Stumm beginnt die Aufführung von Leoš Janáčeks ‚Aus einem Totenhaus‘ im Nürnberger Staatstheater. Calixto Bieito lässt die Sänger auf einer dunklen Bühne mit einem improvisierten Ball zwischen den Pfützen auf der Bühne Fußball spielen. Man sieht am Hintergrund eine verrostete Metallwand. Das Ballspiel bietet Ablenkung vom Lageralltag. Man könnte meinen: Oper über ein sibirisches Gefangenenlager klingt nicht lustig? Ist es auch ganz und gar nicht. Der Regisseur schafft einen beklemmend lebensnahen Eindruck von dem, was dort abgeht. Janáček liefert dazu einen breiten, modernen Klangteppich, wobei sich das Eingangsmotiv immer wiederholt. Diesen Unort, versucht der Komponist mit seinem Werk in Töne zu fassen und Calixto Bieito mit seiner Regie in Bildern. Dies gelingt beiden beklemmend gut, sodass man froh ist, diesem Albtraum aus Endzeitwelt und Klang nur knappe 100 Minuten ausgesetzt zu sein. Die Oper ist immer von symphonischen Orchestereinlagen durchbrochen, es singen fast ausschließlich Männer. Wenig später öffnet sich die eiserne Wand und man schaut als Zuschauer in grelles Licht. Die Lagerinsassen rollen Autoreifen auf die Bühne. Alexandr Petrovitč Gorjančikov, ein Adeliger kommt als politischer Gefangener ins Lager. Dort muss er erst mal seinen Anzug ausziehen, man schiebt ihm ein Gewehr in den Mund und bestraft ihn mit 100 Peitschenhieben an der Metallwand. Nun lernt man in einige Gefangene aus dem Lager kennen. So hat ein gewisser Luka einen Kommandanten ein Messer an den Hals gesetzt, der sich im Lager für Zar und Gott hielt. Dafür landete er im Lager. Die Gruppe kümmert sich im Original um einen verletzten Adler, der hier durch ein Pappflugzeug dargestellt wird. Ein Aufseher zerbricht den Pappflieger. Der ausgepeitschte Alexandr wird auf die Bühne gebracht. Es folgt die Szene von einem kirchlichen Feiertag. Nun wird eine echte, stillgelegte Antonow AN-2 aus dem Schnürboden herabgelassen. Dieses Flugzeug ist wirklich das Highlight der Inszenierung und nimmt die ganze Bühne ein. Es ist das Symbol für die Hoffnung auf Flucht aus dem Lager. An dem wird scheinbar ein Kanister mit Wodka unter die Gefangenen geworfen. Skuratov erzählt nun seine Geschichte, wie seine große Liebe Luisa gezwungen wurde, einen reichen Verwandten zu heiraten. Diesen Verwandten hat er umgebracht. Deshalb ist er hier. Anlässlich des Feiertags improvisieren die Häftlinge zwei Theaterstücke. Zuerst das Stück von ‚Kedril und Don Juan‘. Den Don Juan holen dabei 6 Teufel mit Phallushörnern und roten Plastikphallus. Sein Diener Kedril bekommt daher die Liebschaft des Don Juan. Das zweite Stück ist ein Stück von einer mannstollen Müllerin, alles gespielt von Männern. Unter großen Kartons kommen Männer auf die Bühne, einer davon ist nackt. Es wird ein Oralverkehr simuliert, wobei der Darsteller ausspuckt. Es kommt schließlich zum Streit, da Alexandr scheinbar immer noch privilegiert ist und Tee trinken darf. Es kommt zu einer Schießerei auf der Bühne. Im nächsten Akt erzählt dann Schapkin, wie ihm beim Verhör fast ein Ohr abgerissen wurde. Bei diesem Gefangenen zeigte die Maske, was sie konnte, denn die Verletzung sieht wirklich schlimm aus. Die Antonow entschwindet im Bühnenboden. In einem langen Monolog erzählt nun der Gefangene Šiškov von seiner Liebe zu Akulina und dessen Rivalen Filka. Als seine Liebe gesteht, dass sie Filka liebt, bringt er sie um. Und durch einen Zufall ist dieser Filka gleichzeitig mit ihm im Lager. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Im Vordergrund bringt man die Leichen in graue Plastiksäcke, unter ihnen ist auch Luka. Es geschieht das Unglaubliche. Alexandrs Mutter erwirkt die Freilassung von Alexandr. Der betrunkene Offizier entschuldigt sich für die Peitschenhiebe. Es sieht fast so aus, als ob er freikommt. Dennoch wird der eigentlich positive Schluss der Oper durch die Regie entkräftet. Alexandr wird erschossen.
Man ist am Ende doch froh, dass man nach diesem Ausflug nach Sibirien wieder nach Hause gehen darf. Die Oper zeigt die Bilder von dem Alltag in dem Lager beklemmend gut. Die Deutung von Bieito ist vielleicht schlüssiger, als die Wiener Inszenierung, die alles in die russische Halbwelt verlegte. Es ist aber immer die ganze Horde der Gefangenen auf der Bühne, was es auch bei den Monologen teilweise schwermacht, dem Text zu folgen. Bewundernswert ist, wie die ganzen Darsteller in Tschechisch singen und sprechen. Fjodor M. Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ ist sicher kein leichter Stoff für eine Oper. Auch ich habe einen Tag gebraucht, die Bilder zu verarbeiten. Erwähnt sei vielleicht noch ein Zwischenfall im zweiten Akt, als es einer Zuschauerin in der ersten Reihe des dritten Rangs zu viel wurde und man die Sanitäter holen musste. Eine Oper, für die man wirklich bei guter Konstitution sein muss. Sehenswert, aber echt hardcore.
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Georg Schmiedleitner hat es geschafft und an der Staatsoper Nürnberg in dieser Spielzeit den Ring von Richard Wagner vollendet. Wer jetzt die große Überraschung erwartet hat, ist vielleicht enttäuscht. Die Wende in der Deutung bringt die Götterdämmerung nicht, aber das Ende. Wagners Untergangsvision, der vorher mühsam aufgebauten Welt, ist vielschichtig. Die Götter haben sich also in ihr Walhalla zurückgezogen und den Menschen Platz gemacht. Man landet mit der Götterdämmerung quasi tagaktuell in der Medienwelt des 21. Jahrhunderts. Wobei die Nornen zu Beginn der Aufführung im ersten Rang singen und alte Tonbänder abwickeln. Man kann dies als Zeichen einer antiquierten Welt sehen, die ihre Tage gesehen hat. Die Bänder werden geflochten und reißen schließlich, was eigentlich nur das Ende der Götter bedeuten kann. Aus einem versenkten Bühnenkasten fahren nun Siegfried und Brünnhilde aus dem Boden heraus. Ihr Steingemach ist mit dem Fernseher aus dem Siegfried-Teil ausgestattet, der kopfüber von der Decke hängt und alte Stummfilme abspielt. Siegfried ist rechts an der Wand und lehnt in der Luft von der Seite. Man erkennt in dem Steingemach, einen Teil eines Baumes und das bekannte braune Ledersofa. Den Helden des letzten Teiles zieht es mit einem kleinen, braunen Stoffpferd hinaus in die Welt. Er zieht sich dazu seinen Anzug aus und ein kariertes, rot-weißes Hemd an. Dazu trägt er eine Lederhose und wenig passende, orange Turnschuhe. Die Karikatur des Helden findet also nur konsequent die Fortsetzung in diesem Teil. Mit einem Papierschiffchen geht es runter zum Rhein in die Halle der Gibichungen. Am Rhein trifft man auf Flüchtlinge, die sich mit nacktem Oberkörper die Laster der Menschen auf die Brust gemalt haben. Gnadenlos klappt der weiße Boden der Gibichungenhalle herunter und begräbt die Flüchtlinge unter sich. Im weißen Saal der Gibichungen prangt ein großes „G“- in Form des Google-Schriftzugs von der Decke. In der Wand sind kleine Löcher, die gelb hinterleuchtet werden, sodass man den Eindruck von vielen LEDs hat. Auf die Rampe montiert sind zwei Sessel in Metalloptik, die den Eindruck einer Chefetage vermitteln. Im hinteren Teil steht ein Kühlschrank, der eigentlich nur zwei Flaschen Sekt und einen Energy-Drink beinhaltet. Mit diesem Vergessenstrank heckt nun das Geschwisterpaar Gunther und Gutrune einen Plan aus. Auf Rat eines leicht übergewichtigen Hagen setzt nun der Partnertausch ein. Hagen klärt Siegfried über die Bedeutung des Tarnhelms auf. Gunther und Siegfried schließen Blutsbrüderschaft, wobei Siegfried seine Kleidung mit Blut verschmiert. Womit wir wieder bei der Vorliebe des Regisseurs für Theaterblut wären. Damit die Verwandlung auch gut klappt, zieht Siegfried nun den blauen Anzug von Gunther an und als er Brünnhilde vergessen hat, entbrennt er sofort in Leidenschaft für Gutrune und verspricht Gunther Brünnhilde als Braut zu bringen. Es fährt wieder der Kasten aus dem Bühnenboden, geblieben ist das braune Ledersofa, aber im Hintergrund sieht man ein überlebensgroßes Konterfei des Helden. Es gibt sogar eine Tür, durch die Waltraute hereinstürmt und versucht, Brünnhilde zur Rückgabe des Rings zu bewegen, auf den Wotan wartet. Er würde Holdas Äpfel nicht essen, hätte die Weltesche gefällt und das Holz um Walhalla auf schlichten lassen. Er würde auf das Ende warten. Waltraute ist zudem gegen den Willen Wotans unterwegs. Sie hat die Lösung: Der Ring müsste den Rheintöchtern zurückgegeben werden. Da Brünnhilde den Ring als Liebespfand von Siegfried bekommen hat, stößt sie Waltraute zur Tür hinaus. Nun flammt der Walküren Fels auf, was sehr eindrucksvoll am Bühnenrand mit Feuerprojektionen gelingt. Aber es nicht Siegfried, der kommt, sondern für Brünnhilde scheinbar Hagen. Hätte sie mal ein bisschen besser im Textbuch der Walküre aufgepasst, wäre ihr klar gewesen, dass nur Siegfried durch den Ring kommen kann. Der getarnte Siegfried entreißt ihr nun den Ring. Auch wenn er sich am braunen Sofa nun breitmacht, er hält zu Brünnhilde doch eine Schwertlänge Abstand, als Treue zu seinem Blutsbruder Gunther.
Im zweiten Aufzug spitzt sich die Situation nun zu. Hagen schläft in einem der Sessel in der Gibichungenhalle. Zwischen halbdurchsichtigen Plastikvorhängen schleicht er umher. Sein Vater Alberich fordert nun den Ring von Hagen ein, was er letztendlich bewilligt. Siegfried taucht unvermittelt auf und sagt, er habe Brünnhilde erobert. Es soll eine Hochzeit geben. Statt des Kahns kommt nun ein Flüchtlingsboot auf die Bühne mit blauen Plastiksäcken beladen mit der Aufschrift Syria. Auf diese Menschen prügeln nun die gut gekleideten Gibichungen ein. Man könnte die Menschen hier als Tieropfer sehen, von denen Gunther spricht. Die Stimmung ist aber ausgelassen. Es werden fleißig Luftschlangen verteilt und Gunther lässt sich auf einem Möbelroller von Brünnhilde in die Halle ziehen. Hinter einer Plexiglaswand sieht man nun wieder die Flüchtlinge, die dem Treiben nur zusehen dürfen. Nun sieht aber Brünnhilde Siegfried und erkennt an ihm auch den Ring, den sie im ersten Aufzug vermeintlich an Gunther verloren hat. Brünnhilde fühlt sich nun verraten und Siegfried schwört nun bei der Speerspitze Hagens, dass er Brünnhilde nicht angefasst hat. In einer Nachtszene sinnen Hagen, Brünnhilde und Gunther auf Rache. Ein allseits beliebter Jagdunfall mit einem Eber soll nun die Ursache für das Ableben des Helden sein.
Im letzten Aufzug erkennt man nun wieder das wilde, vermüllte Wald- und Felsental am Rhein. Gegen die pralle Sonne cremen sich die Rheintöchter nun reichlich ein. Zwei zerrissene Sonnenschirme, einer von einem lokalen Eisproduzenten, sollen gegen die Sonne schützen. Mehrfach flitzt Siegfried über die Bühne. Das Planschbecken mit den Wellenverzierungen hat kein Wasser. Das wurde ja im Rheingold schon von einem Lebensmittelkonzern in Flaschen verpackt. Lustig, wie die Rheintöchter sich im Planschbecken wälzen und Siegfried necken. Eines ist klar, auch sie wollen ihm den Ring abluchsen. Sie warnen ihn sogar, dass er heute noch den Tod finden würde. Es trifft die Jagdgesellschaft ein. Auch die Gesellschaft hat schon Smartphones und macht Selfies mit dem Helden nach der Jagd. Siegfried meinte, er hätte nur Wasserwild gefangen und wäre glücklos. Die Jagdgesellschaft macht es sich mit Bierkästen einer lokalen Brauerei gemütlich. Nun entlockt ihm Hagen die Geschichte von alter Zeit (aus dem Siegfried). Er erinnert sich an seine Jugend bei Mime, wie er den Drachen tötete und den Ring bekam und wie er mit einem Kuss, der schönen Brünnhilde in den Armen lag. Das ist der Moment, in dem Hagen einschreitet und mit einem Speer Siegfried von hinten erledigt für den Meineid. Damit das Ganze ohne viel Kleckerei abläuft, findet das im Planschbecken der Rheintöchter statt. Sterbend erinnert sich Siegfried an Brünnhilde. Da der schmächtige Gunther, Siegfried nicht abtransportieren kann, stellt er den blutüberströmten Helden auf. In der Gibichungenhalle wartet nun Gutrune auf ihren Mann. Sie legen den toten Siegfried in die Halle. Nun fordert Hagen den Lohn ein, nämlich den Ring. Dafür räumt er auch Gunther zur Seite. Nun hebt sich die Hand von Siegfried empor, was Hagen nun unheimlich wird. Brünnhilde bringt nun den Rheintöchtern den Ring zurück. Diese haben vor der Halle ein kleines Büro mit einem Laptop aufgebaut. Dort senden sie Twitter Feeds mit den letzten Worten von Brünnhilde ab. Es kommt ein Fernsehteam auf die Bühne, die Brünnhilde zum Geschehen interviewt. Die Halle der Gibichungen verliert ihre Wände und die Mannen bringen auf Smartphones das Feuer nach Walhalla. Damit endet die Oper.
Ich war in der letzten Aufführung in dieser Spielzeit. Das Team war gut eingespielt und das Orchester hat die 4 ½ Stunden reine Spielzeit mit Bravour absolviert. Selbst die als krank angekündigte Rachael Tovey hat den Abend bestens überstanden und einen fulminanten Schlussmonolog hingelegt. Die Überraschung des Abends war für mich Roswitha Christina Müller, die eine tolle Waltraute abgab. Markus Bosch dirigierte den Abend hervorragend und zum Schluss gab es Blumen für Vincent Wolfsteiner als Siegfried, der Nürnberg leider verlässt. Ob in einem Jahr die Einblendung und der Bezug auf die aktuelle Tagespolitik noch verständlich sein werden, mag dahingestellt sein. Während der Pausen lief auf dem Vorhang der Bühne CNN. Ein leises Buh gab es doch am Ende für die Regie. Mit Siegfried als Held geht man auch mir in diesem Ring etwas zu respektlos um. Aber es sind wirklich viele gute Einfälle dabei und vielleicht erklären sich im kompletten Durchlauf nächstes Jahr auch noch die Kühlschränke auf der Bühne.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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Nachdem die Nürnberger Inszenierung des Otello bei mir wenig Begeisterung auslöste, habe ich in Wiesbaden einen zweiten Versuch unternommen. Uwe Eric Laufenberg war hier für die Umsetzung des Stoffes verantwortlich. Es hatte auch einen Grund, sich ausgerechnet diese Aufführung auszusuchen. Es sang der Tenor José Cura, der in der Bühnenfigur des Otello sehr viel Erfahrung mitbringt. Diese kräftezehrende Rolle ist bei Tenören gefürchtet und die Aufführung steht und fällt doch mit dieser Figur. Die aufbrausende Art des Otello, der aber immer wieder von Launen und Kopfschmerzen geplagt wird, ist wirklich eine Herausforderung an den Darsteller. Aber auch die weiteren Rollen wie die der Desdemona (Cristina Pasariou) und die des Jago (Matias Tosi), sind hier sehr gut besetzt. Jago ist wirklich hier der treibende Motor der Handlung mit seiner Fiesheit. Während Desdemona die unschuldige Frau ist, die trotz aller Frömmigkeit am Ende sterben muss. In diesem Dreieck der Personen herrscht wirklich Spannung auf der Bühne, weshalb sich auch hier der Besuch der Oper lohnt. Die Aufführung war auch ausverkauft. Mit dem Bühnenbild, das nur aus einfachen Säulen besteht, die immer wieder neu angeordnet werden, war wenig Griffiges als Ausstattung zu sehen. Immer wieder neu angeordnet stellen sie einen Hafen, ein Schloss, ein Palast und ein Schlafzimmer dar. Das wirkte für mich etwas beliebig, macht aber auch nichts kaputt. Die Inszenierung bietet somit aber auch wenig Angriffsfläche. Die Leute haben Kleidung des 20. Jahrhunderts an, obwohl die Handlung eigentlich auf Zypern im 15. Jahrhundert spielen soll.
Gleich am Anfang kam es mir verdächtig vor, dass der Darsteller des Jago in der Mitte der ersten Reihe des Zuschauerraums saß. Von dort hält er vor dem Stück einen Prolog über die Liebe und die Intrige. Erst dann beginnt das Stück mit der Ouvertüre, in dem er den schwarzen Vorhang zieht. Zwischen den Säulen sind viele Sandsäcke geschlichtet, die die Sturmflut aufhalten sollen, in die das Schiff des Otello geraten ist. An den weißen Säulen sieht man die Projektion von Wassertropfen. Im Orchester tost der Sturm, der hier vom Orchester sehr lautstark umgesetzt wird. Aber Otello kann das Schiff anlanden und seine Exsulate-Rufe singen. Über die Freude der Rettung von Otello zündet man auf der Bühne ein echtes Freudenfeuer an und verbrennt dort schwarze Fahnen. In der nun folgenden Trinkszene, in der Jago Cassio mit viel Wein abfüllt, geht es ziemlich zu auf der Bühne. Cassio wird dabei richtig mit Wein übergossen. Jago hetzt dort also Cassio gegen Roderigo auf, es kommt zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, bei der Roderigo verletzt wird. Durch den ganzen Lärm werden auch Desdemona und Otello geweckt. Wütend über so viel Unverstand und durch Jago aufgehetzte, degradiert er Cassio. Jago meinte, Cassio würde jeden Abend so ausfallend werden. Bei einer vorgegangenen Beförderung wurde Jago nämlich übergangen und hat sich damit an Cassio gerecht. Eigentliches Ziel ist es aber, Otello nachhaltig zu schädigen. Otello ist durch seine Hautfarbe eher der Außenseiter. Auch in dieser Vorstellung ist der Darsteller des Otello dunkel geschminkt. Otello schickt nach dem Tumult die Leute weg und ist mit Desdemona allein. Beide versichern sich ihrer Liebe.
Jago ist es im zweiten Akt auch, der Cassio beauftragt, bei Desdemona um Milde für seine Degradierung zu bitten. Gleich zu Anfang singt Jago sein Credo, in dem er sich mit offener Hose über Bianca hermacht. Er glaubt einfach an nichts. Für die Szenerie in einem Schloss sind die Säulen jetzt quer über die Bühne angeordnet. Im Chor der Mädchen Zyperns werden Desdemona nun Blumen überreicht. Sie bedankt sich mit weißen Überraschungstüten. Nun beginnt der Hype um das Taschentuch, das Otello Desdemona geschenkt hat. Desdemona und Otello geraten über das Thema Cassio in Streit. Die aufkommenden Kopfschmerzen versucht Desdemona mit dem Taschentuch zu mildern. Er wirft es aber achtlos in die Ecke, wo es von Emilia aufgelesen wird. Emilia ist die Vertraute Desdemonas und trägt ein orientalisches, schwarzes Kleid mit Kopftuch. Jago nimmt das Tuch aber Emilia ab und versucht, es nun Cassio zu geben. Das Taschentuch wäre somit der Beweis für die inszenierte Untreue von Desdemona gegenüber Otello. Jago sagt nun, er hätte Cassio im Traum von Desdemona reden hören und er hätte bei ihm das Taschentuch gesehen. Nun verlässt Jago noch mal kurz die Bühne und setzt sich genüsslich in den Zuschauerraum, um zu demonstrieren: Seht Ihr Leute wie man eine perfekte Intrige spinnt. Am Ende des Aktes stehen Jago Rücken an Rücken mit Otello und der Flagge Venedigs und schwören Rache.
Im dritten Akt bilden die Säulen eine Empfangshalle. Im Karree angeordnet sind schwarze Stühle für die Gesandtschaft von Venedig. In der Mitte stehen ein Rednerpult und rechts davon ein Ledersessel, der dem Publikum abgewandt ist. Es setzt sich der Hype um das Taschentuch fort. Otello fragt nach dem Tuch, das magische Fähigkeiten hätte und für ihn wichtig wäre. Desdemona meint nur, sie hätte es verloren. Er beschimpft sie nun und sie verlässt die Bühne. Cassio hat inzwischen das Tuch und wird von Jago in ein Gespräch verwickelt, wo er über Bianca spricht. Durch gezieltes Auf- und Abgehen zwischen den Säulen bekommt Otello nur einen Teil des Gesprächs mit. Otello meint, Cassio spricht von Desdemona. Nun rät Jago Otello, seine Frau zu erwürgen, und zwar im Ehebett, wo die angebliche Untreue vonstattenging. Es tritt nun die Gesandtschaft von Venedig auf die Bühne. In grauen Anzügen vertreten sie die Geschäftswelt Venedigs und rufen Otello ab aus Zypern. Sein Stellvertreter wird Cassio. Das bringt Otello mit einer weiteren Bitte von Desdemona um Gnade für Cassio derart in Rage, dass er sie auf den Boden wirft. Leider singt Otello ein Teil der Arien, in einem Sessel, dem Publikum abgewandt. Auch am Ende, als alle ihn bestürmen, bricht er in diesem Sessel zusammen.
Auch im vierten Akt begegnet man wieder den Säulen. Im Schlafgemach von Otello befindet man sich nun. In der Mitte steht nun ein weißes Himmelbett. Desdemona singt da zwei wunderschöne Arien. Das Lied von der Weide. Sie ahnt ihren frühen Tod und verabschiedet sich herzlich von Emilia. Sie bittet, ihr das Hochzeitskleid anzuziehen, wenn sie sterben sollte. Die zweite Arie, das Ave-Maria, singt sie kniend auf einem Betstuhl. Links von ihr ist eine Kerze, die sie am Ende der Arie auslöscht. Otello zieht nun den weißen Himmel des Betts weg. Er küsst Desdemona wach, in dem Plan sie umzubringen. Die leeren Querstangen des Betts wirken wie ein Käfig, in dem Desdemona gefangen ist. Allen Unschuldsbeteuerungen zum Trotz, ist er so Jago verfallen, dass er Desdemona schließlich erwürgt. Durch den Lärm kommt Emilia und findet die sterbende Desdemona. Emilia klärt nun auf, wie Jago ihr das Tuch abgenommen hat und dass Jago die ganze Intrige inszeniert hat. Jago flüchtet drauf hin. Am Ende sieht Otello keinen anderen Ausweg und ersticht sich mit dem Dolch.
Die Aufführung wird beworben mit José Cura, die Weltstimme in Wiesbaden. In der Tat war er auch der Grund, warum es mich nach Wiesbaden gezogen hat. Ich wurde aber auch mit einer wunderbar lyrischen Desdemona überrascht, die mich im vierten Akt mit dem Ave-Maria richtig in den Bann gezogen hat. Beinahe hätte es an dieser Stelle Szenenapplaus gegeben, zumindest ein Zuschauer war von der Darstellung der Desdemona ebenso überzeugt wie ich. Aber auch Tosi als Jago, der auf Hochtouren diese Intrige inszeniert und durch und durch böse ist, ist sehenswert. Der Hype um das Taschentuch ist gut umgesetzt und die Spannungen zwischen den Darstellern gelingen gut. Damit hat dieser Otello im zweiten Anlauf wesentlich besser gezündet und ich kann die Begeisterung für Verdis Spätwerk nachvollziehen. Die drei Stunden der Aufführung vergehen wie im Flug.
An der komischen Oper geht es bei Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck vor allem um das Essen. Schon zu Beginn sieht man im Stil alter Filme Projektionen von marschierenden Erdbeeren, Zuckerstangen, Eiern und Lollis. Reinhard von der Thannen gelingt ein poppig, farbenfroher Wurf dieses Weihnachtsklassikers. Der drehbare Zylinder dient dabei immer wieder vor den Akten als Leinwand. Die Drehbühne ist zuerst ganz in Weiß, wie die Kinder auch und der Schrank, aus dem sie entsteigen. Die beiden Kinder haben Hasenmasken mit langen Ohren auf. An einem Fuß haben die Kinder einen grauen Luftballon befestigt, den sie am Bühnenhimmel zerknallen lassen. Die Kinder müssen Arbeiten an einem großen, roten Strickstrumpf verrichten. Diese Kinderarbeit hat ihr die Mutter aufgetragen. In den Eimer, aus dem die beiden den Rahm löffeln, steckt Hänsel den ganzen Kopf rein. Somit ist die Grundlage für den Reisbrei vernascht. Eine Mutter mit roten Haaren und schwarzem Kleid bildet den Kontrast in dem Bühnenbild. Als der Eimer im Gerangel um die letzten Tropfen zerbricht, ist der Jammer groß. Die Kinder werden durch den Schrank in den Wald geschickt, um Erdbeeren zu lesen. Nun halbiert sich der Zylinder und es kommt eine überdimensionale Einkaufstasche zum Vorschein, aus der der angetrunkene Vater kommt. Mit blondem Bürstenschnitt und mit übergroßen Schuhen kommt er von seiner Verkaufstour zurück. Auf der Einkaufstasche steht groß H&G, in Anlehnung an ein großes Modehaus. Der Vater hat Nahrung in Form von acht übergroßen Eiern mitgebracht, die er aus der Tüte rollern lässt. Auch ist er mit einem schwarzen Rad unterwegs. Als er nun hört, dass die Mutter die Kinder an den Ilsenstein geschickt hat, spielt er mit langer roter Rübennase und Kopftuch auf dem schwarzen Besen reitend vor, was es, doch für eine schreckliche Hexe dort gibt. Nun verlaufen sich die Kinder in einem Wald aus großem Essbesteck. Die Bühne leuchtet grün und auf ihr tanzt quirlig das Hagebuttenmännchen. Hänsel hat tatsächlich einen Beutel leuchtender LED-Erdbeeren gefunden, die er leider aber selbst verzehrt. Später als die Kinder müde werden, gesellt sich der Sandmann dazu und lässt aus seinen Taschen ein langes Tuch fallen, das den Kindern als Schlafdecke dient. Der nun folgende Abendsegen gelingt wunderbar. Es tanzen die 14 Engel ein wunderbares Ballett in weißen Kleidern zur Musik, die wirklich sehr ergreifend ist. Bevor es gar zu rührselig wird, lassen sich die Engel mit einem Knall auf den Boden fallen und man sieht ihre roten Hinterteile.
Das Taumännchen im nächsten Akt hat es irgendwie eilig auf die Toilette zu kommen. In einem weißen Rock mit durchsichtigen Ballons unterfüllt, eilt es von der Bühne. Die Kinder haben es sich noch einmal unter der schwarzen Decke gemütlich gemacht. Sie kommen jetzt nicht an ein Pfefferkuchenhaus, sondern an eine riesengroße, Bühnen füllende grün-weiße Torte. Auf ihr tanzt eine bizarre Hexe Rosina Leckermaul in einem grünen Paillettenkleid, mit roter Federboa. Der Po und die Schulter sind aufgepolstert. Mit ihrer grünen Latexmaske könnte sie dem Friedrichstadtpalast entsprungen sein. Die riesigen Schlaghosen sind einfach der Hingucker und manch einer träumt vielleicht sogar von der Erscheinung. So wird Hänsel in einem Tortenstück gefangen gehalten, das aus dem Kuchen rausfährt. Oben auf dem Kuchen befindet sich der Ofen, in dem die Hexe ihre gefangenen Kinder bäckt und anschließend verzehrt. Ein kleines Mädchen lässt sich, ob der Dramatik sogar zum Zwischenruf hinreißen: Komm raus. Gemästet wird er mit bunten Schaumstoffkugeln, die Rosinen darstellen sollen. Die irre Hexe hat einen Krückstock in rot/grün, der wie das Schwert eines Jedis zu leuchten vermag. Der Hexenritt wird auch hier auf einem Lolli ausgeführt und es gibt Szenenapplaus. Die Hexe meint nur: Kann ich noch fertig machen. Etwas später nach allerlei Bewegungszauber ist klar, wer hier fertiggemacht wird. Die Hexe landet schließlich im Ofen. Mit einem Knall erlöst sie die Kinder aus ihrem weißen Zuckerkrusten, die wie die Soldaten über die Bühne marschiert sind. Ein großer, farbenfroher Kinderchor bildet schließlich das Finale, zu dem auch die Eltern, als Schrankteile verkleidet, auf die Bühne kommen. Und wieder mal ist die Hexe tot am Ende.
Schon die Bilder der Inszenierung waren vielversprechend. Ich war von den großen Gabeln und der riesen Torte angetan und habe eine poppige Inszenierung erwartet. Es war bei Weitem die beste Inszenierung, die ich gesehen hatte. Manche Knalleffekte waren jetzt vielleicht nicht so ganz kindgerecht, aber der Tanz der Engel war wirklich ergreifend zu dieser wunderbaren Musik. Es wird wirklich an nichts gespart. Ein großer Kinderchor, gute Sänger und eine bestens aufgelegte Dirigentin. Kein Wunder, dass die Vorstellung seit Langem ausverkauft war. Im Publikum waren auch entsprechend viele Kinder, denen die Vorstellung ebenfalls gut gefallen hat. Ist wirklich eine Oper für die ganze Familie, Oma eingeschlossen.
Quelle: YouTube | Komische Oper Berlin
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Ein großes Opernhaus braucht eine Bohème im Programm. Nachdem auch das Bühnenbild der alten Inszenierung einen Wasserschaden hatte, wurde eine neue Aufführung aufgesetzt. Das ungarische Duo Magdolna Parditka und Alexandra Szemerédy inszenieren in Nürnberg eine Bohème in den Nachkriegsjahren in Paris. Gerade in den heutigen Tagen scheint diese Oper ein Plädoyer für die Lebensfreude einer Stadt, mit ihren vollen Cafés und Bars. So steht auch im Programmheft ein Bekenntnis zu Paris: Je suis Paris. Zu Beginn sieht man die Hauptperson Mimi in ihrem Zimmer im rechten Bühnenrand. In dem linken sieht man die Wohn-WG der Pariser Boèhme: Ein Dichter, ein Musiker, ein Maler und ein Philosoph haben es sich an einem Ofenfeuer gemütlich gemacht. Am Tisch sitzt auch ein leicht bekleidetes Model für den Maler vermutlich. Gegen die Kälte verschüren sie ein Manuskript des Dichters Rodolfo. Sie hoffen, dass das hitzige Drama in Form von Papierseiten, auch die kalte Dachwohnung beheizen mag. Aber in Form des Hausvermieters droht nun Unheil, der seine Miete für das nächste Quartal fordert. Der Hausbesitzer wird mit dem Hinweis auf Untreue von einer eigenen Frau aus der Wohnung getrieben. Bis auf Rodolfo, der noch einen Artikel fertig schreiben will, gehen die anderen schon vor in Café Momus. Nun kommt Mimi mit einer erloschenen Kerze und auf der Suche nach ihrem Schlüssel in die Wohnung. Nun aber fängt Rodolfo Feuer für die kleine Näherin Mimi. Sie stellen sich einander vor und verlieben sich ineinander. Am Ende nach vielen schönen Arien gehen sie durch einen roten Mauervorsprung in Richtung Café Momus. Gerade wie sie da aus dem Hintergrund noch singen, ist sehr schön gemacht.
Im zweiten Akt der Boèhme geht es erfahrungsgemäß turbulent zu. Vor dem Café Momus findet sich eine Kinderschar ein, die nach einem Spielwarenverkäufer Parpignol ruft. Der kommt mit einem Dreirad, an den er Spielsachen gebunden hat, auf die Bühne und wird hier etwas als Clochard dargestellt. Das Café Momus ist eine American Bar mit angeschlossenem Freudenhaus. Mimi wird an einem Tisch rechts vorn auf die Bühne in den Kreis der Bohème aufgenommen. Dann erscheint ein seltsames Paar auf der Bühne. Musetta und der Staatsrat Alcindoro, den sie wie einen Hund an der roten Leine Gassi führt. Auf allen Vieren muss der hohe Angestellte vor dem Café vor den Gästen rumkriechen. Man bekommt aber recht schnell mit, dass sich Musetta und der Maler Marcello einmal gut verstanden haben und immer noch lieben. Schnell wechselt die leichtfüßige Musetta die Seiten und geht wieder zu ihrem Liebhaber. Dem Staatsrat bleibt es nur übrig, die offenen Rechnungen der Künstler zu zahlen.
Im dritten Akt sieht man die Wohnung der Dichter mit Stoff verhangen, ein nadelloser Tannenbaum steht in der Mitte der Wohnung und signalisiert: Weihnachten ist längst vorbei, wir haben Februar. Der Ort ist auch ein anderer: Es soll eine Schenke sein. Marcello und Mimi reden über die komplizierte Beziehung zu Rodolfo, der chronisch eifersüchtig ist. Marcello sagt nun, dass er sich um Mimis Gesundheitszustand sorgt. Sie hätte einen beängstigenden Husten. Aber auch zwischen Musetta und Marcello läuft es nicht zum Besten. Musetta würde in der Bar, in der sie seit einem Monat arbeiten, immer wieder mit den Gästen flirten, sodass am Ende des Aktes alle Paare sich wieder trennen.
Im vierten Akt wird es nun etwas schwer verständlich. Gerade in den Erinnerungen schwelgend, vergreifen sich die vier Künstler in weißen Kitteln an einem Model, das wieder in ihrer Wohnung ist. Die gezeigte Brutalität der Männer will in keinster Weise in dieses friedliche Künstlermilieu passen. Da platzt plötzlich Musetta rein und bringt die entkräftete Mimi mit. Sie hätte nur noch eine halbe Stunde zu leben, so die Diagnose. Man versucht aber dennoch, eine herzstärkende Medizin zu bekommen und einen Muff gegen ihre kalten Hände. Dennoch ist der Einsatz der Freunde vergebens. Mimi stirbt und den verzweifelten Rufen von Rodolfo. Am Ende sieht man noch einmal das leere Zimmer von Mimi, in das scheinbar die Sonne scheint und der April angebrochen ist, auf den sie so sehnlichst gewartet hat.
Spielen lässt das Regieteam diese Bohème im Paris der Nachkriegszeit, gerade das Café Momus als American Bar mit obenliegendem Bordell ist mit einer großen Glasfront sehr gut in Szene gesetzt. Auch das Elend dieser Tage will gut zum düsteren Grundbild passen. Die Kostüme sind eben auch in diese Zeit gesetzt, sodass die Inszenierung im Grund gefällt. Mit einer bezaubernden Mimi (Hrachuhi Bassénz) und einem Rodolfo (Ilker Arcayürek), der immer etwas mit seiner Stimme kämpft, hat man ein sehr eindrucksvolles Paar auf der Bühne. Gerade Rodolfo hat sicher noch Potenzial, wie man in den lyrischen Solostücken des ersten Aktes gut merkt. Auch Musetta (Michaela Maria Mayer) als Flittchen ist prima umgesetzt und der Regieeinfall mit der Hundeleine etwas belustigend. Wie gesagt, von dem vierten Akt abgesehen, ist das eine durchaus schöne Inszenierung. Gábor Káli liefert eine gute Leistung im Orchestergraben ab, weshalb man die Aufführung durchaus empfehlen kann.