Es gibt Inszenierungen, die sind nahezu unverwüstlich. Dazu gehört sicher auch die Inszenierung des 'Il barbiere di Siviglia' von Ruth Berghaus aus dem Jahre 1968. In der 358. Wiederholung scheint sich das Konzept immer noch nicht totgelaufen zu haben. Woran liegt das wohl? So kann man sich 2014 auf eine Zeitreise ins Jahr 1993 begeben, als ich vielleicht die 230. Aufführung gesehen haben mag. Vielleicht dass einige Figuren in der Inszenierung eine eigene Art haben, zu laufen. So hüpft die umworbene Rosina immer über die Bühne, während der verschlagene Don Basilio sich in kleinen Trippelschritten bewegt, das Stubenmädchen etwas trampelig auftritt oder der Diener einen Spitzentanz vollführt. Das Bühnenbild sieht aus, als ob man es schnell mit einer Bleistiftskizze entworfen hätte und besteht eigentlich nur aus vier großen Bettlaken und ist schwarz-weiß. Auch das Mobiliar ist da nur angedeutet. Oben am Bühnenhimmel gibt es vier skizzierte weiße Leuchter, die bei dramatischen Situationen lustig flackern. Auch ein Engel scheint aus dem Bühnenhimmel gefallen zu sein und hängt, kopfüber, von der Decke. Auch der Graf, der in dieser Oper sein Eroberungsspiel mit Rosina treibt, hat sich in das Fresko geschlichen. Auf einem Wappen steht ‚ Il barbiere di Siviglia – oder die unnütze Vorsicht‘.
Das Spiel beginnt mit dem Werbungsversuch des Grafen Almaviva um Rosina. Die Bemalungen der Tücher skizzieren einen mediterranen Straßenzug. Der Graf möchte aber vermeiden, dass Rosina sich nur wegen seines Standes in ihn verliebt, und tritt inkognito als Lindoro auf. Die Musiker-Gruppe lärmt aber ziemlich und Rosina lässt sich nicht sehen. Erst als Figaro seine berühmte Arie (Largo al factotum) zum Besten gibt, fragt der Graf bei Figaro um Hilfe. Der erste Anlauf mit dem Ständchen vor dem Balkon war ja gescheitert. Rosina schaut durch ein kleines Fenster, das den Balkon darstellt. Dieses ist scheinbar mit Klettverschlüssen zum Aufrollen. Ihr gelingt es aber, einen Brief an Lindoro fallen zu lassen. Bartolo möchte jetzt sein Mündel endlich heiraten. Der Graf nimmt einen zweiten Anlauf mit einem Ständchen bei Rosina. Sie spielt dabei mit ihren Fingern, immer wenn sie Verlangen nach Lindoro verspürt. Aber auch jetzt muss sie gleich zurück ins Haus und das Fenster schließt sich wieder. Nun hilft der Graf Figaro mit einem Beutel Geld auf die Sprünge, er solle sich was einfallen lassen. Figaro fällt auch sofort ein, der Graf solle sich als betrunkener Soldat im roten Mantel bei Bartolo einquartieren lassen. Nun kommt Rosinas große Arie (Una voce poco fa). Sie schreibt einen Brief an Lindoro. Auch der Schreibtisch von Rosina und der Hocker sind nur skizziert. Bartolo wittert nun einen Nebenbuhler. Don Basilio rät Bartolo nun zu einer Verleumdung, wobei die Kerzen an den Leuchtern flackern. Bartolo fällt aber das fehlende Papier auf. Der Geizhals hatte die Papierbögen abgezählt und nun fehlt einer. Er will wissen warum, und wieso die Schreibfeder nass ist. Rosina hat immer eine Ausrede parat. Die Übergabe des Briefes an Figaro scheitert aber. Nun kommt der verkleidete Graf an und sagt, er wäre hier einquartiert. Bartolo hätte aber ein Schreiben, das ihn von der Einquartierung von Soldaten befreit. Am rechten Bühnenrand durchwühlt Bartolo die Papiere und findet schließlich das Dokument, dass dann der Graf zerreißt. Schließlich gibt sich der Graf als Lindoro zu erkennen und es kommt zum Tumult. Der Graf geht auf Bartolo los und Figaro hält den Säbel des Grafen mit seiner Schere auf. Es rückt eine grün-berockte Wache an, die Lindoro schließlich rauswerfen soll. Vor dem Offizier der Wache gibt sich aber der Graf zu erkennen, worauf der Offizier sich gleich zu Boden wirft und Lindoro ungeschoren entkommen lässt.
Im zweiten Akt probiert es der Graf nun als Musikschüler von Don Basilio. Er möge der Rosina eine Musiklektion erteilen und tritt als Vertretung für den erkrankten Don Basilio auf. Während Rosina Lindoro sofort erkennt und mit Begeisterung an der Musikstunde teilnimmt, hält Bartolo auf einem Stuhl ein Nickerchen. Der Graf macht sich während des Rondos ‚Die unnütze Vorsicht‘ daran, Rosina die Kleidungsstücke zu öffnen und sie an ihren Hüften zu kitzeln. Für das Rondo ‚Contro un cor‘ scheint das förderlich zu sein. Von dieser neumodischen Musik hält Bartolo aber überhaupt nichts und schwärmt von Caffarelli, wobei er als Bass, dessen Kastratenstimme imitiert. Figaro macht sich nun dran, Bartolo zu rasieren. Dabei platzt nun Don Basilio selbst in die Szenerie. Alle attestieren ihm einen schlechten Gesundheitszustand und wollen ihn am liebsten schnell wieder loshaben. Er hätte die Masern, sehe schlecht aus und solle ins Bett. Neckisch hustet er aber das Quartett an. Durch einen Beutel mit Geld vom Grafen lässt er sich aber, nach Langem hin und her, abwimmeln. Es gelingt dem Grafen nun, auch an den Schlüssel für den Balkon zu kommen. Es wird eine Flucht geplant. Bartolo überzeugt nun Rosina, dass sie von Lindoro und Figaro nur an den Grafen verkuppelt werden soll. Darauf verrät sie deren Plan. Es zieht ein Gewitter auf, wobei die Tücher des Bühnenbildes im Takt der Musik flattern und die Kerzenleuchter flackern. Nun kommt der Graf und Figaro ins Zimmer. Der Rückweg auf die Straße ist versperrt, da Bartolo die Leiter geklaut hat. Nun macht der Graf kurzen Prozess: Er klärt auf, dass er und Lindoro dieselbe Person sind. Er besticht mit Geld den bestellten Notar und Don Basilio, die Vermählung mit Rosina umgehend durchzuführen.
Die Inszenierung macht richtig gute Laune an einem dunklem 3. Advent. Sie ist mit ihren weißen, skizzenhaften Szenen, freundlich, hell und heiter. Sei es Alfredo Daza als Figaro, Katharina Kammerloher als Rosina oder Renato Girolami als Bartolo. Auch nach vielen Jahren wirkt die Inszenierung frisch und modern. Wie die Charaktere skizziert sind, in den passenden Kostümen aus der damaligen Zeit, ist immer noch treffend. Auch dieses Mal, war es für mich der 3. Barbier von Sevilla in der Inszenierung und auch nach 20 Jahren, ein großer Spaß. Es war zudem für mich die erste Aufführung einer Oper im umgebauten Schillertheater. Die Akustik ist bei Weitem nicht mit der eines Opernhauses vergleichbar, aber ganz passabel. Die Geigen schienen mir etwas wenig durchzukommen, während die Pauken einen satten Bass hatten. Die Stimmen der Sänger kamen aber gut an, was zum Einen an der Größe des Hauses liegt, zum anderen, dass sie ihre Arien auf einem kleinen Kasten am Bühnenrand zum Besten gaben. Das Nickerchen meiner Sitznachbarin kann man schon mal verzeihen, da ich nicht weiß, wie oft sie schon diese Inszenierung genossen hat. Ich war jedenfalls vom ersten Akt voll dabei, habe mich wieder daran erfreuen können, wie die Charaktere skizziert sind und wie sie sich über die Bühne bewegen. Ruth Berghaus mag lange tot sein, mit dieser Inszenierung ist sie nahezu unsterblich.
Quelle: YouTube | Staatsoper Berlin
Das Opernhaus Nürnberg lädt zum Träumen ein und hat in dieser Spielzeit die Märchenoper Hänsel und Gretel ins Repertoire aufgenommen. Die Neuinszenierung von Andreas Baesler lässt den Besenbinder mit seiner Frau in einem Gründerzeitwohnzimmer leben. Umgesetzt wurden die märchenhaften Erlebnisse von Hänsel und Gretel als Traum der Kinder zur Weihnachtszeit. Das ist insofern passend, als die Oper an einem 23. Dezember 1893 ihre Uraufführung in Weimar hatte und in dieser Gründerzeitvilla ein Tannenbaum steht.
Aber dem Besenbinder und seiner Frau geht es nicht gut. Schon in der Ouvertüre tritt der Pfandleiher auf und pfändet Bilder und Inventar aus dem Haushalt. So muss zum Beispiel Gertrud ihre Perlenkette abgeben. Auffällig ist hier schon ein streng dreinblickendes Hausmädchen, das hinkend über die Bühne eilt. Die Kinder spielen in einem Doppelstockbett mit ihren Puppen, einem Bärchen im Matrosenanzug und einer Mädchenpuppe. Sie vertreiben sich so die Zeit, statt Besen zu binden oder Socken zu stricken. Der Hunger ist bei den Kindern groß, aber sie entdecken eine Suppenschüssel voller Milch und Rahm, den die Mutter zu Grießbrei kochen will. Sie vergreifen sich aber an dem Abendessen. Müde und erschöpft kehrt nun ihre Mutter heim. Voller Zorn über die Faulheit ihrer Kinder greift sie zum roten Rohrstock. Dabei stößt sie die Schüssel mit der Milch um. Statt die Kinder nun in den Wald zum Beerenlesen zu schicken, jagt die Mutter die Kinder in die Betten zum Schlafen. So kommt nun angetrunken der Vater des Hauses mit einer Schnapsflasche nach Hause. Ihm waren im Nachbardorf gute Geschäfte gelungen. Er bringt einen Korb mit Lebensmitteln mit, über den die Mutter außer sich vor Freude ist. Als die Mutter sagt, die Kinder seinen an den Ilsenstein, ist der Vater besorgt. Er erzählt von der bösen Hexe, die dort wohnt, wobei die Kinder auf einer Decke platz nehmen, aus ihren Betten kommen und ihm zuhören. Der Vater zündet auch eine Laterna magica an, worauf zum nun folgenden Hexenritt, Besen reitende Hexen an die Wände projiziert werden. Die Eltern eilen in den Wald, um die Kinder zu retten. Die Kinder sind nun allein in dem spukhaften Wohnzimmer, es pfeift der Wind durch das Zimmer und Hänsel ruft auf durch das Fenster 'Wer da?'. Der Tannenbaum muss nun den Wald darstellen, in dem sich die Kinder verlaufen haben. Hänsel findet den Weg nicht mehr nach Hause. Gretel hat nun immer mehr Angst, während Hänsel ihr immer versucht ihre Fantasien zu erklären. Selbst der Kuckuck ruft aus einer beleuchteten Kuckucksuhr an der Seite. Aus dem Bett erscheint nun als Clown das Sandmännchen, etwas hölzern und in Begleitung ihrer beiden, nun durch Kinder dargestellten Puppen. Das Sandmännchen streut glitzerndes Konfetti und die Kinder werden müde. Vor dem Abendsegen werden sie von ihren Spielzeugen mit einem dünnen, weißen Tuch zugedeckt. Diesmal erscheinen wirklich die 14 besungenen Engel ganz in Weiß, aus verschiedenen Epochen der letzten Jahrhunderte. Diese stellen sich im Halbkreis um die Kinder. Am Ende enthüllt einer der Engel ein kleines Lebkuchenhaus.
Beim dritten Akt am Knusperhäuschen fliegt nun wieder die projizierte Hexe über die Bühne. Es erscheint an der Bühnendecke das Taumännchen, das von den Puppenspielzeugen über den Bühnenhimmel gezogen wird. Auch das Taumännchen verstreut dabei glitzerndes Konfetti. Die Kinder entdecken das Lebkuchenhaus und meinen, es müssen wohl die Engel gebracht haben. Die Seitenwände der Wohnung stehen nun offen und auf der Bühne stehen sechs Tannenbäume. Auch der Kamin aus der Gründerzeitwohnung steht auf der Bühne. Während die Kinder nun am Lebkuchenhaus naschen, erscheint das Stubenmädchen wieder aus dem Eingangsakt. Man hatte sich es fast gedacht, dass das in Wahrheit die Hexe Rosina Leckermaul ist, die in dem Kamin die Kinder zu Lebkuchen backt. Mit einem roten Bewegungszauber hindert sie Hänsel und Gretel an der Flucht und sperrt Hänsel nun im Doppelbett ein. Die Hexe singt mit einem gruseligen Halleffekt und reitet auf dem Besen quer über die Bühne. Ein Double fliegt sogar im Intermezzo beim Hexenritt auf einem Besen im Hintergrund davon. Gretel hat sich aber die Worte für den Bewegungszauber gemerkt und befreit und Hänsel von dem Zauber. Der Aufforderung der Hexe, den Ofen zu kontrollieren, kommt Gretel nun nicht nach. Sie stellt sich bewusst dumm und bittet die Hexe, ihr zu zeigen, wie man das macht. Die Hexe macht das nun bereitwillig vor und wird von Gretel nun in den Kamin gestoßen. Die Kinder freuen sich über den Coup. Einen Augenblick später knallt es aus dem Kamin. Die Hexe ist tot und es erscheint ein Chor Lebkuchenkinder mit einem Lebkuchenherz. Diese sind noch blind und erst eine Berührung durch Gretel öffnet ihnen die Augen. Am Ende sind die Kinder wieder in der Gründerzeitvilla bei ihren Eltern. Die Hexe ist tot und nur noch ein Haufen Asche, die das Kindermädchen aus dem Kamin kehrt.
Die Inszenierung ist wirklich traumhaft und wird dem Stück gerecht. Die Verlegung der Handlung als Traum in die Gründerzeit ist ein schöner Einfall. Jochen Kupfer als Besenbinder ist eine gute Wahl. Aber auch Hänsel (Silvia de La Muela) und Gretel (Michaela Maria Mayer) waren an diesem Abend ganz hervorragend. Das Orchester der Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Guido Johannes Rumstadt verleiht dem Stück den wagnerischen Klangrausch, den es braucht. Ein schöner Opernabend in der Vorweihnachtszeit, der einen Besuch lohnt. Nicht zuletzt durch die geschmückten Tannenbäume auf der Bühne kommt eine vorweihnachtliche Stimmung auf.
Quelle: Youtube Staatstheater Nürnberg
An der Aalto-Oper in Essen wird derzeit Manon Lescaut von Puccini gezeigt. Die Inszenierung des norwegischen Opernregisseurs Stefan Herheim verlegt die Oper in die Zeit der Stiftung der Freiheitsstatue von Frankreich an die USA. Zudem lässt er Puccini selbst auftreten, der mit seinen Figuren teilweise leidet, ihnen Regieanweisungen gibt und gegen Ende sogar mit der Hauptdarstellerin stirbt. Das Regiewerk ist eine Koproduktion der Bühnen Graz und der Sächsischen Staatsoper Dresden. Die Suche nach Freiheit der Bühnenfigur Manon wird mit der Freiheitsstatue zum Mittelpunkt der Inszenierung. Manon kann sich letztendlich nicht zwischen den beiden Männern Des Grieux, dem Studenten und Geronte, dem Steuerpächter, entscheiden. Des Grieux schlüpft in dieser Inszenierung in den Künstler, der die Freiheitsstatue in seinem Atelier entworfen hat.
Die Oper beginnt etwas ungewöhnlich mit dem Zwischenspiel zum dritten Akt, erst dann kommt die Ouvertüre. Folglich spielt der Beginn der Oper 1876 als Des Grieux die Freiheitsstatue konstruieren soll. Sie steht als Modell, ohne Gesicht auf der Bühne, aber auch in diversen übergroßen Einzelteilen. Man sieht in groß den Kopf der Statue mit dem charakteristischen Kranz, die Fackel mit der Hand und dem Buch mit der Jahreszahl mit dem Unabhängigkeitstag. Im Hintergrund der Bühne sieht man einen Puccini, der die Handlung in ein kleines Buch schreibt. Statt mit einer Kutsche brechen sich die Hauptpersonen durch das Buch der Statue. Dabei kommt die Drehbühne zum Einsatz. Und da fällt einem auf: Die Figuren in dem Buch sind aber in Rokoko-Kostümen. So muss Des Grieux erst eine Zeitreise antreten, die Fackel mit Pyrotechnik zünden und sich der Geschichte annehmen, die seine Manon zu erzählen hat. Nach dem Willen ihres Vaters soll Manon in ein Kloster gehen, ihr Bruder und Steuerpächter Geronte begleiten sie auf diesem Weg. Des nachts trifft Manon dann noch einmal heimlich Des Grieux. Dabei hat sie wieder Kleidung aus dem 19. Jahrhundert an. Immer wenn es um die Freiheit in Amerika geht, springt die Handlung um 100 Jahre. Geronte will aber eine Kutsche an dem Wirtshaus bereitstellen, die Manon entführen soll. Letztendlich flieht sie aber im Tumult im Wirtshaus mit Des Grieux nach Paris. Dabei fliegen viele Spielkarten von den Gerüsten der Freiheitsstatue. Beäugt wird die Szenerie immer von einem stummen Puccini. Noch mischt er sich nur am Rande in das Geschehen ein. Die Hauptpersonen scheinen aber immer in dem kleinen schwarzen Buch ihre Handlungsanweisungen durchzulesen, während der stumme Puccini immer mitdirigiert und stumme Anweisungen gibt. Leider geht dem Studenten in Paris schnell das Geld aus, sodass Manon von ihrem Bruder zum Steuerpächter Geronte gebracht wird. Man sieht nun alle in Rokoko-Kostümen. Manon hübscht sich auf und es findet eine kleine Tanzszene statt. Geronte hat derweil Freude dran, sich an hübschen Damen zu vergnügen, die ein Madrigal darbringen. Dabei verwandelt sich der übergroße, hohle Kopf der Freiheitsstatue zu einem großen runden Bett, in dem sich die Madrigals-Damen vergnügen. Manon will gerade aufbrechen, als ihr Bruder wieder Des Grieux anbringt. Sie erkennen ihre Liebe, wobei Des Grieux seinen Reichtum von der Fackel in Form von Geldscheinen zu verteilen scheint, die er auf die Bühne wirft. Dabei werden die beiden Liebenden von Geronte überrascht. Dieser erkennt den Betrug und zeigt sie an. Im Original rafft nun Manon noch schnell den Schmuck, hier rafft sie sich die Noten, die ihr Puccini hinreicht. Es trifft schließlich mit Schüssen die Polizei auf die Bühne und verhaftet Manon und die gesamten 10 Rokokodamen mit ihr. Dann ist erst einmal Pause. Im dritten Akt sind die Rokokodamen angeseilt in einem großen Gerüst, erst nach und nach werden die Damen von ihren Fesseln befreit, darunter auch Manon. Des Grieux hat sich in das Gefängnis geschlichen und versucht nun Manon und den anderen Damen zur Flucht zu verhelfen. Sie gehen schon auf den hell beleuchteten Kopf der Freiheitsstatue zu, als sie von einem verkleideten Geronte gestoppt werden. Es ist ein interessanter Schachzug der Inszenierung, Geronte mit Glatze zum Aufseher des Gefängnisses zu machen. Der fertigt in schmieriger Weise nun die einzelnen Damen ab und vergeht sich teilweise an ihnen, bevor sie nach Amerika geschickt werden. Am Schluss entschließt sich auch Des Grieux, mit auf das Schiff in Le Havre nach Amerika zu gehen. Er bittet den Kapitän, ihn mitzunehmen, dieser willigt schließlich. Was schließlich die beiden im letzten Akt in eine Wüste bei New Orleans verschlägt, müssen auch die Hauptpersonen nachlesen. Des Grieux hatte vermutlich einen Nebenbuhler getötet und befindet sich mit Manon auf der Flucht. Es sieht aber nicht gut für Manon und Des Grieux. Jetzt wirft sich Puccini selbst zwischen die Liebenden, sodass er zum einen wie elektrisiert am Boden liegt und sich am Schluss mit Manon in einen Vorhang einwickelt. Des Grieux bringt eine glimmende Lebensfackel an dem Freiheitsstauen-Modell an. Er dekonstruiert ein letztes Mal die 2m große Figur.
Bis auf die Schlussszene, bei der die Wüste von lauter Menschen auf Gerüsten bevölkert ist, hat man es mit einer sehr interessanten Umsetzung der Manon zu tun. Die Zeitreise durch die Jahrhunderte und die Konstruktion der Freiheitsstatue macht wirklich einen guten Regieeinfall aus. Es macht wirklich Spaß, dieser Inszenierung und den Ideen von Stefan Herheim zu folgen. Die Freiheitsstatue wurde in Paris gebaut und konstruiert. Daher sind die Teile im zweiten Akt wirklich sinnvoll eingesetzt. Die Personen durch die Zeit reisen zu lassen ist auch gelungen. Giacomo Sagripanti gibt teilweise etwas zu viel Lautstärke weiter, sodass Gaston Rivero und Katrin Kapplusch ihre Mühe haben, noch durchzudringen. Tijl Faveyts macht sich sowohl als Geronte als auch als Gefängniswärter recht gut. Eine schöne Nachmittagsvorstellung, weshalb die weite Anreise durchaus lohnt. Ich hatte zudem sehr gute Plätze im Parkett in der achten Reihe.
Quelle Vimeo: Theater-TV PLUS
Calixto Bieito inszeniert eine moderne Variante der Turandot von Puccini zur Eröffnung der Spielsaison 2014/15 am Opernhaus in Nürnberg. In einer Vorbesprechung sprach der Regisseur davon, keine China-Restaurant-Variante der Oper zu präsentieren, sondern eine Geschichte von einer totalitären Turandot zu erzählen, die eine Macht-Neurose hat und ihr Volk traktiert. Auch wenn ein großer Skandal bei dieser Regiearbeit ausbleibt, gelingt dem Regisseur eine beklemmend, bedrückende Deutung des letzten Werks von Puccini. Präsentiert wird das Werk in einer 1 ¾- stündigen Version, ohne große Pausen und ohne das umstrittene Ende von Franco Alfano. Die Oper wird als Fragment präsentiert und endet da, wo Puccini selbst das Werk nicht fortgeführt hat, mit dem Tod der Sklavin Liú. Vor jedem Akt gibt es eine Aktion auf der Bühne, die ohne Musik stattfindet. So beginnt die Oper mit sauber auf Kartons aufgereihten Puppen. Diese werden von dem Volk, Arbeitern in blauen Overalls, weggetragen. Im Hintergrund ist eine Wand mit Versandkartons aufgebaut, die als Projektionsfläche für eine makabre Einspielung einer Köpfung dient. Calaf kommt als Tataren Prinz mit einem Fahrrad in diese verbotene Arbeiterstadt. Hier führt Turandot ein Schreckensregime. Sie stellt ihren Prinzen, die um sie werben, Rätsel und lässt diese töten, so sie nicht auf die richtigen Lösungen kommen. Hier ist aber Calaf getarnt und ebenfalls ein Arbeiter. Begleitet wird Calaf von der Sklavin Liú und seinem Vater Timur. Ihn schreckt auch nicht, dass sein Vorbewerber im Mondschein geköpft wird. Das Fahrrad wird auf der Bühne angezündet, als er von dem schimmernden Mondschein singt. Scheinbar fängt der Prinz da selbst im Mondlicht Feuer. Calaf erblickt Turandot und verliebt sich in sie. Traktiert werden das Volk und die drei Ankömmlinge von den Ministern Ping, Pang und Pong in Militäruniform. Plakativ stehen die Drei am Bühnenrand und haben das Schild ‚Verräter‘ um den Hals. Liu wird Wasser gereicht, dass sie dem Minister in einer Fontaine entgegen spuckt. Dann ist wieder eine stille Pause zwischen den Akten. Die Minister in Uniform wechseln nun ihre Uniform gegen Brautkleider und erzählen tanzend von ihrer Heimat, was sehr abgründig ankommt. Herangetragen werden die Kleider von einer leicht bekleideten Frau in Zellophan. Als Kleiderständer dient da scheinbar die Ahnin Lou-Ling, von der Turandot noch erzählen wird. Tagsüber markieren die Minister die starken Soldaten und abends lassen sie ihre weibliche Seite aufleben. Der commedia dell'arte-Aspekt der Einlage kommt dabei ganz abhanden. Dennoch erscheinen aus dem Schnürboden zumindest die roten Laternen, die die Minister besingen. Altoum, der Kaiser von China, kommt in einer Windel und mit einer Urne auf die Bühne, aus der er Asche streut, während das Volk mit dem Gesicht zum Boden liegt. Er ist des Mordens müde und wünscht sich eigentlich nur einen erfolgreichen Bewerber. Schließlich, nachdem man viel über ihre Grausamkeit gehört hat, erscheint Turandot auf der Bühne. In einem schwarzen Businessanzug, mit einer roten Bluse und einer langen blonden Perücke, mimt sie die cholerische westliche Chefin der Arbeiterstadt. Sie kommt dabei sehr neurotisch und aufbrausend beim Publikum an. Es scheint keine nette Person zu sein, um die Calaf hier wirbt. Rachael Tovey gibt einen fulminanten, dramatischen Koloratursopran. Die Auftrittsarie ‚in questa reggia‘ gerät zu einer Glanznummer, wobei ihr das voll aufdrehende Orchester keine Mühe zu bereiten scheint. Bei der anschließenden Rätselszene werden zwei Frauen aus dem Schnürboden abgeseilt, diese darf nun Calaf bei jeder Frage von ihren Fesseln befreien. Die Frauen als Rätsel, ein schönes Bild. Die dritte Frage wird von Turandot, wie ein Hund an einem Seil über die Bühne geschleift. Über das Lösen der Rätsel ist Turandot so empört, dass sie auf den am Boden liegenden Altoum mit einem Gürtel einschlägt. Anschließend verliert sie ihre Perücke und muss nun die Frage nach dem Namen von Calaf beantworten. Dabei wendet sich Calaf der Sklavin Liú zu, die seinen Namen kennt. Wieder ist eine kurze Stille. Das Volk kauert nun auf dem Boden und verliert die blaue Oberbekleidung, während die Minister eine Leibesvisitation durchführen. Es erklingt das berühmte ‚nessun dorma‘ von Calaf. Dabei hat Calaf ein Schild mit der Aufschrift Poesie um den Hals. Die Minister fesseln auch Calaf mit Zellophan an einen Kartonmarterpfahl. Dieses Schild zerreißen sie. Dabei war die spannende Frage, ob er nun unter dem Cellophan weitersingen kann. Die Minister identifizieren nun Liú als eine der Personen, mit denen Calaf gesprochen hat. Die Minister versuchen Calaf nun mit schönen Frauen in Zellophan zu verführen. Timur wurde inzwischen durch Folter geblendet. Die Minister traktieren die hergestellten Puppen und versuchen aus Liú den Namen zu entlocken. Sie stirbt aber lieber, in dem sie sich mit einem Puppenarm den Hals aufschlitzt. In dieser Variante ereilt aber auch Timur der Tod durch den Strang von einem Minister. Nach dem Tod der Sklavin ist das Ende von Turandot offen. Zu tief scheint der Graben zwischen der allmächtigen, kalten Turandot und dem namenlosen Prinzen sein. Turandot sitzt auf einem Berg von blauer Oberbekleidung und zerpflückt die Puppen.
Diese Oper ist starker Tobak, mit Anleihen an die Massenszenen von Fritz Langs Metropolis. Es gelingt eine wirklich bedrückende Atmosphäre, wobei der große Skandal ausbleibt. Für mich wurden in einer Turandot noch nie so ausführlich die Aspekte Macht, Herrschaft und Totalitarismus beleuchtet. Die Liebesgeschichte zu Calaf gerät dabei in den Hintergrund. Calaf ist nur einer aus der Masse, der gegen das System Turandot aufbegehrt. Musikalisch ist diese Oper mit den vielen Massenchören stark im Forte, es ist wirklich sehr laut im Opernhaus. Hrachuhí Bassénz gibt eine wunderbare Liú und Rachael Tovey eine eisige Turandot, mit viel Wucht und vielen Höhen. Das ‚nessun dorma‘ ist natürlich von David Yim auch sehr gut umgesetzt. Aber auch die Nebenrollen sind stark besetzt. Es ist eine sehenswerte, wenn auch umstrittene Inszenierung, die im Gegensatz zur Interpretation der Fura dels Baus steht. Wie der Regisseur sagte: No China-Restaurant.
Quelle YouTube, Staatstheater Nürnberg
Auf diese Hugenotten in Nürnberg muss man gut vorbereitet sein. Das Konzept von Tobias Kratzer ist leider nicht bei jedem angekommen, zumindest die lokale Presse fand an der Idee, die Geschichte der Hugenotten im 20. Jhd. starten zu lassen, und zwar in einem Maleratelier, nicht besonders gelungen. Martin Berner als Maler und gleichzeitig als handelnde Person des Grafen Nevers spielen zu lassen, ist der Angelpunkt der Inszenierung. Das führt dazu, dass er ständig auf der Bühne präsent ist. Man könnte das auch als Spukstunde in einem Maleratelier sehen, bei dem sich die gemalten Bilder verselbstständigen und zum Leben erwachen. Der Maler wird dabei immer mehr in seine Bilderwelt gezogen und hat am Ende im letzten Akt selbst ein historisches Gewand an. Dadurch gelingen die Bilder als große Tableaus aufzubauen, was Ziel einer Grand Opera ist und mit der nötigen Distanz zu sehen.
In der Ouvertüre versucht sich der Maler an einer biblischen Szene, dem Bild von Kain und Abel. Ihm will so recht kein Bild gelingen, er schickt die Modelle weg. Dann treten Leute in Alltagskleidung auf die Bühne. In Kartons werden historische Gewänder herausgezogen und man verkleidet sich. Aufgebaut wird ein Bankett, das der Maler nun festhalten will. Die feiernde Menge will Geschichten über die Liebe hören. Da erzählt der Hugenotte Raoul seine Begegnung mit einer schönen Frau. Diese schöne Frau ist zufällig Nevers verlobte und Tochter des Hugenottenhassers Graf de Saint-Bris. Valentine ist aber nur gekommen, um die Verlobung mit Nevers zu lösen, die ihr Vater eingefädelt hat. Dies missversteht nun Raoul, weshalb es in der Folge zu Verwicklungen kommt. Raoul bekommt am Fest eine Einladung von der Schwester des französischen Königs Maguerite. Mit einer blauen Flugzeug-Schlafbrille wird er zur Königin geführt. Es werden Teppiche ausgerollt und es nehmen die Hofdamen Platz auf der Bühne. Die Königin Marguerite ist dabei gekleidet wie Joan Sutherland, eine australische Opernsängerin, und sucht auch so lange in der Garderobe, bis sie ein ähnliches Kleid findet, dass auch Joan Sutherland 1990 in Sidney getragen hat. Die Rolle der Königin war eine Bravour-Nummer dieser Ausnahmekünstlerin und ohne Youtube, versteht man diese Anspielung nicht. Königin Marguerite ist mit Heinrich von Navarra verlobt, der ebenfalls Protestant ist. Sie hofft in Raoul einen Mann zu finden, der die Tochter des Anführers der Katholiken heiraten soll und so Frieden zwischen den Parteien stiften soll. Als Raoul erkennt, dass er die Tochter des Hugenottenhassers heiraten soll, lehnt er entrüstet ab und brüskiert damit die anwesenden Katholiken. Außerdem sieht er Valentine, so heißt die Schöne, noch an Nevers gebunden. Es kommt fast zur Auseinandersetzung, die die Königin gerade noch mal verhindern kann. Im dritten Akt kommen nun in der Sonntagszene wieder die verfeindeten Parteien zusammen. Jetzt ist es schon so weit, dass hinter den Bildern gleich die historisch angezogenen Hugenotten hervorkommen, der Albtraum nimmt also Fahrt auf. Zwei Zigeunerinnen lesen dabei die Zukunft aus Valentines Hand zur Ballettmusik. Eine davon hat eine Plastikziege dabei, aber auch die läuft schreiend von Valentine weg, als sie deren Zukunft erkennen. Zur Ballettmusik sieht man auch noch Einspielungen von Kriegsbildern aus dem Nahen Osten. Zur weiteren Steigerung brechen in der Nachtwächterszene mannsgroße Wasserspeier durch das Fenster des Ateliers. Diese werden dann von einem buckligen Nachtwächter gebändigt. Dazu passt dann auch, dass sich der Albtraum fortsetzt und Valentine dann wirklich Nevers heiratet. Die kommen nämlich gerade frisch aus der Kirche, was in der Inszenierung leider etwas untergeht. Die Hochzeit ist nämlich die Folge von Raouls Weigerung Valentine zu heiraten. Raoul ist in seiner Ehre gekränkt und fordert nun Saint-Bris zum Duell. Nevers und Saint-Bris wollen aber Raoul in einen Hinterhalt locken, dies hört nun Valentine mit und lässt Raoul warnen. Es kommt wieder zum Kampf der Rivalen, wobei die Königin hoch zu Ross die Widersacher trennt. Es könnte fast ein Bild des Malers Diego Velázquez sein (Königin Isabella von Frankreich zu Pferde), wie sie da hoch auf dem Kaltblüter Araxus über den kämpfenden Sonntagsgängern sitzt oder auch ein Zitat der Aufführung von 1968 mit Joan Sutherland in London. Raoul erkennt nun seinen Fehler und folgt Nevers und Valentine in sein Schloss, das heißt in dieser Inszenierung sein Atelier. Dort heizt ein gusseiserner Ofen. Das Loch im Ateliersfenster, das die Wasserspeier geschlagen haben, ist mit einer Plane zugedeckt. Auf dem Schloss des Grafen Nevers wird nun Raoul Zeuge, wie die Edlen um Saint-Bris über einer Stadtkarte von Paris, die Vernichtung aller Hugenotten mit Feuer und Pistolen. Es sind aber die Waffen der Neuzeit, die Saint-Bris-Anhänger nutzen. Als Zeichen ihres Glaubens malen sie sich ein weißes Kreuz auf die Stirn. In einer monumentalen Szenen werden die Waffen geweiht. Im Hintergrund sieht man durch das Ateliers-Fenster aber schon den Feuerschein der Bartholomäus Nacht. Nevers bekommt in dieser Fassung eine besondere Rolle, da er sich an einem Punkt dann weigert, die sinnlose Verfolgung mitzumachen. Er wird schließlich gefesselt und umgebracht. Im letzten Akt hat schließlich auch der Maler, als letztes historische Kleidung an. Er malt ein Actionbild in Rot, was seinen eigenen Tod durch die Anhänger von Saint-Bris darstellen soll. Im letzten Akt versucht nun Valentine, Raoul zu ihrem Glauben zu bewegen. Als sie nun bei Raoul scheitert, nimmt sie schließlich seinen Glauben an und wischt sich das weiße Kreuz von der Stirn. Raouls Diener Marcel nimmt eine provisorische Trauung vor. Als Kollateralschaden sterben nun in der Bartholomäus Nacht Raoul, sein Diener und Valentine durch den Kugelhagel von Saint-Bris.
Handelt es sich um eine überlebte Kunstform, die Grand Opera, wie die Nürnberger Nachrichten meinten? Mitnichten, finde ich nach doch vier langen Opernstunden. Im Don Carlos von Verdi lebt diese Form weiter. Die Musik setzt auf große Effekte, es gibt ein wunderschönes Duett zwischen Raoul und einer Viola d'Amore oder am Ende mit einem Bassfagott. Ob man nun wirklich ein echtes Pferd, echtes Feuer usw. braucht, sei dahingestellt. In jedem Fall ist es ein Sängerfeuerwerk, bei der Uwe Stickert als Raoul glänzen kann, ebenso wie Hrachuhí Bassénz als Valentine. Den spektakulärsten Auftritt hat sicher Leah Gordon als Margarete von Valois und Joan Sutherland-Double auf dem Pferd. Mit der Idee des Ateliers muss man eben warm werden, oder nicht. Interessant ist der Ansatz sicher, wenn man die Oper kennt. Für den Neueinstieg in das Werk stellt das eher eine Hürde da. Aber auch mit der Regie wird es zum Ende hin schwieriger, die Handlungen von Nevers noch schlüssig zu erklären, wobei das Ende eine klare Umdeutung ist, was ich immer heikel finde. Es gibt auch dramatische Momente zum Schluss hin. Wer aber Aufklärung um die Geschehnisse der Bartholomäus Nacht sucht, ist hier sicher fehl am Platz. Musikalisch gelungen, szenisch akzeptabel würde ich sagen.