Die Inszenierung von Axel Köhler der Oper Carmen von Georges Bizet in Dresden ist gekonnt umgesetzt. Das Bühnenbild ist wandlungsfähig genug, um die vier Akte gekonnt darzustellen. Es besteht aus zwei großen Zylinderhälften, die gegeneinander verschoben werden können. Der Zylinder ist innen rot und kann da auch prima als Taverne des Lillas Pastia dienen.
Zu Beginn der Aufführung sieht man drei Gauner auf der Bühne, die Drogen verschieben. Sie klopfen auf den Souffleurkasten und lassen sich ein paar Päckchen mit weißem Pulver reichen. Es folgt eine Ouvertüre ohne szenische Umsetzung. Man befindet sich im ersten Akt auf einem Platz in Sevilla vor dem Speicher der Zigarettenfabrik. Eine lebhafte Truppe von Melonen-, Wasser- und Blumenhändler hat sich eingefunden, um die Wachablösung vor der Fabrik beizuwohnen. Diese werden alle mit Metalldetektoren auf Waffen überprüft. Das Militär selbst hat martialische Uniformen in Grau/Schwarz an. Micaëla tritt auf und fragt nach Don José, dem sie Grüße seiner Mutter überbringen will. Don José ist aber nicht in der Wache. Es tritt ein großer Kinderchor mit einer einstudierten Choreografie auf. Es folgt die Wachablösung. Der Zylinder geht auf und man sieht Zigarettenrauchschwaden. Dann ertönt die Pausenglocke der Zigarettenfabrik und die Arbeiterinnen haben sich alle wie in einem Harem um eine große Zigarettenschachtel aus Pappe gruppiert. Auf den Kartons der Zigarettenschachtel sieht man die Umrisse einer Frau aufgemalt. Alle Frauen sind gleich angezogen mit kurzen Arbeiterinnenkitteln, nur Carmen sticht mit ihrem Leopardenoutfit heraus. Sehr impulsiv wirft sie die Kartons ein und darf dann die berühmte Habanera singen. Am Ende wirft sie Don José eine rote Blüte zu, die dieser etwas irritiert auffängt. Es tritt noch einmal Micaëla auf und überbringt Don José einen Kuss der Mutter. Zwischen den zwei Frauen hin und her gerissen, scheint er sich zuerst für Micaëla zu entscheiden. Das ändert sich aber in dem Moment, wo eine Messerstecherei in der Fabrik einsetzt. Man beauftragt Don José, die Übeltäterin zu finden und es ist natürlich Carmen. Zuerst sieht der Offizier vor, Carmen verhaften zu lassen. Don José kettet Carmen mit Handschellen an sich. Nun überredet Carmen ihn, er solle sich fallen lassen und ihr so die Flucht ermöglichen. Eine wunderbare Nacht in der Taverne von Lilas Pastia wäre die Belohnung. Schließlich erliegt Don José Carmens Charme und lässt sie entkommen.
Im zweiten Akt befinden wir uns in der Kneipe von Lilas Pastia. Der Zylinder ist wieder offen und man sieht die roten Innenwände. Von oben hängt eine große Blechlampe über einem großen, runden Tisch. In den Zylinderwänden sind nun drei Klappen eingelassen, aus denen drei Tänzerinnen kommen, darunter auch Carmen. Sie geben eine kokette Tanzeinlage auf dem Tisch. Don José wurde mit einem Monat Haft bestraft, dafür, dass er Carmen entkommen ließ. Er soll aber in der Nacht wieder freikommen. Es tritt der Stierkämpfer Escamillo auf, der singt von seinen Stierkämpfen und in Strapse bekleidete Frauen, stellen die Stiere da. Dennoch verliebt sich der Womanizer sofort in Carmen. Carmen weißt den Annäherungsversuch zunächst zurück. Sie überlegt stattdessen, wie sie Don José zum Schmuggeln in die Berge überreden könne. Sie versucht es zunächst mit einem Tanz. Da ertönt der Zapfenstreich und Don José sollte eigentlich zurück in die Kaserne. Es kommt der Offizier herein und zieht Don José auf. Er meint zu Carmen, warum sich mit dem Soldaten begnügen, wenn man den Offizier haben kann. Darauf hin bekommt Don José einen Eifersuchtsanfall und fesselt den Offizier mit den Schmugglern mit Paketklebeband. Der Rückweg in die Kaserne ist damit nicht mehr möglich und Carmen hat ihr Ziel erreicht, dass er Schmuggler im Gebirge wird.
Im dritten Akt dienen die Zylinderhälften als Bergmassiv. Links ist ein halbrunder Steg aufgebaut. Vorn rechts ist ein umgekipptes Auto, dessen Unterseite mit einer Matte versehen ist. Die Schmuggler arbeiten mit Leitern und Stirnlampen im halbdunklen. Carmen hat sich inzwischen von Don José abgewendet. Sie legt für sich die Karten, die ihr aber nur Unheil und den Tod verheißen. Es folgt eine nette Choreografie der Schmuggler. Erneut tritt Micaëla auf und versteckt sich im Auto, als Escamillo erscheint. Der Torero ist auf der Suche nach Carmen und erkennt in Don José zunächst nicht seinen Rivalen. Es kommt zur Auseinandersetzung und Carmen schreitet ein und verhindert den Angriff von Don José. Schließlich kommt Micaëla aus dem Auto und sagt, dass seine Don Josés Mutter im Sterben liegt und sie ihm alles verzeiht. Don José ist bewegt und geht in Richtung seiner Mutter, prophezeit Carmen aber ein Wiedersehen in Sevilla.
Im vierten Akt kommt es vor der Stierkampfarena zur Katastrophe. Die Zylinder sind halb ineinander verschoben und bilden so eine Arena. Nun erlebt man einen bunten, farbenfrohen Aufmarsch der Toreros und aller ihrer Helfer in der Arena. Die rosafarbenen Strümpfe der Toreros sind echt der Hingucker. Carmen ignoriert die Warnungen, dass der eifersüchtige Don José aufgetaucht sei. Schließlich entdeckt sie ihn aber. Er hat einen blauen Strauß Blumen für Carmen dabei. Sie hat aber für ihn nur noch Spott übrig. Die Situation eskaliert, als sie ihm den Ring vor die Füße wirft und meint: Stich mich doch nieder oder lass mich vorbei! Dann sticht Don José zu. Am Ende der Inszenierung ist er allein mit der sterbenden Carmen auf der Bühne.
Elena Maximova als blonde Carmen ist in der Aufführung sicher ein Hingucker. Die Rolle der Micaëla habe ich bisher nie so richtig wahrgenommen, aber Heidi Stober sang diese Partie eindrucksvoll. Daniel Johansson als Don José war ebenfalls gut besetzt. Im Orchestergraben lieferte Giuliano Carella einen schönen Sound. Dennoch muss ich gestehen, dass Carmen nicht zu meinen Favoriten unter den Opern zählt. Dieses spanisch angehauchte Kolorit in der Musik mit den Kastagnetten in Kombination mit der hohen Hitdichte ist nicht so mein Fall. Es war zudem der zweite Bizet in der Woche und die Perlenfischer liegen mir da mehr. Ein Besuch lohnt sich dennoch, schon allein wegen der üppigen Semperoper und der guten Inszenierung.
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Rundgang durch die Semperoper Dresden
Sehr schade, dass die Aufführung von den Perlenfischern im Opernhaus Nürnberg nur konzertant war und ohne Bühnenbild (kein Foto). Es gibt in diesem Stück nur vier Hauptpersonen und einen Chor, der die emotionale Entwicklung der Charaktere begleitet. Gespielt wurde eine Art Urfassung, wobei das bei der Oper schwierig ist, da die Originalpartitur verloren ging und man nur noch einen Klavierauszug hat und die Oper nachinstrumentiert hat. So mag man über eine Originalfassung streiten. Jaclyn Bermudez musste in der Rolle der Leila aus Kassel einspringen, wobei man ihr jetzt in der Deutung der Oper entgegengekommen ist und quasi einen Kompromiss gefunden hat. Die Änderungen heute waren im letzten Teil der Oper. Der Schluss ist anders gewesen, was man teilweise an den fehlenden Übertiteln merkte. Es gab heute einige Striche, die Gábor Káli in 1 1/2 Stunden vor der Aufführung in die Noten der Orchestermusiker eingetragen hat. Die Oper ohne Bühnenbild hat so einen Eindruck von einer erzählten Geschichte aus langer Zeit. Sie spielt in Sri Lanka, die Exotik wird immer wieder durch Gongs und Schlagzeug unterstrichen. Es geht um die Liebe Nadirs zu Leila vor langer Zeit, der er mit seinem Freund Nadir abgeschworen wurde. Diese Frau taucht als Priesterin wieder auf und bedroht die Freundschaft. Nadir ist inzwischen König. Das Volk bekommt den Fehltritt der Priesterin mit und fordern vor Brahma Blutrache an den Liebenden. Nadir legt aber vor der Verurteilung Feuer, sodass beide entkommen können. Es gibt viele Nummern in der Oper, die hörenswert sind. Herauszuheben ist aber das Tempel-Duett (Au fond du temple saint), die Arie des Nadir (Je crois entendre encore) und die Kavatine der Leila (Me voilà seule dans la nuit). Gerade das Motiv des Tempel-Duetts zieht sich durch die Oper wie ein roter Faden und erklingt am Schluss noch einmal, als die Liebenden flüchten. Die ersten beiden Akte wurden zusammenhängend gespielt, vor dem kurzen dritten Akt gab es noch einmal eine Pause. Das Orchester ist auf der Bühnen, im Hintergrund sitzt der Chor auf Stühlen. Durch einen Vorhang kann man den Chor bei Bedarf unsichtbar schalten. Auf der Stofffläche werden teilweise Bilder gezeigt aus Sri Lanka, eine Säulenhalle oder Bilder. Ganz brillieren dürfen dabei die Sänger, die vorne am Orchestergraben stehen. Prominent sind auch vier Kesselpauken in der Mitte aufgebaut, deren Musiker ganz schön viel zu tun hat. Erstaunt hat mich Nadir (Ilker Arcayürek), der in dieser Rolle wirklich ideal besetzt ist. Das Potenzial, das ich in der Bohème erkannt habe, hat sich wirklich gut entwickelt. Wirklich schade, dass es kein Bühnenbild gab. Diese Oper von Bizet ist sehr schön und hätte es verdient. Gábor Káli am Pult würde den perfekten Sound liefern.
Stumm beginnt die Aufführung von Leoš Janáčeks ‚Aus einem Totenhaus‘ im Nürnberger Staatstheater. Calixto Bieito lässt die Sänger auf einer dunklen Bühne mit einem improvisierten Ball zwischen den Pfützen auf der Bühne Fußball spielen. Man sieht am Hintergrund eine verrostete Metallwand. Das Ballspiel bietet Ablenkung vom Lageralltag. Man könnte meinen: Oper über ein sibirisches Gefangenenlager klingt nicht lustig? Ist es auch ganz und gar nicht. Der Regisseur schafft einen beklemmend lebensnahen Eindruck von dem, was dort abgeht. Janáček liefert dazu einen breiten, modernen Klangteppich, wobei sich das Eingangsmotiv immer wiederholt. Diesen Unort, versucht der Komponist mit seinem Werk in Töne zu fassen und Calixto Bieito mit seiner Regie in Bildern. Dies gelingt beiden beklemmend gut, sodass man froh ist, diesem Albtraum aus Endzeitwelt und Klang nur knappe 100 Minuten ausgesetzt zu sein. Die Oper ist immer von symphonischen Orchestereinlagen durchbrochen, es singen fast ausschließlich Männer. Wenig später öffnet sich die eiserne Wand und man schaut als Zuschauer in grelles Licht. Die Lagerinsassen rollen Autoreifen auf die Bühne. Alexandr Petrovitč Gorjančikov, ein Adeliger kommt als politischer Gefangener ins Lager. Dort muss er erst mal seinen Anzug ausziehen, man schiebt ihm ein Gewehr in den Mund und bestraft ihn mit 100 Peitschenhieben an der Metallwand. Nun lernt man in einige Gefangene aus dem Lager kennen. So hat ein gewisser Luka einen Kommandanten ein Messer an den Hals gesetzt, der sich im Lager für Zar und Gott hielt. Dafür landete er im Lager. Die Gruppe kümmert sich im Original um einen verletzten Adler, der hier durch ein Pappflugzeug dargestellt wird. Ein Aufseher zerbricht den Pappflieger. Der ausgepeitschte Alexandr wird auf die Bühne gebracht. Es folgt die Szene von einem kirchlichen Feiertag. Nun wird eine echte, stillgelegte Antonow AN-2 aus dem Schnürboden herabgelassen. Dieses Flugzeug ist wirklich das Highlight der Inszenierung und nimmt die ganze Bühne ein. Es ist das Symbol für die Hoffnung auf Flucht aus dem Lager. An dem wird scheinbar ein Kanister mit Wodka unter die Gefangenen geworfen. Skuratov erzählt nun seine Geschichte, wie seine große Liebe Luisa gezwungen wurde, einen reichen Verwandten zu heiraten. Diesen Verwandten hat er umgebracht. Deshalb ist er hier. Anlässlich des Feiertags improvisieren die Häftlinge zwei Theaterstücke. Zuerst das Stück von ‚Kedril und Don Juan‘. Den Don Juan holen dabei 6 Teufel mit Phallushörnern und roten Plastikphallus. Sein Diener Kedril bekommt daher die Liebschaft des Don Juan. Das zweite Stück ist ein Stück von einer mannstollen Müllerin, alles gespielt von Männern. Unter großen Kartons kommen Männer auf die Bühne, einer davon ist nackt. Es wird ein Oralverkehr simuliert, wobei der Darsteller ausspuckt. Es kommt schließlich zum Streit, da Alexandr scheinbar immer noch privilegiert ist und Tee trinken darf. Es kommt zu einer Schießerei auf der Bühne. Im nächsten Akt erzählt dann Schapkin, wie ihm beim Verhör fast ein Ohr abgerissen wurde. Bei diesem Gefangenen zeigte die Maske, was sie konnte, denn die Verletzung sieht wirklich schlimm aus. Die Antonow entschwindet im Bühnenboden. In einem langen Monolog erzählt nun der Gefangene Šiškov von seiner Liebe zu Akulina und dessen Rivalen Filka. Als seine Liebe gesteht, dass sie Filka liebt, bringt er sie um. Und durch einen Zufall ist dieser Filka gleichzeitig mit ihm im Lager. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Im Vordergrund bringt man die Leichen in graue Plastiksäcke, unter ihnen ist auch Luka. Es geschieht das Unglaubliche. Alexandrs Mutter erwirkt die Freilassung von Alexandr. Der betrunkene Offizier entschuldigt sich für die Peitschenhiebe. Es sieht fast so aus, als ob er freikommt. Dennoch wird der eigentlich positive Schluss der Oper durch die Regie entkräftet. Alexandr wird erschossen.
Man ist am Ende doch froh, dass man nach diesem Ausflug nach Sibirien wieder nach Hause gehen darf. Die Oper zeigt die Bilder von dem Alltag in dem Lager beklemmend gut. Die Deutung von Bieito ist vielleicht schlüssiger, als die Wiener Inszenierung, die alles in die russische Halbwelt verlegte. Es ist aber immer die ganze Horde der Gefangenen auf der Bühne, was es auch bei den Monologen teilweise schwermacht, dem Text zu folgen. Bewundernswert ist, wie die ganzen Darsteller in Tschechisch singen und sprechen. Fjodor M. Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ ist sicher kein leichter Stoff für eine Oper. Auch ich habe einen Tag gebraucht, die Bilder zu verarbeiten. Erwähnt sei vielleicht noch ein Zwischenfall im zweiten Akt, als es einer Zuschauerin in der ersten Reihe des dritten Rangs zu viel wurde und man die Sanitäter holen musste. Eine Oper, für die man wirklich bei guter Konstitution sein muss. Sehenswert, aber echt hardcore.
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Wer das Libretto von Cole Porters ‚Kiss me, Kate!‘ liest, fragt sich, ob das wirklich ausreichend Stoff ist, den Zuschauer fast drei Stunden zu unterhalten. Die Inszenierung von Thomas Enzinger geht dabei locker mit dem 20. Jahrhundert um. Man befindet sich in einer Zeit, wo Gamaschen der 20er Jahre neben den Handys der späten 90er Jahre existieren dürfen. Die Kostüme von Toto wildern dagegen wirklich in der Shakespearezeit. Ein knallrotes Suspensorium des schwarz/rot gekleideten Hauptdarsteller ist schon eine gewagte Nummer. Für die Damen der Schöpfung gibt es Männer in Netzhemden und Strumpfhosen und es geht reichlich kokett auf der Bühne zu. Das täuscht vielleicht etwas, um den etwas verqueren Ansatz des Shakespearestückes hinweg, dass es für eine Frau nur eine ordentliche Tracht Prügel braucht, damit sie zahm wird. Die Vorlage könnte man heute keinesfalls so lassen, das wäre politisch nicht mehr korrekt. Aber gut, daran scheint man sich in den 50er Jahren, als dieses Stück im Stück entstanden ist, noch nicht gestört zu haben.
Zu Beginn des ersten Aktes sieht man Shakespeare übergroß auf einem Vorhang aufgedruckt. Fred Graham und seine Ex-Frau Lilli Vanessi sollen die Hauptrollen im Shakespearestück „Der Widerspenstigen Zähmung" in Baltimore spielen. In zwei gegenüberliegenden Bühnengarderoben hat man reichlich Zeit, sich vor der Vorstellung anzugiften. Dabei wirft Lilli mit Spicker auf ein Konterfei ihres Ex-Mannes als Cyrano. Außerdem telefoniert sie demonstrativ mit ihrem neuen Liebhaber, einem General Harrison Howell per Handy. Dabei hätten die Handys doch längst ausgeschaltet gehört. Man schwelgt aber dennoch in der Erinnerung längst vergangener Zeit mit dem Titel „Wunderbar“. Aber auch Fred ist in der Klemme. Ein Ensemblemitglied hat im Namen von Fred einen Schuldschein beim Kartenspiel über 10000 Dollar unterschrieben. Das ruft nun zwei Ganoven auf den Plan in Form von Heißmann und Rassau, dem Komiker-Duo aus Fürth. Fred streitet zunächst ab, einen solchen Schuldschein gezeichnet zu haben. Fred bandelt mit einer ehemaligen Bardame namens Lois Lane aus dem Ensemble an. Ihr will er auch einen Blumenstrauß zuschicken, der vor der Premiere aber fälschlicherweise bei Lilli landet. Den Brief konfisziert Lilli sogleich, da sie sich in dem Moment wirklich über den Strauß von Fred freut. Aber die Zündschnur für eine Explosion während der Vorstellung ist gelegt. Auch wenn sie nach dem Blumenstrauß verspricht, nie mehr Drecksack zu ihrem Ex-Mann zu sagen, ist klar, dass das Versprechen nicht lange halten wird. Auf der Bühne des Stücks im Stück steht eine große Statue von Shakespeare. Fred tauscht den Kopf der Statue aus und setzt seinen eigenen Kopf auf. Nun beginnen Sequenzen aus dem Shakespearestück. Mit einem Schlagzeug macht man Slapstickgeräusche, wenn sich Fred wieder mal an den Schritt langt, oder der alte Vater von Kate mit knarrenden Geräuschen auftritt. Nun kommt es auf offener Bühne zur echten Auseinandersetzung der Hauptdarsteller. Mit einer Motorsäge geht Lilli auf eine Puppe los und sagt, dass sie so mit jedem Mann verfahren würde (Nur kein Mann). Auch fällt wieder das Wort Drecksack, als sie den Brief aufmacht, der natürlich nicht für sie gedacht war. Auf offener Bühne ohrfeigt Lilli ihren Ex-Mann Fred und beißt ihm ins Ohr. Wenig später rächt sich dieser mit einer ordentlichen Tracht Prügel für Lilli, sodass diese für den Rest des Stücks nur noch unter Schmerzen sitzen kann. Sie weigert sich nun weiterzuspielen. Da kommt Fred der rettende Einfall und er hetzt die beiden Ganoven auf Lilli, damit sie den Abend fertig spielt. Fortan begleiten die Gangster mit Pistolen die Auftritte von Lilli. Auch wenn die Gangster immer wieder um sich ballern und selbst einen mechanischen Vogel von der Decke abschießen, es bleibt schwierig. Die Premiere steht immer kurz vor dem Scheitern, trotz Flitter im Finale des ersten Akts.
Zu Beginn des zweiten Aktes sieht man nun die Sänger des Stücks vor einer Backsteinwand. Darauf ist ein Graffiti ‚Kiss me, Kate!‘. Es steht ein Kühlschrank auf der Bühne, aus dem man scheinbar kalte Getränke holen kann. Fred muss schließlich eine Szene streichen, bei der Lilli auf einem Esel sitzen soll. Es wird weitergespielt, allerdings stirbt plötzlich der Auftraggeber, der die Schulden für den Schuldschein haben will. Die Gangster lassen von Lilli ab, vorher machen sie aber noch ein Selfie mit einem Selfie-Stick. Es erscheint ihr Liebhaber, der General, der sie nun retten und heiraten will. Vor einem Transparent der National Rifle Association posiert man nun die Liebe zur Waffe. Aber auch der General ist in Sachen Liebe kein unbeschriebenes Blatt und hatte ebenfalls eine Affäre mit Lois Lane hatte, genauer gesagt er hatte zwei Affären. Sie bekam damals Juwelen von dem General. Er bittet Lois, sich für die ersten drei Monate der Ehe mit Lilli bedeckt zu halten, danach hätte er aber schon wieder Bedarf. Es kommt, was kommen muss, Lilli packt während der Aufführung die Koffer und verlässt Fred noch in der Vorstellung. Nun treten die Gangster vor die Bühne und singen ihr ‚Schlag nach bei Shakespeare‘. Dabei treten sie dreimal auf und geben eigene Variationen des Liedtextes mit Regionalbezug zum Besten. Beim entscheidenden Auftritt von Lilli zum Ende der Premiere, scheint alles vorbei zu sein. Da tritt plötzlich Lilli auf und spielt am Boden liegend das Stück zu Ende.
Dieses Musical ist also das erfolgreichste Musical von Cole Porter gewesen. Und tatsächlich sind ein paar Nummern Evergreens geworden. Dennoch hat das Stück von der Handlung her etwas Patina angesetzt und der Stoff vom prügelnden Ex-Ehemann will nicht mehr so recht in die heutige Zeit passen. Die Handlung ist zugegebenermaßen eindimensional und was dieses Stück immer wieder auf den Spielplan ruft, sind die Evergreens von Cole Porter. Etwas weniger Big-Band-Sound als erwartet, aber mit viel Ohrwurmpotenzial kommt dieses Stück daher. Christian Alexander Müller als Fred und Sophie Berner als Lilli lassen es auf der Bühne gehörig knistern. Dabei ist beim Stück im Stück nicht immer klar, auf welcher Ebene sie sich bewegen, aber das ist gerade das Reizvolle.
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Manchmal sollte man sich auch von einer oder mehreren durchwachsenen Kritiken nicht abhalten lassen, sich vor Ort selbst eine Meinung zu bilden. So waren die Hugenotten ja eher nicht bei mir angekommen und ich hatte mit dem Thema Grand Opéra schon fast abgeschlossen. Die ganze Form erschien mir als etwas zu verstaubt und nicht mehr aktuell. Aber die Inszenierung von Gabriele Rech am Nürnberger Opernhaus hat mich überzeugt, sie ist eine Kooperation mit der Oper in Nizza. Ein gut aufspielendes Orchester und gute Sänger hatten an diesem Abend für eine Überraschung gesorgt. Nach den Kritiken hatte ich ja eine gewisse Skepsis. Das Libretto mit dem Kindstausch als Motiv erinnerte mich zu sehr an den Troubadour von Verdi, obwohl das in der Zeitabfolge gar nicht sein kann. Kai Weßler bezeichnete die Form der Grand Opéra als großes Theater in der damaligen Zeit, ähnlich den heutigen Musicals. Dabei waren genaue Handlungsabläufe und Ausstattungsdetails vorgegeben. Der düstere Ausgang der Oper von Fromental Halévy besiegelt eine finstere Schlussnote im Religionskonflikt der damaligen Zeit und der Judenverfolgung unter dem Konstanzer Konzil um 1417. Man hätte die Oper leicht mit einem Paukenschlag und einem glücklichen Ende beschließen können, was aber unlogisch erscheint. Wie ein Zug rauschen die Beteiligten immer tiefer in persönliche Verstrickungen und schließlich in die Katastrophe. In ihrer religiösen Verblendung stehen beide Seiten unversöhnlich gegenüber. Schon die Grablichter vor dem Vorhang verheißen nichts Gutes.
Im ersten Akt sieht man das Volk in der Kirche. Mit einem dicken Orchesterstrich wird ein „Te Deum“ gesungen. Man befindet sich außerhalb der Kirche vor den Stufen zum Münster zu Konstanz. In der Mitte sieht man die Rückseite eines Kirchenfensters. Der Jude Éléazar stört mit seinem Gehämmer in der Goldschmiede die Feiertagsruhe der christlichen Mehrheit. Das führt zum ersten Affront des Juden, der vom Militär gleich vorgeladen wird. Man hat die Szenerie in die 30er Jahre verlegt, verzichtet aber bewusst auf Symbole des Dritten Reichs. Stellvertretend müssen sich zwei Statisten ausziehen und mit einem gelben Judenstern bemalen lassen. Sie tragen Schilder mit Frakturschrift, die sie der Schande bezichtigen. So hätte die christliche Frau ein Verhältnis mit einem Juden gehabt, was nach den Gesetzen nicht zulässig ist. Nach diesem Übergriff beruhigt sich die Menge zunächst auf Geheiß des Kardinals Brogni und feiert ausgelassen auf den Stufen des Münsters. Es werden rot-schwarze Flaggen hochgehalten und schon kommt es zur nächsten Provokation. Éléazar hat sich mit seiner Tochter in die Nähe des Münsters gewagt. Der geliebte Samuel von Éléazars Tochter Rachel kann die Situation in merkwürdiger Weise retten. Was Rachel zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Ihr Geliebter ist kein Jude, wie er vorgibt, sondern der Reichsfürst Léopold.
Im zweiten Akt ist man dann in dem Wohnhaus der Goldschmieds Éléazar. An der Decke sieht man einen Stern, Vorhänge und Bücherregale stellen fest, man ist im Haus eines gebildeten Mannes. Der Akt beginnt wie ein Abendmahl von Leonardo da Vinci. Mit zwölf Gästen feiert Éléazar an einer langen Tafel das Pessachfest mit ungesäuertem Brot. Der a-cappella-Gesang ist wirklich schön, aber die Tafel wird gestört. Die Prinzessin Eudoxie unterbricht das jüdische Fest. Sie kommt, um eine Kette für ihren Mann zu bestellen. Samuel steht dabei seltsam in der Ecke und vermeidet jeden Blickkontakt mit der Prinzessin. Rachel will ihren Freund heiratet, jedoch gibt der im Verlauf des Aktes zu, dass er gar kein Jude ist, sondern Christ. Das erzürnt Éléazar so, dass er ihn auf die Tafel wirft und mit einem Messer bedroht. Aber es gäbe eine Chance, wenn er Jude würde, könnten sie heiraten, aber auch hier ziert sich der Freund merkwürdig. Er sagt, dass das nicht geht, und verlässt den Raum.
Im dritten Akt befindet man sich im Ankleidezimmer der Prinzessin. Die zieht in Erwartung ihres Mannes Léopold ein rotes Kleid an. Die Hofdamen dahinter in Rosa öffnen schon mal eine Flasche Sekt. Hinter den Stoffbahnen des Schlafgemachs sieht man ein Bankett. Zum obligatorischen Ballett inszeniert man eine Reise nach Jerusalem mit Stühlen. Am Bankett sitzt Samuel. Er ist also in Wahrheit der Reichsfürst Léopold. Nun spitzt sich die Lage zu. Éléazar und Rachel wollen die Auftragsarbeit übergeben und es kommt zum Eklat. Rachel erkennt ihren Freund. Im Hass und aus Wut beschuldigt sie ihn vor seiner Frau der Prinzessin, ein Verhältnis mit einer Jüdin gehabt zu haben. Das geht nun dem anwesenden Brogni eindeutig zu weit. Er findet die Anschuldigung ungeheuerlich und lässt Rachel, Éléazar und Léopold verhaften.
Im vierten Akt sieht man das Haus von Éléazar durch einen Brand verwüstet. Es hat also ein Pogrom gegeben. Das Haus von Éléazar stand in Flammen, die Tafel ist zerbrochen, die Stühle verkohlt. Eudoxie versucht Rachel, zu einer Revision ihres Geständnisses zu bewegen. Damit erwirkt sie Léopolds Begnadigung. Nun kommt es zu einer Aussprache zwischen Éléazar und Brogni. Die beiden hatten sich vor langer Zeit in Rom getroffen. Brogni war damals noch kein Kardinal, sondern hatte Frau und Tochter. Allerdings war er damals als Graf schon für den Tod der Söhne Éléazars verantwortlich, weshalb Éléazar jeden Christen hasst. So gibt er nun zu, dass Brognis Tochter gerettet wurde und nur er wisse, wo sie ist. Éléazar ist aber bereit sein Geheimnis ins Grab zu nehmen und bietet Brogni seinen Tod an. Mit einem gewissen Sadismus erfreut er sich dran, Brogni leiden zu sehen. Brogni verhört ihn sogar mit einer Stehleuchte, aber Éléazar weigert sich, den Aufenthalt der Tochter zu nennen. Diese Stehleuchte nimmt am Ende des Aktes Éléazar und beleuchtet sich gespenstisch von unten. In seinem Hass ist er sogar entschlossen, seine Tochter zu opfern.
Im letzten Akt kommt es zum fatalen Finale. In einem Taufbecken soll eine Art Zwangstaufe von Rachel mit heißem Wasser durchgeführt werden. Trotz einer Vorhangpanne ist man im Kerker gelandet. Rachel und Éléazar bleiben standhaft. In einer ziemlich brutalen Waterboardingsequenz wird nun Rachel ermordet. Als sie tot ist, gesteht Éléazar, dass Rachel die gesuchte Tochter von Brogni ist. Darauf erwürgt Brogni Éléazar.
Warum war ich begeistert? Auch wenn man heutzutage keine Arie mehr aus der Oper kennt: Das Vergessen der Oper auf den Spielplänen ist unverdient. Das Dritte Reich hat hier auch wieder dafür gesorgt, dass dieses Werk endgültig verschwand. Rachels Arie im zweiten Akt ist schön und Éléazars Arie im vierten Akt. Die Rolle des Léopold verlangt unglaublich hohe Tenortöne, die Uwe Stickert auch abliefert. Éléazar ist dagegen eher eine Kraftrolle für den Tenor Luca Lombardo. Nicolai Karnolsky als Kardinal Brogni liefert einen profunden Bassbariton, der teilweise mit bester Harfenmusik untermalt wird. Mit der Aufdeckung der Identität Rachels hätte man auch kurz vor Schluss noch einmal dramaturgisch alle Karten für eine positive Auflösung der Verwicklungen in der Hand. Religiöser Fanatismus verweigert aber dieses Ende. Die fünf Stunden, die diese Oper eigentlich dauert, wurden auf drei Stunden reduziert. Dennoch verliert die Oper durch die Kürze nicht an Wirkung. Ich kann inzwischen verstehen, warum die Oper damals ein Serienerfolg war, und lange auf den Spielplänen stand. Die Musik ist dramatisch, wuchtig und ergreifend. Klar ist der Pathos Teil der Grand Opéra, aber hier wird der Konflikt zwischen Juden und Christen gekonnt auf die Bühne gebracht. Vielleicht hat die Routine von sieben Aufführungen die Inszenierung inzwischen rund geschliffen und bietet nun an anderes Erlebnis als die Premiere im Januar.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg