Der fliegender Holländer - Auf hohem Felsen lag ich träumend
Zur letzten der drei Aufführungen des „Fliegenden Holländers“ von Richard Wagner zog es uns ins ferne Wunsiedel zu den Luisenburg-Festspielen. Es musizierte dort die Elbland Philharmonie Sachsen aus Radebeul unter der Leitung von Tim Fluch. Für das Stück, das an Norwegens Küste spielt, konnte ich mir den felsigen Bühnenhintergrund mit dem Wald gut vorstellen. Wenn der Jäger Erik seine Arie „Auf hohem Felsen lag ich träumend“ singt, ist das in der szenischen Umsetzung auf dem Felsen kaum zu überbieten. Dazu kam Kunstnebel zum Einsatz, und ein grimmiger Holländer, der seine Schlussarie hoch oben singt, als er nach drei Akten endlich seinen Namen verrät, ist ebenfalls kaum zu überbieten. Mit anderen Worten: Alle, die dabei waren, hatten ihren Spaß an der Aufführung, auch wenn das Theater mit seinen 1900 Plätzen nicht ganz voll war. Natürlich gab es etwas Regietheater von Kai Anne Schuhmacher, und die große, offene Bühne erforderte den Einsatz von Mikrofonen für die Sänger. Das tat der Begeisterung dennoch keinen Abbruch.
So beginnt das Stück auch schon mit der Ouvertüre. Auf der Bühne stapeln sich Fischkästen in Blau und Gelb für den Fang, den die Seeleute einholen. Es sind kleine, silbrige Stofffische, die immer wieder in die Kästen geworfen werden. Auf der Bühne stehen die Holzreste eines Schiffswracks. Man erlebt eine Art Vorgeschichte, in der Senta die Sage vom Fliegenden Holländer aus einem Buch vorliest. Die zwei Quallen und die Seetiere, einschließlich eines Quallenpriesters mit Kreuz, führen während des Vorspiels eine Hochzeit durch. Mary entschwindet dabei mit dem Holländer – scheinbar gab es sieben Jahre vorher eine Verbindung zwischen der Amme Mary und dem Holländer, was durchaus Sinn ergibt. Ist es nicht sie, die Senta die Arie vom Holländer beigebracht hat? Der Holländer wird bei seinen Auftritten stets von elf Seeleuten in identischen Mänteln mit Bärten begleitet.
Während des ersten Akts ist Senta ständig auf der Bühne. Sie liest immer wieder aus Büchern und scheint vom Inhalt eines blauen Buches total fasziniert. Zusammen mit dem Steuermann liest sie sich durch die Bücher und ist voller Begeisterung. Dieser schläft jedoch über der Lektüre ein, als er für Daland Wache halten soll. Der Fliegende Holländer landet während seines Schlafs und singt seine Auftrittsarie, in der er sein Los beschreibt: Alle sieben Jahre geht er an Land und muss eine Frau finden, die ihn erlöst. Daland erscheint wieder und rüffelt den eingeschlafenen Steuermann, nachdem er kurz an einen Baum im Wald gepinkelt hat. Er versucht nun, die Herkunft des Holländers zu ergründen. Dieser umwirbt ihn mit den tanzenden Seetieren, die mit Aktenkoffern voller Geld den Kapitän Daland umtanzen. So verwirrt von den vielen Geldscheinen verspricht Daland dem Holländer seine Tochter. Das Geschäft ist abgemacht, und ein seltsamer Wind setzt ein, der das Schiff und die Mannschaft nach Hause trägt.
Statt einer Spinnereiszene hat man die Szene kurzerhand in eine Fischfabrik verlegt. Statt zu spinnen, verpacken die Damen die Fische und etikettieren Kartons. Scheinbar ist gerade keine Saison zum Wolle spinnen, und die Damen müssen sich in der Fischfabrik mit blutigen Gummistiefeln ihr Geld verdienen. Senta hat kein Bild vom Holländer, sondern ein Buch, in dem die Arie vom Holländer steht. Sie steigt auf die Fischkästen und singt ihre große Arie vom Holländer. Es gibt auch einen Konkurrenten: den schwarz gekleideten Jäger Erik mit Flinte und Tätowierung, der den Holländer optisch locker aussticht. Er hat geträumt, dass ein Fremder mit Sentas Vater kommt, der seine Senta aufs Meer entführt. Er versucht, die Seiten aus dem Buch zu reißen, in denen die Ballade steht, und überreicht ihr sogar eine silberne Schachtel mit Ringen. Doch die Ballade sollte sich bewahrheiten. Senta hat es mit einer Art doppeltem Holländer zu tun: Einerseits gibt es den Holländer aus ihren Träumen, in Wirklichkeit scheint dieser jedoch ein ständig telefonierender Geschäftsmann im blauen Anzug zu sein, der sich nur marginal für Senta interessiert. Beim ersten Aufeinandertreffen von Daland, Senta und dem Holländer kredenzt man drei Fischstäbchenplatten. Der Holländer versucht es jedoch mit einer Art Fruchtteller als Nachtisch. Kaum hat man 12 Minuten geflirtet, ist man auch schon so weit, dass die Fischentourage zur Hochzeit kommen kann. Es findet eine geträumte Hochzeit statt. Entgegen der gängigen Aufführungspraxis ist nach dem zweiten Akt eine Pause für den Bühnenumbau.
Im dritten Akt findet auf Bierbänken das Fest zur Rückkehr der Seeleute statt. Mit Schleifen im Haar haben sich die Damen hübsch gemacht. Es gibt Muschelballons und Plastikflitter. Man schießt sogar Konfettikanonen ab, und das ganze Dorf ist in Feierlaune. Der Steuermann gibt sich mit Bierflaschen die Kante und tanzt auf dem Tisch. Schließlich hat er zu viel getrunken und übergibt sich am Bühnenrand. In ihrem Rausch fangen die Seeleute an, das Nachbarschiff und dessen Mannschaft zu provozieren. Das rächt sich schließlich: Die Geister erscheinen auf dem Felsen und beenden das Fest. Senta versucht, sich mit einem Messer zu verteidigen. Als die Geister verschwunden sind, ist Senta am Ende mit ihren Nerven und versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Erik platzt nochmals herein und erinnert Senta daran, dass sie ihm die Treue schon geschworen hatte. Der Holländer hört dies und sagt, dass Sentas einzige Rettung jetzt ist, dass sie ihre Treue noch nicht vor Gott geschworen hat. Die Schlussarie auf dem hohen Felsen ist einfach großartig. Nachdem der Holländer seine wahre Herkunft enthüllt und sein Schicksal geklärt hat, verwandelt er sich wieder in den Geschäftsmann. Senta zerschlägt eine Flasche und schneidet sich damit die Kehle auf. Die Dorfbewohner stürzen im Pulk auf sie ein. Der telefonierende Geschäftsmann kommt zu spät, um Senta zu retten.
Natürlich klingt das alles ein wenig nach Regietheater, doch die Bühne trägt solche Ideen problemlos. Auch den Einfall mit der Fischentourage lässt man durchgehen – es soll das Werk etwas auflockern. Mich hat dieser „Holländer“ auf jeden Fall mehr begeistert als die letzten Aufführungen in Berlin und Bayreuth. Die hohen Felsen und der Nebel – dagegen kommt kein Regietheater an. Das ist einfach zu gut in Szene gesetzt durch die Naturbühne. Auch musikalisch war es sehr schön: Menna Cazel als Senta und der slowenische Tenor Aljaž Vesel wären sicher ein gutes Paar geworden, wenn es Do-Heon Kim als den bösen Holländer nicht gegeben hätte. Obwohl das Orchester etwas kleiner besetzt war, beeindruckte die Elbland Philharmonie aus Radebeul dennoch. Mehrfach jagte einem dieses Werk von Richard Wagner Schauer über den Rücken. Eine wirklich packende Aufführung in Wunsiedel – den Regietheatereinfällen zum Trotz.
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