Eigentlich sprechen die Corona-Inzidenzen derzeit gegen einen Besuch in einem Theater. Als es spontan noch Karten für den Fliegenden Holländer im Stadttheater in Fürth gab, habe ich mich entschlossen, in die Aufführung des Staatstheaters Meinigen zu gehen. Gespielt wurde eine Aufführung, die in Ulm von Kai Metzger entworfen wurde, aber schon 2017 in Detmold und 2021 in Meiningen zu sehen war. Jetzt ist so ein Holländer vor der eigenen Haustür eine tolle Sache an sich schon. Das Fürther Stadttheater hat eine gute Akustik und ich wollte schon immer einmal einen Wagner in dem Gebäude hören. Klar ist das Orchester nicht so überbordend besetzt, dank eines kleinen Orchestergrabens. Das lässt den Sängern aber auch viel Luft für Textverständlichkeit. Dank der Übertitel konnte man die Handlung bestens verfolgen. In der Einführung wurde erklärt, dass man den Holländer in einem Kino-Foyer spielt und da dachte ich nur, oh weh Regietheater. Der nächste Punkt war eine Pause mitten im zweiten Akt, eigentlich ein Sakrileg. Durch die ungünstige Einteilung gibt es normalerweise keine Pause oder zwei. Aber nur eine Pause und dann wo? In der Aufführung ist die Darstellerin der Senta ganz versessen in den Film ‚Fluch der Meere‘, der immer im Kino 1 läuft. Sie scheint auch der einzige Fan dieses Films zu sein. Schon im ersten Aufzug steht sie vor einem Kinoplakat mit einer düsteren Heavy-Metall-Gestalt des Holländers.
Während der Ouvertüre rennt Senta viermal in den Film ‚Fluch der Meere‘. Sie ist immer allein, wenn die Musik kurz verschnauft, nimmt sie einen erneuten Anlauf. An einem runden Tresen steht ein weiblicher Kinoarbeiter als Kellner, der immer wieder die Gläser wegräumt, wenn Senta ins Kino eilt. Daland, Sentas Vater, ist nun ebenfalls im Foyer und betrinkt sich. Er muss eine ziemliche Fahne haben, denn sein Schiff macht keinen Schnitt mehr und er sitzt fest im Foyer. Nach dem Steuermann-Lied wird es kurz dunkel. Es sieht so aus, als ob die Figur des Holländers aus dem Plakat herausgestiegen ist und nun röchelnd am Boden des Foyers liegt. Bei der Auftrittsarie des Holländers beklagt er sein Leid, er versucht sich mit der Pistole das Leben zu nehmen, ein hoffnungsloses Unterfangen als Untoter. Bei den Schlussakkorden der Arie lässt der Holländer Sand durch seine Hände rinnen. Mit einem Seesack setzt er sich müde an die Bar. Mit ausgestrecktem Arm verfolgt Senta die Szene. Auf dem Kinoplakat hat der Titel gewechselt. Es steht nun dort: Der Ruf der Heimat. Es folgt der Deal von Daland, dass er gegen viele grüne Scheine, die hier der Schatz des Holländers sind, seine Tochter an den Untoten verkauft. Nach dem Deal kommt seltsamerweise Wind auf und Daland kann seine Fahrt fortsetzen. Begleitet wird die Abfahrt von 18 Matrosen, die ebenfalls als Kellner auftreten und im Takt der Musik Gläser polieren. Als Wind aufkommt, halte sie alle ihre weißen Geschirrtücher hoch. Als die Herren der Schöpfung verschwinden, ist es Zeit für die Spinnstube. In Reih und Glied treten 15 Damen mit gleicher Frisur und Strickzöpfen auf. Zur Musik bewegen sie heftig die Stricknadeln, bis ihre Seemänner zurückkommen. Bis auf Senta, die ja ihren Erik hat, der Jäger ist. Als die Damen eine Kette bilden und um Senta rumtanzen, wird es ihr zu viel. Sie stellt sich vor das Filmplakat, das glutrot leuchtet und sing die Arie vom Fliegenden Holländer. Erik tritt auf und versucht sie umzustimmen, was aber nicht gelingt. Dann ist Pause, mitten im Stück, wo die Musik eigentlich nahtlos in den Auftritt des Fliegenden Holländers mündet.
Es folgt der Auftritt des Fliegenden Holländers im Foyer. Daland ist wieder mal der betrunkene, übergriffige Vater, der gegen Geld seine Tochter anpreist. Etwas entnervt ist der Holländer, zwischen beiden funkt es sofort. Sie tanzen einen Walzer und man sieht eine Einblendung an der halbdurchsichtigen Wand, wie der Filmheld mit seiner Senta den Abendhimmel unter Palmen ansieht. Der Holländer zieht den Mantel aus und bekommt von seiner Senta eine Strickjacke angezogen. In einer weiteren Einblendung sieht man Senta in einem Wohnzimmer sitzen mit Erik. Wieder später sieht man, wie der Filmheld Senta würgt. Nachdem man übereingekommen ist, setzen sich Daland, Senta und der Holländer an einen Bistrotisch am Bühnenrand, trinken Sekt und spielen vermutlich ‚Mensch-Ärger-Dich-Nicht‘. Unterdessen tritt der Chor auf und fordert die Geister am Schiff des Holländers heraus. Die melden sich per Lautsprecher zu Wort, während das Kinofoyer lila beleuchtet wird und die Lichter flackern. Als die Geister weg sind, kommt noch mal Erik herbei und sagt, dass Senta eigentlich ihm versprochen wäre. Es kommt zu einem Handgemenge, wo Mary und der Steuermann hinter dem Tresen dringend die Polizei rufen wollen. Aber zu spät. Der Holländer dreht durch und hält in der Schlussszene Senta den Revolver an die Schläfe. In dem Moment endet die Szene, es wird dunkel und wieder hell. Man sieht Senta wieder alleine im Foyer sitzen, es war alles nur ein Traum aus einem Filmstreifen. Sie geht wieder voller Euphorie ein weiteres Mal in den ‚Fluch der Meere‘, um als alte Frau aus dem Kino zu kommen. Damit bewahrheitet sich Marys Weissagung: Willst du dein ganzes junges Leben verträumen vor dem Konterfei?
Die Verblendung Sentas wurde auf schlüssige Weise mit der Liebe zu einem Filmstar erklärt. Manchmal braucht es kein Schiff im Holländer, um die Handlung zu verdeutlichen. Es waren total witzige Szenen drin, wie die Seemänner alle als Kellner im Takt der Musik die Gläser polieren; oder die Damen in der Spinnstube in Reih und Glied auf der Bank im Kino sitzen und stricken. Mir hat auch die Umsetzung im Orchester sehr gut gefallen, denn hier wurde das Dunkle, Glutvolle der Partitur voll ausgekostet, mit schönen Dehnungen. Das Meeresrauschen, das man bei Eriks Rettungsversuch hört, war plastisch zu hören. Den Sängern wurde genügend Raum gelassen und nicht völlig vom Orchester übertönt. Auch wenn man das jetzt vielleicht nicht gern hört, dieser Holländer war schlüssiger erzählt, besser ausgeleuchtet musikalisch als vergangenes Jahr in Bayreuth. Rund um zufrieden und begeistert habe ich das Stadttheater verlassen. Würde der ‚Fluch der Meere‘ noch einmal im Stadttheater gegeben, wäre ich wie Senta sofort dabei. Diese Oper war wirklich ganz großes Kino.