Einen anderen Weg als München hat Nürnberg beschritten und den L’Orfeo von Monteverdi auf den Spielplan gesetzt. Reduziertes Orchester, der Chor nur mit 16 Solisten besetzt, eingekocht auf 80 Minuten und ohne Pause, ist das ein Format, das man auch unter den augenblicklichen Bedingungen präsentieren kann. Es geht bei der Geschichte des Orfeo, um den Verlust der geliebten Frau und wie sich das Leben schlagartig von einem Moment auf den anderen ändern kann. Während man im ersten Akt noch eine ausgelassene Hochzeitsparty erzählt, die sich etwas sinnfrei in einem fiktiven Social-Media-Web präsentiert, kippt die Stimmung schlagartig im zweiten Akt auf Drama. Die folgenden Akte erzählen den missglückten Versuch Orpheus, seine Frau Eurydike zurückzubekommen. Er nimmt dabei die Reise in die Unterwelt in Kauf, scheitert letztlich aber an den Bedingungen, die es zu erfüllen gibt. Er verliert seine Frau ein zweites Mal und für immer.
Im Prolog sieht man ein Hippie-Mädchen mit blonder Perücke, die die Geschichte von Orpheus erzählen will. Das Hippie-Mädchen verkörpert die Musik.
Im ersten Akt befinden wir uns auf einer ausgelassenen Hochzeitsfeier. Orpheus und Eurydike heiraten mit einem großen Hochzeitsbankett. Die allgegenwärtigen Handys streamen das Event ins Netz. Es werden fleißig Herzchen verteilt und man fragt sich, für wen das Paar das eigentlich tut. In einem fiktiven Instagram werden tausendfach Bilder geteilt. Es regnet Rosenblätter, die ganze Feier ist eine perfekte Inszenierung mit Videoeinblendungen. Auf dem fiktiven Instagram sieht man die Profile von Orpheus, Eurydike und Pluto nebeneinander, der bald eine entscheidende Rolle spielen wird. Eine teilbare Videoleinwand ist dominant die Plattform, auf der Live-Videos gezeigt werden. Man sieht das hohle Teilen von Bildern. Schließlich schwebt eine digitale Projektion zweier übergroßer Ringe auf dem Bildschirm. Die Party steigt und man ist immer bemüht, das alles in bestem Licht zu präsentieren.
Im zweiten Akt geht Eurydike weg. Den genauen Moment verpasst man, aber es muss etwas Einschneidendes passiert sein. Man sieht auf der Leinwand die Projektion eines Blaulichteinsatzes in einer modernen Vorstadt. Ein Bote, dargestellt von einer Ärztin in einem weißen Schutzanzug, verkündet den Tod Eurydikes. Der Schock ist groß und man sieht schwarz-weiß Einblendungen einer Großstadt und von U-Bahnhöfen. Die Großstadt ist menschenleer und es scheint die Seuche ausgebrochen zu sein. Jedenfalls wird in der leeren U-Bahn fleißig desinfiziert.
Im dritten Akt begleitet Orpheus die Hoffnung auf dem Weg zum Hades. Man sieht brennende Ölfelder in einer menschenleeren Ödnis einer Wüste. In den Nebelschwaden steht Charon, der Wächter der Unterwelt, in einer Uniform. Orpheus muss über den Styx, den Fluss der Unterwelt. Charon verwehrt ihm das Durchkommen, da setzt Orpheus seinen Gesang ein. Charon beginnt darauf zu tanzen und lässt ihn passieren.
Im vierten Akt sind wir bei Pluto angelangt. Man sieht Pluto beim Abendessen – fränkisch - mit einem Bocksbeutel an einer langen Tafel. Am anderen Ende ist seine Frau Proserpina. Im Bühnenhintergrund liegt eine aufgebahrte Eurydike im weißen Kleid. Ja, und diese Hölle scheint tatsächlich zuzufrieren, denn es schneit. Proserpina bittet Pluto, Eurydike wieder in Richtung Oberwelt ziehen zu lassen. Dieser stellt jedoch die Bedingung, dass Orpheus sich beim Gang aus der Unterwelt nicht umdrehen darf. In einer großen Videoprojektion folgt Eurydike dem Gatten nun aus der Unterwelt. Dabei klingt das Orchester bisweilen gar nicht nach Frühbarock, sondern sehr jazzig. Natürlich ist die Prüfung für Orpheus zu hart und der dreht sich um. Eine Schar Furien aus der Unterwelt trennt nun Orpheus. Seine Frau steht rechts am Bühnenrand und stirbt zum zweiten Mal. Man sieht im Zwischenspiel die Projektion von alten Noten.
Im letzten Akt telefoniert Orpheus mit seinem Vater Apollo. Dem Sänger des Apollo filmt dabei ein Handy in den Mund beim Singen. Für mich war das ein bisschen viel Großaufnahme. Orpheus soll aber seine Gattin nie wiedersehen und wird selbst zur Statue, die sich mit einer Projektion großer Musiker vereint. Orpheus steigt quasi in den Himmel großer Musiker auf. Am Ende kommt das Partyvolk aus dem ersten Akt wieder auf die Bühne und preisen Orpheus.
Ein sehr ungewöhnlicher Monteverdi klingt da aus dem Orchestergraben des Opernhauses und nicht nur dort. Weil die Abstände dort nicht einzuhalten sind, die man augenblicklich fordert, spielen ein Teil der Geiger aus dem 1. Rang und ein Teil der Bläser aus den Proszeniumslogen. Gerade wenn man von Ferne und Weite singt, kommt das Geigerquartett im Rang zum Einsatz und schafft so neue musikalische Akzente. Die Instrumentierung mit einem Xylofon und die jazzigen Einlagen bei Orpheus Gang aus der Unterwelt wurden damals sicher nicht so notiert. Puristen von Frühbarock mögen da jetzt laut protestieren, aber dadurch werden interessante Akzente gesetzt. Barock ist jetzt nicht so mein Fall, ich fand das Ergebnis dennoch stimmig. Derzeit kann man nicht besonders wählerisch sein, man muss eben froh sein, dass überhaupt gespielt wird. Ein Blick in den Orfeo lohnt allemal, da waren sich die Kritiker einig. Wir hatten an diesem Abend Frank Löhr am Dirigentenpult, der an dieser Fassung als Komponist mitgewirkt hat. Die Oper wurde inszeniert von Jens-Daniel Herzog, wo es außer einem Tisch und einer großen Videoleinwand wenig zu sehen gab.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg