Bühne. Die feierliche Musik steht im krassen Gegensatz zum Kasperle Theater, in dem die Figuren der Zarenwahl handeln.
Im zweiten Bild ist man immer noch vor dem Kasperle Theater. Boris hat die Wahl schließlich doch angenommen und erscheint als Puppe vor dem Volk. Die Musik spielt mit Glocken auf. Als Dreingabe spielt eine Puppenband aus drei Handpuppen mit Balalaikas, die von einem Krokodil gefressen werden. Das Volk jubelt jedenfalls dem neuen Zaren zu, der mit Spielzeugschubkarren Dukaten und Aktien unter das arme Volk bringt. Es wird für die Zarenpuppe ein roter Teppich ausgerollt. Um den Zaren zu huldigen, gibt man goldene Fähnchen aus. Wer jetzt mit den Schenkungen des Zaren noch nicht einverstanden ist, wird mit Maschinengewehrsalven auf Linie gebracht. Am Ende dieses Bildes bricht das Kasperle Theater zusammen.
Im dritten Bild sieht man das zusammengebrochene Bühnenbild. Man befindet sich in einem Kloster, wo der einarmige Mönch Pimen die russische Geschichte niederschreibt. Mit einem angespitzten Kreuz nutzt er die Rücken der Mönche als Schreibfläche und ritzt ihnen Buchstaben ein. Diejenigen, die diese Prozedur überstanden haben, dürfen stinkende Zigaretten rauchen. Der Mönch Pimen hat vom Mord an dem Zarewitsch gehört und erzählt dies dem Mönch Grigori. Pimen meint, der Zarewitsch wäre jetzt so alt wie er und Boris eigentlich unrechtmäßig an der Macht. Fasziniert von der Geschichte, will Grigori durch einen Traum angestachelt, die Stelle des Zarewitsch einnehmen und dessen Tod rächen.
Im vierten Bild haben die Mönche Zuflucht vor den Soldaten des Zaren in einer Spelunke gesucht. Sie wollen über die polnische Grenze. Hinter einem roten Vorhang vergnügt sich die Wirtin mit einem Gast. Aber auch die Mönche finden gefallen an der Wirtin und nötigen sie, immer neue Tetrapaks mit Wein aus dem Keller zu bringen. Die Mönche haben inzwischen Tarnanzüge an, aber auch ihre Kutten dabei, die sie hastig überstreifen, als die Soldaten des Zaren anrücken. Diese laufen auf den Knien und sind nur halb so groß. Die Soldaten haben einen Haftbefehl für Grigori dabei, da der aber der einzige ist, der lesen kann, lenkt er den Verdacht auf die beiden anderen Mönche. Einer glaubt dem vorgelesen nicht und entziffert mühevoll den Steckbrief. Der gesuchte Grigori wird dadurch enttarnt und flüchtet unter Maschinengewehrfeuer.
Im fünften Bild trauert die Tochter Xenia des Zaren in einem goldenen Zimmer um ihren toten Bräutigam. Eine kleiner Version des Kasperle Theater findet sich auch hier. Daneben ein großer Globus, auf dem Boris Sohn die Karte von Russland lernt und Kriegsspielzeug. Boris wird von Gewissensbissen geplagt. Schuiski meldet, dass ein falscher Zarewitsch in Polen aufgetaucht ist, der den Thron für sich beansprucht. Dies führt schließlich dazu, dass Boris halluziniert und in seinem Sohn den toten Zarewitsch sieht.
Im sechsten Bild ist das Volk zu Reichtum gekommen und erscheint ganz in Gold mit blonden Perücken und goldenen Einkaufstaschen. Auf der Bühne steht ein überdimensionaler Einkaufswagen in Form eine Hüpfburg. Das Volk scheint durch die Gaben des Zaren korrupt. Es gibt nur einen, der die Wahrheit sagt und Boris als Herodes beschuldigt, der das Blut des Zarewitsch an den Fingern hat. Dieser Affront stimmt Boris zunächst milde und er setzt dem Narren seine Krone auf. Als er von der Bühne geht, bringen aber seine Gefolgsleute den Narren um.
Im letzten Bild erscheinen die Bojaren in schwarzen Anzügen. Pimen, der Mönch, hat es zu Boris geschafft und erzählt auf einer Projektionsfläche von einem Blinden, der am Grab des Zarewitsch sein Augenlicht wieder bekommen hat. Diese Schilderung bewegt Boris so, dass er ein Büßerkleid anzieht und die Krone an seinen Sohn übergibt. Damit entweicht die Luft aus der Hüpfburg. Er selbst lässt einen goldenen Ballon steigen und legt seine Krone am rechten Bühnenrand ab. Schließlich steigt er in den Orchestergraben und verschwindet nach einem Monolog über die Machtergreifung.
Die Oper lässt nach dem Durchsehen einige Fragen offen. So wirkt das Kasperle Theater am Anfang etwas seltsam zu der dick auftragenden Musik mit Glocken. Man hätte sich da vielleicht eher etwas Zarenpomp gewünscht, der zur Musik besser gepasst hätte. Durch die Umbaupause zwischen den Bildern geht etwas das Tempo aus der Handlung raus, die schon etwas weit von einer klassischen Opernhandlung entfernt ist. Viele Hauptpersonen machen es nicht einfach, einen roten Faden in dem Stück zu finden. Zudem hat man es hier mit der Originalfassung zu tun, sodass die Zusammenfassungen in der Literatur alle nicht ganz stimmig sind. Die Handlung zerfällt durch die ganze Unterteilung in sieben Bilder ziemlich und es ist nicht gerade einfach, am Ball zu bleiben. Von der Musik her, ist es aber auf jeden Fall sehr schön, denn Nicolai Karnolsky gibt einen wunderbaren Boris ab, mit all seiner Zerrissenheit. Positiv ist mir das farbenfrohe Bühnenbild in Erinnerung geblieben, nach einem grau/schwarzen Tristan aus der Met, ein willkommener Kontrapunkt. Ob es jetzt immer passend war, sei dahingestellt. Peter Konwitschny steht einfach für Regietheater, aber darauf hatte ich mich ja schon eingestellt.
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Quelle: Soundcloud | Staatstheater Nürnberg
Manchmal kommt einen der Zufall zu Hilfe und man darf nach 247 Jahren die Orpheus und Eurydike-Version für einen Soprankastraten erleben. Countertenor Valer Sabadus sang hier am Markgrafentheater unter der Leitung von Michael Hofstetter und dem Vocalforum und Orchester namens recreationBarock die Titelrolle. Gesungen wurde in Italienisch mit deutschen Übertiteln. Man spielte eine 80-minütige Fassung der Oper. Die szenische Umsetzung übernahm das Kabinetttheater Wien. Geschickt wurden hier die Sänger teilweise in den Bühnenkasten mit einbezogen. Leider sind die Figuren aus dem zweiten Rang etwas klein, sodass man mit einem Opernglas besser dran gewesen wäre. Das ein oder andere Detail im Bühnenbild ist mir dadurch vielleicht entgangen. Dennoch steht das Musikfestival Styriarte in Graz für eine Größe der alten Musik, den verstorbenen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und man muss vor allem die musikalische Qualität der Aufführung loben. Valer Sabadus ist als Orpheus eine hörenswerte Sensation. Gluck versuchte mit dieser Reformoper einen Neuansatz in der Musik. Die handelnden Personen sollen fühlende Wesen sein und nicht nur flache Charaktere, die sich in Vokalakrobatik ergießen. Die Geschichte von Orpheus wurde auf Wunsch von Maria Theresia mit einem Happy End versehen.
Zu Beginn sieht man im linken Guckkasten einen Grabhügel und eine Hand, die Sand schaufelt. Den Tod von Eurydike hat Orpheus nicht verwunden. Etwas später sieht man in einem Schattenspiel, wie er nach einem Rotweinglas greift. In endloser Mühe versucht ein Sisyphos, einen Stein einen Hügel hochzuschieben. Es werden im Mittelteil der Bühne Trauerbriefe geschrieben. Doch Orpheus will den Verlust nicht hinnehmen. Aus einem Kirchenmodell entspringt ein kleiner Amor. Dieser meinte, Zeus hätte ein Einsehen und wenn es Orpheus gelänge, die wilden Furien am Eingang der Unterwelt milde zu stimmen. Zudem müsste er seine Frau aus dem Hades heraus führen, ohne diese anzusehen. Zerberus wird als Teufel mit einem Drachen dargestellt und die Furien sind weiße Masken, die sich zur Musik bewegen. Der grüne Drache funkelt mit gelben Augen, lässt aber dann Orpheus passieren. Es folgt ein Bild vom Elysium in einem goldenen Rahmen. Man sieht eine grüne Landschaft, einen Regenbogen und Zebras, Schafe, Tiger und Löwe friedlich vereint. In der Zwischenmusik des „Reigens seliger Geister“ sucht Orpheus seine Frau. Von den Klängen seiner Leier wird sie schließlich angelockt und durch eine Felsenschlucht heraus aus der Unterwelt geführt. Im mittleren Bühnenkasten spielen dabei die Puppen und links und rechts singen die Sänger. Aber es kommt, wie es kommen muss. Eurydike stellt die Frage, warum Orpheus sie nicht ansehen würde, und meinte, sie würde lieber sterben, als so ignoriert zu werden. Schließlich kann Orpheus nicht anders und dreht sich um. Da sieht man, wie Eurydike in eine Puppe verwandelt im linken Bühnenkasten erstirbt. Das nun folgende „Che farò senza Euridice“ ist wirklich der größte Hit aus der Oper und wird von Valer Sabadus wunderbar verziert. Nie klingt er an der Stelle an der Oberkante, was die Stimme hergibt. Erneut beklagt er sein Leid und will sich umbringen. Da hat der Amor ein Einsehen und vereint die Liebenden. Am Ende sieht man eine Prozession von Bischöfen, die Amor als Heiligen verehren.
Am Ende gab es lang anhaltenden Applaus für diese Opernaufführung im schönen Markgrafentheater in Erlangen. Gerade dieser Raum ist mit dem kleinen Orchester, dem Chor und den wunderbaren Solisten gut beschallt. Das war wirklich ein Highlight, den Orpheus in dieser Fassung erleben zu dürfen. Aber auch Tatjana Miyus als Eurydike und Tanja Vogrin als Amor wurden mit viel Applaus bedacht. Einen Eindruck vom Hit der Oper vermittelt dieses YouTube-Video. Zu hören ist Valer Sabadus:
Quelle: YouTube | galahadlancerot
Verena Stoiber inszeniert in Nürnberg Verdis Rigoletto. Was zu seiner Zeit 1851 ein wahrer Theaterskandal war, nämlich die Geschichte der Ausschweifungen des Herzogs von Mantua, hat eine neue Facette erhalten. In der Inszenierung ist Gilda nicht die echte Tochter von Rigoletto dem buckligen Hofnarren, sondern des Grafen von Monterone. In der Ouvertüre sieht man, wie Rigoletto die Tochter des Grafen entführt. Das Mädchen wehrt sich heftig gegen die Entführung. Das ist vielleicht ein Erklärungsversuch, warum sich die Tochter und ihr Vater mit „Sie“ anreden und der Hofnarr seine angebliche Tochter so gerne versteckt hält. Man mixt hier den Entführungsfall von Madeleine McCann in Portugal aus dem Jahr 2007 in diesen Verdi rein. Immer wieder sieht man Plakate, auf denen in drei Sprachen (Vermisst, Troviamo, Missing) steht. Auch schleicht der Graf von Monterone wiederholt über die Bühne als Penner mit leerem Kinderwagen, in schmutziger Kleidung und mit Einkaufstaschen.
Die Szene des ersten Akts zeigt einen südländischen Innenhof mit Fenstern und Rollläden. Dieser Hof ist leider in einem erbarmungswürdigen Zustand und drückt vielleicht die Tristesse des Stücks aus. Es findet an einer u-förmigen Tafel die Hochzeit der Gräfin von Ceprano statt. Auch hier stellt der Herzog der Braut immer wieder nach, meist in Begleitung eines Glases Sekt. An der Hochzeitstafel stehen weiße Plastikgartenstühle. Um für seine Avancen freie Bahn zu haben, schlägt Rigoletto dem Grafen vor, Ceprano umbringen zu lassen. Auf der Hochzeitsgartenparty geht es daher hoch her, am Rande links wird sogar gegrillt. Mit einer Grillwurst fuchtelt auch Rigoletto rum. Rigoletto treibt es mit seinen Späßen soweit, dass er den Grafen auf der Hochzeit ins Ohr beißt. Nun taucht der Graf von Monterone mit einem Kinderwagen auf. Monterone wird als Penner mit leerem Kinderwagentrolley dargestellt, der an der Suche seiner Tochter verzweifelt ist. Er ist wirklich in einem erbärmlichen Zustand aus dem Gefängnis gekommen und bringt ein erstes Suchbild seiner Tochter mit. Dieses Fahndungsfoto zerreißt Rigoletto, der den Verbleib von Monterones Tochter verheimlichen will. Er spricht den Fluch auf den Grafen und den Herzog aus. Gilda, die angebliche Tochter von Rigoletto wird in einem Verließ versteckt gehalten. Eifersüchtig mahnt Rigoletto sie, nicht auszugehen, außer in die Kirche. Doch sie hat schon die Bekanntschaft eines armen Studenten gemacht mit Namen Gualtier Maldè, ausgerechnet beim Kirchgang. Dass das niemand anderes als der Herzog von Mantua selbst ist, ahnt Gilda nicht. Aber der versichert ihr seine Liebe und lässt sich von ihr an die Hose fassen, die er halb öffnet. Der Graf flüchtet nun. Warum sie sich bei dem Lied „Gualtier Maldé! ...Caro Nome“ in einer Nachtszene mit dem Messer ritzt, erschließt sich nicht und passt nicht unbedingt zur verträumten, spielerischen Musik. Mitten auf der Bühne sitzt sie mit ihrer Bettdecke und dem Messer, nur warum? Nun schlagen die Höflinge zu und entführen Gilda, die sie für Rigolettos Geliebte halten. Sie halten weiße Tücher hoch und schubsen Gilda hin und her. Rigoletto selbst bekommt bei der Flucht mit der Leiter eine Schweinemaske aufgesetzt, sodass er nicht weiß, dass er bei der Entführung seiner eigenen Tochter mitgeholfen hat. Die Höflinge machten ihm Glauben, man entführe die Gräfin Ceprano. Sie treiben den Spaß so weit, dass sie Rigoletto die Hose runter ziehen. Am Ende ist er verzweifelt.
Im zweiten Akt ist der Herzog nun verärgert, dass man seine neue Geliebte entführt hat. Aus Wut ballert er in die Luft. Die Geliebte wäre aber schon im Palast meinen die Höflinge. Die Höflinge stehen im ersten Stock des Hinterhofs und haben das Wort ‚Ve-nd-et-ta‘ auf die Brust gemalt. Mit aufreizenden Bewegungen im Beckenbereich ärgern sie Rigoletto, der seine Tochter sucht. Dieser ist immer noch an die Leiter gekettet. Er stellt klar, dass die Entführte nicht seine Geliebte ist, sondern seine Tochter. Gilda betritt nur in Unterwäsche bekleidet den Hof. Sie ist schockiert, dass ihr Vater der Hofnarr ist. Rigoletto ist schockiert, dass sich seine Tochter ausgerechnet in den Herzog verliebt hat. Nun taucht erneut Monterone auf mit dem Kinderwagen. Er ist auf dem Weg ins Gefängnis. Der Kinderwagen geht am Ende der Szene in Flammen auf, als Rigoletto beschließt, mit Gilda fortzugehen, und am Herzog Rache zu nehmen. Mit einem Koffer zerrt er Gilda weg vom Hof.
Im dritten Akt ist man im Hause eines Mörders und seiner Schwester. Hinter einer Stuhlansammlung links verstecken sich Rigoletto und Gilda. Rigoletto hat 20 Scudi für den Mord an den Herzog aufgetrieben. Er will seiner Tochter zeigen, dass der Herzog weiterhin Frauen nachstellt. Vier leichte Damen machen klar, dass Sparafucile, der Mörder, ein Bordell unterhält. Seine Schwester Maddalena lockt mit roter Perücke und in Leder die Gäste an. Darunter auch der Herzog, wieder mit Champagner-Flasche. Dass er total testosterongesteuert ist, bringt er mit einem Revolver zum Ausdruck, in dem er in der berühmten „La donna è mobile“-Arie mit der Pistole schießt. Ich fand das ziemlich störend. Eigentlich umgarnt er Maddalena, hier aber bedroht er mit zwei Pistolen Sparafucile und seine Schwester. In der Spelunke von Sparafucile hängen nun noch mehr Suchbilder von Gilda. Aus Liebe zu Maddalena soll aber nicht der Herzog, sondern der Erste umgebracht werden, der an die Tür klopft. Es gibt ein Gewitter und Gilda, die den Plan der Mörder mitgehört hat, beschließt sich für den Herzog zu opfern. Warum der Leichensack, den der Mörder nun übergibt, einen Koffer enthält, ist wieder so ein Rätsel. Eigentlich sollte da Gilda drin liegen, die aber blutüberströmt aus ihrem Verlies kommt. Sie kommt noch einmal zu sich, stirbt aber letztendlich vor Rigoletto, der sie versucht im Clownskostüm von der Bühne zu ziehen.
Musikalisch hat Gábor Káli den Zauber der Oper herbeiholen können. Was in der Premiere bei Markus Bosch als zu laut angemahnt wurde, erschien mir sehr ausgeglichen. Großartig war Mikolaj Zalasinski als Rigoletto. Die Rolle des Herzogs ist dabei ziemlich schwer zu besetzen, David Yim hatte an diesem Abend mit der Partie vor allem in den Höhen etwas Probleme. Michaela Maria Mayer stellte die verzweifelte Tochter gut dar. Ja, bleibt dieser Regieansatz, den ich nur zum Teil für gut befinden kann. Die Geschichte der Kindesentführung erscheint mir zu gewagt, der Borderlineansatz zu isoliert und der dritte Akt mit den Pistolen etwas zu unlogisch. Man könnte sagen, das Ganze ist überinszeniert oder recht weit hergeholt. Dennoch ist der Rigoletto eine schöne Oper, die auch an dem Freitagabend sehr gut besucht war.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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Quelle: Soundcloud | Staatstheater Nürnberg