Parsifal und die Nürnberger Jugendstil-Oper
David Hermann hat sich in Nürnberg an einen richtig dicken Brocken von Wagner herangewagt, eine Neuinszenierung von Richard Wagners Spätwerk Parsifal. Mit der Lohengrin-Inszenierung von einigen Jahren war ich nicht glücklich, auch hier verhießen die Kritiken in den einschlägigen Kultur-Webseiten nichts Gutes. Musikalisch hatten die Kritiker bei Roland Böer nichts auszusetzen. So war auch ich mit der Interpretation der Oper vollends zufrieden. Böer trumpft auf, wenn gerade keine Stimmpartie zu hören ist, da kann es schon mal richtig laut werden. Er traut sich in der Ouvertüre deutliche Phrasen zu, mit gefühlten sekundenlangen Pausen, ohne das zu überdehnen. Sind Sänger am Werk, hält er sich gekonnt zurück, sodass Tadeusz Szlenkier beim Epilog von ‚Nur eine Waffe taugt‘ noch genug Kraftreserven hat. Dass das nicht selbstverständlich ist, hatte ich in den letzten Jahren oft genug erlebt. Dennoch muss man sich auf gut über 4h reine Spielzeit einstellen und auf zwei Pausen, sodass man erst nach 5h zur finalen Enthüllung des Grals kommt. Das ist definitiv keine Oper für eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Zudem ist die Oper sehr männerlastig, die Blumenmädchen nur eine kurze Episode und die einzige große Frauenparty Kundry äußerst fordernd. Anna Gabler krächzt, schluchzt, schreit und singt sich sehr famos durch die Mörderpartie der Kundry.
David Hermann lässt bei der Ouvertüre schon mal nur die Musik wirken und macht für meinen Geschmack in dem Punkt schon einen guten Start vor dem schwarzen Vorhang. Gurnemanz läuft zu Beginn durch die ersten Reihen und segnet eine Zuschauerin. Wir kommen zu einer Art Drehbühne, die eigentlich unmöglich ist. Eine Holzhütte auf Rollen mit einer Klappmechanik suggeriert effektvoll eine Drehbühne auf Rollen, die eigentlich so im Opernhaus gar nicht existiert. Das macht tolle Dreheffekte, die man so in Nürnberg noch nie gesehen hat. Schon die Einblendungen wie bei einem Stummfilm suggerieren, man ist in einem Weihspiel. Es findet in historischen Kostümen eine Art Osterkrippenspiel statt. Kundry erscheint dabei in einem Militäroverall gleich dreifach. Die Knappen haben Gelb/Lila-Togas an und auffällige rote Socken. In einer Art Jesus-Kostüm kommt Amfortas mit grauen Haaren. Kurz wird die Geschichte von der Verwundung Amfortas durch einen Speer angerissen, indem sich eine Art weißer Gargoyle mit Flügeln vom Bühnenhimmel absenkt. Kundry hätte eine neue Medizin, die gegen die Wunde des Speers helfen soll. Die Medizin hilft Amfortas aber nicht hilft. Kundry beobachtet die Szene dann auf einer Art Heukrippe in dem drehbaren Stadel. Sie hatte einst Amfortas verführt, der jetzt dazu verdammt ist ein Gralsritual unter großen Schmerzen zu vollführen. Es kommt Parsifal an, der sich in den heiligen Hallen ungehörig verhält. Er erlegt einen Schwan und stört damit die Ruhe in der Gralsburg. Parsifal wohnt nur mit Gurnemanz aus der Loge dem Zeremoniell der Gralsenthüllung bei. Als die Zeit zum Raum wird, wird aus dem 3. Rang ein weißes Segel an Seilen in Richtung Burg gezogen. Natürlich ist das ein toller Effekt und ich habe mir sagen lassen, dass er bei den Proben nur in 40% der Fälle wirklich funktioniert hat. Ob wohl die Nornen aus der der Götterdämmerung am Tuch gewebt zu haben? Denn an dem Abend der Aufführung gab es einen großen Riss im Tuch. Man musste etwas improvisieren, um das Tuch dann auf die Gralsburg zu bringen, die in dem Moment rot leuchtet. Wieder dreht sich die Gralsburg und gibt einen langen schwarzen Kasten zum Vorschein, in dem sich Titurel, der Vater von Amfortas, befindet. Mit hohler Stimme klingt es über die Verstärkeranlage aus dem Kasten. Zudem scheint Titurel eine Art Parkinson zu haben. Amfortas gelingt es dennoch den Gral zu enthüllen, der eine Art Krippe mit gleißender Beleuchtung ist. Die Gralsglocken kommen nun leider vom Band, dennoch klingt bereits das Erlösungsmotiv, auch wenn Parsifal nichts von dem verstanden hat, was gerade passiert war. Gurnemanz schickt Parsifal ärgerlich fort.
Im zweiten Akt kommt nun die Regie auf den genialen Einfall, das historisierende Krippenspiel zu beenden. Man befindet sich in Klingsors Wonnegarten mitten in einer üppigen Jugendstil-Welt und lässt das alte Opernhaus von Nürnberg wiederauferstehen. Hinzugefügt wurde eine Art Architekt der Oper, der Parsifal unterweist. Parsifal sieht aus wie ein Landfrische-Gentleman aus den 20er Jahren, inklusiver weißer Oxford-Lederschuhe. Als er den Zaubergarten betritt, setzt er sich eine blonde Perücke auf und einen zweifarbigen geometrischen, Pelzimitat-Mantel. Man projiziert das alte Prospekt des Zuschauerraums über die Klassizismus-Bausünde aus den 30er Jahren. Die Mädchen in Klingsors Zaubergarten werden von einer übergroßen Iris bewacht, der Klingsors Zauberspiegel darstellt. Es gibt wirklich sehr viele Blumenmädchen in langen, braunen Jugendstilgewändern und Perücken. Parsifal soll von Kundry wie Amfortas verführt werden. Dieser versteckt sich in einem Bogen unter den Stufen zur Bühne, der den ehemaligen Jugendstilbrunnen im Foyer imitiert. Dort stellt Kundry ein kleines Kreuz auf und berichtet vom Tode Parsifals Mutter. Kundry tritt nun auf wie eine Stummfilmgöttin Hedy Lamarr. Mit einem Helm und einem schwarzen Kleid, versucht sie als schönste der Blumenmädchen Parsifal ebenso zu verführen wie Amfortas, was ihr aber nicht gelingt. Es kommt sogar zu einem Kuss, als Parsifal die Parallelen erkennt. Das ruft wiederum Klingsor auf den Plan, der einen Speer gegen Parsifal schleudert. Unter lautem Getöse zerfällt das schöne Jugendstil-Ambiente und gibt den Blick auf den Zuschauerraum frei, wo jetzt Hitlers Führerloge zu sehen ist. Der Jugendstil-Zauber des Opernhauses zerfällt und Parsifal ruft Kundry zu: Sie wisse, wo sie ihn finden könne.
Im letzten Akt irrt Gurnemanz mit zwei großen Wasserkanistern in einem Rock durch den Zuschauerraum. Man sieht eine Gefolgschaft von Parsifal, die als apokalyptische weiße Krieger mit Masken zur Gralsburg unterwegs sind. Dort hängen noch Reste des Tuchs aus dem ersten Akt. Kundry hat wieder ihre schwarzen langen Flügel aus dem ersten Akt an. Sie erwacht mit einem Schrei und will nur noch dienen. Die Krieger um Parsifal legen ihre Waffen ab, denn es ist Karfreitag. Parsifal ist nun am Ziel seiner Wanderung angekommen. Titurel ist tot, dafür hat sein Sohn Amfortas ein silbernes Outfit an. Kundry und Parsifal waschen Amfortas und Kundry verliert ihre schwarzen Flügel. Damit ist der Bann der Wiedergeburt gebrochen. Eine kleine Blumenwiese, die Parsifal an die Blumenmädchen erinnert, sind die glänzenden Wiesen durch die die Ritter zur Gralsburg schreiten. Nun folgt die letzte Enthüllung des Grals durch Amfortas. Der Speer, der einst Amfortas Wunde durch Klingsor geschlagen wurde, schließt sie nun. Wieder sind zwei Gargoyles mit auf der Bühne. Titurel liegt unter einem Gazetuch als Staubleiche. Erst spät erkennt man, dass es dabei um kleine Spiegel handelt, die die Gralsritter nun an sich nehmen. An einer zusammensetzbaren Stange wird nun der silberne Gral hoch aufgesteckt und hell erleuchtet. Mit den Spiegeln, die den Zuschauerraum erhellen endet die Oper. Parsifal übernimmt das Amt von Amfortas.
Ich habe den Zusammenhang der drei Teile sehr wohl begriffen, es ist eine Art Zeitreise durch die Aufführungsgeschichte von Parsifal ist. Am meisten begeistert dabei der Zaubergarten. Man gerät ins Schwärmen von der vergangen Pracht des Nürnberger Opernhauses. An den begangenen Bausünden leidet das Opernhaus noch heute. Man kommt ins Träumen, was wäre, wenn man mit der zukünftigen Sanierung des Hauses, den vergangenen Glanz aus der Epoche zurückholen würde. Als ich 1990 vor den Ruinen der Frauenkirche in Dresden stand, sagten alle: Das wird auf ewig ein Trümmerhaufen bleiben, was letztlich nicht stimmte.
Jetzt ist so eine lange Wagneroper sicher nicht das, was man sich jeden Tag gönnen würde. Im Gegensatz zu den Kritikern in der Presse, habe ich den Regieansatz schon verstanden und Vergleiche zu Herheims Zeitreise in Bayreuth im Jahr 2012 gesehen. Die Idee fand ich schon bestechend damals, was David Hermann aufs Beste meiner Meinung nach aufgegriffen hat. Die Illusion einer Drehbühne zu schaffen, die Pracht des alten Opernhauses zu zaubern, das alles schafft die Inszenierung. Das ist eine Inszenierung, die so nur hier in Nürnberg funktionieren kann. Er hat sich da im besten Sinn an Herheim oder Tobias Kratzer angelehnt, die in Inszenierungen in Bayreuth, viel Ortsbezug verwendet haben.
Das letztlich alles so gut funktioniert, liegt sicher auch an der musikalischen Leitung durch Roland Böer.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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