Zu einem Besuch der Oper Lanzelot von Paul Dessau zog es mich nach Weimar. Dort hatte man in Kooperation mit Erfurt dieses moderne Werk wiederaufgegriffen, das seit 1972 nicht mehr gespielt wurde. Man darf sich von dem mittelalterlichen Titel nicht blenden lassen. Diese Zwölf-Ton-Oper handelt nur im übertragenen Sinn von einem Drachentöter. Der Drache ist hier ein Despot, der für die Gegenleistung „Gesundheit“, jährlich eine Jungfrau erhält, die er heiratet und anschließend tötet. Die Bevölkerung arrangiert sich mit dem Despoten, nimmt das Menschenopfer hin. Da kommt ein junger Held namens Lanzelot, der sich in die Jungfrau des Jahres Elsa verliebt. Gegen den Willen der Bevölkerung befreit er die Menschen vom Drachen. Das Stück ist in erster Linie ein Stück gegen einen totalitären Staat, in der Kunst hatte man im Jahr 1969 ein Ventil geschaffen, in Berlin zuerst als Theater, dann als Oper gegen den Staat zu sticheln. Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas geht es doch bunt und fröhlich auf der Bühne zu. Die Musik schafft Bezüge zu Humperdinck, Beethoven und letztlich zu Paul Dessau selbst. Auch wenn das Thema etwas aus der Mode ist, die Oper hat doch noch einen besonders aktuellen Bezug in Form eines Beschwerdebuchs der Natur, das in der Oper erwähnt wird. In einer Höhle schreibt die Natur auf, was sie zu leiden hat und das ist dann doch wieder sehr aktuell. Regie führte in diesem Stück Peter Konwitschny, das in 15 Szenen die Handlung erzählt.
Die beginnt mit einem gemalten Urwaldtableau. Man hört eingängige Melodien. Der Vorhang geht hoch und man sieht eine wilde Horde in der Steinzeit. Man ist geplagt von der Cholera, die massenweise die Leute dahinrafft. Ein fantasievoll gekleideter Medizinmann kommt in einem Leiterwagen dazu und erklärt die Ursache: verunreinigtes Wasser. Sie sollen einen Drachen involvieren, der das Wasser des Sees mit seinem Feueratem abkocht. Aus dem Bühnenhimmel kommt drauf hin ein großer LED-Tauchsieder, der in einem Bottich das Wasser abkocht. Der Medizinmann verteilt viele kleine rote Tauchsieder von seinem Leiterwagen an die Steinzeitbevölkerung. Die nächste Szene ist von einem Elektrogroßhandel Müller. Der Drache vertreibt nun die Artikel professionell. In einer H-förmigen Anordnung sieht man nun die Front des Elektroladens, das Haus von Charlemagne oder die Drachenhöhle, je nach Drehung. Drei Mädchen in Uniform beglückwünschen Elsa, die dieses Jahr mit dem Drachen Hochzeit machen soll und ihr Leben lassen. Elsa findet sich mit ihrem Los aber nicht ab. Der Bühnenaufbau rotiert und man ist in der Höhle des Drachen. Der hantiert immer wieder mit Feuer, ist einfach unberechenbar und bringt seinen Diener um. Den lila Rock übernimmt der Sohn des Bürgermeisters, der eigentlich mit Elsa verlobt ist. Elsa scheint also wirklich verloren. Im Haus von Charlemagne hängt das Bild des Drachen an der Wand. Ein Kater schildert in diesem 70er Jahre Wohnzimmer Lanzelot die Lage. Weil er sich ebenfalls in Elsa verliebt, verspricht er, die Stadt zu befreien. In der Höhle des Drachen beobachtet man derweil die Bevölkerung mit Webcams. Man schaltet sich in diverse Wohnzimmer, um zu sehen, ob die Untertanen auch artig sind. Der Drache beschwört nun das Orchester und hofft, wieder so furchteinflößend zu sein, wie früher. Als das Schlagwerk des Orchesters einsetzt, scheint seine alte Macht zurück. In einem Possenspiel im Stadttheater lässt sich der Drache nun über seinen Feind Lanzelot aufklären. In Schulszenen wird nachgespielt, wie Lanzelot einen Löwen erlegt, die neunköpfige Hydra besiegt und sonstige Heldentaten in Griechenland begeht. Es wird auch mal eine Stelle aus dem Siegfried von Richard Wagner zitiert, wo Siegfried gegen den Drachen kämpft. Diese öffentliche Sitzung stürmen die Katzen im Zuschauerraum und fordern Rede und Antwort. Die Saalaufsicht gebietet dem Treiben aber Einhalt. Lanzelot soll nun zum Kampf antreten, aber gleichzeitig mit einem roten Zettel verkünden, dass seine Waffen in Reparatur sind. Nun fordert der Bürgermeistersohn auf, dass Elsa Lanzelot umbringen soll. Lanzelot will aber dennoch Elsa befreien und es kommt vor der Pause zum Liebesakt zwischen Elsa und Lanzelot.
Im nächsten Teil lässt der Drache seine militärischen Muskeln spielen. Man sieht Überwachungsdrohnen, Tarnkappenbomber, Raketenabwehren und sonstiges militärisches Gerät. In der Waffenkammer spielt ein Trio aus Geige, Flöte und Harfe. Die drei Musiker beseitigt der Drache mit lautem Knall, nur um sie später als Engel in einer Video-Einspielung wieder zu sehen. In einer Stadtnachtszene feiert die Bevölkerung und trinkt an einer Bar Drachenblut. Lanzelot bekommt nun von den Arbeitern und Tieren die Ausrüstung gestellt, die ihm gegen den Kampf mit dem Drachen helfen sollen. Dies sind ein Tarnhelm, ein fliegender Teppich und ein Schwert. Es folgt ein Kampf gegen den Drachen, wobei Lanzelot das Schlagwerk auf der Bühne immer wieder umrundet und letztendlich gegen sich selbst mit einem Double kämpft. Der Drache ist am Ende besiegt, mit großem Opfer und Lanzelot überlebt verstümmelt und geblendet. Inzwischen gibt sich der Bürgermeister aber als Sieger aus und lässt eine Statue enthüllen. In einem Gespräch zwischen Cello und Lanzelot hört man auf der Bühne leise Zwischentöne über den verwundeten Lanzelot. Es kommt zu einer großen Siegesfeier, wo die Gefangenen des Drachen befreit werden. Die Verdienste werden aber zuerst den Falschen zugeschrieben, bis Lanzelot mit einem Flüchtlingsboot auf die Bühne kommt. Elsa ist inzwischen schwanger. In die rauschende Feier platzen aber der Bürgermeister und sein Sohn mit Maschinengewehrsalven. Am Ende ist die ganze Bevölkerung tot, nur Lanzelot und Elsa überleben mit einem Zwillingspaar.
Mir war von klar, dass 2 ¾ Stunden moderne Oper ein anstrengender Nachmittag sein wird. Dadurch, dass die Musik aber immer wieder bei Klassikern zitiert, ist es durchaus auszuhalten. Das Schlagwerk ist immer wieder auf der Bühne präsent und nimmt als Werkzeug des Drachen immer eine prominente Position in der Musik ein. Bei dieser Deniere in Weimar war das Haus ausverkauft. Man wollte also durchaus dieses moderne Stück sehen und es war nicht so, dass die Pause auffallend häufig dazu benutzt wurde, die Vorstellung zu verlassen. Von der Partie sind die Spitzentöne von Elsa wirklich grenzwertig zu singen und man muss der Hauptdarstellerin Emily Hindrichs wirklich Respekt zollen. In Erinnerung bleibt aber auch Oleksandr Pushniak als Drache, eine lange und schwierige Partie zu singen hat. Mit anderen Worten: Toscas und Traviatas gibt es aller Orten, einen Lanzelot nur in Thüringen. Ich fand das Stück jedenfalls äußerst spannend. Letztlich ist der Bezug auf ein Beschwerdebuch in einer Höhle der Natur, was sie selbst zu leiden hat, ein weitsichtiger Aspekt. Können wir so weiterleben wie bisher? Können wir zu einer humanen Gesellschaft werden? Alles Fragen, die sich einem nach der Oper aufdrängen.
Quelle: YouTube | DNT Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar