Manchmal hat man keine andere Chance, als für eine Oper direkt vor Ort zu sein, wenn es weder Livestream noch DVD gibt. So bleibt nur die Hoffnung auf Karten für „Die Tote Stadt“ am Bayerischen Nationaltheater in München. Klar bleibt einem noch die Liveübertragung im Hörfunk auf BR-Klassik, aber man sollte schon vor Ort gewesen sein. Mit Spannung habe ich diese zweite Aufführung erwartet, in der Jonas Kaufmann und Marlies Petersen und dem Dirigat von Kirill Petrenko die Hauptrollen singen. Die Rolle des Paul und die der Marietta, der beiden Hauptpersonen der Oper sind unbarmherzig hoch und keine ideale Rolle für Jonas Kaufmann, der die Partie jedoch ausgezeichnet überstand. Die sportlichen Fähigkeiten, die das Bühnenbild aus dem Jahr 2016 aus Basel abverlangt, hat er hervorragend überstanden. Man befindet sich in einem Bungalow aus den 60ern oder 70ern, der jedoch erstaunlich modern mit Kunstdrucken eingerichtet ist. Die einzelnen Zimmer dieses weißen Bungalows mit der Hausnummer 37 werden ständig neu angeordnet, teilweise live zur Musik, da muss man den Bühnenarbeitern wirklich einen extra Bonus gewähren. Es gibt dort Platten der Rolling Stones, aber auch einen Flachbildfernseher, vor dem man es sich in einem angedeuteten Wohnzimmer bequem machen kann. Es gibt aber auch eine Küche und ein Schlafzimmer, ebenfalls sehr weiß und hell. Auf der Drehbühne sind dabei sowohl die weiße glatte Vorderseite des Bungalows mit dem Eingangsbereich zu sehen, als auch dessen eingerichtete Räume, wenn sich die Szene dreht. Diese kleinteilige, einer Puppenstube gleichende Bühnenbild ist für die Zuschauer in den Rängen dabei nicht immer ideal.
Im ersten Akt trifft Paul der Witwer in Brügge auf seinen Freund Frank. Der erzählt im, dass er eine junge Frau namens Marietta kennengelernt hat, die seiner Frau sehr gleicht. In einem Abstellraum hat Paul eine Art Schrein für seine verstorbene Frau errichtet. Der besteht aus deinem Spint, mehreren Kartons und vielen Polaroid-Bildern. Das blonde Haar seiner verstorbenen Frau bewahrt er hinter einem roten Samtvorhang auf. Mit blauen Handschuhen untersuchen Frank und Paul die verstauten Gegenstände. Frank warnt Paul, in Marietta seine tote Frau zu suchen. Paul ignoriert das und lässt seiner Haushälterin Brigitta echte rote Rosen besorgen. Etwas später fährt eine fröhliche Marietta zum Bungalow mit dem Fahrrad. Sie hat dabei eine pinkfarbene Flokati-Jacke an. Sie ahnt noch nicht, was sie in diesem Bungalow erwarten wird. Marietta ist die lebensfrohe Tänzerin aus Lille, die in Brügge tourt und diese verstaubte, fromme Stadt verachtet. Wenig später turnt sie durch das Wohnzimmer, nimmt statt einer Laute ein Karaoke Mikro zur Hand. Paul gibt ihr noch den Schal seiner verstorbenen Marie, da sie zufällig dasselbe Kleid trägt. Nun ist sie seiner toten Frau noch ähnlicher. Sie stimmt den wahrscheinlich letzten großen Hit der Operngeschichte an mit „Glück, das mir verblieb“. Paul stimmt ein und setzt das Lied fort. Marietta entdeckt nun selbst die Ähnlichkeit und verlässt Paul, da sie zur Theaterprobe muss. Jetzt wird es richtig unheimlich. Das Licht im Wohnzimmer flackert und Paul rennt in einem Albtraum zum Schlafzimmer. Dort sieht man eine kahle Marie im Krankenhaushemd sitzen. Marie ist also an Krebs gestorben. Sie mahnt den Witwer Paul zur Treue an.
Im zweiten Akt sind nun die einzelnen Zimmer zerlegt und aufeinandergestapelt. In einem rastlosen Albtraum irrt Paul durch Brügge an den Zimmern vorbei und erlebt Merkwürdiges. Seine Haushälterin ist plötzlich Nonne geworden und läuft in einer Prozession am Ende vorbei. Sie hätte ihn verlassen, weil er seiner Marie untreu geworden ist. Sein Freund Paul nimmt im Obergeschoss eine Dusche. Gar nicht bekleidet sieht man Frank hinter einer Milchglaswand mit echtem Wasser Körperpflege betreiben. Nur mit einem Handtuch bekleidet, streitet er sich mit Paul um Marietta. Paul überwirft sich mit Frank um den Schlüssel von Mariettas Zimmer zu bekommen. Frank beendet die Konversation mit den Worten: Du bist mein Freund nicht mehr. In der Küche geht derzeit eine Party mit der Künstlertruppe von Marietta ab. Es stapeln sich dort die Flaschen, es sieht nach einer wilden Feier aus. In einem gepolsterten Einkaufswagen tobt Marietta im silbernen Kleid über die Szene. Sie trinkt dabei Sekt und feiert. Es flittert sogar der Staub. Der Pierrot der Truppe, der wiedermal eher wie der Joker aus Batman aussieht, ist ebenfalls verliebt in Marietta. Er stimmt das Lied „Mein Sehnen, mein Wähnen“ an. Im Schlafzimmer des Hauses proben sie die Auferstehungsszene aus Meyerbeers „Robert der Teufel“. Dabei erwecken sie mehrere Kopien der toten Marie, die im flackernden Licht über die Bühne irren und Paul einen enormen Schrecken einjagen. Eine Kopie von Marie im schwarzen Blumenkleid ist dabei äußerst präsent. Marietta gelingt es dennoch, die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. Paul lockt sie in die Wohnung, er hängt dabei mit Blumen am Fenster. Kurze Zeit vorher hat er noch einen roten Kasten Bier in die Wohnung geholt. Während er noch mit einem Eisenkoffer kurz vorher die Flucht durch die Küche antritt, kommt es dennoch am Küchentisch in der Wohnung zu einer ziemlich eindeutigen Szene. Marietta will den Kampf mit der toten Marie aufnehmen.
Im Negligé betritt nun Marietta die geschlossenen Räume und durchstöbert sie. Vor dem Bild Blow-up fordert sie nun Paul heraus. Die nun folgende Fronleichnamsprozessionsszene mit einem Kinderchor könnte in einem Horrorfilm nicht besser dargestellt werden. Zuerst tollen die Kinder als kleine Marietta und Paul-Doubles durch die Wohnung, dann stellen sich weitere Frank und Marie-Doubles im Kreis um den drehenden Bungalow auf. Marietta kommt nun in die Abstellkammer und zur Haar-Reliquie von Marie. Sie ist auf der Flucht durch die Wohnung und verspottet Paul wegen seiner Frömmigkeit und meint: Jede Frau muss sich dich mit Gott und der toten Marie teilen. Als sie sich an den Haaren von Marie vergreift, eskaliert die Lage und Paul erstickt Marietta im Bett mit den Haaren von Marie.
Man versteht nicht, warum jetzt Marietta plötzlich mit dem Rad wegfährt und wieder zurückkommt. Dann wird klar: Das Ende des ersten Akts bis zur Mitte des dritten Akts ist ein Traum von Paul gewesen. Marietta kommt noch mal zurück und überlegt, ob die vergessenen Rosen nicht ein Zeichen dafür sind, zu bleiben. Paul schickt sich weg. Frank, der nun wieder Pauls Freund ist, bittet Paul, aus der Stadt des Todes, zu gehen. Er stimmt noch mal das Lied vom Beginn an. Dabei verbrennt er in der Küche die Bilder, seine Krawatte und die Perücke von Marie. Zum Schluss nimmt er noch einen kräftigen Schluck aus der Flasche Bier, vermutlich Oktoberfest-Festbier.
Während jetzt Dresden näher am Stück inszeniert hat und der Albtraum auf leisen Sohlen dahergekommen ist, setzt die Inszenierung in München deutlichere Zäsuren in den Akten. Dennoch nimmt auch dieses moderne Bühnenbild nichts von der Spannung weg. Man fühlt sich an einen guten Hitchcock erinnert im besten Sinne. Petrenko verschafft dem Vorläufer der Filmmusik ein aufregendes Klangerlebnis. Vor allem die drastische, überbordende Musik der Prozessionsszene im dritten Akt ist überwältigend. Auch mit den beiden bekannten Arien schafft er es zu berühren. Wirklich schade, dass man sich bisher nicht dazu entschlossen hat, dieses Werk per Livestream oder DVD einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Das Interesse ist da, wie man an den Kommentaren zu dem Video-Clip zur Oper sehen kann. Die Vorstellung ist leider restlos ausverkauft. Marlies Peterson ist eine wunderbare Marie, die auch im dritten Akt noch Spitzentöne produzieren kann. Die kräftezehrende Rolle des Paul bringt auch einen Jonas Kaufmann immer wieder hörbar an seine Grenzen, was aber zu dem strauchelnden Witwer sehr gut passt. Das Bier am Ende des dritten Akts hat er sich nach dieser spektakulären Albtraumfahrt auch verdient.
Nachtrag: Man hat sich jetzt wohl doch noch entschlossen, eine DVD zu produzieren. Ein Kauf würde sich wirklich lohnen.
Quelle: YouTube | BayerischeStaatsoper
Im Nationaltheater in München wurde in dieser Spielzeit der Rigoletto wiederaufgenommen in einer Inszenierung aus dem Jahr 2012 von Árpád Schilling. In der Aufführung wird eine Reduktion der Oper auf das Wesentliche vorgenommen, sodass man fast von einer konzertanten Aufführung sprechen kann. Wäre da nicht eine illustre Schar von Sängern und nicht zuletzt das Bayerische Staatsorchester, das die ganze Aufführung dieser Verdi Oper vor allem hörenswert erscheinen lässt.
Schon zu Beginn sieht man eine beige Tribüne mit Schaufensterpuppen und echten Personen gemischt, was einen überraschenden Effekt hat. Man erkennt nicht so leicht aus den Rängen, welche Personen auf den Tribünen echt sind und welche nicht. Das überrascht dann teilweise doch. Bei dem Ball im Palast des Herzogs von Mantua findet mit einem Orchester auf der Bühne statt. In einer Art Stagediving wird der Herzog über die Köpfe der Höflinge heruntergereicht. Der Herzog hat Interesse an der Frau von Ceprano. Die Bühne teilt sich in einem Drittel und es erscheint der Graf von Monterone und spricht einen Fluch gegen Rigoletto und den Herzog aus, da der Herzog von Mantua seine Tochter verführt hat. Monterone erscheint in einem Anzug ohne Hemd darunter. Es ist zwar schon von Vorteil, dass die Sänger auf einer Art überdimensionalen Koffer am Rand der Bühne singen, jedoch wirkt das alles sehr statisch und sehr rückwärtsgewandt. Zudem lässt die mangelnde Ausstattung die Sänger oft ratlos auf der Bühne zurück, wie sie beispielsweise den Fluch den Monterone ausspricht, verdeutlichen sollen. Es wird auch nicht klarer, warum Rigoletto auf einer Art Hochradrollstuhl sitzt, wenn er das erste Mal mit dem Mörder Sparafucile spricht. Die nun folgende Zimmerszene bei Rigoletto im Haus, als er das erste Mal auf Gilda trifft, wird nur durch einen langen grauen Vorhang verdeutlicht. Wer jetzt die Geschichte nicht genau kennt, erahnt nicht, dass man inzwischen im Haus des Narren ist, der seine Tochter vor den Leuten versteckt. Er bittet die Gesellschafterin Giovanna, niemand ins Haus zu lassen, vor allem nicht den Herzog selbst. Diese Bitte wird ad absurdum geführt, denn bei einem Kirchgang hat Gilda, seine Tochter, schon einen angeblich jungen Studenten Gualtier Maldè kennengelernt. Hinter dem mittellosen Studenten verbirgt sich aber niemand anderes als der Herzog selbst. Der entschwindet nach einem Duett wieder und Gilda schaut ihm von dem Koffer aus nach und singt ihr Caro Nome. Nun nimmt die Handlung fahrt auf. Rigoletto wird mit einer Maske versehen und halb blind angeblich zum Haus der Gräfin von Ceprano geführt. Die Höflinge machen sich einen Spaß daraus, einen Streich zu erfinden. Rigoletto wird so blind nämlich an sein eigenes Haus geführt. Erst als er dann Gildas Hilferufe hört, wird ihm klar, dass er gerade geholfen hatte, seine eigene Tochter zu entführen.
Im zweiten Akt sieht man einen ungeduldigen Herzog in einem bunten Morgenmantel. Er vermisst seine letzte Eroberung und steht in einer Art Vorhangkreis. Die Höflinge kommen nun auf die Bühne und stehen nur als Statisten rum. Rigoletto schleicht über die Bühne und bittet flehentlich, seine Tochter wieder zu bekommen. Die Höflinge sind erstaunt, da sie nicht wussten, wer Gilda ist. Dachte sie doch, es wäre die Geliebte. Gilda erscheint nun ebenfalls im bunten Morgenmantel. Rigoletto erkennt, dass der Herzog seine Tochter entehrt hat. Nur kurz sieht man eine übergroße Pferdestatue, die die Höflinge hereinschieben. Der Vorhang geht extrem schnell zu. Es folgt eine Aussprache von Vater und Tochter vor geschlossenem Vorhang. Als nun der Graf von Monterone beklagt, dass er den Herzog vergeblich verflucht hätte, schwört Rigoletto mit der Hilfe von Sparafucile und dessen Schwester Rache zu nehmen. Der Herzog hat inzwischen Sparafuciles Schwester als neue Eroberung ausgemacht und Gilda muss zusehen, wie er die schmeichlerischen Worte wieder an einer anderen ausprobiert. Es kommt zu einem Quintett auf dem Koffer am Bühnenrand, was etwas bemüht ist.
In der Spelunke Sparafuciles sieht man nun wieder diesen Hochradrollstuhl. Auf den Stellagen sitzen die Höflinge. Diesmal leuchten deren Masken. Der Herzog ist in dieser Gewitternacht müde und legt sich auf die Ränge der Bühne. Sparafuciles Schwester bitten nun den Auftragsmord gegen den Herzog fallen zu lassen. Es soll der Erste sterben, der durch die Tür des Nachts zur Spelunke kommt. Es erscheint Gilda im weißen Kleid. Die hat alles mitgehört und beschließt als letzten Liebesdienst für den Herzog zu sterben. Statt an der Tür zu klopfen stampft sie laut auf. Wenig später sitzt Gilda in dem Hochstuhlrollstuhl und Sparafucile schneidet ihr die Kehle durch. Maddalena schüttet derweil graue Farbe auf das weiße Kleid. Anstatt in einem Sack zu landen, wie vereinbart, liegt Gilda in dem Hochradrollstuhl. Rigoletto meint, er hätte nun nach dem Auftragsmord, den Herzog von Mantua besiegt. Sein Auftritt in Frack soll ihn als Sieger dastehen lassen. Als er diesen aber nun singen hört, weiß er, dass der Mord an jemand anderem begangen sein muss. Rigoletto entdeckt nun im Rollstuhl seine Tochter, die ihr Leben gerade aushaucht. Statt aus einem Leichensack, singt Gilda die letzten Takte stehend und geht ins Licht. Rigoletto jammert über den Fluch des Monterone, der ihm die eigene Tochter genommen hat.
Hätte es nicht die tolle Besetzung gegeben an dem Abend, wäre man von der Inszenierung sicher enttäuscht. Diese lässt die Sänger oft ratlos am Bühnenrand zurück, wie sie die Leere der Bühne jetzt am besten füllen sollen. Benjamin Bernheim, der an dem Abend sich wegen Erkältung ansagen ließ, lieferte dennoch eine hervorragende Gesamtleistung als Herzog von Mantua ab und stand hoch in der Publikumsgunst. Man fragt sich, wie der eigentlich singt, wenn der gerade mal nicht erkältet ist. Das kann man sich auf einer CD mit der Prague Philharmonia anhören, die wirklich sehr schön ist. Bernheim war für mich an diesem Abend eine echte Entdeckung. Ludovic Tézier als Rigoletto stellt den gebrochenen Vater mit einem wunderbaren Bartiontimbre dar. Erin Morley als Gilda hatte eine sehr schöne, zarte Gilda parat, die vor allem an den leisen Stellen brillierte. Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Paolo Carignani spielte sehr sauber durch diesen packenden Verdi. Wäre da nicht die Regie gewesen, hätte es ein ungetrübter Opernabend werden können.
Das Nürnberger Staatstheater wagte sich an die fünfaktige Fassung von Verdis Don Carlos. Jens-Daniel Herzog führte dabei die Regie, es dirigierte Joanna Mallwitz. Gerade an Regie und Dirigat gab es im Vorfeld viel Kritik. Don Carlos selbst sitzt über mehrere Akte am Rande der Bühne in einem grünen Polstersessel, auch wenn er im Stück eigentlich gar nicht erscheinen soll. Das Bühnenbild ist kahl und besteht aus viel Seitenwänden, die man nach Bedarf mit einer Holzvertäfelung oder ganz in Weiß zu sehen bekommt. Dass man aber die fünfaktige Fassung mit dem Fontainebleau-Akt ausgewählt hat, ist positiv zu vermerken. Es erschließt doch den Verfassungszustand von Don Carlos besser.
Zu Beginn jagt ein Männerchor die Prinzessin von Spanien durch den Wald von Fontainebleau. In Weiß wird die Elisabeth von Valois durch den Wald getrieben. Sie verkündet die Unterzeichnung des Friedensvertrags durch die Heirat mit Don Carlos. Im Wald erwartet Don Carlos seine Braut. Er möchte diese unerkannter Weise begegnen. Ein Amulett spielt dazu eine Schlüsselrolle, mit dem sich Don Carlos schließlich zu erkennen gibt. Sie sind sofort ineinander verliebt. Sie legen ihre Hochzeitskleidung an, Don Carlos einen grauen Frack und Elisabeth einen weißen Reifrock. Allerdings wird sich jetzt die Lage verkomplizieren, denn es kommt die Kunde, dass eine Heirat nur zwischen Elisabeth und Philippe II den Frieden sichern kann. Alle flehen sie an, in die Hochzeit einzuwilligen, was sie schließlich auch tut. Das Volk hält sich dabei Bilder von König Philipp vor das Gesicht. Ein zu tief verletzter Don Carlos bleibt zurück, der seine Liebe an seinen Vater abtreten muss. Philipp zieht höchstpersönlich Elisabeth an seinen Hof. Das Trauma des Verlusts der Geliebten arbeitet er die ganze Oper ab.
Wie versteinert verfolgt nun Don Carlos im Sessel die nächsten drei Akte, dies soll die Ereignisse aus seiner Sicht schildern. Im Hintergrund sieht man ein großes Ölgemälde von Karl V.. Philippe und sein Gefolge legen dort einen Kranz ab. Nun erscheint Marquis de Posa, den Schiller in die Zeit reinerfunden hat. Posa und Carlos sind Jugendfreunde und miteinander erzogen worden. Posa verkörpert den Geist der Französischen Revolution und das eigentlich im 16. Jh. in Spanien. Warum der Mönch im Hintergrund sich mit einem Messer in die Brust ritzen muss, erklärt sich nicht. Auch der Bombenkoffer erscheint etwas deplatziert. Don Carlos bekennt seine Liebe zu seiner Stiefmutter, während Posa nun vorschlägt, der Bevölkerung in Flandern gegen die Unterdrückung zur Seite zu stehen. Das alles wir von einem wunderbaren Duett untermalt. Das Motiv dieses Duetts zieht sich immer wieder durch die Oper. Es wird zum Freundschaft-Duett die Fahne Flanderns ausgerollt und man sieht das erste Mal die Gesandten Flanderns.
Im nächsten Bild vertreiben sich die Hofdamen die Zeit im Garten von Yuste. Hier ist der erste Auftritt der Prinzessin Eboli, warum die sich nun ausgerechnet auf offener Bühne die Zeit mit einem Pagen vertreibt, ist eben Regie und eigentlich nicht klostertauglich. Elisabeth soll nun Einfluss auf Philippe nehmen und den Einsatz in Flandern erlauben. Dabei fällt er zu Boden und gesteht ihr seine Liebe. Dass sie dabei wieder übereinander herfallen müssen? Regie eben. Elisabeth meint nun, er müsse dazu schon seinen Vater töten. Philippe tritt nun auf, in Gefolge eines kleinen Kindes. Er ist verärgert darüber, dass Elisabeth allein ist. In dieser Inszenierung erschießt er die Gräfin von Aremberg mit lautem Knall, die eigentlich nach Frankreich zurückkehren soll. Nun ist sie eben tot. Der Hofstaat zerstreut sich und Philippe unterhält sich mit Posa. Das Kind wird kurzerhand vor einen Fernseher gesetzt, auf dem Zeichentrickfilme laufen. Philippe beharrt auf seiner harten Position gegen Flandern und bittet Posa, ein Auge auf Don Carlos zu haben.
Im Garten des Hofes wird nun Don Carlos getäuscht. Es schleicht Elisabeth über der Bühne. Der Infant unterliegt einer Täuschung und macht ausgerechnet Prinzessin Eboli eine Liebesoffenbarung. Sie erkennt, dass dieses Bekenntnis eigentlich nicht ihr gemeint war und beschließt, dieses Wissen gegen die Königin einzusetzen. Diese Tatsache will Eboli nun den König Philippe melden. Posa sieht das und will Eboli umbringen, wovon ihn Don Carlos abhält.
Im dritten Akt gehen die Hochzeitsfeierlichkeiten ihrem Höhepunkt entgegen. Die Hochzeitsgesellschaft trägt teilweise Clownsmasken. Posa bittet um die Papiere über Flandern in dem schwarzen Koffer. Er lässt sich von der Treue seines Freundes überzeugen. Gegen Ende ballern die Konfettikanonen und es kommt Elisabeth mit der Infantin.
Es gibt einen Szenenwechsel zu einem Autodafé. Das Licht ist dabei blendend auf die Zuschauer gerichtet. König Philipp wird in einer Art Ringkampf handgreiflich gegen einen Statisten. Der König gewinnt natürlich den Kampf und wird bejubelt. Die Inquisition verbrennt zur Feier des Tages ein paar Ketzer. In grüner Beleuchtung wird das schon ziemlich schaurig. Flandrische Gesandte bitten um Gnade für ihr Land und werden von Don Carlos und Elisabeth unterstützt. Als Philippe dies ablehnt, greift Don Carlos mit einem Messer seinen eigenen Vater an. Posa nimmt Don Carlos die Waffe ab und wird zur Belohnung zum Herzog ernannt. Am Ende des Aufzugs erscheint ein kitschiger Engel mit goldenen Flügeln und rosa schillerndem Kleid, als Stimme von oben. Nach meinen Erfahrungen bei der Eröffnung des Christkindlesmarktes in Nürnberg, hätte die Oper da Passenderes im Fundus.
Der vierte Akt beginnt mit einem eindringlichen Monolog von Philippe. Vorher gibt es wieder eine Rangelei mit Elisabeth, wo sie sich den Liebkosungen von Philipp widersetzt. Dieser ist enttäuscht, denn Elisabeth hätte ihn nie geliebt. Die Infantin wird dazu vor den Fernseher gesetzt, was die Szene ziemlich schädigt. Der Großinquisitor wird gezeichnet als 90-jähriger blinder Greis. Der Großinquisitor mit Sonnenbrille und Krückstock wird gefragt, ob Philippe seinen Sohn wegen der heimlichen Liebe zu seiner Stiefmutter in die Verbannung senden soll oder töten. Der Großinquisitor empfiehlt den Tod. Dieses Duett zweier tiefer Bässe hat Seltenheitswert. Außerdem empfiehlt der Großinquisitor dem König, Posa der Inquisition zu übergeben. Posa wäre mit seinen liberalen Ansichten eine viel größere Gefahr als Don Carlos. Vor diesem Rat der Inquisition beugt sich der König. Dem Großinquisitor streckt die Infantin frech die Zunge raus, als dieser abtritt.
Elisabeth beklagt nun den Diebstahl einer Kassette mit wichtigen Dokumenten. Es stellt sich heraus, dass Eboli sie dem König zukommen ließ. In der Schatulle ist pikanterweise das Amulett mit dem Bild von Don Carlos. Jetzt packt Eboli noch mal richtig aus. Sie gesteht einen Ehebruch mit dem König und die Liebe zu Don Carlos. Sie versucht, Don Carlos zu retten, in dem sie das Volk aufwiegelt.
Posa sagt Don Carlos im Gefängnis Lebewohl, denn die Papiere verraten seine Schuld. Auf eine weiße Wand schreibt dieser prisonnier de l’inquisition (Gefangener der Inquisition). Posa wird nun von hinten von Philippe selbst erstochen, was ziemlich unsinnig ist, denn eigentlich ist er sein Vertrauter. Sterbend verkündet er, dass Elisabeth im Kloster von St. Yuste wartet.
Nun wird der tote Posa mit einem großen Schild Liberté auf den Stuhl gesetzt. Hinter ihm im Kloster von St. Yuste treffen sich Elisabeth und Don Carlos. Elisabeth verliert nun ihr Leben und wird mit einem Baseballschläger erschlagen, während Don Carlos entsetzt an der Seite zusehen muss. Am Ende triumphiert das kleine Kind als Infantin von Spanien.
Auch ich war mit der Regie nicht besonders zufrieden, denn das Bühnenbild verdeutlicht die einzelnen Schauplätze nur unzureichend. Die Musik war an einigen Stellen deutlich zu laut, was die Sänger teilweise sehr forderte. Gut gefallen hat mir an diesem Abend Prinzessin Eboli dargestellt durch Raehann Bryce-Davis, gerade Ebolis Schlussmonolog ist sehr ergreifend gelungen. Nicolai Karnolsky spielt eindringlich den zerrissenen König Philippe, der von seiner Frau nie geliebt wurde. Die Vorlage dazu ist ein autokratischer König, der sehr im Verborgenen mit Papieren regiert hat. Tadeusz Szlenkier gibt einen heldischen Don Carlos und kann sich oft gegen das Orchester durchsetzen. Verdi hat es in diesem Auftragswerk der Pariser Oper geschafft, unglaublich schöne Melodien unterzubringen. Auch sind die Grundkonflikte des Werks von Schiller gut umgesetzt. Auch wenn es von diesem Werk sieben verschiedene Fassungen gibt, in Nürnberg läuft die schlüssigste, wie ich finde. Nach dieser Zählung spielt man die dritte Fassung auf Französisch ohne Ballette.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
Bayreuth hat mir nach 7 Jahren Bewerbungen Karten für eine Tannhäuser Neuinszenierung zukommen lassen. Die Neuinszenierung von Tobias Kratzer wurde bereits im Fernsehen auf 3 sat übertragen, was mich dazu verleitet hat, in den Livestream zu sehen. Da ich die Aufführung nur punktuell verfolgt hatte, war ich schnell entnervt von Video-Einspielungen, dem scheinbaren Stilbruch im 2. Akt mit einem düsteren Ende. Es hatte den Anschein, dass man nach der Biogasanlage 2011 eine weitere Inszenierung aufgesetzt hat, die nicht funktioniert. Ich muss zugeben, ich hatte mich total getäuscht. Die Handlung ist mehrschichtig, denn über die eigentliche Handlung des Tannhäusers hatte der Regisseur klugerweise eine zweite Geschichte gelegt. Es ist die Geschichte von einem Trio um die Venus, die frei nach der Devise „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ von Richard Wagner eine Aufführung des Tannhäusers in Bayreuth sprengt. Während man sonst den Gegensatz zwischen Minne und leiblicher Liebe im Tannhäuser inszeniert, konzentriert sich Kratzer auf den Gegensatz von Pop-Kultur und Hochkultur. Das Trio um die Venus verkörpert dabei die Popkultur, dargestellt von einem Transvestiten, einem kleinwüchsigen Schauspieler und eben Tannhäuser. Dieser begehrt gegen die strenge Normenwelt der Hochkultur um Wolfram und Elisabeth auf. Am Ende soll Tannhäuser zwar erlöst werden, die beiden Kulturwelten sollen aber nicht überleben.
Es beginnt mit eine Videoeinspielung mit einem Drohnenflug über die Wartburg und einem Zoom auf einen alten Citroën-Kastenwagen. Venus und Tannhäuser ist mit der Dragqueen Gateau Chocolate und einem kleinwüchsigen Schauspieler unterwegs. Der Kleinlaster fährt auch an einer Biogasanlage vorbei, die mangels Nachfrage geschlossen ist. Dies ist ein fieser Seitenhieb auf den letzten Tannhäuser. Immer noch im Film landen sie in einem Fast-Food-Restaurant. Da auch das Benzin ausgegangen ist, pumpt der Kleinste in einer Tiefgarage andere Autos an. Als die Truppe am Drive-in von einem Polizeibeamten gestellt werden, überfährt die Venus kurzerhand den Beamten. Das geht dem Aussteiger Tannhäuser zu weit. Er hatte in einer Vorgeschichte den Opernbetrieb satt und zog mit Venus als Aussteiger durch die Lande. Das alles passiert schon zur Ouvertüre und wirkt erst einmal etwas aufgesetzt. Als der Kleinlaster dann wirklich auf der Bühne erscheint, wird klar, dass hier Filmhandlung und Bühnenhandlung nahtlos ineinander übergehen. Mit ihren Fast-Food-Einkäufen landet die Truppe an einem Hexenhaus, in dem eine ausgestopfte Frau Holle die Betten macht. Die Dragqueen erscheint in einem Dornröschenkostüm und serviert das Abendessen. Aber nach dem blutigen Zwischenfall im Drive-in, will Tannhäuser nur noch raus und weg. Etwas überstürzt brechen sie mit dem Wagen wieder auf und fahren dabei den Gartenzaun von Frau Holle zu Kleinholz. Im Kastenwagen geht es dann zwischen Tannhäuser und der Venus hoch her. Tannhäuser ist als Clown angezogen, die Venus erinnert eher an eine Popsängerin wie Pink in ihrem schwarz-glitzernden Jumpsuit. Dreimal fordert Tannhäuser nun gehen zu dürfen, dann ist Venus entnervt und schmeißt ihn aus dem Kastenwagen, was sie kurze Zeit später bitter bereut. In einem Szenenwechsel landet man jetzt an der Auffahrt vom Grünen Hügel. Auf der Bühne steht eine Kopie des Festspielhauses und man hat selbst an die Absperrung zur Hauptauffahrt gedacht und an die kleine Fahne auf dem Haus. Es kommt zuerst der Hirte mit einem Fahrrad angefahren. Tannhäuser hat ein Bündel mit Noten dabei. Er trifft sich mit seiner Sängerclique. Nach dem Ausflug in die Popkultur sucht er wieder das Heil am Grünen Hügel. Eine Pilgerschar in Form von Festbesuchern zieht dem Hügel entgegen mit Programmheften des heutigen Abends. Am Ende versöhnt sich Tannhäuser mit seiner Clique und nimmt am Sängerfest teil, bei dem es um nichts anderes als das Herz Elisabeths geht. Leider zu spät trifft das Duo um die Venus am Grünen Hügel mit dem Kastenwagen ein.
Nun findet ein Intermezzo am Teich vor dem Festspielhaus statt. Die Dragqueen singt Holiday von Madonna, Smile von Charly Chaplin, einen Song aus Arielle. Der kleinwüchsige Schauspieler trommelt im Schlauchboot und zitiert Revolutionstexte von Wagner. Venus schaut dabei mit einem Feldstecher immer wieder in Richtung Hügel. Was erst mal keinen Bezug zur Oper zu haben scheint. Das Ganze sieht aus, wie ein Picknick am See inklusive Einhorn. Die Dragqueen wechselt dabei für die Lieder immer die Garderobe. Als die Dragqueen die Hallenarie drei Oktaven tiefer anstimmt, schrammt das hart an der Grenze des Peinlichen vorbei. Das Publikum reagiert gelassen, wie man es heutzutage eben so tut, zückt Handys und Kameras und applaudiert freundlich. Der Kastenwagen darf natürlich nicht fehlen.
Im zweiten Akt öffnet sich die Bühne und man sieht ein klassisches Bühnenbild aus den 50er Jahren. Was im Fernseher wie ein Stilbruch daherkommt, erschließt sich einem nicht sofort. Erst so nach und nach dämmert es einem, dass das gerade die Oper in der Oper ist. Man erlebt im Rückblick eine Opernaufführung von Neubayreuth aus den 50er Jahren. Die Bühne ist aber von einer Art Rahmen umgeben, so also die ganze Aufführung eine bewegte Postkarte wäre. Im oberen Bühnenteil sieht man nun eine geniale Verquickung von Videoeinspielungen, Livebildern in schwarz-weiß. Jetzt wird auch klar, was das Intermezzo am Teich sollte. Venus schleicht sich vom Teich mit einer Leiter an den Balkon des Festspielhauses. Das Trio hatte einfach nur auf einen günstigen Moment gewartet, das Haus zu stürmen. Das Intermezzo am See findet in den Videoeinblendungen also die Fortsetzung. Während im unteren Bühnenteil sich die Sänger in der Aufführung treffen, kapern die Dragqueen, Venus und der Kleinwüchsige das Festspielhaus. Die Dragqueen und der Kleinwüchsige gehen an der Dirigentengalerie vorbei. Die Dragqueen schäkert mit dem Bild von Thielemann, der Kleinwüchsige mit dem Bild von Levine. Venus schaltet auf einer Damentoilette eine der Nebendarstellerinnen aus, greift sich deren Kostüm und schmuggelt sich in der Folge in die Aufführung als Edeldame ein. Sie muss den Sängerkrieg miterleben, wie über die Liebe gesungen wird. Sie kann sich aber kaum beherrschen, als Tannhäuser von der wahren Liebe erzählt. Während Wolframs Gesang sehr bieder ist, besingt Tannhäuser die fleischliche Liebe. Elisabeth zeigt ihre Verletzungen an den Unterarmen, sie scheint eine Form der Selbstverletzung zu praktizieren. Sie ist aber ganz die edle Dame und steht damit für die hohe Kunst. Das ist dann der Moment, in dem Venus ihre Verkleidung abwirft und sich mit der Dragqueen und dem Kleinwüchsigen um Tannhäuser schart. Die Dragqueen wirft die Regenbogenfahne über die Harfe. Dem wachen Auge der Festspielleitung sind die Eindringlinge nicht entgangen. Auf einem Unify-Telefon wählt die Festspielleitung in Form von Katharina Wagner persönlich die 110 und lässt die Polizei mit fünf Wägen zum Festspielhaus anrücken. In die Szenerie von Neubayreuth stürmt jetzt also die Polizei und setzt den Eindringlingen Grenzen, man lässt die Aufrührer, die den Kulturbetrieb stören, in Schach halten. Venus ist inzwischen total irritiert, wie weit Tannhäuser inzwischen Elisabeth verfallen zu sein scheint. Zu einem ‚Nach Rom‘ lässt er sich von der Polizei abführen. Das Trio um die Venus bleibt irritiert zurück.
In der Pause sieht man wirklich die Leiter und die Parole am Festspielhaus vom zweiten Akt.
Im letzten Akt kommt eine kaputte Variante des Kleinlasters zum Einsatz. Der Kleinwüchsige macht sich in seiner Blechtrommel ein Abendessen. Die verlassene Elisabeth irrt umher und findet im Wagen Wolfram. Da sich die Liebe für Elisabeth mit Tannhäuser nicht zu erfüllen scheint, nimmt sie kurzerhand Wolfram. Dieser zieht sich das Clownskostüm von Tannhäuser an und beide verleben eine Liebesnacht. Elisabeth stirbt danach an ihren Verletzungen im Laster. Die Drehbühne kommt zu Einsatz und man sieht ein übergroßes Plakat der Dragqueen, die für Luxusuhren wirbt. Die Bäume am Rand der Bühne scheinen abgestorben. Wolfram wartet auf Tannhäuser. Der erscheint mit Noten und erzählt von seinen Erlebnissen in Rom. Der Papst hat ihn den Aufenthalt im Venusberg nicht verziehen, er will nun zurück zum Venusberg. Diese erscheint auch und will Tannhäuser wieder aufnehmen. Mit einem Karabinerhaken will sie wie einst King Kong, das Plakat erklimmen. Wolfram sagt nun, dass Elisabeth für Tannhäuser gebetet hätte. Die Oper endet für niemanden gut und beim Schlussbild, als Tannhäuser die blutüberströmte Elisabeth aus dem Laster holt, glaubt man nicht mehr an Erlösung. Und doch: In einer Videoeinspielung fahren Tannhäuser und Elisabeth dem Sonnenuntergang entgegen.
Man kann nach diesem Tannhäuser viel diskutieren. Es gab auch Buh-Rufer für die Videoregie, was ich als sehr unfair empfand. Gerade die Videoeinspielung im zweiten Akt waren für mich der ganz große Wurf. Die reale Handlung mit der Bühnenhandlung so nahtlos zu verzahnen, das hat jeden Applaus verdient. Plötzlich ist man selbst Teil der Aufführung als Zuschauer einer Tannhäuseraufführung zu Zeiten Wieland Wagners. An dem Vorführungsabend sollte eigentlich Gergiev dirigieren. Katharina Wagner ließ den Dirigenten wegen eines Trauerfalls entschuldigen. Das Dirigat an dem Abend übernahm Thielemann persönlich, was sich als Glücksgriff in diesem Fall erwies. Das Publikum quittierte schon diese Ankündigung mit Jubel, wie bei einem Rockkonzert. Das Publikum hatte recht: Erklang doch ein edler, ausgewogener Tannhäuser im Festspielhaus, der seinesgleichen sucht. Bei den Sängern ist Venus mit Elena Zhidkova als Darstellerin mir besonders durch ihre schauspielerischen Fähigkeiten aufgefallen. Dass sie sängerisch auch hervorragend ist, muss nicht extra erwähnt werden. Die Hochkultur durch Elisabeth wurde von Lise Davidsen mit viel Wucht und doch einfühlsam gesungen. Le Gateau Chocolate bringt eine Note von Genderdiskussion mit auf den Hügel, was aber überhaupt nicht aufgesetzt wirkt, sondern sehr authentisch. Stephan Gould singt einen sehr kraftvollen Tannhäuser, ganz im Gegensatz zum aalglatten Wolfram durch Markus Eiche. Die Inszenierung nimmt den Festspielbetrieb ins Zielkorn und dass eine Katharina Wagner eingreift im Film, um die Subkultur aus Bayreuth entfernen zu lassen, ist ein Witz in sich. Hatte sie doch selbst mit Meistersingern und diversen anderen Inszenierungen immer wieder für Aufruhr gesorgt. Man rechnet mit dem Tannhäuser aus der Biogas-Anlage ab, zitiert mit dem Hasen am Kleinlaster, Schlingensiefs Parsifal. Letztendlich sehe ich in der Inszenierung ein blitzgescheites Plädoyer für mehr Offenheit in der Hochkultur. Letztlich kann kein Aspekt ohne den Gegenpart existieren. Wem die Fernsehaufzeichnung nicht gefallen hat, der sollte dringend auf den Hügel und sich vom Gegenteil überzeugen lassen. Es lohnt sich!
Es ist vielleicht die bekannteste Kammeroper von Wolfgang Rhim, die das Staatstheater Nürnberg neu auf dem Spielplan hat. Diese Oper behandelt in 13 Bildern den geistigen Verfall des Sturm und Drang Dichters Jakob Lenz. Die Handlung der Oper beinhaltet den Aufenthalt von Jakob Lenz im Elsass in Waldersbach bei dem evangelischen Pastor und Philantropen Oberlin, der sich vom 20. Januar bis 8. Februar 1778 hinzog. Man hätte diesen Freund Goethes sicher ganz vergessen, hätte nicht Georg Büchner eine Novelle mit dem Titel Lenz verfasst. Dieser behandelt genau die Zeit des Aufenthalts im Steintal in den Vogesen. Da Jakob Lenz an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt war, hat sein Freund Kaufmann ihm den Aufenthalt bei Oberlin empfohlen, da Oberlin als Seelsorger und Psychologe bekannt war. Damit sind auch schon die Hauptakteure der Oper benannt, nämlich Jakob Lenz, Oberlin und sein Freund Kaufmann. Mit diesen wichtigen Informationen bei der Einführung ausgestattet, startet eine bildgewaltige Reise in den Wahnsinn von Jakob Lenz, die der Hauptdarsteller Hans Gröning in beängstigender Weise umsetzt. Begleitet werden die Episoden von einem 11 Mann Orchester und 4 Frauen und 2 Männerstimmen, die den inneren Dialog des Dichters darlegen sollen. Die Texte, die gesungen, gesprochen und gekreischt werden stammen dabei teilweise von Lenz selbst, zur anderen Hälfte von Georg Büchner.
Man landet im ersten Bild schon in einer dystopischen Blade-Runner-Zukunft, vermutlich in den Straßenschluchten eines Moskauer Vororts, in dem der Dichter schließlich viele Jahre später sein Ende fand. Mit einem Einkaufswagen voller Plastiktüten versucht ein völlig verstörter Lenz, an zwei EC-Automaten Geld abzuheben. Er selbst schläft auf einer Matratze am Straßenrand. Die Liebe von der nun gesprochen wird, wird mit billigen Sexshops plakativ in Szene gesetzt. Lenz war seiner Zeit unglaublich verliebt in Frederike Brion, die aber für ihn unerreichbar blieb. Verfolgt von den Stimmen aus dem Orchestergraben und nach einem erfrischenden Bad in einer Mülltonne, landet er im Obergeschoss einer Wohnung bei Pfarrer Oberlin. Dieses weiße Zimmer mit einem Kreuz an der Wand bildet einen Ruhepol in den grauen Bildern der Zukunftsstadt. Aber die Trugbilder, eben auch von Frederike lassen ihn nicht schlafen. Sie machen am Morgen einen Spaziergang auf das Land, wo er sich als Theologe zu erkennen gibt und versucht zu predigen. Am Land trifft er demonstrierende Kinder und man ist mitten in einer Fridays for Future-Demo gelandet. Man sieht jetzt Lenz in einer großen Kameraeinspielung mitten im Wahn. Kaufmann, eine recht zwielichtige Gestalt, ist von Lenz Eltern ausgesandt worden, ihn heimzuholen. Es entwickelt sich ein Dialog über die gegensätzliche Auffassung von Kunst. Für Lenz muss Kunst wahr sein, für Kaufmann dagegen schön. Lenz flieht durch den Zuschauerraum ins Gebirge. Er erfährt schließlich, dass Friederike für ihn verloren ist. Auch bei der Rückkehr zu Oberlin, kann der Pfarrer ihn nicht beruhigen. Wieder hat Lenz eine Erscheinung: Er kniet vor dem weißen Kindersarg eines mit dem Rad verunglückten Mädchens. Er meint, hier Friederike erkannt zu haben und läuft wieder weg. In einer Sequenz sieht er die Freiheitsstatue mit dem Spruch: Krieg dem Frieden, Hütten den Palästen vorbeiziehen. Er landet in einer Polizeistation, wo auch noch Polizei auf ihn einprügelt. In einer Gay-Pride-Parade ziehen seine Stimmen an ihm vorbei. Lenz liegt am Ende blutüberströmt neben einer Toilettenschüssel. Kaufmann findet ihn und bringt ihn zurück ins Haus. Alle Versuche Lenz wieder zur Besinnung zu bringen, scheitern. Er verliert sich in Trugbildern und hat nur noch Erscheinungen. Am Ende der Vorstellung regnet es Flugblätter mit Texten von Lenz auf die Zuschauer.
Während man beim Musical ‚Catch me if you can‘ einen Kassenschlager entworfen hat, ist man hier in der krassen Gegenwelt gelandet. Nun kann man sich eigentlich schon ausmalen, dass eine Oper über paranoide Schizophrenie nicht lustig ist und moderne Oper sicher ein adäquates Ausdrucksmittel dafür ist. Wenn es dann noch 36 Grad Außentemperatur hat und man froh um die Tauschkarte im Parkett ist, sind 90 Minuten Rhim dennoch eine Herausforderung für die Aufmerksamkeit. Ohne die erhellende Einführung des Dramaturgen Georg Holzer, wäre man mit den vielen Umbauten und der Bilderflut überfordert. Es wird keine wirkliche Geschichte in den 13 Sequenzen erzählt und man bekommt keine schlüssige Erklärung, was auf der Bühne eigentlich stattfindet. Letztlich ist es aber genau die Abbildung der Krankheit von Lenz, in der er sich am Ende verloren hat.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg